Neuer Habitus in tradierten Machtstrukturen? Geschlechterspezifische Bewältigungsstrategien in der Wissenschaft

Rezension von Cord Arendes

Ulrike Vogel, Christiana Hinz:

Wissenschaftskarriere, Geschlecht und Fachkultur.

Bewältigungsstrategien in Mathematik und Sozialwissenschaften.

Bielefeld: Kleine 2004.

184 Seiten, ISBN 3–89370–393–4, € 19,40

Abstract: Die Attraktivität des Arbeitsplatzes Universität kann heute, jenseits der Forderung nach Internationalisierung der Forschung und Steigerung der Innovationsfähigkeit, nur dann gesichert werden, wenn dem wissenschaftlichen Nachwuchs eine faire Chance eingeräumt wird. Dabei darf, wie die Studie von Ulrike Vogel und Christiana Hinz zeigt, das Postulat der Gleichheit weiterhin nicht aus den Augen gelassen werden. Wie die Autorinnen im Rahmen einer qualitativen und einer quantitativen Studie zum professionellen Werdegang von Professorinnen und Professoren in den Sozialwissenschaften und der Mathematik zeigen, ist die berufliche Situation von Wissenschaftlerinnen in Deutschland immer noch durch eine mehrfache Schlechterstellung gekennzeichnet: Wissenschaftlerinnen konzentrieren sich, besonders in den Geistes- und Sozialwissenschaften, auf den hierarchisch niedrigeren Positionen und auf befristeten sowie Teilzeitstellen. In den beiden Teilstudien wird besonders der Frage nachgegangen, welche Bewältigungsstrategien Frauen und Männer in der Hochschulkarriere wählen und wie sich diese auf die Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern auswirken.

Einbettung der Studie in soziologische und feministische Wissenschaftskonzeptionen

Das vorliegende Buch präsentiert die Ergebnisse zweier Forschungsprojekte aus dem DFG-Schwerpunktprogramm „Professionalisierung, Organisation, Geschlecht. Zur Reproduktion und Veränderung von Geschlechterverhältnissen in Prozessen des sozialen Wandels“. Es stellt dabei in sieben Kapiteln die übergreifenden Ergebnisse einer Leitfadenbefragung und einer schriftlichen Umfrage zum Thema Karrierechancen von Frauen und Männern im deutschen Hochschulsystem vor.

Das erste Kapitel resümiert den aktuellen Forschungsstand über Wissenschaftlerinnen an Hochschulen und beschreibt noch einmal ausführlich die bekannten Defizite der Situation von Frauen im Wissenschaftsbetrieb. Die neueren Forschungsergebnisse zeigen deutlich, dass es weiterhin zu „institutionellen Behinderungen von Frauen […] durch schlechtere Integration in die formellen und informellen Förderstrukturen“ (S. 19) kommt. Im folgenden Kapitel wird der konzeptionelle Rahmen der beiden Teilstudien vorgestellt. Den theoretischen Ausgangspunkt bilden die Untersuchungen des französischen Soziologen Pierre Bourdieu zu sozialem Raum und Klassen. Mit Blick auf die Theorie Bourdieus lassen sich die unterschiedlichen Bewältigungsstrategien von Frauen und Männern als spezifische soziale Praxen mit jeweils entsprechendem Habitus beschreiben. An dieser Stelle sehen Ulrike Vogel und Christiana Hinz geeignete Anknüpfungspunkte für Theorien aus der Geschlechterforschung. Die Anlage des qualitativen wie auch des quantitativen Teils der Gesamtstudie wird im dritten Kapitel umrissen. Der Vergleich der jeweiligen Ergebnisse soll dabei die Suche nach „Konvergenz, Komplementarität und Divergenzen“ (S. 34) erleichtern.

Ergebnisse der qualitativen Untersuchung

Die insgesamt 71 Einzelfallanalysen werden von den beiden Autorinnen in sechs Karrieregruppen unterteilt, die treffende Namen wie „Auf dem Gipfel“ oder auch „Verunsicherte Gipfelstürmende“ (S. 34 f.) tragen. Die geschlechtsbedingten Unterschiede zwischen Frauen und Männern beziehen sich demnach weniger auf den sozialen Hintergrund als auf die „schlechtere Förderung“ von Frauen im Wissenschaftsbetrieb und deren stärkere „Familienbindung“ (S. 47). Während durchaus Unterschiede vorhanden sind, die sich mit der DDR-Herkunft oder den unterschiedlichen Fachkulturen in den Sozialwissenschaften bzw. in der Mathematik erklären lassen, so überwiegen in den verschiedenen Karrieregruppen doch die Gemeinsamkeiten. Insgesamt kann von einem „Habitus“ gesprochen werden, „der mit Selbstverwirklichung im Beruf und Aufstiegsorientiertheit auf die erreichte Berufsposition und die Hochschullaufbahn bezogen ist“ (S. 62).

