Michaela Huber:
Trauma und die Folgen.
Trauma und Traumabehandlung, Teil 1.
Paderborn: Junfermann 2003.
279 Seiten, ISBN 3–87387–510–1, € 22,50
Michaela Huber:
Wege der Traumabehandlung.
Trauma und Traumabehandlung, Teil 2.
Paderborn: Junfermann 2004.
397 Seiten, ISBN 3–87387–550–0, € 28,00
Abstract: Die Psychotherapeutin Michaela Huber hat auf knapp sechshundert Seiten ein gleichermaßen sensibles wie engagiertes „Standardwerk“ der Traumabehandlung geschrieben. Die Zuerkennung dieser Auszeichnung durch das Österreichische Netzwerk für Traumatherapie erfolgt zu Recht. Vom Standpunkt der so genannten empathischen Abstinenz aus vermittelt Huber auf anspruchsvolle, doch durchweg gut verständliche Weise, wie ein Trauma entsteht und wirkt, was man sich unter einer Traumabehandlung vorzustellen hat und worauf es ankommt, wenn die komplexe Dynamik zwischen Täter, Täterin, Opfern und Überlebenden zwischenmenschlicher Gewalt durchbrochen werden soll. Geschrieben hat sie für Betroffene und deren Angehörige, für Fachkolleginnen und -kollegen sowie für alle in irgendeiner Form an der Thematik Interessierten. All jenen, die sich etwa aus philosophischer, kultur-, literatur-, geschichtswissenschaftlicher und/oder geschlechtertheoretischer Perspektive mit dem Phänomen des Traumas beschäftigen, seien die in zwei Teilbänden versammelten Erfahrungen, Erkenntnisse und Ergebnisse der jüngsten Psychotraumatologie als Grundlagenlektüre nahe gelegt.
„Trau|ma das; -s, Plur. …men u. -ta <aus gr. trauma, Gen. traúmatos ’Wunde’>: 1. seelischer Schock, starke seelische Erschütterung, die einen Komplex bewirken kann (Psychol., Med.). 2. Wunde, Verletzung durch äußere Gewalteinwirkung (Med.).“ (Duden. Das große Fremdwörterbuch. Mannheim u. a.: Dudenverlag 2000, S. 1356)
„Trauma […] Ereignis im Leben des Subjekts, das definiert wird durch seine Intensität, die Unfähigkeit des Subjekts, adäquat darauf zu antworten, die Erschütterung und die dauerhaften pathogenen Wirkungen, die es in der psychischen Organisation hervorruft.“ (Laplanche, Jean/Pontalis, Jean-Bertrand: Das Vokabular der Psychoanalyse. Aus dem Französischen von Emma Moersch. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1973, S. 513)
Ein Trauma, ließe sich den beiden Zitaten entnehmen, ist eine schwere Verletzung der psychischen Organisation eines Subjekts durch äußere Gewalteinwirkung.
Sich auf die ursprünglichen, etymologisch aus dem Griechischen hergeleiteten und in der Psychologie und Medizin verwendeten Bedeutungen rückzubesinnen, ehe der Begriff des „Traumas“, etwa als kulturelles Deutungsmuster und Deutungsschema oder als Denkfigur der Moderne, in wirkmächtiger Position verankert und auf gesamtgesellschaftliche Phänomene wie jenes der „traumatischen Kultur“ zugeschnitten wird, wäre einer sowohl alltagssprachlichen als auch (kultur-)wissenschaftlichen Genauigkeit bestimmt zuträglich. So muss man sich beispielsweise als Leserin des Berliner Tagesspiegels über die leichtfertige Behauptung verwundern, dass Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber noch immer am „Schröder-Trauma von 2002“ leide. [1] Dass ein Trauma weitaus gravierendere Folgen nach sich zieht, als ein laut Presseberichterstattung „gefrorenes Lächeln“ und eine „Kränkung im Gesicht“ des Politikers, wie ein Trauma überhaupt hervorgerufen wird, welche Reaktionen dabei im menschlichen Gehirn in Gang und welche Funktionen außer Kraft gesetzt werden und welche Formen therapeutischer Behandlung wann (und wann nicht) vonnöten sind, zu diesen Problem- und Fragestellungen hat die Psychotherapeutin Michaela Huber ein umfangreiches Kompendium vorgelegt: Nacheinander sind 2003 und 2004 zwei Bände zur Entstehung und den Folgen eines Traumas (= Teil 1) und zur Traumabehandlung (= Teil 2) bei Junfermann erschienenen.
