Paula Diehl:
Macht – Mythos – Utopie.
Die Körperbilder der SS-Männer.
Berlin: Akademie 2005.
286 Seiten, ISBN 3–05–004076–9, € 49,80
Abstract: In ihrer Studie, die auf ihrer im Jahr 2002 am Fachbereich für Politikwissenschaft der Humboldt-Universität zu Berlin vorgelegten Dissertation basiert, befasst sich Paula Diehl mit dem politischen Imaginarium des Nationalsozialismus. Sie spürt Entstehung und Gebrauch von Selbst- und Fremdbildern im politischen Diskurs nach. Dabei nehmen die Idealkörperbilder der SS und die Mythoskonstruktion des „Ariers“ einen zentralen Platz ein. Diehl interpretiert sie als Folie für die Visualisierung der nationalsozialistischen Utopie des „Neuen Menschen“. Die Autorin analysiert mit Hilfe eines innovativen interdisziplinären Zugangs auf der Grundlage politik- und kulturwissenschaftlicher Methoden die Instrumentalisierung der SS-Körperbilder für die Vermittlung rassistischer Ideale und die Inszenierung von Herrschaft. Ihr Buch schließt damit eine Forschungslücke.
„Bildarchäologisch muss man vorgehen, will man die politische Entwicklung des sozialen Imaginären im Nationalsozialismus erforschen“, heißt es im Vorwort der Studie über die visuellen Strategien der NS-Propaganda (S. 13). Zur Annäherung an den Forschungsgegenstand werden Methoden der Semiotik sowie Kultur- und Wissenssoziologie eingesetzt. Die Frage nach dem Verhältnis zwischen Körperbildern und politischer Symbolik durchzieht als roter Faden die Untersuchung. Körper, Bild und „soziales Imaginäres“ bilden laut Diehl ein magisches Dreieck, auf das sich Mythos- und Utopieentwürfe des Nationalsozialismus gründen. Vor allem in der Entschlüsselung von Körperbildern sollen sich Strukturen der nationalsozialistischen Ideologie erschließen. Die Analyse von SS-Körperbildern folgt dabei bewusst nicht kunsthistorischen Kriterien, sondern behandelt Präsentations- und Inszenierungstechniken allein als Mittel der Politik. Bei einer Auseinandersetzung mit visueller Rhetorik wäre jedoch eine stärkere Einbeziehung kunstgeschichtlicher Methoden und Erkenntnisse durchaus wünschenswert gewesen.
Zwar versteht die Verfasserin ihr Buch auch „im Dialog mit der Geschlechterforschung“ (S. 19), dennoch ist für sie nicht „gender“, sondern „race“ der bestimmende Faktor ihrer Untersuchung.
Das Buch hat drei große Teile. Nach einer Einführung in Untersuchungsgegenstand, Materialstand und Struktur der Arbeit befasst sich das erste Kapitel mit der Suche nach dem „Neuen Menschen“. Die verschiedenen Utopien vom „Neuen Menschen“ werden in ihrer Entstehungsgeschichte bis ins 19. Jahrhundert zurückverfolgt. Ein Repertoire für das SS-Rassenideal boten Vollkommenheitsbilder sowie Zucht- und Ordnungsvorstellungen, wie sie auch in rassehygienischen Auffassungen zu Beginn des 20. Jahrhunderts auftauchten. Die Autorin setzt sich mit Konzepten von „Degeneration“ und „Auslese“ auseinander, die in der Rezeption der darwinistischen Evolutionstheorie, in Eugenik und Rassentheorie verwendet wurden. Als wesentlich für die Idee des „Neuen Menschen“ betrachtet Diehl zudem die „Rückkehr des Körpers“ (S. 49) durch alternative Lebenskonzepte der Lebensreform- und Jugendbewegung mit ihrem neuen Körperverständnis, das auf ideellen Vorstellungen von Natürlichkeit, Nacktheit und Einfachheit aufbaute. Bereits zu Beginn des Ersten Weltkriegs existierte also das Bild des „Neuen Menschen“ im politischen Zusammenhang, das in der Weimarer Republik weitere Konkretisierung erfuhr und die Körperkonzeptionen des Nationalsozialismus beeinflusste.
Welchen Einfluss das Ereignis des Krieges auf den Bilderhaushalt der Zeit besaß, beschreibt der Prolog „Kriegserfahrungen und Körperbilder“. Paula Diehl erläutert, wie die Erfahrungen des Krieges das Konzept des „Neuen Menschen“ veränderten und sich in Bildern des versehrten Körpers und der Überhöhung des Kriegshelden spiegelten.
