Sabine Hark:
Dissidente Partizipation.
Eine Diskursgeschichte des Feminismus.
Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2005.
457 Seiten, ISBN 3–518–29353–2, € 16,00
Abstract: Ein Anlauf zu einem großen Thema: Wie veränderte sich der Feminismus im Zuge des „akademisch Werdens“ der feministischen Theorie? Sabine Hark mischt Theoriekritik mit Wissens- und Universitätssoziologie. Heraus kommen im Ergebnis allerdings eher vorsichtige, ambivalente Einschätzungen – aus einer Perspektive von irgendwo oberhalb des feministischen Diskurses, einem schwer bestimmbaren Ort. Immerhin: Kapitel 5 enthält eine handfeste und wichtige These.
Blickwinkel und Gegenstand dieses Buches sind schwer klar zu fassen. Sabine Hark will vieles auf einmal. Zum einen Stellung beziehen zu einem politischen Problem: dem feminist turn von Wissenschaft und einem damit untrennbar verbundenen academic turn des Feminismus. Zum anderen aber auch distanziert das streitbare Ineinander beider Prozesse beschreiben. Und dabei das „Unbewusste“ freilegen, das hinter dem Rücken den feministischen Akteurinnen die Institutionalisierungsdebatte bestimmte. Des weiteren allgemeine wissens- und wissenschaftssoziologische Problemstellungen erörtern: Wie wird aus Wissen Wissenschaft? Auf dieser Ebene will das Buch nicht weniger sein als eine Art Soziologie des „akademisch werdenden Feminismus“. Außerdem geht es um künftige Institutionalisierungschancen der Frauen- und Geschlechterforschung. Und schließlich rechnet die Autorin ab: In der feministischen Diskussion selbst seien permanent „Skandierungen des Redeflusses“ (S. 37) vorgenommen worden. Gemeint sind Argumentationsweisen, durch die „bestimmte Argumente und Perspektiven nach vorne geschoben werden“, nur „bestimmte Bezüge aktualisiert, andere dagegen dethematisiert“ (vgl. S. 42). Feministische Texte nehmen „performativ“ strategische Weichenstellungen vor, etwa durch Konstruktion einer spezifischen „Gegenstandsreferentialität“. „Wir haben es mit Politik zu tun, und zwar mit Politiken, denen es um die Organisation des feministischen Wissensfeldes zu tun ist; Politiken, die regulieren, wer welche Geschichte(n) erzählen kann und welchen Geschichten die Autorität zukommt, das Feld ‚angemessen‘ zu repräsentieren.“ (S. 37)
Das Buch endet auf der zuletzt genannten Ebene: Kritik und Selbstkritik strategischer Verengungen, Begradigungen und Ausschlüsse des „akademischen“ Feminismus. Hark beantwortet die vielschichtige Frage nach der feministischen „dissidenten Wissenspraxis“ mit einer sehr allgemeinen „epistemisch-ethischen“ (S. 390) Mahnung. Zentrales Motiv sei die „Verantwortlichkeit“. Dissidente Wissenspraxis habe vor allem „Kontingenz zu denken“ (S. 395). Sie „wäre mithin eine Praxis, in der die eigenen Gewissheiten als verhandelbar betrachtet werden“ – und feministische Theorie sei nur denkbar als „ein Projekt der fortwährenden De- und Rekonstruktion von Wissen“ (S. 395).
„Was ist die Zeit des Feminismus? Ist sie bereits abgelaufen? Ist der Feminismus an seinem Erfolg gescheitert?“ Diese Fragen von der Buchrückseite wie auch die meisten der (sehr) vielen Fragesätze, mit denen „Prolog“ und Kapitel 1 beginnen, werden nicht beantwortet werden. Sie sondieren eher das Terrain (vgl. S. 63–66). An diese Eigenart muss die Leserin sich gewöhnen: Die Autorin belässt es auch im Fortgang des Buches mit Vorliebe bei der Frageform (vgl. S. 360 f.)
