Wie Nationalismus das Geschlecht macht

Rezension von Ruben Marc Hackler

Heidrun Zettelbauer:

„Die Liebe sei Euer Heldentum“.

Geschlecht und Nation in völkischen Vereinen der Habsburgermonarchie.

Frankfurt a.M.: Campus 2005.

515 Seiten, ISBN 3–593–37748–9, € 49,90

Abstract: Heidrun Zettelbauer untersucht in ihrer Dissertation den Zusammenhang von Geschlecht und Nation in den völkischen Diskursen der Habsburgermonarchie zwischen 1880 und 1918. Anhand von Vereinspublikationen weist sie überzeugend nach, wie geschlechtsspezifische Zuschreibungen durch die nationalistische Bewegung befestigt und vorangetrieben worden sind. Gleichzeitig zeigt sie, dass die Bewegung auf die Integration von Frauen angewiesen war, was die Möglichkeit für Frauen bot, sich im Verein politisch zu betätigen und so die bürgerliche Auffassung weiblicher Subjektivität zu unterlaufen.

Frauen wurde in der deutschnationalen Bewegung des 19. Jahrhunderts einerseits eine passive Rolle zugedacht, sie sollen ihren Ehemännern beistehen und sie bewundern, auf keinen Fall aber selbst durch parteipolitisches Engagement in Erscheinung treten. Nichtsdestoweniger waren sie für die ‚hehre Mission‘ der Bewegung zu gewinnen, ihnen wurde die Aufgabe übertragen, die zukünftigen Helden im Kampf um das Deutschtum aufzuziehen und, sollte es in die Defensive geraten, den Volksgenossen unter die Arme zu greifen. Im Nationalismus, der mit der Gründung des deutschen Kaiserreichs und dem Wettstreit um Kolonien zusehends aggressiver wurde, veränderte sich durch die geforderte Mitwirkung das bürgerliche Modell von Weiblichkeit, ein aktives Moment trat also hinzu. Wie aber vermittelte die Bewegung ihre keineswegs selbstverständlichen Ansprüche? Und auf welche Weise konnten ihre männlichen Mitglieder verhindern, und zwar vor dem Hintergrund liberaler Bestrebungen für ein Frauenwahlrecht, dass die Aktivistinnen ihr Engagement ernster nahmen als geplant? Oder waren die Aktivistinnen gar selbst an der Beschränkung ihres Handlungsspielsraums beteiligt?

Eine weite Kulturgeschichte

Im Zentrum der groß angelegten Untersuchung von Heidrun Zettelbauer, es handelt sich um ihre überarbeitete Dissertation, stehen zwei Überlegungen: (1) Der Nationalismus ist maßgeblich an der Schaffung und Durchsetzung des modernen Geschlechterkonstrukts beteiligt gewesen. (2) Struktur und Durchsetzungsfähigkeit des Nationalismus lassen sich angemessen nur verstehen, wenn analysiert wird, inwiefern ihm die Einbeziehung von Frauen gelang. Untersuchungsort ist die Habsburgermonarchie, wobei quellentechnisch vorwiegend der deutschnationale Verein “Südmark“ in Graz erschlossen wird, der Untersuchungszeitraum liegt zwischen den Jahren 1880 und 1918. Der weite Quellenbegriff der Kulturgeschichte liegt der Analyse zugrunde, was einen tiefen Einblick in die völkischen Lebenswelten ermöglicht. Analysiert werden Register und Publikation des Vereins, die vereinsnahe Tagespresse und von der „Südmark“ empfohlene Bücher sowie Haushaltswaren mit markigen Sinnsprüchen. Die Studie hat Modellcharakter und soll ermöglichen, über das historische Phänomen hinaus auch ein Verständnis aktueller Nationalismen und ihrer Verschränkung mit Sexismus zu bekommen.

