Sabine Poeschel:
Handbuch der Ikonographie.
Sakrale und profane Themen der bildenden Kunst.
Darmstadt: Primus 2005.
432 Seiten, ISBN 3–89678–513–3, € 49,90
Abstract: Die wichtigsten Bildthemen der abendländischen Kunstgeschichte zu präsentieren und zu erläutern, ist ein Unterfangen, das sich eigentlich nur im Plural vorstellen lässt – als mehrbändiges Gemeinschaftswerk verschiedener Kunsthistoriker/-innen. Sabine Poeschel hat nun im Alleingang ein Handbuch zur Ikonographie vorgelegt, das seinem Titel alle Ehre macht: In kurzen, gut lesbaren Artikeln, die mit zahlreichen Abbildungen versehen sind, werden die Leser/-innen schnell und kompetent über die bedeutendsten Motive der abendländischen Malerei vom Mittelalter bis zur Gegenwart informiert.
In Poeschels Handbuch zur Ikonographie wird zwischen den beiden großen Bereichen der sakralen und profanen Ikonographie unterschieden, die jeweils in sich noch weiter differenziert werden. Die sakrale Ikonographie ist in die Bildbereiche des Alten Testaments, des Neuen Testaments und der Hagiographie unterteilt, die profane Ikonographie umfasst die klassische Mythologie (Götter und Heroen), die Geschichte (im Wesentlichen die griechische und die römische Geschichte) und Genredarstellungen (Szenen des alltäglichen Lebens: Familie, Arbeitswelt, Gesellschaftsleben usw.). Wo möglich und sinnvoll, werden die Bildthemen innerhalb dieses Gliederungssystems in chronologischer beziehungsweise alphabetischer Ordnung angeführt, ein detailliertes und übersichtliches Inhaltsverzeichnis dient der schnellen Orientierung. Zudem ist der Band nicht nur mit Stichwort-, Namens- und Künstlerregister versehen, welche das rasche Auffinden eines gesuchten Artikels erlauben, sondern er enthält auch ein Verzeichnis der Attribute, mit denen die Leser/-innen selbstständig Bildmotive identifizieren können: So erfährt man zum Beispiel unter dem Eintrag „Löwe“, dass die Darstellung eines Löwen auf Antonius, Daniel, Herkules, Hieronymus, Markus oder Simson verweisen kann. Die in den jeweiligen Artikeln zu findenden weiterführenden Erläuterungen und Bildbeispiele ermöglichen auch den ikonographisch weniger versierten Kunstbetrachter/-innen die eindeutige Identifikation eines Bildthemas.
Auch der Aufbau der einzelnen Artikel folgt der Zielsetzung, grundlegende Informationen in leicht zugänglicher Weise zu vermitteln. Zunächst wird der Bildgegenstand erläutert, also etwa erklärt, was beim Gastmahl des babylonischen Königs Belsazar geschah, wer Rochus von Montpellier war oder wie das Urteil des Midas lautete. Es folgen Hinweise für das Erkennen eines Bildthemas – bevorzugt dargestellte Episoden, typische Figurenkonstellationen, wichtige Attribute, signifikante Gesten etc. – und für das Verständnis der Darstellungen, oft unter Verweis auf berühmte Beispiele aus der Kunstgeschichte, die zum Teil den Artikeln als Illustrationen beigegeben sind (der Band enthält ca. 200 Schwarzweißabbildungen) und am Schluss der jeweiligen Ausführungen in chronologischer Reihenfolge angegeben werden.
Die Auswahl der Bildbeispiele „konzentriert sich auf die Zeit vom frühen Christentum bis zum Klassizismus“ (S. 12), da die Verfasserin mit dem Aufkommen der Romantik die allgemeine ikonographische Verbindlichkeit nicht mehr als gegeben ansieht. Über diese Ansicht und die getroffene Bildauswahl ließe sich natürlich trefflich diskutieren, allerdings darf man darüber nicht vergessen, dass man bei einem Projekt solcher Größenordnung notwendigerweise selektiv verfahren muss und dass der trotz aller in Anschlag gebrachten sachimmanenten Kriterien nicht ganz auszuschaltende „subjektive“ Faktor den Erkenntniswert einer solchen Darlegung nicht unbedingt schmälern muss. Das offene Eingeständnis persönlicher Vorlieben (S. 12) ist allemal seriöser als die nicht einlösbare Prätention absoluter Objektivität. Erfreulich ist, dass sich ungeachtet der Konzentration auf vorromantische Bildwerke dennoch bedeutsame Beispiele aus der Moderne finden, die man sonst schmerzlich vermisst hätte, etwa Lovis Corinths Der rote Christus (1922) oder Max Ernsts Versuchung des Antonius (1945).
