Frauen in der Männer(?)kirche

Rezension von Heidrun Hemme

Inge Mager (Hg.):

Frauen-Profile des Luthertums.

Lebensgeschichten im 20. Jahrhundert.

Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2005.

638 Seiten, ISBN 3–579–05213–6, € 29,95

Abstract: Kirchengeschichte ist in ihrer Darstellung oft „Männer-Geschichte“. Im vorliegenden Band wird in 36 Frauenbiografien deutlich gemacht, dass es auch Frauen waren, die im vergangenen Jahrhundert Impulse gesetzt, Entwicklungen angeregt und weitergeführt, sich auf neue Wege gewagt haben – oftmals gegen den Widerstand ihrer männlichen und auch weiblichen Zeitgenoss/-innen. Die Herausgeberin leistet damit einen wichtigen Beitrag zur Identität von Kirche heute.

Der Sammelband ist als Band 22 in der Reihe „Die Lutherische Kirche – Geschichten und Gestalten“ erschienen und stellt damit eine Fortsetzung oder Erweiterung des Bandes 20 dar, in dem es um Profile des Luthertums im 20. Jahrhundert ging. Allerdings fand darin nur eine einzige Frau Eingang, nämlich die Religionspädagogin Magdalene von Tiling.

So wurde 2001 diese Sammlung initiiert, in der neben ordinierten und nicht-ordinierten Theologinnen auch Persönlichkeiten aus dem Bereich der diakonischen Arbeit berücksichtigt wurden sowie aus Frauenverbänden, die der Kirche in unterschiedlicher Weise zugehörten oder nahe standen. Bei der Auswahl der vorzustellenden Frauen wurde klar, dass im Gegensatz zu dem vorhergehenden Männerband die zeitliche Spanne weiter gefasst werden musste, da „der grundlegende Wandlungsprozess in Bezug auf Selbstverständnis, Lebensgestaltung und Öffentlichkeitswirksamkeit von Frauen in der Neuzeit nur durch die Einbeziehung von Lebensgeschichten verdeutlicht werden konnte, die noch weit ins 19. Jahrhundert zurückreichen“, erklärt die Herausgeberin Inge Mager in ihrer Einleitung (S. 11). So beginnt die Biografie der ältesten der ausgewählten Frauen mit dem Jahr 1832, die der jüngsten endet 1999.

Vernetzung und Kooperation

Die 34 Autor/-innen, über die am Ende des Buches eine kurze Beschreibung zu finden ist, stellen die ausgewählten Frauen und ihre Lebensgeschichte dar. Fast jeder Biografie ist ein Bild vorangestellt und eine ausführliche Bibliographie angefügt. Die Beiträge sind chronologisch nach den Geburtsdaten angeordnet – im Gegensatz zu der alphabetischen Reihenfolge im „Männerband“. Dieses hat den Vorteil, dass bei der doch recht großen Zeitspanne die Lebensgeschichten von zur selben Zeit lebenden und arbeitenden Frauen nacheinander gelesen und damit leichter in Zusammenhang gebracht werden können. Es wird sichtbar, dass Frauen selbstverständlich ihre Arbeit vernetzten und miteinander kooperierten, beispielsweise die Gründerinnen des Müttergenesungswerkes Elly Heuss-Knapp, Antonie Nopitsch und Liselotte Nold. Die Zusammenarbeit und die zeitliche Verortung scheint im männlichen Arbeitsleben nicht so eine große Rolle gespielt zu haben wie bei den sich diesen Bereich erst erobernden Frauen.

Auch das Leben und Wirken von Christel Schmidt, insbesondere die Untersuchung ihrer Motivation für die Gründung der Communität Casteller Ring von Mater Felicitas, machen ein Kapitel aus, ebenso wie die Betrachtung der Arbeit der Diakonissen verschiedener Zeiten und Gemeinschaften. Beispiele hierfür sind Klara Schlink, deren Marienschwesternschaft – gegründet 1947 als „ökumenische“, 1964 umbenannt in „evangelische Marienschwesternschaft“ – heute sowohl von innerer als auch äußerer Kritik erschüttert wird, und Charlotte Luise Adelheid von Veltheim, die älteste, deren Profil in diesem Band beschrieben wird. Sie übernahm als erstgeborene Tochter einer angesehenen Familie traditionellerweise die Rolle der Domina des Klosters St. Marienberg in Helmstedt.