Zunächst aber muss man sich durch einen knapp 80 Seiten langen Theorieteil lesen, der viele Diskussionen in den Genderstudies und der Nationalismusforschung rekapituliert, ohne jedoch Entscheidendes beizutragen. Es wäre sinnvoller gewesen, hier auf die ausführlichen Monographien zu verweisen und sich auf eine Darstellung der Ergebnisse zu beschränken. Die eigenen Überlegungen zu Geschlecht und Nation werden ohnehin evident genug im Untersuchungsteil ausgeführt. Stellenweise bleibt unklar, warum bestimmte Konzepte erwähnt werden. So wird für nationalistische Weltanschauungen der philosophische Begriff des Holismus eingeführt, aber nicht erklärt, ob mehr als eine geschlossene Weltsicht gemeint ist. Das wirft unnötige Fragen auf. Oder es werden lang und breit Objektbeziehungstheorien der Psychoanalyse vorgestellt, obwohl sie nichts zur Untersuchung beitragen, und auch die spätere Erwähnung, dass die sprachtheoretische Auffassung eines deutschnationalen Autors der des Psychoanalytikers Lacan ähnelt (vgl. S. 219), wiegt das kaum auf. Trotzdem ist der Erkenntnisgewinn der historiographischen Studie enorm, und selbst auf den letzten Seiten drängen sich die Funde.

Wohnstubendiskurse und frauenfreundliche Arbeitsplätze

In den Publikationen der „Südmark“ waren die Diskussionen über die richtige Gesinnung verbunden mit der Festlegung, was deutschnationale Frauen auszeichnen sollte. Es waren überwiegend Männer, die einen weiblichen Verhaltenscodex beschrieben und einforderten, doch beteiligten sich auch Frauen daran und das meist ohne substantielle Unterschiede in der Argumentation oder den Zielen, wie aus den zitierten Beispielen zu entnehmen ist. Sie akzeptierten mit wenigen Ausnahmen, wie z. B. einige als Ärztinnen tätigen Frauen, die Reduktion ihres Tätigkeitsbereichs auf den Haushalt, das Gebären und die Aufzucht von Kindern, die aufschauende Treue zum Mann und die Arbeit im Verein. Neu war nicht nur, dass auf die Mitarbeit im Verein so viel Wert gelegt wurde, es gab 1913 rund 15 000 weibliche Vereinsmitglieder in der gesamten Habsburgermonarchie (!), sondern auch die spezifisch nationalistische Proklamation vermeintlich weiblicher Eigenschaften. Frauen sollten dem Ehemann nicht bloß treu sein, weil ihnen ihr Geschlecht verwehren würde, eigenständig kluge Entscheidungen zu treffen, sondern weil sie deutsche Frauen waren, deren Unterstützung für das imaginierte Volkskollektiv unverzichtbar sei. Mit der inszenierten Gefahr der Überfremdung, die zum Ersten Weltkrieg hin immer drastischer dargestellt wurde, bekam die Einschränkung der Frauen eine neue Qualität, immer mehr Lebensbereiche rückten ins Visier deutschnationaler Sittenwächterei. Von argwöhnischen Blicken nahezu umstellt müssen die Grazer Frauen gewesen sein, und egal, ob es sich um Veranstaltungen der „Südmark“, Romane, Debatten um Nachnamen oder die richtige Kleidung handelte, überall verband sich das propagierte Deutschsein untrennbar mit dem Frausein. Wer Diskurse bisher lediglich für belanglose Wortfolgen hielt, der wird sich eines Besseren belehren lassen müssen, denn selbst die Wohnkultur verkündete Hausfrauentugenden. Auf Leinentüchern stand geschrieben: „Rein das Haus (Herz), rein der Sinn,/Ordnung draußen, Ordnung drin./Ein solcher Geist,/eine ordnende Hand/sie bringen Segen in Haus und Land.“ (S. 273) Als männlich galt es in dieser dichotomen Anordnung von Eigenschaften, das Land durch Waffengewalt zu verteidigen, während Weiblichkeit in der Betätigung hinter der Heimatfront bestand.