Die in den Interviews immer wieder thematisierten Benachteiligungen von Frauen im Rahmen einer wissenschaftlichen Karriere beziehen sich vor allem auf die Förderung an der Hochschule vor der Qualifizierungsphase „Habilitation“. Handelt es sich zudem um eine befristete Arbeitsstelle, so wird die daraus resultierende Belastung als noch stärker und in negativer Hinsicht prägender empfunden. Während bei Männern die familiäre „Freistellung“ für die Karriere weiterhin als selbstverständlich angesehen wird, führen familiäre Belastungen bei Frauen weitaus häufiger zu Beeinträchtigungen, besonders zu Beginn der Hochschulkarriere (S. 62 f.).

Ergebnisse der quantitativen Untersuchung

Den Ergebnissen der qualitativen Untersuchung werden in einem zweiten Schritt die Ergebnisse der quantitativen Teilstudie, nämlich aus 1603 Fragebögen, zum Vergleich zur Seite gestellt. In diesem größeren Sample treten nun einige der bereits thematisierten Zusammenhänge deutlicher zutage. Bezüglich ihrer sozialen Herkunft stammen die Befragten Mathematiker/-innen zu einem größeren Teil aus Akademiker-Elternhäusern und wurden bereits in der Schule auf ihr Studium hin gefördert. Diese „bessere“ Ausgangsposition wirkt sich auch auf die wissenschaftliche Karriere aus, bis hin zu einer deutlich positiveren Beurteilung der aktuellen beruflichen Situation in dieser Befragtengruppe.

Die festgestellten „Fachunterschiede“ werden „begleitet von einer tendenziellen Besserstellung und Zufriedenheit bei den Männern“. Ein traditionelles bzw. „männliches“ Familienmodell findet sich eher bei Mathematikern als bei Sozialwissenschaftlern (S. 90). Insgesamt kann so für die Bewältigungschancen auf Basis der Auswertungen eine – wenn auch grobe – Hierarchie von „Mathematikern an der Spitze“ und „Sozialwissenschaftlerinnen am Ende“ aufgestellt werden (S. 93). In einzelnen Untersuchungspunkten tritt dabei die „Geschlechterproblematik“ hinter die „Fächerhierarchie“ zurück (S. 94).

Geschlechterspezifische Bewältigungsstrategien im sozialen Feld Hochschule

Insgesamt kann die vorliegende Studie von Ulrike Vogel und Christiana Hinz durch die Auswertung zweier ausgewählter Wissenschaftler/-innen-Populationen aus den Natur- bzw. Sozialwissenschaften wichtige Ergebnisse der bisherigen Forschung untermauern und auf eine breitere empirische Basis stellen: Der wissenschaftliche Habitus verfestigt sich mit der Höhe der Position im Wissenschaftsfeld sowie der „Dauerhaftigkeit“ der jeweiligen Stelle. Benachteiligungen ergeben sich besonders deutlich auf Zeitstellen und den unteren Rängen der Hierarchie. Geschlechterspezifische Unterschiede zwischen Frauen und Männern beziehen sich auf die Balance bzw. Prioritätensetzung zwischen Beruf und Familie und weiterhin auf den Bereich „Förderung und Integration in die Arbeitszusammenhänge der Hochschule“ (S. 127).

Abschließend werden die Ergebnisse noch einmal auf die Ausgangsfrage, inwieweit Veränderungen im Bereich der sozialen Praxis auch Veränderungen im Habitus oder in den Strukturen des sozialen Feldes Hochschule nach sich ziehen, zurückgeführt. Hier sehen die Autorinnen durchaus erste Erfolge, wenn auch eher in den „Randpositionen“ der Hochschule. Veränderungen scheinen sich hierbei in den Sozialwissenschaften leichter durchsetzen zu lassen als in der Mathematik (vgl. S. 129 f.). Ulrike Vogel und Christiana Hinz haben eine besonders hinsichtlich des breiten Spektrums und der Rückbindung der Ergebnisse auf die soziologische Theorie Bourdieus überzeugende Studie vorgelegt.

Da sich Benachteiligung von Frauen in der Wissenschaft besonders auch in der Förderung zur Zeit der Promotion bemerkbar macht, wäre es zusätzlich noch wichtig gewesen, die Auswirkungen der geplanten und teilweise schon umgesetzten Reformen der deutschen Hochschullandschaft in die Untersuchung bzw. Diskussion der Ergebnisse mit aufzunehmen. Wie wird sich der Wegfall der Habilitation, die Einführung der Juniorprofessur oder die Errichtung von Graduate-Schools auf die Bewältigungsstrategien der wissenschaftlichen Karriere von Frauen auswirken? Zu diskutieren ist in diesem Kontext auch die entscheidende Frage, welchen Niederschlag die aktuellen Reformen in den sozialen Feldern Hochschule und Wissenschaft im Ganzen finden werden. Hier ist es noch offen, ob es zu einer Abmilderung oder erneut zu einer Verschärfung geschlechterspezifischer Problemkonstellationen kommen wird.

URN urn:nbn:de:0114-qn063036

Dr. Cord Arendes

Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, Zentrum für Europäische Geschichts- und Kulturwissenschaften (ZEGK), Historisches Seminar / Zeitgeschichte

E-Mail: Cord.Arendes@urz.uni-heidelberg.de

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