Roni Horn:
Index Cixous.
Cix Pax.
Göttingen: Steidl 2005.
o.Pag., ISBN 3–86521–135–6, € 22,50
Abstract: Gemeinsam von Künstlern und Wissenschaftlern/Philosophen erstellte Bücher sind selten und nicht immer erfolgreich. Eines der Fährnisse ist das Verhältnis zwischen bildlichen und schriftlichen Anteilen: Nicht selten wird der künstlerische Anteil zur Illustration der dominierenden Schrift. Eine Neupositionierung des Bildes im Buch ist nun der amerikanischen Künstlerin Roni Horn gelungen. Mehr als „sujet“ ihres Buches, ist die französische Philosophin Hélène Cixous gleichsam instruierende „Stimme“, die im Bild aufscheint. Horn hat dadurch zugleich – einmal mehr – das Phantasma unmittelbarer Abbildhaftigkeit des Fotos dekonstruiert und der philosophischen Position Cixous‘ durch das Bild eine Dimension hinzugefügt.
Das Bild teilt mit dem Buch eine lange Geschichte. Seit dem Hochmittelalter spielte das Bild im Buch nur in dem Umfang eine Rolle, in dem es symbolische Funktionen übernehmen konnte. Im Verlauf des 18. und 19. Jahrhunderts gewann das Bild gegenüber der Schrift Autonomie. Doch diese vertiefte dessen Unterordnung unter die Wahrheitsfähigkeit der Schrift. Bilder wurden fürderhin in Büchern illustrativ eingesetzt. Verstanden es in der Geschichte des Buches singuläre Unternehmen – wie Karl Philipp Moritz‘ Neues ABC-Buch oder Georges Batailles documents – immer wieder, dem Bild seine epistemischen wie meta-logischen Eigenschaften abzugewinnen, es blieb ancilla des Textes in einer phallogozentrischen – so der von Cixous und Luce Irigaray geprägte Begriff – Sprach-Welt. Ein Status, der gerade mit der sich anbahnenden zweiten Wende der Bildlichkeit seit dem „linguistic turn“ und nach der Dekonstruktion der Metaphysik der Schrift kaum noch gehalten werden kann. Die Frage ist, wie das Bild in einem Wissensprozess positioniert werden kann, der sich dem Logozentrismus zu entziehen versucht. An dessen Kritik war die Theoriebildung des sogenannten „third wave feminism“ und dessen Analysen der Rolle von Schrift und Sprache an der Subjekt- und mithin Geschlechterbildung maßgeblich beteiligt.
Die Dramen-, Roman- und Essay-Autorin Hélène Cixous hat mit ihren Texten die Frage nach der Möglichkeit des Weiblichen in der Schrift aufgeworfen. Sie selbst sagte im Interview mit Jacques Derrida: „das Buch stößt mir zu, es hat eine Macht, die jene der Person übersteigt, die es zu schreiben glaubt. Meine Bücher sind stärker als ich, sie entziehen sich mir.“ In ihrer Arbeit an der Schrift hat Cixous immer nach jener Stimme gesucht, die sie als „Stimmen“ definiert, nicht als Resonanz eines „Inneren Sprechens“, eines logozentrischen Denkens, sondern als „Chor“, als Echo eines Wissens, das sich einstellt und entzieht im Resonanzraum des Buches. „Ich brauche diese Stimmen, die mich heimsuchen, in mir widerhallen von anderswo in mir“, sagte sie an anderer Stelle.
