Die staatliche Förderung Organisierter Kriminalität: der Frauen- und Mädchenhandel

Rezension von Birgit Sauer

Angelina Topan:

Transformationsprozeß in Osteuropa und Organisierte Kriminalität am Beispiel des Frauen- und Mädchenhandels.

Lösungsvorschläge der Ökonomischen Theorie der Kriminalität und praktische Lösungswege der EU.

Hamburg: Verlag Trevi 2000.

143 Seiten, ISBN 3–89811–874–6, DM 29,80 / ÖS 218,00

Abstract: Die Europäische Kommission nahm mit ihrem Maßnahmenkatalog aus dem Jahr 1998 eine Vorreiterrolle in der Bekämpfung des Frauen- und Mädchenhandels ein. Die Autorin möchte darüber hinaus wissenschaftliche Argumente für eine Reform des nationalstaatlichen und supranationalen Umgangs mit der sogenannten „Organisierten Kriminalität“ liefern. Am Beispiel des Frauen- und Mädchenhandels macht sie deutlich, daß Abschreckung und Strafe ungeeignete Maßnahmen zur Verhinderung von illegaler Zuwanderung und des Handels mit Menschen sind. Menschenhandel wurde seit dem Zusammenbruch des Staatssozialismus und der Öffnung der Grenzen zu den mittel- und osteuropäischen Ländern ein lukratives Geschäft, an dem große „Unternehmen“, betriebsmäßig organisierte Kartelle, oft in Zusammenarbeit mit den verbliebenen Staatsrudimenten verdienen. Der Handel mit Frauen, die in aller Regel als Prostituierte oder als Hausangestellte verdingt und in Arbeitsverhältnisse gezwungen werden, die sie jeglicher Menschenrechte berauben, wirft in Europa Gewinne in Milliardenhöhe ab.

Um effektive und vor allem die menschliche Würde der Opfer wahrende Maßnahmen gegen diese Form früh-kapitalistischer Sklaverei zu entwerfen und zu implementieren, bedarf es zunächst einer angemessenen Analyse der Situation. Hier setzt das Buch von Angelina Topan ein: Es geht im Kontext der EU-weiten Debatte über die Bekämpfung des Frauen- und Mächenhandels um eine Verbesserung der politischen Instrumente gegen die Organisierte Kriminalität.

Die Unzulänglichkeit der „ökonomischen Theorie der Kriminalität“

Die Autorin wendet sich gegen die Konzeptualisierung und gegen die daraus abgeleiteten Maßnahmen der „Ökonomischen Theorie der Kriminalität“. Diese erklärt das Phänomen der Organisierten Kriminalität, so die These der Autorin, nur unzureichend. Zwar ist es zutreffend, daß Frauen- und Mädchenhandel nach betrieblichen und vor allem betriebswirtschaftlichen Prinzipien organisiert ist. Wie jeder Unternehmer berechnen die am Menschenhandel beteiligten Akteure ihren Nutzen, denn es geht auch ihnen um Profitmaximierung, und sie antizipieren ihre Kosten (Gefahr der Bestrafung, Gewalt).

Dieser Vergleich mit einem kapitalistischen Unternehmen berechtigt einerseits, Organisierte Kriminalität mit Hilfe einer ökonomischen Theorie zu erklären. Angelina Topan zeigt aber, daß sowohl mikroökonomische Ansätze als auch der markttheoretische Ansatz für die Erklärung der Organisierten Kriminalität defizitär bleiben und folglich auch die negative Generalprävention bzw. Abschreckung als Gegenmaßnahme nur sehr beschränkte Wirkung besitzt (Kapitel IV). Das Ergebnis der kritischen Durchsicht und Würdigung ökonomischer Kriminalitätstheorien ist, daß ihre Unbrauchbarkeit in ihrem mechanistischen und indvidualistischen Menschenbild des „homo oeconomicus“ einerseits und in der Vernachlässigung von institutionellen Settings andererseits begründet liegt. So wird Organisierte Kriminalität lediglich aus individuellen Präferenzen bzw. Wahlverhalten der Menschenhändler erklärt. Abschreckung als Maßnahme würde dann heißen, die „Kosten“ (sprich das Risiko der Strafe) so zu erhöhen, daß der Nutzen gegen Null tendiert. Der schwerwiegendste Einwand der Autorin gegen eine solche Theoretisierung ist aber, daß die sozialen, ökonomischen, politischen und kulturellen Bedingungen in den Ursprungsländern der gehandelten Menschen wie auch in den „Nachfrage“-Ländern vernachlässigt werden.

Der Autorin aber kommt es auf eben diesen Zusammenhang zwischen den Push- und den Pull-Faktoren an. Ihre These wäre also folgendermaßen zu formulieren: Es sind weniger die Kalküle der Menschenhändler als vielmehr die wachsende Kluft zwischen Armen und Reichen innerhalb Europas und der sukzessive Staatszerfall in den Ländern des einstigen Staatssozialismus, der Frauen in die Arme von Menschenhändlern treibt. Gehandelte Frauen wollen in der Regel als Arbeitsmigrantinnen ihr Land verlassen, um ihre ökonomische und soziale Lage zu verbessern (Push-Faktoren), sie werden aber aufgrund der restriktiven Gesetze in den Ländern der EU bei gleichbleibendem Bedarf an illegalisierten Frauen, seien es Prostituierte oder Hausangestellte, in die Arme von Schleppern getrieben (Pull-Faktoren).

