Eine Aufforderung zur Kritik

Rezension von Michael Weidert

Eske Wollrad:

Weißsein im Widerspruch.

Feministische Perspektiven auf Rassismus, Kultur und Religion.

Königstein/Ts.: Ulrike Helmer 2005.

217 Seiten, ISBN 3–89741–176–8, € 20,00

Abstract: Eske Wollrad entwickelt in ihrem Buch eine Kritik an bestehenden und traditionellen Vorstellungen von „Weißsein“ und den damit verbundenen essentialistischen Zuschreibungen von „Rasse“ und Geschlecht. Sie bezieht sich dabei besonders auf die bundesdeutsche Situation, wirft aber auch einen Blick auf „Weißheitskonzepte“, die durch globalisierte Schönheitsideale und Populärkulturen verbreitet werden. Das Buch ist dabei geprägt von Wollrads Bemühen, neue Formen der Verständigung und des Umgangs mit dem jeweils Anderen zu entwickeln.

Die Oldenburger Kulturwissenschaftlerin Eske Wollrad hat ein politisches Buch geschrieben. Politisch deshalb, weil persönliche Wertungen und das Engagement auf dem politischen Feld des Antirassismus erkennbar sind. Politisch aber auch, weil die hier propagierten Ansätze gerade in der deutschen Wissenschaftslandschaft marginalisiert werden, ohne ihr kritisches gesellschaftliches Potential auch nur annähernd auszuschöpfen. Die klare Darstellung grundlegender akademischer Ansätze zur kritischen Beschäftigung mit „Rasse“, „Kultur“ und „Religion“ legen zunächst die Vermutung nahe, es handele sich bei der Veröffentlichung um ein Einführungswerk. Dem ist allerdings nicht so, denn das Buch entbehrt jener kalten Nüchternheit, die Einführungswerken zumeist eigen ist; zudem bekennt die Autorin sich offen zum fragmentarischen Charakter des Werkes (vgl. S. 26) und erhebt somit keinen Anspruch, einen Gesamtüberblick zu bieten.

Terminologien

Das Buch besteht aus elf Kapiteln, die von einem anleitenden Kapitel zur politischen Arbeit ergänzt werden. Zunächst ist die Autorin im ersten Kapitel um „Grundlegungen“ bemüht. Dahinter verbirgt sich der Versuch, begriffliche Zuschreibungen in Bezug auf „Rasse“ und Hautfarbe zu dekonstruieren und eine politisch korrekte Sprache zu entwickeln. Deutlich stellt Wollrad den Konstruktionscharakter dieser Begriffe und die Kontextgebundenheit des Sprechers in diesen alltäglichen Diskursen heraus. Eine weniger breite Reflexion darüber, was heute wie und in welchem Kontext politisch-unverfänglich sagbar ist, wäre diesem Grundlagenkapitel und seiner Lesbarkeit meines Erachtens durchaus zugute gekommen. Auffällig ist zudem die Zurückhaltung bei der Dekonstruktion des Begriffes ‚deutsch‘. Unbefangen spricht Wollrad (S. 21) von einer „genuin deutschen Dominanzstruktur, deren Inhalte Grundbestandteile des deutschen Rassismus und mithin der deutschen Geschichte, der deutschen Philosophie und Anthropologie, der deutschen Kunst und Literatur sind“ [Hervorhebungen von mir]. Offenbar wird hier ‚deutsch‘ wie selbstverständlich in essentialistischem Sinne verstanden.

Im zweiten Kapitel wird zurecht die mangelhafte Rezeption der Ansätze einer „Weißseinsforschung“ in Deutschland kritisiert, die dieses Schicksal (noch) mit „Black Studies“ und „Postcolonial Studies“ teilt. Ausgehend von einem Blick auf die Entwicklung der „Critical Whiteness Studies“ im angloamerikanischen Bereich problematisiert Wollrad das „Weißsein“ im deutschsprachigen Kontext und macht in der hegemonialen Rassismusforschung den Hauptgrund für die fehlende Rezeption dieser neuen Theorienansätze aus.

