Angelika Vauti, Margot Sulzbacher (Hg.):
Frauen in islamischen Welten.
Eine Debatte zur Rolle der Frau in Gesellschaft, Politik und Religion.
Frankfurt am Main: Brandes & Apsel, 2. Auflage 2005.
155 Seiten, ISBN 3–86099–186–8, € 15,90
Abstract: Im Tagungsband sind Beiträge über heterogene Lebensformen von Frauen aus islamischen Kulturkreisen versammelt. Das gemeinsame Anliegen der Autorinnen ist das Bemühen um gegenseitiges Verständnis im internationalen Diskurs. Sie konkretisieren dieses Bemühen mittels kritischer und selbstkritischer Betrachtung islamischer Verhältnisse.
Im vorliegenden Buch sind neun Beiträge eines Symposiums „Umbrüche. Zur Rolle der Frau in islamischen Welten“ enthalten. Der Tagungsband „versteht sich als Versuch, die Situation von Frauen in islamischen Ländern zu reflektieren“ (S. 7).
Gabriele Rasuly-Paleczek beschäftigt sich mit „Frauen in islamischen Welten – Anmerkungen aus west-europäischer Sicht“ (S. 9–21). Islamische Gesellschaften sehen nach Auffassung der Autorin insbesondere in der Stellung der Frau den Grund für ein Schwanken zwischen traditionellen Normen- und Wertverfestigungen und etwaigen Reformbemühungen. Wie unterschiedlich diese Sichtweisen in islamisch orientierten Ländern sein können, wird an Beispielen aus der Türkei und aus afghanischen Flüchtlingslagern in Pakistan belegt.
Iris Safwat beschreibt in dem Beitrag über „Die Stellung der Frau im Islam“ (S. 35–56) Stereotypen, Vorurteile und Nichtwissen im Hinblick auf die Einschätzung der Lebensbedingungen islamischer Frauen. Das islamische Recht, die Schari’a, wird unter Angabe der zugrunde liegenden Rechtsquellen erläutert. Rechtsverletzungen in der Lebenswirklichkeit muslimischer Frauen seien auf Überschneidungen verschiedener Rechtssysteme, auf lokales und traditionelles Gewohnheitsrecht zurückzuführen. Frauen seien sich mangels hinreichender Bildung über ihre Rechte, die ihnen die Schari’a gewähre, zum überwiegenden Teil nicht bewusst. An die Stelle garantierter Rechte treten „Sitte und Traditionen, die nicht durch den Koran zu rechtfertigen“ seien (S. 54).
Sumaya Farhat-Naser erläutert den Dialog zwischen Palästinenserinnen und Israelinnen in dem Beitrag über „Frauen und Friedensarbeit“ (S. 23–33). Sie stellt die historische Entwicklung von Frauenorganisationen in Palästina dar. Im Unterschied zu feministischen westlichen Frauenbewegungen mussten Palästinenserinnen zunächst in der humanitären Arbeit ihre Prioritäten setzen. Erst in den 1970er Jahren gründeten sich Frauenorganisationen, die auf Verständigung und Dialog „mit der anderen Seite“ (S. 28) drängten. Palästinensische und israelische Frauen fanden sukzessive Möglichkeiten für die Bildung effektiver Netzwerke.
Amina Erbakan fragt nach Bedingungen und Möglichkeiten einer „Islamischen feministischen Theologie“ (S. 57–83) und untertitelt mit der Frage: „Chance oder Sackgasse?“. Den Grund dafür, dass muslimische Frauen Texte des Korans auch heute noch nicht offiziell auslegen, sieht die Verfasserin u. a. in den patriarchalen Strukturen des Islam und in der damit einhergehenden männlichen Befürchtung, Frauen könnten „gesellschaftliche Entscheidungsprozesse mitbestimmen“ (S. 57). Prinzipien der Gleichheit würden dem Postulat männlichen Gemeinschaftslebens geopfert. Aber auch veränderte Lebenswirklichkeiten stellt die Autorin fest: Muslimische Denkerinnen steckten ihrerseits unterschiedliche soziologische Forschungsfelder über Religion und Theologie ab, und auch ein offener und moderner Diskurs über feministische Identitätsmodelle trage zur Fortentwicklung der Frauenfrage im Islam bei. Neuere Korantextexegesen von Frauen für Frauen zu wagen, müsse damit Hand in Hand gehen.
„Kulturen und Rechte wiedergewinnen: Das SIGI-Handbuch für Menschenrechtsschulung von Frauen in muslimischen Gesellschaften“ – so lautet der Beitrag von Seema Kazi. SIGI steht als Abkürzung für das 1984 gegründete „Sisterhood Is Global Institut“. Frauen in islamischen Gesellschaften – so die Autorin – müssten über bestehendes positives Menschenrecht informiert werden. Es gehe darum, Menschenrechtsverletzungen ins Bewusstsein der Öffentlichkeit zu bringen und Frauen in Sachen „Menschenrechte“ anhand konkreter Trainingsmodelle zu schulen. In zahlreichen Workshops in unterschiedlichen Ländern wurden mit Frauen nicht nur international geltende Menschenrechtskataloge diskutiert, sondern darüber hinaus deren Inhalte etwa in „Erzählliteratur“ übersetzt, um „kulturelle Denk- und Verhaltensmuster, die auf patriarchaler Autorität basieren und Frauen das Recht auf die Entwicklung einer eigenen Identität absprechen, zu verändern“ (S. 87).
