Gender-Sketches of Spain. Karriere der Gynokritik und aktuelles weibliches Stellungsspiel auf der iberischen Halbinsel

Rezension von Rike Bolte

Elisabeth de Sotelo (Hg.):

New Women of Spain.

Social-Political and Philosophical Studies of Feminist Thought.

Münster: LIT 2005.

464 Seiten, ISBN 3–8258–6199–6, € 25,90

Abstract: Der von Elisabeth de Sotelo herausgegebene Sammelband New Women of Spain stellt einen substantiellen Beitrag zur hispanistischen und feministischen Forschung dar. In der sozialwissenschaftlich ausgerichteten Studie wird die Entwicklung des Feminismus in Spanien in den Blick genommen. Dabei werden auch dessen Interdependenzen mit den Varianten bzw. Etappen des U.S.-amerikanischen und deutschen Feminismus dargelegt. Die Evolution des iberischen Feminismus wird in dem informativen Band exemplarisch als Bewegung gegen prinzipielle Strukturen androzentrischer Gesellschaften verstanden. Dennoch wird dem eigenen Profil des spanischen Patriarchats – etwa mit seiner Apotheose während des Franquismus – präzise Rechnung getragen. Ein unentbehrliches Handbuch, auf das bald eine ähnlich ausgestattete Studie zur spanischen Karriere der ‘gender-queerness’ folgen könnte.

Inblicknahme des spanischen Feminismus: eigenes Profil und transnationale Osmose?

Dass sich das Bild, die Konstruktion von Weiblichkeit und die Situation von Frauen in Spanien mit der ‚Transición‘ von der Diktatur Francos zur Demokratie radikal verändert haben, ist hinlänglich bekannt. Die Entwicklung des Feminismus vor dieser Zäsur – 1977 wird in Spanien der 8. März offiziell anerkannt – und insgesamt der spanische Tribut an den Feminismus als internationale Bewegung hat bisher hingegen kaum Beachtung gefunden. Das von der am Pädagogischen Seminar der Universität Koblenz-Landau als Professorin tätigen Psychologin und Erziehungswissenschaftlerin Elisabeth de Sotelo herausgegebene Kompendium New Women of Spain versammelt auf über vierhundert Seiten die Stimmen spanischer Wissenschaftlerinnen, die sich zu den unterschiedlichen Stationen des Feminismus in Spanien äußern, und legt dar, in welcher Weise dieser nach einem fruchtbaren europäischen und transatlantischen Stoffwechsel seinerseits trans-iberisch abgestrahlt hat, also mehr als Produkt einer puren Osmose ist. Der englischsprachige Band hat einen soziopolitischen Fokus; beleuchtet werden: 1. die politische Transformation Spaniens inklusive der Herausbildung einer ‚Frauenmacht‘, 2. die Rezeption feministischer Theorie und Ansätze in Spanien, 3. die spezifische Formation der androzentrischen Kultur Spaniens sowie deren Effekte, 4. die kontradisziplinären, de- und rekonstruktiven weiblichen Selbstentwürfe in der Wissenschaft und innerhalb des kulturellen Feldes in Spanien, 5. die konkrete lebensweltliche Position von Frauen innerhalb der Familie, der Arbeitswelt, der politischen Machtausübung in Spanien und 6. Dispositive feministischer Erziehung und Politik.

Das hiermit vorliegende ‚Handbuch‘ des spanischen Feminismus schließt eine Forschungslücke. Es eröffnet geht von einer Bestandsaufnahme der gesellschaftlichen Modernisierungsprozesse aus, die sich in Spanien Mitte des 19. Jahrhunderts vergleichbar mit denen in Deutschland und den U.S.A. abzuzeichnen begannen, unter die auch eine Agenda weiblicher Rechte fiel. Diese waren zwar, gemäß eines „femenismo sensato“ (‚sensible feminism‘), innerhalb der Vorstellungen des Katholizismus formuliert (inklusive Festschreibung der Frau auf eine ‚emotionale Intelligenz‘ und Mutterschaft). Doch auch liberale Reformationen, die auf den Plan tretenden Wohlfahrtverbände und vor allem die voranschreitende Industrialisierung sowie der Zugang zu Bildungstätten bereits ab Mitte des 19. Jahrhunderts eröffneten den Frauen neue Horizonte. Die Gründung der Ersten Republik tat ihr Übriges. Ende der Zwanziger Jahre des 20. Jahrhunderts erschienen in Spanien vielfach emanzipatorische Frauenzeitschriften, 1931 wurde das Frauenwahlrecht eingeführt. Mit der Zweiten Republik wurde diese Entwicklung fortgeführt. Die franquistische Ära annullierte dann die Errungenschaften, Frauen wurden über Nacht gleichsam aufs Neue ‚verunsichtbart‘. Umso stärker war die ‚Explosion‘, die die Rehabilitation des Feminismus nach dem Tod Francos innerhalb der allgemeinen ‚Movida‘ der ‚Transición‘ bedeutete.

