Jutta Wergen:
Frauen in Fahrberufen.
Geschlechterstrukturen in Bewegung.
Wiesbaden: Deutscher Universitätsverlag 2005.
229 Seiten, ISBN 3–8350–6001–5, € 35,90
Abstract: Jutta Wergen untersucht Geschlechterkonstruktionen in Männerberufen, indem sie Frauen befragt, die als Lkw-Fahrerinnen, als Binnenschifferinnen und als Bus- bzw Straßenbahnfahrerinnen im öffentlichen Nahverkehr arbeiten. Dabei kann sie zeigen, dass diese Berufe sehr unterschiedliche Kontexte für Geschlechterarrangements zur Verfügung stellen, von traditioneller Arbeitsteilung bis zur Umkehrung derselben. Der Kern der Erkenntnis dieser Arbeit, das sei hier schon vorweggenommen, ist bestechend und zugleich faszinierend einfach: die Trennung in ein „professionelles“ und ein „privates“ Geschlecht.
Das Herzstück der Arbeit ist die ausführliche und mit vielen Zitaten angereicherte Darstellung von 15 qualitativen (Leitfaden-)Interviews mit Fahrerinnen. Die Autorin ist sehr zurückhaltend mit Interpretationen und bietet eher eine kommentierte Nacherzählung der Interviews. Schön zu lesen sind die gliedernden Zwischenüberschriften aus Zitaten, ein Stilmittel, das in letzter Zeit zwar etwas aus der Mode gekommen ist, hier jedoch sehr sinnvoll eingesetzt wird. Durch das breite Auffächern der Interviews lässt Wergen viel Raum für eigene Überlegungen zum Thema, das macht das Lesen sehr angenehm und anregend. Auch inhaltlich macht diese ausführliche Darstellung des Materials Sinn, weil gerade die Unterschiedlichkeit der vorgestellten Lebensläufe später für die Interpretation und inhaltsanalytische Auswertung in Bezug auf Gemeinsamkeiten wichtig sein wird.
Obwohl es sich bei allen drei Berufen im Hinblick auf die historische Gewachsenheit, die Arbeitsanforderungen sowie den Frauenanteil um Männerberufe handelt, sind die Geschlechterarrangements in den untersuchten Berufen sehr verschieden.
Seit Frauen 1971 gesetzlich erlaubt wurde, als Fahrerinnen im ÖPNV zu arbeiten, steigt ihr Anteil dort ständig. Wergen arbeitet anhand der aktuellen Veränderungen im öffentlichen Nahverkehr (z. B. Privatisierungen) und der Interviews heraus, dass es sich hier um einen Beruf am Anfang seines Geschlechtswechsels handelt. Vor allem sinkende Löhne, aber auch die sich wandelnden Anforderungen hin zu mehr Dienstleistung und Kundenorientierung sorgen dafür, dass Bus- und Bahnführen immer weniger als männlich angesehen wird. Die Busfahrerinnen empfinden sich als „menschliche Puffer“ zwischen den starren Strukturen der Verkehrsbetriebe und den flexiblen Anforderungen der Fahrgäste. Eine Position, die sowohl „weibliches“ Einfühlungsvermögen als auch „männliche“ Durchsetzungskraft, vor allem aber soziale Kompetenz benötigt.
Dagegen gilt das Führen von Binnenschiffen in Deutschland noch uneingeschränkt als Männerberuf. Schifferinnen sind zumeist als Ehefrauen oder Töchter zu ihrem Beruf gekommen und haben aus wirtschaftlicher Notwendigkeit im Familienbetrieb ihre Ausbildung gemacht, oft mit dem Ziel, den männlichen Fahrer bei seiner Arbeit zu unterstützen, z. B. um ihm auf leichten Stecken Pausen zu ermöglichen. Die Tätigkeiten der Frauen auf dem Schiff sind vorrangig Haushalt, Buchführung sowie Hilfe beim An- und Ablegen. Auch wenn die Schifferinnen formal gleich qualifiziert sind und oft sogar juristisch die alleinigen Besitzerinnen von Schiffen sind, ist die tradierte Arbeitsteilung und damit auch die Geschlechterhierarchie beinahe unverändert geblieben. Laut Wergen sind es die privaten Beziehungen innerhalb der Familienstruktur, die den Rahmen für die Arbeitsteilung vorgeben. „In diesem Kontext arbeiten Schifferinnen nicht als Frauen in einem Männerberuf, sondern als qualifizierte Hausfrauen an Bord“ (S. 208).
Hingegen setzt im Beruf Lkw-Fahrer die „berufskulturelle“ (S. 208) Rahmung einen männlichen Fahrer voraus. Der Truckermythos ist verbunden mit Einsamkeit und einer sexualisierenden Abwertung von Frauen, die sowohl auf den Rasthöfen als auch im Funkverkehr permanent präsent ist. Das führt zu einer „Dauerthematisierung des ‚falschen‘ Geschlechts bzw. des ‚falschen‘ Berufs“ (S. 209).