Barbara Pusch beschäftigt sich in ihrem Beitrag „Verschleierte Medienmacherinnen – Zur Rolle muslimischer Journalistinnen in der türkischen Presse“ (S. 97–114) mit politisch aktiven Frauen in der Türkei. Deren Selbstwahrnehmung sei insbesondere durch das Gebot zur weiblichen Bedeckung geprägt, weshalb sie insbesondere in städtischen Gebieten der Türkei diskriminiert würden. Die Spaltung der türkischen Gesellschaft in säkularisierte und nicht säkularisierte Lager sei für die „Lebenswelt proislamisch eingestellter Journalistinnen von enormer Bedeutung“ (S. 101). Ihnen werde lediglich im proislamischen Mediensektor ein Tätigkeitsfeld eröffnet, während der kemalistisch-säkulare Bereich verschlossen bleibe. Islamistische Journalistinnen lehnten säkulare Medienbereiche als islamfeindlich ab, und für einen Dialog beider Mediensektoren bestehe gegenwärtig kein Raum. Die Autorin hält dies für „gesellschaftlich gefährlich“ (S. 112), denn dem muslimischen Aufschwung in der Türkei werde damit die Chance verbaut, „sich friedlich in die Gesellschaft zu integrieren“ (S. 113).
Über die Gründung von Frauenzeitschriften im Iran berichtet Lise J. Abid und beschreibt diese Entwicklung als „Katalysator für den sozialen Wandel“ (S. 115–134). Die Autorin bezeichnet Frauenzeitschriften als ein wesentliches Medium zur Information über die Stellung der Frau in der iranischen Gesellschaft. Aus dieser gesellschaftsimmanenten Perspektive erläutert sie Inhalte der Zeitschriften und die Auseinandersetzungen, die iranische Frauen in einzelnen Beiträgen über die gegenwärtige politische Situation ihres Landes führen. Es gehe ihnen vor allem um Informationen über Frauenrechte innerhalb des islamischen Systems, um Forderungen nach konsequenter Verwirklichung dieser Rechte und um das Bewusstsein für öffentliche Diskussionen.
„Gottgegeben oder des Mannes Wille: Hindernisse auf dem Weg zur Frauenbefreiung!?“ – so lautet der Titel des Beitrages von Chérifa Magdi (S. 135–140). Nach Ansicht der Autorin fördere der Koran widersprüchliche Aussagen über die Stellung der Frau. Während es durchaus frauenfreundliche Interpretationen gebe, sei die gesamte Privatsphäre von Frauen faktisch weiterhin der in Ägypten verfassungsgemäß anerkannten Schari’a unterworfen. Die gesellschaftliche Marginalisierung der Frauen werde damit sowohl weltrechtlich als auch islamrechtlich „zementiert“ (S. 136). Die Autorin kritisiert allerdings auch mangelndes Engagement ägyptischer Frauen: In der Krise der Frauenbewegung spiegele sich die Krise der Gesellschaft wider.
Auch Taslima Nasrin formuliert in „Bedrohung durch Intoleranz: Religiöser Extremismus“ (S. 141–146) eine eher pessimistische Einschätzung der gesellschaftlichen Lage islamischer Frauen. Sie schildert eindrucksvoll ihre eigene persönliche Situation, in der sie Bedrohungen durch religiöse Fundmentalisten in ihrem Heimatland Bangladesh ausgesetzt war. Sie ist Schriftstellerin, ihr Buch Scham wurde verboten und gegen die Autorin Haftbefehl wegen Gotteslästerung erlassen. Sie ging zunächst in den Untergrund und konnte nur mit Hilfe internationaler Menschenrechtsorganisationen das Land verlassen. Taslima Nasrin ist Preisträgerin des schwedischen „Kurt-Tucholsky-Preises“, wurde mit dem indischen „Ananda Award“ ausgezeichnet und lebt zur Zeit im europäischen und nordamerikanischen Exil. Ihre Bücher sind in zahlreiche Sprachen übersetzt. Sie kämpft für Humanismus und Frauenrechte und vertritt radikal feministische Positionen. Taslima Nasrin konfrontiert ihre Leser/-innen mit dem Konflikt zwischen Säkularismus und Fundamentalismus. Aktivitäten und Standpunkte der Autorin können im Internet unter www.taslimanasrin.com aufgerufen werden.
Der vorliegende Band liefert vor allem empirisches Material über ausgewählte Lebensverhältnisse muslimischer Frauen. Das Buch kann darüber hinaus als „frauenbewegte“ Veröffentlichung bezeichnet werden: Die Stellung der Frau im Islam wird kritisch behandelt, es wird über Erneuerung und gesellschaftliche Modernisierung nachgedacht, und vor allem werden politische Forderungen nach öffentlicher Teilhabe von Frauen formuliert. In einzelnen Beiträgen finden sich vorsichtige Schritte in Richtung islamischer Frauenforschung. Eine feministisch theoretische Gesamtkonzeption über islamische Lebensverhältnisse konnte nicht erwartet werden. Das war aber auch nicht das Anliegen des Buches. Um so eindrucksvoller sind insbesondere die Bemühungen einiger Autorinnen, Frauen aus islamischen Gesellschaften in den internationalen feministischen Menschenrechtsdiskurs zu integrieren. Die beiden Herausgeberinnen haben leider nicht die Gelegenheit genutzt, der unveränderten Neuauflage von 2005 (Erstauflage 1999) ein aktualisiertes Vorwort hinzuzufügen und den Band um neuere Entwicklungslinien islamischer Frauenbewegungen zu ergänzen. Dies ändert aber nichts an der Tatsache, dass es sich weiterhin um ein bedeutsames Buch handelt. Einer dritten - möglichst aktualisierten - Auflage sehen wir mit wissenschaftlicher und politischer Neugier entgegen.
URN urn:nbn:de:0114-qn072134
Prof. Dr. Regina Harzer
Universität Bielefeld, Fakultät für Rechtswissenschaft
Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozessrecht und Rechtsphilosophie
E-Mail: regina.harzer@uni-bielefeld.de
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