Tatsächlich sind die neuropsychologische Beschäftigung vor allem mit schweren, das heißt sehr früh, zumeist schon in der Kindheit, auftretenden und lange andauernden, mithin komplexen posttraumatischen Belastungsstörungen und die daraus abzuleitenden spezifischen Formen der psychologischen Traumabehandlung vergleichsweise jung. Die in Fachkreisen bekannte Neurologin und Psychoanalytikerin Luise Reddemann hält in ihrem Vorwort zu den Bänden von Michaela Huber fest, dass Anfang der 1990er Jahre in Deutschland „so gut wie nichts“ über so genannte dissoziative Störungen bekannt war. (S. 13, Teil 1)
Steht die für ein Trauma zitierte charakteristische „äußere Gewalteinwirkung“ auf eine Person nicht mit einer Naturkatastrophe oder einem Unglücksfall, etwa einem Unfall, in ursächlichem Zusammenhang, sondern ist die Gewalt von einer oder mehreren Personen verschuldet, so muss von „zwischenmenschlicher Gewalt“ gesprochen werden. Etwa neunzig Prozent aller gewalttätigen Menschen sind Männer. Huber vermerkt diesen Befund in ihrer Einleitung. Und sie fragt sich: „Was ist das denn für eine Gesellschaft […], die es sich leistet, Generation für Generation männliche Täter und weibliche Opfer hervorzubringen (Ausnahmen bestätigen die Regel)? Was hat diese Gesellschaft“ – gemeint ist durchaus die westeuropäische, deutsche – „für merkwürdige Riten, und vor allem: Wie lassen sie sich ändern, um die Spirale der Gewalt zu durchbrechen?“ (S. 20, Teil 1)
Auf knapp sechshundert Seiten, aufgeteilt in zwei sinnvoll strukturierte und aufeinander bezogene Teilbände, versucht die Autorin, die auf die Behandlung schwerer Persönlichkeitsstörungen spezialisiert ist, eine Antwort auf die letztgenannten Fragen zu geben, die dreierlei Schwerpunkte erkennen lassen: (1.) Im Vordergrund der Diskussion stehen Realtraumata, die aus zwischenmenschlicher Gewalt resultieren. (2.) Das Geschlecht, das Geschlechtstypische und das Geschlechtsspezifische sind bei der Erklärung und Behandlung eines Traumas zu berücksichtigende Faktoren. Diese – wenngleich nicht immer ausreichend begründete – Annahme bildet eine Konstante in Hubers umsichtigen und detailreichen Schilderungen und Argumentationen. (3.) Weniger ein Schwerpunkt denn eine durchgehende, vielversprechende Haltung zeichnet sich darin ab, wie Huber der von ihr eindringlich beschriebenen „Spirale der Gewalt“ begegnet: mit Zorn und Empörung angesichts des unermesslichen Leids, verursacht durch grausamste Gewalttaten und Misshandlungen, mit Empathie und großem Respekt den Opfern und Überlebenden gegenüber. Schließlich versäumt Huber nicht, darauf hinzuweisen, dass jeder Täter, jede Täterin selbst einmal Opfer war. Diese von Generation zu Generation sich wiederholende „Spirale der Gewalt“ gilt es zu erkennen und aufzulösen. Dazu möchte die Autorin ermutigen, indem sie sich in ihrem Werk nicht nur an Betroffene, an deren Angehörige und an Kolleg/-innen wendet, sondern ausdrücklich auch an Journalist/-innen, Mitarbeitende in Strafverfolgungsbehörden, Gutachter/-innen und an Wissenschaftler/-innen; dies mit einer eindeutigen gesellschafts- und wirtschaftspolitischen Botschaft, die der Ausbildung einer Lobby für traumatisierte Menschen gilt: „[…] wer traumatisierte Menschen adäquat unterstützt, spart Geld für Psychiatrien, Gefängnisse, Krankenhäuser, Arbeits- und Sozialämter.“ (S. 298 ff., Teil 2)