Kapitel 2 gibt einen Überblick über „Wechselwirkungen“ zwischen Wissenschaft und Feminismus. Divergierende feministisch-theoretische Lesarten des Prozesses der Etablierung feministischer Wissenschaft werden überblicksartig gut lesbar referiert. Allerdings bietet Hark – teils international, teils auf den deutschsprachigen Raum, teils auf die Sozialwissenschaften und oft auf ein nicht näher definiertes „Wir“ fokussierend – weder eine politisch-praktisch griffige Fassung dessen, was sie das „feministische Wissensprojekt“ nennt (und das aus ihrer Sicht an den Universitäten um den Preis eines damit verbundenen Wandels durchaus angekommen ist). Noch ist in theoretischer Hinsicht so recht klar, was sie meint, wenn sie von „Wissenschaft“ oder vom „Akademischen“ im Feminismus redet. Teils liegt das an der – Inhalte erübrigenden – räumlichen Metaphorik: Hark spricht von „politics of location“, sie beschreibt die Akademie als „Ort“ (vgl. S. 13 f.). Also stehen Stellenpläne, das Hineinkommen in „Räume“ im Vordergrund. Zuweilen scheint das „wissenschaftliche Feld“ mit Zahlen von Lehrstühlen identisch (vgl. S. 102 f.) und das feministische „Wir“ konvergiert direkt mit der Rolle der Hochschullehrerin: „Wie gehen wir mit der Aporie um, das feministische wissenschaftliche Wissen für die Lehre kanonisieren zu müssen“. (S. 52) Spuren abstrakterer Veränderungen – nicht der „Orte“, sondern des Diskurses, also der Verwissenschaftlichung des feministischen Wissens – bleiben so seltsam blass. Sie bleiben hinter der Institutionenfrage zurück.
Kapitel 3 bietet einen entsprechend unentschlossenen Wissenschaftsbegriff (von „Ort“ über „Institution“, „Beruf“, „Praktiken“, „Turnierplatz“, „System“ bis hin zu „Möglichkeitsfeld“). Harks wissenssoziologisches Begriffsrepertoire ist nicht nur kunterbunt zusammengeklaubt, sondern ausgerechnet die (in kritischer Hinsicht wichtige) Rede von der „Wissenschaft“ erfährt keine eigene feministisch-theoretische Brechung. Am Ende heißt es: „Neue Wissensprojekte werden geformt durch und in den Relais zwischen Handlung und Struktur, zwischen Intellektualisierung und Institutionalisierung, zwischen Transformation und Reproduktion, zwischen den existierenden Regeln und den widerstreitenden sozialen Kräften, die an diesen Regeln arbeiten. Wissen, Wissensformationen sowie die Institutionen und Organisationen des Wissens sind folglich niemals statisch. Sie sind dynamisch, unabgeschlossen und immer umstritten.“ (S. 206) Das ist mehr als brav.
Kapitel 4 skizziert die Geschichte des Feminismus „zwischen Aktivismus und Akademie“ und berührt eine methodische Kernfrage: Wie die Rückseite des „akademisch werdenden Feminismus“ behandeln, diejenige feministische Theorie, die explizit Theoriebildung war und doch außerhalb der Universitäten blieb? Hark würdigt die Bedeutung „autonomer feministischer Infrastruktur“ (S. 246), deutet sie aber merkwürdig instrumentell, nämlich als „Ressource“ – „als Ressource […] um das akademische Projekt realisieren zu können“ (S. 246). Ähnlich ergeht es den „früheren Kritiken von lesbischer Seite“ am akademisch-feministischen Mainstream. Hark erwähnt sie kurz – und nennt nur akademisch verankerte Namen: Hark, Hacker, Pagenstecher, Hänsch (vgl. S. 285). Was aber ist mit der bewusst nicht-universitären Theoriebildung der autonomen Lesbenforschung: Büchner, Janz, Kronauer, Laps – um nur einige zu nennen? Wo Hark den Ausschluss gerade problematisieren will, ist dieses Fehlen der autonomen Wissenschafts-Kritikerinnen alles andere als trivial: Hier vollzieht die Autorin selbst die Bewegung, von der sie spricht.