Im zweiten Teil erörtert die Autorin propagandistische Strategien zur Durchsetzung nationalsozialistischer Mythen. Zunächst analysiert sie die Inszenierung der Machtübernahme als „Machtergreifung“ und das damit verbundene Bildarsenal. Die Inszenierung einer „neuen Ära“ geschieht durch Nutzung sowohl pseudoreligiöser als auch profaner Assoziationen. In Anlehnung an die Werbeforschung von Stefan Haas spricht die Verfasserin von der Kreierung einer „Zwischenwelt“ (S. 92), bei der die Grenzen zwischen Realität und Ästhetik verwischt sind.
Das nächste Kapitel widmet sich der Konstruktion des NS-„Ariers“ als Sammelbegriff für die unterschiedlichen Varianten des „Neuen Menschen“. Hier spielten verschiedene Ursprungsmythen, Idealbilder (Germanen, nordische Helden) und rassetheoretische Konnotationen (Houston Stewart Chamberlain, Hans F. K. Günther) eine wichtige Rolle. Die Autorin erwähnt in diesem Zusammenhang zwar auch das hellenistische Körperideal und agrarromantische Vorstellungen als Repertoire für das „Arier“-Bild, geht auf diese Elemente jedoch leider nicht näher ein. Die Körperbilder des „Ariers“ dienten laut Diehl als ikonographisches Muster und Vermittler der Kriterien für die Zugehörigkeit zur „Volksgemeinschaft“. Da die Körper der NS-Prominenz oft nicht dem Idealbild entsprachen, bediente sich die Propaganda der Methode der bildlichen Ästhetisierung. Die verklärten Selbstbilder kontrastiert Diehl mit Feindbildern der NS-Propaganda.
Die mediale Inszenierung von Ideal- und Feindbildern steht im Mittelpunkt des folgenden Kapitels. Als Fallbeispiele dienen Leni Riefenstahls Filme Triumph des Willens und Olympia sowie die Filme Opfer der Vergangenheit, Der ewige Jude und Jud Süß.
Im dritten Teil stehen Entwicklung und Funktion der SS-Körperbilder in der nationalsozialistischen Machtinszenierung und Imagepolitik im Mittelpunkt. Zunächst wird die Formung des SS-Mythos als Elite- und Konkurrenzbild zur SA untersucht.
Symbolische und politisch-soziale Funktionen misst die Autorin den SS-Uniformen bei. In der Außenperspektive drücken die SS-Uniformen Gruppenzugehörigkeit aus und lassen ihre Träger als politische Repräsentanten erscheinen. Die Autorin analysiert die Macht- und Todessymbolik der SS, insbesondere die emblematische Wirkung von Totenkopf, Lederstiefel und Stahlhelm sowie der Farbe Schwarz.
Abschließend werden SS-Körperbilder untersucht. Diehl lehnt sich bei der Analyse von Machtinszenierung, demonstrativer Kontrolle und Machtüberwachung an Michel Foucaults Panoptikumsschema und Herfried Münklers Konzeption der Machtvisualisierung an. Aus der Beschaffenheit der SS als heterogener Organisation leitet die Autorin eine Dreiteilung der SS-Bilder ab. Zum einen erläutert sie Machtinszenierung anhand der Eliteeinheit „Leibstandarte-SS Adolf Hitler“. In ihrer Rolle als Leibgarde fand diese repräsentativen Einsatz bei Veranstaltungen und mediale Verbreitung. Das zweite Bild lieferte die „Allgemeine SS“, die dem Alltag der Bevölkerung näher stand. Gestapo und SD bildeten eine dritte Variante. Ihre scheinbar nicht vorhandene Präsenz trug zur Bildung des Mythos der Allgegenwärtigkeit und Allwissenheit bei. Summa summarum verkörperten die SS-Körperbilder „Macht und Gewalt, soziales Prestige, das rassistische NS-Ideal und die von der NS-Ideologie postulierten ästhetischen Vorstellungen des Idealkörpers“ (S. 234).
Mit ihrer Studie liefert die Autorin relevante Erkenntnisse über die Bedeutung des Körpers als Medium des politischen Diskurses. Sie verdeutlicht am Beispiel der SS-Körperbilder, mit welchen Techniken und Wirkungen Körperbilder politische Inhalte transportieren können. Diehl ergründet in überzeugender Weise die Rolle dieser Bilder in der Repräsentation der NS-Macht und die visuellen Taktiken der NS-Propaganda. Methoden wie Stilisierung, Ästhetisierung und Projektion schufen ein „Bildamalgam“ (S. 238) durch Verschmelzung der SS-Männerbilder mit jenen des „Ariers“. Wenn auch die Studie an einigen Stellen mangels Einbeziehung kunsthistorischer Aspekte die Anschaulichkeit vermissen lässt und bisweilen zu Wiederholungen neigt, bietet sie doch eine gelungene Auseinandersetzung mit der Materie.
URN urn:nbn:de:0114-qn071068
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