Der „Erklärungsbedarf“ für die Anwesenheit von Frauen ist umso größer, je mehr das Berufsbild nicht nur von als männlich empfundenen Eigenschaften (wie z. B. Härte), sondern von der Darstellung der Männlichkeit (z. B. als Asphalt-Cowboy) abhängt. Vor allem für die Lkw-Fahrerinnen ist es notwendig, auf diese omnipräsente Männlichkeitsanforderung zu reagieren. Sie tun dies laut Wergen, indem sie sich während der Arbeit „so männlich wie möglich“ und „so weiblich wie nötig“ geben (S. 212). Sie legen sich ein „professionelles Geschlecht“ zu, geben sich in Habitus und Kleidung männlich und distanzieren sich von allem, was dem Stereotyp Frau nahe kommt. Nach Feierabend wechseln sie dann in ihr „privates“ Geschlecht und übernehmen innerhalb ihrer Familien/Beziehungen die Verantwortung für Hausarbeit und Kindererziehung. Auch Kleidung und Tonfall werden im privaten Bereich femininer. Durch dieses Spannungsverhältnis wird die permanent zu erbringende Konstruktionsleistung zur Herstellung von Geschlecht sichtbar und formulierbar.
Auf die Inhaltsanalyse durch Quervergleiche der drei Berufsgruppen lässt Wergen eine „theoretisch angeleitete Interpretation“ anhand der Themen „Beruf“ und „Geschlecht“ (S. 195) folgen. Nachdem die bisherige Arbeit fast ganz ohne Literaturzitate oder Verweise auf Theoriekonzepte auskommt, führt die Autorin nun in der Endauswertung Begriffe wie „work-life balance“ und „Gendermanagement“ ein, ohne sie herzuleiten oder zu begründen. Das Begriffspaar „Erwerbsarbeit“ – „Reproduktionsarbeit“ wechselt sich im Text ab mit der Kontrastierung „Arbeit“ versus „Leben“, einem Gegensatzpaar, das – den Gegensatz logisch zu Ende gedacht – zugleich impliziert, Arbeit sei nicht Leben, und Familie oder Haushalt seien nicht Arbeit (z. B. im Modebegriff work-life-balance). Die theoretischen Lücken und logischen Unpässlichkeiten der verwendeten Arbeitsbegriffe wirken sich jedoch glücklicherweise nicht auf die vorrangig aus der Empirie erarbeiteten Ergebnisse aus.
Die Ergebnisse der Studie und vor allem auch die empirienahe Darstellung führen weg von der weit verbreiteten Vorstellung, Frauen in Männerberufen seien unüberwindbaren, widersprüchlichen Anforderungen an Geschlechtsdarstellung ausgesetzt, und dies führe unweigerlich zu ernsthaften Problemen mit der eigenen Geschlechtsidentität. Durch den konsequenten Blick auf die Empirie und auf die Strategien der Befragten findet Wergen die einfache Auflösung dieses vermeintlichen Problems: das „berufliche“ und das „private“ Geschlecht. Und diese theoretische Öffnung und zugleich empirische Erdung des Themas ist meines Erachtens theoretisch wie politisch für die Diskussion um Frauen in Männerberufen von sehr großem Gewicht.
Wer Spaß an Empirie und vielen Interviewzitaten hat, wird an diesem Buch große Freude haben, auch wenn der methodische Teil für Methodenfanatiker/-innen viel zu kurz ist und eine methodische Selbstreflexion beinahe gänzlich vermissen lässt. Denjenigen, die nur an den theoretischen Ergebnissen der Arbeit und vor allem an den Begriffen „professionelles“ und „privates“ Geschlecht interessiert sind, sei der 2004 von Jutta Wergen veröffentlichte Aufsatz mit dem Titel: „Zwischen professionellem und privatem Geschlecht – Frauen in Fahrberufen und die Geschlechterkonstruktion westdeutscher Lkw-Fahrerinnen“ (In: Ingrid Miethe, Claudia Kajatin, Jana Pohl (Hg.): Geschlechterkonstruktionen in Ost und West. Biographische Perspektiven. Münster 2004, S.219–232) empfohlen. Dort legt die Autorin am Beispiel der LKW-Fahrerinnen ihre theoretischen Erträge klug, klar und komprimiert dar.
URN urn:nbn:de:0114-qn072246
Die Nutzungs- und Urheberrechte an diesem Text liegen bei der Autorin bzw. dem Autor bzw. den Autor/-innen. Dieser Text steht nicht unter einer Creative-Commons-Lizenz und kann ohne Einwilligung der Rechteinhaber/-innen nicht weitergegeben oder verändert werden.