Nimmt man die bisherigen Arbeits- und Forschungsschwerpunkte der 1952 in München geborenen Diplom-Psychologin, approbierten psychologischen Psychotherapeutin, Supervisorin und Ausbilderin in Traumabehandlung in den Blick, so überrascht es nicht, dass die beiden neueren Bände zu Trauma und Traumabehandlung besonders engagiert ausfallen.[2] Schade nur, dass die im Allgemeinen sehr wünschenswerte und von der Autorin auch praktizierte geschlechtergerechte Schreibweise in der konkreten Anwendung mitunter nicht überzeugt, eine konsequente (und dadurch erst wirkmächtige) Durchsetzung vermissen lässt, ja an manchen Stellen geradezu groteske Formen annimmt: Den „Hinweisen zur Arbeit mit diesem Buch“ ist etwa zu entnehmen, dass, wenn von „Klienten, Patienten oder Kollegen etc.“ allgemein die Rede sei, „grundsätzlich die weibliche Form, in der Regel mit großem I“ benutzt werde; es folgt der lapidare Zusatz: „die Männer mögen sich mitgemeint fühlen“. (S. 35, Teil 1) Dem generischen Femininum den Vorzug zu geben, mag einleuchten, wenn wir uns bewusst machen, dass die überwiegende Mehrheit der Menschen in psychotherapeutischen Behandlungssituationen Mädchen und Frauen sind, seien es Klientinnen und Patientinnen, Therapeutinnen, Pflegerinnen oder Helferinnen. Eine Tatsache, auf die hinzuweisen Huber nicht müde wird. Dass an anderer Stelle „[m]indestens zwei Drittel der Klinikpatienten“ als Mädchen und Frauen ausgewiesen werden (S. 28, Teil 1), dass, wenn von „Tätern“ die Rede ist, zusätzlich darauf aufmerksam gemacht wird, dass es sich hierbei um Männer handle (S. 83, Teil 1), dass sich die Autorin selbst als „zerstreuten Professor“ (S. 55, Teil 1) bezeichnet, all dies mag angesichts des kompetent und mit großer fachlicher Genauigkeit vermittelten hochbrisanten Inhalts nebensächlich erscheinen. Man kann sich jedoch des Eindrucks einer halbherzigen Praxis des geschlechtergerechten Formulierens nicht erwehren. Das ist bedauerlich, scheint doch gerade die Sensibilisierung für die komplexen Zusammenhänge von Denken, sprachlichem Handeln und der sozialen Konstruktion von Wirklichkeit ein Anliegen der Autorin zu sein.
Von diesem Anliegen zeugt etwa der Umstand, dass Huber in dem Kapitel „Wieso brauchen Männer und Frauen verschiedene Therapien?“ (S. 50 ff., Teil 2) nachdrücklich darauf hinweist, dass sich hinter Formulierungen wie „Beziehungskrise“, „Beziehungstat“, „Familiendrama“ oder „Geschwisterliebe“ – beliebte Sujets der Boulevardpresse – sehr häufig nichts anderes als statistisch eindeutig von Männern an Frauen und Kindern begangene Gewalttaten verstecken. Kritik übt Huber an dieser Stelle auch an ihren Kolleg/-innen: „Viele von uns haben den geschlechtsspezifischen Blick nicht gelernt oder ihn im Laufe ihrer Arbeit wieder verloren – zu Unrecht.“ Es werde von „gewalttätigen Jugendlichen“ gesprochen, wo Jungen gemeint seien, und von „kindlichen Gewaltopfern“, wo es sich mehrheitlich um Mädchen handle. Wenn es nach Huber ginge, so sollte nicht von „Kinderprostitution“, sondern von „Kinderfolter“, sollte nicht von „Kinderpornografie“, sondern von „Kinderfolter-Dokumentation“ die Rede sein. (S. 51 und 57, Teil 2)
Gemäß dem von Huber formulierten Grundsatz, dass traumatisierte Jungen explodieren und traumatisierte Mädchen implodieren (S. 60, Teil 2), plädiert die Psychologin für eine getrenntgeschlechtliche Bearbeitung von Gewalterfahrung: „Jungen und Männer [sollten] zu guten männlichen Kollegen […] [,] Mädchen und Frauen sollten zu guten Frauen in die Therapie gehen.“ (S. 62, Teil 2) Während Huber genaue Vorstellungen von den Kompetenzen und Belastungsgrenzen einer Therapeutin hat, sind allerdings die Männer aufgefordert, darüber nachzudenken, was denn eine „gute Psychotherapie für Jungen und Männer“ ausmache. Dieser durchaus diskussionswürdige Standpunkt wird von der Autorin unter anderem damit begründet, dass männliche Opfer „häufig erfolgreich das Gesundheitssystem meiden – dafür aber in den Familien, die sie wiederum gründen, den Zyklus der Gewalt fortsetzen und/oder (weiter) straffällig werden.“ Danach müssten für die Bearbeitung männlicher Opfererfahrungen „primär ganz andere“ Ansätze gefunden werden. (S. 63, Teil 2) Es ist ein großes Verdienst der Autorin, die Verwischung der Täter/-in-Opfer-Dynamik aufzudecken und konsequent zu thematisieren.