Nun hat sie mit Roni Horn einer Bild-Künstlerin überlassen, jene Stimme und deren Stimmungen in Szene zu setzen. Unter dem Titel Cix Pax, der ebenso eine Anspielung auf Dosenbier und männliche Bauchmuskulatur wie auf das lateinische Wort für Frieden und in der epiphorischen Anlautung auf die in Szene gesetzte Signifikanz von Stimme ist, hat Horn nun auf kongeniale Weise Cixous‘ Denkweise ins Bild gesetzt. Die 1955 – dem Jahr, in dem Cixous 18-jährig aus Algerien nach Paris kam, – in New York geborene Künstlerin bemerkte, wie sie selbst während der Präsentation ihres Buches mit Hélène Cixous in Paris sagte, „schon früh, dass eine für mich passende Identität androgyn sein musste“. In der Diskussion von Identität, so fuhr sie fort, sei der Begriff „Geschlecht“ (gender) ihrer Meinung nach überstrapaziert worden. Daraufhin Cixous: „you out-gender completely the subject“ – was gleichermaßen „Sie über-geschlechtlichen vollkommen das Subjekt“ bedeuten kann, wie „Sie entgeschlechtlichen vollständig Ihren Gegenstand“. Die Bemerkung trifft die Stärke des Index Cixous: Horn, die übrigens Fotografie nur im nominellen Sinne des Wortes betreibt, eigentlich von der Zeichnung her zu diesem Medium gegriffen hat, stellt mit ihren Bildern in gleichem Maße die Frage des Geschlechtes aus, wie sie diese eskamotiert.
Was genau liegt vor? Roni Horn hat Hélène Cixous fotografiert, während diese redete. Sie wollte deren Rede, jenes Element, das sie bei der Denkerin als das Signifikanteste betrachtet, im Bild festhalten. Auf den ersten Blick eine Sammlung von Porträt-Fotografien, Farbbilder ohne Rand, unterbrochen von Schwarz-Weiß-Bildern und leeren Seiten, „aufgebaut wie ein Buch mit Text aufgebaut wäre“, wie die Künstlerin betont. Eine recht narzisstische Inszenierung, fast denkt man an die Star-Fotos, wie sie aus Hochglanz-Magazinen vertraut sind und von denen Siegfried Kracauer schloss, dass „die Welt selber“ sich ein „Photographiergesicht zugelegt“ habe. Doch auf den zweiten Blick wird deutlich, dass die Person nicht im Vordergrund steht. Vielmehr geht es um die Dynamik eines Denkens, das sich im Reden manifestiert, ohne die symbolische, phallogozentrische Ordnung zu reproduzieren. Und es geht um die Grenzen des Buchs. Nicht zufällig wiederholte Horn im Interview mit Claudia Spinelli 1995 zur Charakterisierung ihrer Arbeit nahezu wörtlich die mittelalterliche Buch-Erfahrung des „Essens der Worte“: „I try to reach the viewer by addressing the bodily and not just the mental/nonphysical being. […] It’s like you’re eating it. You are taking it in“ (http://www.jca-online.com/horn.html). Je mehr man durch die Seiten blättert, je mehr wird deutlich, dass man nicht nur ein Bilderbuch ohne Schrift in Händen hält. Cix Pax ist Rückverweis auf die Körperlichkeit des Buches.
„Die Arbeit des Bildermachens ist eine Arbeit daran, etwas wiedererkennbar zu machen“, sagt Roni Horn und nimmt damit scheinbar die Eigenschaft des Symbolischen ins Bild. Doch fährt sie fort: „es geht darum, sich in etwas wieder zu finden“. Mit diesem Wieder-Finden benennt sie eine Eigenschaft des Bildes, durch die sich dieses dem Universum der Schrift als Denk-Modus entziehen kann. Während die Schrift immer neu das Denken in die symbolische Ordnung fügt, ermöglicht das Bild eine Bewegung entlang jener ordnenden Fugen und damit ein Denken, das sich seine Prädisposition vorstellen kann. „Roni Horn hat es geschafft“, so Hélène Cixous, „die Bilder vom Wort zu befreien.“ Eines über das andere gelegt durch das Umschlagen der Seiten, entfernen sich die Bilder mehr und mehr vom Porträt. Gefragt, was sie sehe, wenn sie Horns Bilder betrachte, antwortet Cixous: „Zunächst: Ich sehe Hélène Cixous, aber ich sehe nicht mich. Ich sehe eine Arbeit, die mich zum Denken anregt, eine Arbeit über das Korn, über Unebenheiten, über Haut.“ Vielleicht müssen wir zur Haut zurückkommen, zu jener Membran, die als Pergament die Schrift trug und deren Körnung das Bild zum Denkanstoß aufraut. Roni Horn hat mit Cix Pax ein Buch vorgelegt, das einen Hinweis in diese Richtung geben kann.
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