Gisela Engel, Friederike Hassauer, Brita Rang, Heide Wunder (Hg.):
Geschlechterstreit am Beginn der europäischen Moderne.
Die Querelle des Femmes.
Königstein im Taunus: Ulrike Helmer Verlag 2004.
353 Seiten, ISBN 3–89741–170–9, € 34,95
Abstract: Was ist der aktuelle Stand der Diskussion um den großen Geschlechterstreit der Frühen Neuzeit in den verschiedenen Disziplinen? Gibt es Bezüge der Querelle des Femmes zur Gegenwart des 21. Jahrhunderts? Diese und andere Fragen stehen im Zentrum des vorliegenden Sammelbands, der auf die erste transdisziplinäre Tagung zu diesen Themen im deutschsprachigen Raum zurückgeht.
Das historische Wissen um die Querelle des Femmes, den großen gesamteuropäischen Geschlechterstreit in Text und Bild, ist, so scheint es zumindest, in den letzten Jahrzehnten fragiler geworden, vielleicht sogar von endgültigem Vergessen bedroht. Dies belegen unter anderem aktuelle Kontroversen, die eigentlich in die Querelle-Tradition gehören, die jedoch kaum einmal vor diesen Hintergrund projiziert werden. In deutlichem Gegensatz zu einem solchen ‚Vergessen‘ knüpfte Simone de Beauvoir 1949 mit ihrem Essay Le deuxième sexe noch an die Querelle des Femmes und damit an die Tradition des großen europäischen Geschlechterstreits an.
Drei Beispiele der letzten Jahre bestätigen den oben skizzierten Befund. Das erste ist Pierre Bourdieus La domination masculine (1998) und vor allem die kontroverse Debatte um diesen Essay, geführt von Geneviéve Fraisse, Michelle Perrot, Joan Scott, Sylviane Agacinski und anderen. La domination masculine erscheint aus der Sicht von Querelle-Spezialisten ohne jeden Zweifel als ein seminal text (Ian Maclean) der Geschlechterdebatte, um den sich wiederum größere und kleinere Teil-Querelles lagern. In dieser Hinsicht ist er dem gynophilen Traktat des großen Agrippa von Nettesheim vergleichbar, De nobilitate et praecellentia fœminei sexu (1509/1529). Doch eine wie auch immer geartete Historisierung der Debatte um Bourdieus Essay blieb aus.
Mein zweites Beispiel: In ihrer ebenfalls 1998 erschienenen (und bislang noch nicht ins Deutsche übersetzten) Studie Le sexe du savoir untersucht die Philosophin Michèle Le Dœuff die Übermittlung von historischem Wissen, überwiegend im Bereich der Philosophie. Wenn sie hier die Gender-Geprägtheit dieser Prozesse und der bildungsvermittelnden Institutionen herausstellt, dann hat dies, aber auch die emotionale Färbung ihrer Argumentation, durchaus Querelle-Charakter. Ferner gehören klassische Querelle-Texte wie Christine de Pizans Cité des Dames oder Gabrielle Suchons um 1700 publizierte Traktate über weibliche Freiheit zu M. Le Dœuffs argumentativem Arsenal. Dennoch verzichtet sie auf jene explizite nachdenkliche Historisierung, wie sie Simone de Beauvoir noch sehr selbstverständlich vornahm.
Ein letztes Beispiel: In ihrem Essay Politique des Sexes (2. Aufl. 2001) plädiert die Philosophin Sylviane Agacinski im Kontext aktueller Paritäts-Debatten für eine „démocratie mixte“[1] und für die paritätische Beteiligung der Französinnen an der politischen Macht. Sie präsentiert ihren Feminismus der mixité als dritte Variante eines modernen Feminismus, die den androzentrischen Feminismus in der Nachfolge Simone de Beauvoirs und den Feminismus der Differenz, wie ihn Hélène Cixous, Catherine Clément und Luce Irigaray gedacht haben, ablösen will. Zwar spricht Sylviane Agacinski von einem „différend sexuel“[2], von einem Streitpunkt, an dem sich zeitgenössische Geschlechterdebatten entzünden und ihrerseits neue Debatten generieren, aber auch sie unterlässt jegliche Historisierung der eigenen Position, ein Verfahren, das sie notwendig auf die Spur der Querelle des Femmes geführt hätte. Diese Defizite lassen sich sicherlich zunächst als Ausdruck eines selbstzufriedenen postmodernen Zeitprovinzlertums deuten, das meint, Geschichte ‚entsorgen‘ zu können, indem Gegenwartsphänomene entweder als voraussetzungs- und geschichtslos präsentiert oder bestenfalls auf Entwicklungen der letzten Jahrzehnte zurückgeführt werden. Zugleich aber, so meine These, verweisen diese Defizite darauf, dass die Querelle bislang nur unzureichend als ein historisches Phänomen der longue durée erforscht wurde.