Die beiden Bücher enthalten ein jeweils ansehnliches Verzeichnis empfohlener und weiterführender Literatur und ein nützliches Stichwortregister. Darüber hinaus hat die Autorin einen sehr umfangreichen Anhang erstellt. Er besteht aus standardisierten Fragebögen, unter anderem zur rituellen Gewalt an Kindern, und einem Interview zur komplexen posttraumatischen Belastungsstörung (in Teil 1) sowie aus einer Checkliste zur Traumaarbeit, konkreten „Tipps und Tricks“ für die Traumabehandlung, Behandlungsrichtlinien und einer Liste empfehlenswerter stationärer Therapie-Einrichtungen in Deutschland (in Teil 2).
In einer jüngsten Publikation hat Huber Übungen, die sie als Therapeutin und Supervisorin mit ihren Patient/-innen und Klient/-innen praktiziert und die exemplarisch in den beiden Lehrbänden Erwähnung finden, auf ansprechende Weise zusammengestellt (Huber, Michaela: Der innere Garten. Ein achtsamer Weg zur persönlichen Veränderung. Übungen mit CD. Paderborn: Junfermann 2005). Sie sind, ebenso wie die gerade besprochenen Bücher, in der Form der persönlichen Anrede geschrieben, richten sich an ein realistisch imaginiertes Gegenüber. Das mag mitunter, insbesondere in den theoretisch anspruchsvollen Kapiteln des ersten Teils, gewöhnungsbedürftig sein. Doch letztlich ist die von der Autorin eingenommene Haltung, ihr unverkennbar feministisches und politisches Engagement und ihre der jeweiligen Situation angemessene Distanz oder Parteilichkeit, nicht nur bewundernswert, sondern auch überzeugend.
[1]: Siehe Schreiber, Jürgen: „Der Sommer seines Missvergnügens“. In: Der Tagesspiegel (Berlin), vom 7. September 2005, S. 3. Zum Traumabegriff und zu seiner Verwendung in den verschiedenen Disziplinen der Sozial-, Kultur- und Geisteswissenschaften existiert mittlerweile eine umfangreiche Literatur. Erwähnt sei hier lediglich der neu hinzugekommene Eintrag zu „Trauma und Literatur“ von Birgit Neumann in der jüngsten Auflage des Metzler Lexikon Literatur- und Kulturtheorie (2004), herausgegeben von Ansgar Nünning, S. 669–670.
[2]: Siehe etwa den Sammelband Blick nach vorn im Zorn. Die Zukunft der Frauenarbeit (1985), mitherausgegeben von Michaela Huber, sowie die Monografien Dein ist mein halbes Herz. Was Freundinnen einander bedeuten (1989), Multiple Persönlichkeit – Überlebende extremer Gewalt (1995) und den Artikel „Traumaarbeit im Kosovo“, in: Wissenschaft und Frieden, Heft 2 (2002), S. 30-33.
URN urn:nbn:de:0114-qn063149
(Mag.a) Christina Kleiser
DOC-Stipendiatin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften / Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien, derzeit Forschungsaufenthalt am Berliner Kolleg für Vergleichende Geschichte Europas und am Centre Marc Bloch, Berlin
E-Mail: christina.kleiser@gmx.at
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