„Rasse“ und Geschlecht

Im dritten Kapitel wird anhand diverser Beispiele aus Theologie, Geschichte und Philosophie eine Genealogie des Weißheitsmythos erstellt. Die Abschnitte vier, fünf und acht sind dem Hinterfragen von Strategien zur dichotomischen Aufteilung erlebter Wirklichkeiten entlang der Kategorien Geschlecht und Hautfarbe gewidmet. Hier versteht es die Autorin, zum einen die „Politik der Rassifizierung“ (Kap. 4) und zum anderen die grundlegende Bedeutung von Hybriditätsdiskursen (Kap. 8) für den Umgang mit Eigenem und Anderen aufzuzeigen. Im Kapitel fünf wird die Verbindung zwischen „Rasse“ und Geschlecht untersucht. Eske Wollrad weist nach, wie die Zusammenstellung „weiße Mutterschaft“ = „Kultur“ als bewusstes Gegenbild das feminisierte Andere als Repräsentanz von „Natur“ benötigte.

In den Kapitel sechs und sieben betritt die Autorin den forschungspolitischen Bereich und wendet sich zunächst der Verbindung von „Weißsein“ und Geschlecht zu. Wollrad sieht die weiße Genderforschung auf dem Weg zu einem Paradigmenwechsel, von einem eindimensionalen feministischen Blickwinkel hin zu einer selbstreflexiven Mehrdimensionalität, die sich an einem „postkolonialen Bezugsrahmen“ orientiert, „der spezifische ethische und epistemologische Interessensbindungen und Positionierungen historisiert und es ermöglicht aufzudecken, wie sich verschiedene Gewaltachsen in dynamischen und widersprüchlichen Prozessen immer wieder gegenseitig konstituieren“ (S. 116). Dies impliziert auch ein Hinterfragen gängiger Ansätze der Rassismusforschung, die Wollrad im folgenden siebten Kapitel einer fundierten Kritik unterzieht, wobei sie feststellt, dass neben einem noch immer verbreiteten essentialistischen Rasseverständnis zudem ein „cultural turn“ in der bundesdeutschen Forschung zur Rassekonzepten stattfindet, der die bedenkliche Tendenz zur Marginalisierung der Körperlichkeit beinhaltet. Für Wollrad ist die Rassismusforschung gehalten, auch hier neuere Ansätze zu integrieren, die eigene subjektive Position im Forschungskontext zu reflektieren und das eigene Weißsein in zunehmendem Maße zu dekonstruieren.

Schönheitswahn, Hollywood und das Ende eines Netzwerkes

Die beiden anschließenden Abschnitte sind zum einen westlichen Schönheitsidealen gewidmet, die sich an einem hegemonialen Verständnis von „Weißsein“ orientieren. Durch eine detaillierte Analyse des Filmes Dangerous Minds versucht die Autorin zum anderen, die Inszenierungen weißer Weiblichkeit aufzuzeigen, die heute zum populärkulturellen Mainstream gehören.

Im vorletzten Kapitel wird das Scheitern „Schwarz-Weißer Bündnisse“ thematisiert. In hohem Maße selbstkritisch berichtet Wollrad darin über den nicht gelungenen Versuch einer Netzwerkbildung im akademischen Bereich und versucht im Anschluss eine eigene Verortung auf dem Feld des feministisch-antirassistischen Feldes. Das angehängte Kapitel mit Materialien zur antirassistischen Arbeit ist wiederum ein Zeichen für das hier Buch gewordene politische Engagement der Autorin. Allerdings wirkt es im Gesamtkorpus der Kapitel wie ein kaum notwendiger Appendix.

Das Buch von Eske Wollrad ist ein wichtiger Beitrag auf dem Weg zur kritischen Auseinandersetzung mit den Entstehungsbedingungen von „rassischen“, geschlechtlichen und kulturellen Zuschreibungen und den daraus resultierenden Essentialismen. Es kann als Leitfaden und Inspiration zu eigener akademischer und gesellschaftspolitischer Tätigkeit empfohlen werden. Die Autorin erweist sich als profunde Kennerin der angloamerikanischen Forschungstraditionen und kritische Analytikerin deutscher Defizite. Gerade ihre Bereitschaft zur sensiblen Reflexion der eigenen Position im Forschungsfeld erweckt den Eindruck persönlicher Betroffenheit. Eske Wollrad ist es dabei gelungen, ein ehrliches und in weiten Teilen selbstkritisches Buch vorzulegen, das zudem den erhobenen Zeigefinger zu vermeiden weiß.

URN urn:nbn:de:0114-qn072275

Michael Weidert

Universität Trier, Graduiertenkolleg Identität und Differenz. Geschlechterkonstruktion und Interkulturalität (18.–21. Jh.)

E-Mail: miaelweidert@web.de

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