Könnte sich dies mit dem seitenstarken Sammelband Geschlechterstreit am Beginn der europäischen Moderne. Die Querelle des Femmes, herausgegeben von Gisela Engel, Friederike Hassauer, Brita Rang und Heide Wunder, ändern? Er geht auf eine internationale und interdisziplinäre Tagung vom November 2003 in Frankfurt a.M. zurück, die in Zusammenarbeit mit dem Arbeitskreis „Querelle des Femmes“ organisiert wurde und die die erste derart umfassende deutsche Tagung zu dieser Thematik war. Der vorliegende Sammelband tritt mit dem Anspruch auf, „forschungsleitende Apekte für die Querelle des Femmes in Europa“ (so der Text auf dem Buchrücken) zu entwerfen, und an diesem Anspruch sollte er auch gemessen werden. In gewissem Widerspruch hierzu und bedeutend zurückhaltender heißt es allerdings in der mehr als knappen Einleitung von Gisela Engel und Heide Wunder, auf der Frankfurter Tagung seien die Forschungen zur Querelle des Femmes „bilanziert und damit auf eine neue Grundlage gestellt“ (S. 9) worden.
Die einzelnen Beiträge ordnen sich den Bereichen „Wissenschaft vom Menschen“, „Hof und Herrschaft“, „Theater und Literatur“, „Universität“ und „Gerechtigkeit – Gleichheit“ zu. Bereits diese Kategorien verraten eine konzeptuelle Heterogenität, denn hier stehen politische und kulturelle Institutionen, politische Kategorien sowie Bereiche des Wissens und der Kultur nebeneinander, ohne dass ihre (Quer-)Verbindungen auf den ersten Blick wahrnehmbar würden. Dieses Merkmal kennzeichnet ebenfalls die prinzipielle Ausrichtung ihrer Beiträge. So geht es in den einen primär um eine Bilanzierung von Forschungsergebnissen, während die anderen durch neue Lektüren entweder klassische, sogenannte primäre Querelle-Texte[3] erschließen oder sekundäre Querelle-Texte im Hinblick auf ihre geschlechterpolitische Relevanz analysieren.
Doch auch in anderer Hinsicht ist der vorliegende Band heterogen: zunächst im Hinblick auf die Generationszugehörigkeit der Beiträger/-innen, die von doyennes wie Elisabeth Gössmann und Heide Wunder über die mittlere Generation, vertreten durch Andrea Grewe, Friederike Hassauer und Claudia Opitz, bis zu jungen Wissenschaftlerinnen wie Judith Bösch oder Xenia von Tippelskirch reicht. Die vertretenen Disziplinen sind mit der Historischen Pädagogik, verschiedenen literaturwissenschaftlichen und historischen Disziplinen, mit Philosophie, Rechtssoziologie und Theologie ebenfalls weit gefächert und lassen auf einen multidisziplinären Zugang und auf einen anregenden Dialog der Disziplinen hoffen.
Leider fehlt eine generelle, die verschiedenen Annäherungen an die Querelle-Problematik bündelnde Einleitung, desgleichen der Versuch, einleitend den bisherigen Stand der Forschung in den verschiedenen Disziplinen zu skizzieren sowie die Diskussion bislang erfolgter Definitionen und Eingrenzungen des Forschungsgegenstands, verbunden mit der Skizzierung neuer Forschungsfelder. Daran ändern auch Friederike Hassauers „Zehn Blicke auf das Forschungsterrain der Querelle des Femmes“ (S. 11–19) nicht viel. Wünschenswert wäre auch der Versuch einer transnationalen Synopse gewesen: Wie hat sich in den letzten Jahrzehnten der Forschungsstand zur Querelle in den verschiedenen europäischen und außereuropäischen Ländern, hier vor allem in den USA, entwickelt? Hat es und wenn ja, in welcher Richtung, Transfer von Forschungsergebnissen und neuen thematischen Fokussierungen gegeben? An die Stelle einer solchen ‚großen‘ Einleitung treten Teil-Einleitungen jeweils am Beginn einer Sektion, die jedoch dieses Defizit nicht beheben können und sich überdies meist mit der Präsentation der folgenden Einzelbeiträge begnügen.
Ein letztes: Einleitend wird ebenfalls darauf verzichtet, die Gegenstandsbereiche der Querelle zu benennen und zu umreißen bzw. auf die Frage zu antworten, was generell unter einem genuinen Querelle-Phänomen zu verstehen ist. Dies hat zur Folge, dass sich später bei der Lektüre einzelner Beiträge, vor allem jener germanistischer Provenienz, zuweilen die Frage aufdrängt, ob und inwiefern diese Gegenstände überhaupt einen Bezug zum Rahmenthema besitzen, denn allein das Vorhandensein misogyner Passagen rechtfertigt noch keine Zuordnung in den Zusammenhang der Querelle.