Die normativ enorm aufgeladenen Diskurse zum richtigen Verhalten von Frauen sind dabei keinesfalls vom Mittelalter überliefert gewesen, wie es sich einige Autoren der Bewegung zurechtlegten, sie waren ganz im Gegenteil moderne Phänomene. Weder die Anprangerung von „Mischheiraten“ (S. 376) noch die Verbreitung von Stillanleitungen oder auch der Versuch, die Geburtenrate der eigenen Population zu kontrollieren, gehörten in das Register mittelalterlicher Politikformen, sie sind eindeutig zur neuzeitlichen Biopolitik zu zählen. Zettelbauer arbeitet heraus, dass die Festschreibung weiblicher Eigenschaften ein elementarer Bestandteil des deutschnationalen Diskurses war, der die Verdeckung sozialer Differenzen und die Delegitimierung abweichender Verhaltensweisen bewirken sollte. So wurde die Einrichtung von „Fabrikskrippen“ (S. 343) diskutiert, die es Müttern erlauben sollten, sich innerhalb der Arbeitszeit um ihre Kinder zu kümmern. Ziel war es, die „Südmark“ auch für nichtbürgerliche Frauen interessant zu machen, indem die Folgen des Industrialisierungsprozesses benannt und Verbesserungsmaßnahmen gefordert wurden. Leider ist der Untersuchung nicht zu entnehmen, ob derartige Integrationsbemühungen erfolgreich waren. Abweichendes Verhalten bestand unter anderem im Tangotanzen, das als sexuell unanständig und undeutsch denunziert wurde, ein „Kritiker“ schrieb darüber: „Keine deutsche Mutter sollte es dulden, daß ihr Kind solcher deutschem Empfinden ganz und gar zuwiderlaufender Unsitte zum Opfer falle.“ (S. 372) Für Frauen galt auch das Erlernen von Fremdsprachen als falsch, da sie sich nicht mehr richtig um den Haushalt kümmern und die deutsche Sprache verlernen würden.

Alternative Geschichten des Nationalismus?

Der Verein „Südmark“ war ein zentraler Ort, um die Ansprüche der Bewegung zu vermitteln und durchzusetzen, denn er eröffnete ein Betätigungsfeld für Frauen, ohne sie in die eigentliche Sphäre politischer Aktivität vorlassen zu müssen. Sie waren Teil einer politischen Bewegung, organisierten sich in eigenen Sektionen des Vereins und nahmen darin auch Funktionärspositionen ein. Diese Organisierung veränderte den Alltag, sie half dabei, ihn deutschnational zu durchdringen, das heißt einer neuen Form von Disziplinierung zu unterstellen. Sie enthielt gleichzeitig aber auch die Möglichkeit, dass sich das Selbstbewusstsein der Aktivistinnen wegen ihrer im Grunde politischen Aktivität vergrößerte und sie ihre Rolle nicht mehr ohne weiteres akzeptierten. Zettelbauer zeigt anhand einer biographischen Skizze am Ende der Untersuchung, wie männliche Mitglieder Prozesse der Bewusstseinsbildung unterliefen, indem sie den politischen Charakter des Vereins aus dessen kollektivem Gedächtnis radierten. In einem Nachruf auf eine sehr aktive Funktionärin wurden die privaten Aspekte ihrer Geschichte erzählt, was sie hingegen politisch tat, fand keine Erwähnung.

Aus der Untersuchung ergeben sich Fragen. Die Stärke von Zettelbauers Arbeit liegt zweifelsohne in dem diskursanalytischen Vorgehen und der breit gefächerten Quellenlektüre, doch sind damit bereits die Grenzen des Verstehens gesetzt, denn von den Konflikten, die nicht oder nur in Form von starken Übersetzungen ihren Weg in die Publikationen fanden, erfahren wir nur am Rande. Wie sah die mündliche Form des Vereinsgedächtnisses aus, gab es eine Art von Parallelgeschichte? Wie eigneten sich die Leserinnen die Publikationen des Vereins an? Waren die dort vertretenen Positionen wirklich mit ihrer Lebensrealität vereinbar? Und wer blieb dem Verein fern? Aus welchen Gründen? Ungeachtet dieser Fragen liefert Zettelbauer eine differenzierte und gründliche Analyse, die viele bisher unbekannte Verbindungslinien zwischen den Kategorien Geschlecht und Nation offenlegt.

URN urn:nbn:de:0114-qn072112

Ruben Marc Hackler

Berlin/Neuere und neueste Geschichte

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