Im Ganzen wirkt der Anspruch einer „Diskursgeschichte“ schlicht überzogen. Der eigentliche Reiz des Buches liegt woanders, nämlich in den politischen Spitzen, die in den diskursgeschichtlich/wissens- und wissenschaftssoziologischen Mischmasch eingestreut sind. Hark arbeitet „exemplarisch“: Sie greift zuweilen Texte heraus, unterzieht sie einem Verfahren der „symptomalen“ (S. 340) Lektüre – und dann spürt man authentischen Zorn. Das Vorgehen ist zweifellos angreifbar: Texte werden angeprangert, als strategische Produkte entlarvt. „Lesen wir […] auch diesen Text weniger hermeneutisch als auszulegendes Werk denn als politische Aktivität […]“ (S. 91), heißt es etwa zu einem Aufsatz von Ute Gerhard. Das schmeckt nach Ideologiekritik, aber dafür nimmt der ansonsten eher in Ambivalenzen verharrende Text an solchen Stellen wirklich Tempo auf. Kapitel 5 ist in dieser Hinsicht das Glanzstück des Buches. Gezeichnet wird die Abwehrreaktion der etablierten deutschen feministischen Diskurses auf Judith Butlers Theorie der Konstruiertheit des biologischen Geschlechts und der kulturellen Matrixfunktion der Heterosexualität. Das ist Harks Thema – und die Diagnose hat Pfeffer: Die deutschsprachige Frauen- und Geschlechterforschung hat Butlers Theorie und Person geradezu als „monströs“ horrifiziert. Sie hat die Frage nach der (Hetero-)Sexualität „an die Ränder des feministischen Diskurses verwiesen“ (S. 320) – wobei gerade diese Frage jedoch die Bedeutung eines „positive(n) Unbewußte(n) des feministischen Diskurses“ hat (S. 292). Queer Theory wäre für Hark die „die Reartikulation einer den Feminismus kontinuierlich begleitenden Absenz“; queer zeige „den inneren Ausschluss der lesbischen Differenz sowie der Problematisierung sowohl dieses Ausschlusses als auch der Kritik am feministischen Heterozentrismus“ (S. 294).
Zwei Schlusskapitel begeben sich in die Universitätssoziologie: Kann der akademische Feminismus etwas „Undiszipliniertes“, ein inter- oder transdisziplinäres Projekt bleiben? Hark plädiert für „ein reflexives Verständnis von transdisziplinärem ‚Beziehungssinn‘“ (S. 387) und das soll heißen: Disziplinarität ist nicht per se schlecht.
Das Buch bricht ab mit dem oben schon zitierten Appell an „Verantwortung“. Etwas nachdenklich hält man den großen Bogen von der „Diskursgeschichte“ über den Wissenschaftsbegriff zur Universitätssoziologie und schließlich zur Inter- und Transdisziplinarität in den Händen. Was ist die Botschaft? Von den Inhalten zur bloßen Etablierungsform? Vom Pathos des gemeinsamen „Wissensprojekts“ zum offen Ausklang in jener mehr als vagen Moral: die eigenen Positionen „verhandelbar“ halten?
Hark erneuert mit ihrem ceterum censeo in Sachen Heteronormativität eine entscheidende Forderung. Hier muss über Ausschließungseffekte diskutiert werden – freilich beschränkt sich gerade dies Problem nicht nur auf den „akademischen“ Feminismus. Und überhaupt: Ausschlüsse… Gälte es nicht noch an anderes aus der „Diskursgeschichte“ des Feminismus zu erinnern? Separatismus? Autonome Theoriebildung? Affidamento? Andere Genealogie? Harks Buch trifft hier selbst bereits eine im Grunde recht enge Wahl. Ihr Ansatz bleibt der eines nach und nach herauszulesenden (wissenschaftlichen) „Ortes“: eine Art soziologischer Metafeminismus oder auch eine Wissenschaftlerinnen-Metasoziologie. Eigentlich schade. Denn die feministisch-politischen Passagen, nicht die objektivierenden, sondern die streitbaren, die gelingen ihr viel besser.
URN urn:nbn:de:0114-qn072087
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