Mit ihrem Handbuch zur Ikonographie leistet Sabine Poeschel einen in der heutigen Zeit kaum hoch genug einzuschätzenden Beitrag zur Bewahrung des kulturellen Gedächtnisses. Ihr benutzerfreundliches Lexikon bietet den Schlüssel zu Bildwelten, die vielen Betrachter/-innen heutzutage oftmals verschlossen bleiben, da ihnen die nötigen biblischen, mythologischen und historischen Kenntnisse fehlen. Mit dem Verstehen der Bilder eröffnet sich zugleich ein Zugang zu den dargestellten vielfältigen Wissens- und Lebensbereichen, zu denen die griechisch-römische Mythologie und die antike Geschichte, Literatur und Philosophie ebenso gehören wie die christlich-jüdische Tradition und das mittelalterliche und neuzeitliche Alltagsleben. Die allgemeine Verständlichkeit der knapp gefassten Artikel, die sich auf gut erreichbare Standardliteratur beschränkende Bibliografie, ein Glossar, das grundlegende kunstwissenschaftliche Begriffe und spezielle Termini – etwa aus der christlichen Liturgie – erläutert, und nicht zuletzt die reichhaltige Bebilderung machen diesen Band zu einem praktischen Kompendium, das man gerne zur Hand nimmt und das man uneingeschränkt einem breiteren Lesepublikum empfehlen kann. Das Handbuch der Ikonographie ist ein Nachschlagewerk, das mit Sicherheit nicht im Bücherregal verstaubt, sondern immer wieder zum Nachlesen, Schauen und Schmökern einlädt.
Wollte man an diesem Buch unbedingt einen Mangel finden, so ließe sich sagen, dass seine Stärke gleichzeitig seine Schwäche bedingt: Den Kunstprofis hat es nur wenig zu bieten, dafür ist die Auswahl der Bildthemen nicht umfänglich und ihre Präsentation und kunsthistorische Einordnung nicht detailliert genug. Ein Buch zu verfassen, das interessierte Laien und Spezialisten gleichermaßen anspricht, kommt allerdings – entgegen der hinlänglich bekannten Versprechen der Verlagsbranche – der Quadratur des Kreises gleich. Um den Band in einer der nächsten Auflagen, die ihm auf jeden Fall zu wünschen ist, zum nützlichen Arbeitsinstrument auch für Kunsthistoriker/-innen zu machen, wäre zu überlegen, ob man nicht – neben der Aufnahme weiterer Motive, insbesondere im Bereich Genre – den einzelnen Artikeln eine ausführlichere Auflistung signifikanter Bildbeispiele und eine Spezialbibliografie folgen lässt. Damit wäre das Handbuch der Ikonographie nicht nur eine griffige Übersicht, sondern könnte darüber hinaus zum Ausgangspunkt spezieller Recherchen werden. Dies gilt auch für den Bereich der Frauen- und Geschlechterforschung: Registereinträge (z. B. „Gute Helden, gute Heldinnen“, „Weiberlisten“) und Artikelübersicht (vgl. z. B. die Artikel „Die bürgerliche Familie“, „Die Mutter“ oder „Ungleiche Paare“) erlauben bereits jetzt eine gezielte Suche nach Bildmotiven unter genderspezifischer Perspektive, doch wäre eine Amplifikation auch hier wünschenswert, gerade im Hinblick auf das aktuelle Forschungsparadigma der Bildwissenschaft, das die unterschiedlichen geistes- und kulturwissenschaftlichen Disziplinen in fruchtbarer Zusammenarbeit verbindet. Die Entwicklung bzw. Stasis der Geschlechterbeziehungen lässt sich kaum so gut verfolgen wie an der Veränderung bzw. Stagnation von Bildmotiven, wie dies, um nur ein Beispiel zu nennen, unlängst die Ausstellung des Dresdner Kupferstichkabinetts anhand des zeitnahen Mediums der Druckgrafik eindrucksvoll vor Augen geführt hat (vgl. „Mannes Lust & Weibes Macht. Geschlechterwahn in Renaissance und Barock“, Dresden 2005).
URN urn:nbn:de:0114-qn072091
Dr. Susanne Gramatzki
Wuppertal/Bergische Universität/Fachbereich Geistes- und Kulturwissenschaften
E-Mail: gramatz@uni-wuppertal.de
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