Insgesamt bietet der vorliegende Band interessante Einblicke in das breite Spektrum historischer Themen, das sich vor allem in Deutschland, den Niederlanden, in Österreich und in der Schweiz mit der Querelle des Femmes verbindet. Überraschend ist allerdings der Verzicht in der Mehrzahl der vorliegenden Beiträge auf die Einbeziehung der aktuellen internationalen Querelle-Forschung.[4] Als besonders ergiebig erweisen sich die Beiträge, die sich auf präzise Auseinandersetzungen mit historischen Phänomenen oder Diskussionskontexten einlassen. Dies gilt etwa für Eva Cescuttis Nachweis einer dreifachen „Querelle-Haltigkeit“ (S. 197) des Dialogo der Tullia d’Aragona oder für Andrea Grewe, die zeigt, wie die Querelle des Femmes, und das heißt hier: der „konkrete Versuch, Geschlechterverhältnis und Geschlechteridentitäten neu zu definieren“ (S. 172), gleichermaßen als Subtext das italienische Theater des Cinquecento durchziehen. Grewe regt damit zu einer neuen Lektüre der Dramen von Bibbiena, Torquato Tasso, Isabella Andreini und Giovan Battista Andreini an und erschließt neue Möglichkeiten ihrer Inszenierung. In ihrem Beitrag über Cristofano Bronzini, den Verfasser einer einflussreichen italienischen Querelle-Schrift des 17. Jahrhunderts, weist Xenia von Tippelskirch anhand einer akribischen Auswertung bislang unerschlossener Quellen zum ersten Mal nach, wie aufmerksam die Zensoren der katholischen Kirche die Querelle verfolgten – und dass sie „besonders empfindlich […] auf die Thematik der Frauenherrschaft“ reagierten (S. 112). Ähnlich aufschlußreich sind die Untersuchungen von Pauline Puppel zum „normativen [juristischen] Diskurs über das ‚Weiberregiment‘“ (S. 152) im Deutschland des 17./18. Jahrhunderts. Und wenn Siep Stuurman den Übergängen und Vermittlungen von der frühen Querelle zu „Poulain de la Barre’s Cartesian Feminism“ (S. 289) nachspürt, so ist dies ebenso anregend wie Claudia Opitz’ Lektüre von Marie de Gournays ‚klassischer‘ Querelle-Schrift De l’égalité des hommes et des femmes (1622) unter Einbeziehung ihres „kulturellen und diskursiven Kontext[es]“ (S. 308). Weiterführend ist auch der Versuch von Bettina Wahrig, der Forschung neue Gegenstände wie die Querelle de santé zu erschließen.
Dem Band hätte man insgesamt eine sorgfältigere Lektorierung gewünscht, die ärgerliche Fehler vor allem bei Eigennamen und fremdsprachlichen Begriffen wie zum Beispiel „Renate Zimmermann“ (S. 256, statt „Margarete Zimmermann“) „Madame de Sevigny“ (S. 262, statt „Madame de Sévigné“), „Catalogi“ (S. 260, statt „Cataloghi“) womöglich verhindert hätte.[5] Mehr als fraglich ist ferner der Gewinn einer verkrampften sprachlichen Neuschöpfung wie „Gelehrtin“ (S. 260).
Der besprochene Band arbeitet höchst überzeugend die Bedeutung der Querelle als ein nationale, disziplinäre und zeitliche Grenzen überschreitendes Phänomen heraus. Zu monieren bleiben jedoch gewisse konzeptuelle Schwächen und die unzureichende Verknüpfung der Forschungsfelder in Form eines intensiven Dialogs zwischen den Disziplinen. Mit einem Wort: Die (Erforschung der) Querelle geht weiter.
[1]: Sylviane Agacinski, Politique des sexes. Précédé de Mise au point sur la mixité, Paris 2001, S. 9.
[2]: S. Agacinski, S. 11.
[3]: Zu der Unterscheidung in primäre und sekundäre Querelle-Texte siehe Gisela Bock, Margarete Zimmermann, „Die Querelle des Femmes in Europa. Eine begriffs- und forschungsgeschichtliche Einführung“. In: Dies. (Hg.): Die europäische Querelle des Femmes. Geschlechterdebatten seit dem 15. Jahrhundert. Stuttgart, Weimar 1997 (Querelles, Jahrbuch für Frauenforschung, Bd. 2), S. 9–38; hier S. 23. [Der Beitrag ist hier als PDF-Datei zum Download (239 KB) erhältlich. Die Redaktion]
[4]: Eine besonders ausgeprägte diesbezügliche Enthaltsamkeit legen die Mitglieder der Wiener Forschungsgruppe zur Querelle des Femmes an den Tag, die mit Vorliebe nur die von dieser Forschungsgruppe selbst verfassten bzw. herausgegebenen Sammelbände zitieren.
[5]: Im übrigen überrascht es, dass in einer geschlechterpolitisch akzentuierten Publikation wie der vorliegenden Autorinnen wie Marie de Sévigné oder Madeleine de Scudéry in einer konservativen, um nicht zu sagen: diskriminierenden Schreibweise und das heißt unter Weglassung der Vornamen und Akzentuierung des Familienstandes als Madame de Sevigny (!) und Mademoiselle de Scudéry geführt werden. Es erübrigt sich zu sagen, dass diese Schreibweise – Monsieur Voltaire oder Herr Fontane – für männliche Autoren nicht üblich ist und deshalb auch für Autorinnen unbedingt vermieden werden sollte.
URN urn:nbn:de:0114-qn072293
Prof. Dr. Margarete Zimmermann
Technische Universität Berlin/Frankreich-Zentrum
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