Push- und Pull-Faktoren

Die Push-Faktoren beschreibt die Autorin am Beispiel der Organisierten Kriminalität in Mittel- und Osteuropa, speziell in Rußland, wie sie im Kontext des wirtschaftlichen Transformationsprozesses entstand (Kapitel II und III). Die beiden Kapitel verdeutlichen, wie als Folge des ökonomischen Umstrukturierungsprozesses und des Zerfalls des staatlichen Institutionensystems Organisierte Kriminalität in der Zwischenwelt der neuen Staatsbürokratie und der neu gebildeten ökonomischen Strukturen entstand, wie also der Prozeß der Staatsbildung in Rußland auch zugleich ein Prozeß der „Mafiotisierung“ ist. In das Staatsvakuum drangen kriminelle Parallelstrukturen ein, die sich teilweise untrennbar mit den legalen Institutionen verbunden haben. Gleichzeitig aber ging die Schere zwischen Arm und Reich im Zuge der Umstellung auf marktwirtschaftliche Mechanismen zwar regional unterschiedlich, aber doch drastisch auseinander.

„Betriebswirtschaftliche Organisation“ des Frauen- und Mädchenhandels und Maßnahmen dagegen

Kapitel V und Kapitel VI behandeln schließlich den Frauen- und Mädchenhandel bzw. die Maßnahmen der EU gegen diese Form der Organisierten Kriminalität. Die Autorin schildert zunächst die „betriebswirtschaftliche Organisation“ des Frauen- und Mädchenhandels und beschreibt die Kette der Verschleppung der Frauen aus den mittel- und osteuropäischen Ländern von der Anwerbung bis zur Geldwäsche als letztem Schritt der Bereicherung durch versklavte Frauen. Im letzten Kapitel VI hebt Angelina Topan positiv die Maßnahmen der EU-Kommission zur Bekämpfung der Ursachen von Menschenhandel hervor. Während die Nationalstaaten in der EU tendenziell eine Politik der „Kontrolle, Abschreckung und Rückführung illegaler Einwanderer“ verfolgen (S. 123) und damit aber die organisierte Gewaltkriminalität im Bereich der Zwangsprostitution tendenziell fördern, weil sie Frauen in die Arme der Organisierten Kriminalität treiben, verfolgt die Kommission seit Ende der neunziger Jahre eine andere Policy, die mehr an den Push-Faktoren ansetzt. Die Autorin schlägt abschließend eine in einer „Europäischen Einwanderungsbehörde“ institutionalisierte Einwanderungspolitik vor, die die Arbeitsmigration reguliert bzw. quotiert, damit die Verdienstmöglichkeiten der Schlepper erheblich senkt und Zwangsprostitution rückläufig werden läßt. Ausgebaut werden müßten darüber hinaus der Schutz der gehandelten Frauen sowie ihre Unterstützung bei einem beruflichen (Wieder-)Einstieg (vgl. S. 131).

Wer eine differenzierte Auseinandersetzung mit dem Problem des Frauen- und Mädchenhandels erwartet, wer die Frage nach dem Warum aus der Perspektive „gehandelter Frauen“ beantwortet wissen will, wer Aufklärung über den ominösen Begriff der „Organisierten Kriminalität“ erhalten will, wird von dem Band enttäuscht sein. Auch der geschlechterforscherische Ertrag bleibt eher mager. Der Frauen- und Mädchenhandel dient der Illustration einer Auseinandersetzung mit der „ökonomischen Theorie der Kriminalität“, ihren Annahmen und ihren Vorschlägen zur Bekämpfung des Menschenhandels. Die Autorin versucht aber nicht, die Kritik an diesem Konzept auf Geschlechterproblematik anzuwenden, möglicherweise weil ihre Problemstellung eine andere war.

Fazit

Die Ergebnisse des Bandes leiden darunter, daß die beiden Analyseteile, die Auseinandersetzung mit der „ökonomischen Theorie der Kriminalität“ und die Empirie des Mädchen- und Frauenhandels, völlig unverbunden bleiben. Weder wird die Theorie durch die Empirie des Frauenhandel widerlegt oder kritisiert noch werden umgekehrt die differenzierten Formen und Eigenheiten des Frauenhandels analysiert. Das Kapitel über den Frauen- und Mädchenhandel bleibt bei einer bloßen Darstellung stehen und ist von geschlechtersensiblen Erklärungen weit entfernt. Eine Verbindung wäre m. E. leicht möglich gewesen, hätte die Autorin sich nur die vermeintlich geschlechtsneutralen Annahmen der ökonomischen Theorie der Kriminalität angesehen und ihre Männlichkeit zutage gefördert.

Auch die Darstellung der ökonomischen Transformationen in Ost- und Mitteleuropa geht an nur ganz wenigen Stellen auf die Geschlechterfrage ein, so daß weder die Situation der Frauen, ihre Motive für die risikoreiche Migration erkenntlich noch die Geschlechtsspezifik der „Organisierten Kriminalität“ (die sie ohne Zweifel besitzt) herausgearbeitet werden.

URN urn:nbn:de:0114-qn021041

Prof. Dr. Birgit Sauer

Universität Wien, Institut für Politikwissenschaft

E-Mail: Birgit.Sauer@univie.ac.at

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