Im letzten Profil wird Leben und Wirken der Kirchengeschichtlerin Professorin Dr. Leonore Siegele-Wenschkewitz († 1999) dargestellt, von der Mager betont, dass sie „mit ihren oft unbequemen, die Gewissen für die Frauen- und Judenfrage schärfenden Veröffentlichungen schon jetzt deutliche Spuren hinterlassen“ hat. (S. 18)

Nicht nur Pastorenfrau und Diakonisse

Innerhalb einer Zeitspanne von etwa 150 Jahren lebten (mindestens) 36 Frauen, die in unterschiedlichster Weise Frauenleben, Frauenwirken, Frauenlehre vorangebracht haben. Die Vielfältigkeit der vorgestellten Persönlichkeiten ist beeindruckend. Es sind Theologinnen und Religionspädagoginnen wie Elisabeth Malo (1855–1930), Elisabeth Neuse (1874–1956) oder Hanna Jursch (1902–1972), Frauen, die in Frauenverbänden durch ihr Mitwirken und Gestalten in unterschiedlich starker Prägung reformatorisch-lutherischer Art Aufbauarbeit und Unterstützung für Frauen leisteten, die als Mutter, Ehefrau und Berufstätige oft am Rande ihrer körperlichen und geistigen Fähigkeiten lebten. Paula Mueller-Otfried, Emilie Loose oder Agnes von Zahn-Harnack sind nur einige der Namen, die für engagierte Frauenkirchenpolitik stehen, obwohl es noch nicht einmal das Frauenwahlrecht gab.

Kirchenfrauen im Nationalsozialismus

Aus der Zeit des Nationalsozialismus, in der einerseits die Arbeit der unabhängigen Frauenverbände durch Gleichschaltung, Verbot oder Einschränken finanzieller Mittel massiv behindert wurde, andererseits aber Frauen in der Kirche aufgrund der abwesenden Männer und gleichzeitig vorhandenen Könnens weitreichende Kompetenzen u. a. im Verkündigungsdienst eingeräumt wurden, sind Frauen und ihre Namen wichtig geworden, die dem Widerstand oder dem Umkreis der Bekennenden Kirche zugerechnet werden: Elisabeth Thadden, die 1944 wegen Hochverrats hingerichtet wurde, Esther von Kirchbach (1894–1946), Marga Meusel (1897–1953) oder Hildegard Schaeder (1902–1984), die sich ehrenamtlich in der Gemeinde Martin Niemöllers für den Schutz von Juden engagierte.

Ein kleinerer Teil der dargestellten Profile präsentiert Frauen, die sich zur Zeit des nationalsozialistischen Regimes zur Wahrung übergeordneter Interessen ihres Verbandes auf der Grenze zwischen kooperativ bis verhaltend zustimmend bis weitgehend neutral verhielten. Die Beschreibung des Lebens der Schriftstellerin Ina Seidel fällt hier herein, die mit anderen Kollegen und Kolleginnen eine Treueerklärung für Hitler abgab und ihn bis 1939 für einen Mann des Friedens hielt. Ricarda Huch, sie trat 1933 unter Protest gegen die „undeutsche“ Politik Hitlers aus der Preußischen Akademie der Künste aus, gehört dazu und Auguste Luise Mohrmann, die Kaiserswerther Diakonissenoberin.

Auch und besonders in diesen Profilen ist den Autor/-innen die differenzierte Darstellung von Motivation und Handeln der Frauen in schwierigen Zeiten gelungen. Auf Schuldzuweisungen wird verzichtet, ebenso auf die Verteidigung bestimmter Handlungsweisen. Es wird erkennbar, dass es oft nur ein schmaler Grat zwischen Anpassung und Selbstbehauptung war – eine Situation, die für heutige mitteleuropäische Menschen kaum mehr nachzuvollziehen scheint. Umso mehr ist die objektive Darstellung zu würdigen.

Zur Auswahl der darzustellenden Frauen

Der Vorsitzende der Historischen Kommission, Wolfgang Sommer, inzwischen emeritierter Professor für Kirchen- und Dogmengeschichte an der Augustana-Hochschule in Neuendettelsau, beschreibt in seinem Vorwort die Schwierigkeit der Entscheidungskriterien für die Auswahl der darzustellenden Frauen. Der Begriff „lutherisch“ sollte in einem möglichst weiten und offenen Sinn zu verstehen sein, und „für alle gilt, dass sie durch das Erbe des von Martin Luther geprägten reformatorischen Christentums in ihrem Leben und Wirken entscheidend angestoßen und geleitet wurden.“ (S. 9).

Bleibt abschließend noch anzumerken, dass leider darauf verzichtet wurde, eine für alle Profile gleichartige Gliederung zu verwenden. So findet sich z. B. im Profil von Elisabeth Malo eine detaillierte Aufstellung biografischer Lebensdaten, diese sind in anderen Beiträgen in den Text eingearbeitet. Eine einheitliche Regelung wäre im Sinne besserer Übersicht wünschenswert gewesen.

Insgesamt gesehen vermittelt das Buch einen umfassenden Einblick in die Aktivitäten und die prägenden Impulse von Frauen in Kirche und Diakonie, Theologie und Frömmigkeit, aber auch auf die Politik im 20. Jahrhundert.

URN urn:nbn:de:0114-qn072149

Heidrun Hemme

Neuendettelsau

E-Mail: heidrun.hemme@gmx.de

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