Stationen und Motive des spanischen Feminismus nach der ‚dark history‘, das androzentrische Prinzip und der aktuelle, unverbrauchte Stand der Gender-Dinge

Die Artikel, die das von Elisabeth de Sotelo zusammengetragene Kompendium enthält, wurden von namhaften Wissenschaftlerinnen geschrieben, die alle in etwa einer Generation angehören, nämlich jener der Mitte des 20. Jahrhunderts Geborenen, die also Mitte bzw. Ende zwanzig waren, als sich in Spanien der autoritäre patriarchale Vorhang hob. Im ersten Teil des Buches wird ein präziser Blick auf den Prozess der Wiederaneignung feministischen oder gynokritischen Selbstverständnisses nach 40 Jahren rabiater Androzentrik geworfen und dargelegt, dass diese Wiederaneignung ein wichtiger Bestandteil der Demokratisierung war; herausgestellt wird auch, dass der Verlust der basalsten Bürger/-innenrechte während der Diktatur die Diskriminierung nach gender-Maß relativiert hatte. Im zweiten Teil wird wiederum demonstriert, wie schnell spanische Frauenrechtlerinnen mit der Demokratisierung dennoch den Anschluss an die feministische Internationale fanden und welche eigenen Positionen sie ihr entgegenstellten. Im dritten Teil werden die diskriminierenden und hierarchisierenden Effekte einer androzentrischen Gesellschaft auf die gender-Strukturen untersucht; beleuchtet werden außerdem jene Alteritätskonstruktionen, die diese Gesellschaft anderweitig produziert. Dabei werden solche Bezirke mit ausgeleuchtet, in denen sich die Resultate der Konditionierung auf eine Weise zeigen, die sich dem zivilen Blick immer mehr entzieht – etwa innerhalb der Entwicklung der neuen Biotechnologien – d. h. in den gender-Differenzen innerhalb des szientistischen, schwer kontrollierbaren Sektors. Im vierten Teil werden die Effekte dieses Gesellschaftmodells innerhalb des geisteswissenschaftlichen und kulturellen Feldes verfolgt – des Diskurses der Psychologie, der Philosophie, der Soziologie der Literatur, des Films –, insbesondere hinsichtlich bestimmter Standpunkte, die nur vermittels patriarchaler Logik eingenommen bzw. verstanden werden können und deren Subvertierung sich als äußerst schwierig darstellt. Der fünfte Teil ist dem sich scheinbar zwar stetig, dennoch nicht fundamental wandelnden Feld gewidmet, das die Familien- und Arbeitswelt darstellt. Spanien wird hier als ein Exempel behandelt, das beweist, dass eine Gleichstellung von Frauen in Europa weiterhin bloßes Desiderat ist. Im sechsten Teil werden vergangene wie aktuelle Varianten feministischer Bildungs- und Erziehungsmodelle thematisiert, wobei die Tradition des romanischen Erziehungs- und Bildungswesens u. a. für das Verständnis der Prozesshaftigkeit des Bemühens von Frauen um einen aktiven Zugang zu diesem System geltend gemacht wird.

Datenreiche Studie über eine rasante und turbulente Historie – aus exemplarischer Sicht

Die Studie New Women of Spain belegt in überzeugender, kompetenter, theoretisch wie praktisch dichter und übersichtlicher Weise (die Studie enthält eine gute Anzahl von Graphiken und Tabellen), dass bezüglich der gender-Ordnung und bezüglich deren theoretischer und praktischer Inblicknahme in Spanien viel passiert ist in kurzer und auch erschütterter Zeit: Unterschiedliche turbulente und ebenso sinistre Epochen ließen den Wechsel von gender-Modellen rasant vonstatten gehen, so dass sich diese teilweise nur unvollständig etablieren konnten. New Women of Spain bietet hier zum Erforschen ein datenreiches und anschauliches Korpus und lässt auch in seiner theoretisch fundierten Perspektive die aktuellste politische Situation nicht aus. Das Kompendium ist auch für nicht speziell an Spanien Interessierte zu empfehlen, da es transkulturell angelegt ist, ohne (sprichwörtlich) ‚essentiell Spanisches‘ zu ignorieren, etwa dann, wenn ein Artikel sich dem Stierkampf (aus der gender-Perspektive) nähert. Schließlich bringt der von Elisabeth de Sotelo und ihren renommierten Autorinnen gelenkte Blick hinter die Pyrenäen die Erkenntnis ein, dass das Phänomen der Gleichzeitigkeit von ‚transgender-turn‘ einerseits und Rezession des Feminismus andererseits, das sich aktuell beobachten lässt, den Feminismus als Errungenschaft nicht relativieren kann. Ohne ihn wäre weder seine Rezession noch seine bunte Diversifizierung möglich. Ein überzeugender, sehr informativer, explizit feministischer Beitrag.

URN urn:nbn:de:0114-qn072052

Rike Bolte M.A.

Berlin/Freie Universität Berlin/Lateinamerika Institut

E-Mail: rikebolte@yahoo.com

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