„aber ich kehre mich an solche auch nicht“. Die radikale Pietistin und theologische Autorin Johanna Eleonora Petersen

Rezension von Mechthilde Vahsen

Ruth Albrecht:

Johanna Eleonora Petersen.

Theologische Schriftstellerin des frühen Pietismus.

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2005.

432 Seiten, ISBN 3–525–55830–9, € 59,00

Abstract: Johanna Eleonora von und zu Merlau, verheiratete Petersen, von jeher tief gläubig, veränderte die religiöse Welt des 17. Jahrhunderts. Sie bekannte sich zur Bewegung des Pietismus und vertrat radikale Ansichten, nicht nur im privaten Kreis, sondern als anerkannte und heftig kritisierte theologische Autorin. Ihrem Werk ist eine Studie gewidmet, in der neue Forschungsergebnisse vorgestellt und Leben und Werk dieser bedeutenden Autorin in zeitgenössische Diskurse eingebunden werden.

Schreibende Frauen im 17. Jahrhundert

Über die schreibenden Frauen des späten 18. Jahrhunderts heißt es, mit ihnen begänne die Eroberung der Literatur. Gemeint sind damit diejenigen Autorinnen, die in der Nachfolge von Sophie von La Roche ihr Geld als Berufsschriftstellerinnen verdienten oder es zumindest versuchten. Viele von ihnen arbeiteten gegen die misogynen Argumente an, nach denen Frauen auf dem Feld der Schönen Literatur nichts zu suchen hätten, indem sie unter Pseudonym veröffentlichten oder Männer als Herausgeber auftreten ließen.

Doch noch vor der Eroberung der Schönen Literatur wagten Frauen die Veröffentlichung von Schriften, z. B. auf dem Gebiet der Theologie, obwohl gerade hier kirchenrechtlich argumentiert wurde, das Weib solle schweigen in der Gemeinde.

Ein Beispiel für eine jener selbstständig denkenden, handelnden und schreibenden Frauen, die ihre religiöse Überzeugung und ein eigenes Denksystem in Schriften niederlegten und an die Öffentlichkeit brachten, ist Johanna Eleonora Petersen, geb. von und zu Merlau. Ihr Leben und vor allem ihr Werk und dessen Einordnung untersucht die evangelische Theologin Ruth Albrecht in ihrer Hamburger Habilitation. Um es gleich zu sagen: Das Buch ist eine Fundgrube an Quellen, Hinweisen und detaillierten Fakten; es besticht durch konsistente Darstellung, methodische Gewandtheit und fachliche Qualität.

Die religiösen Diskurse des 17. Jahrhunderts sind vielfältig, interessant ist für die von Ruth Albrecht verfasste Studie die Strömung des Pietismus, eine religiöse Bewegung, die sich in ihrer radikalen Ausprägung z. T. gegen lutherisch-kirchliche Rituale und Auffassungen wandte.

Eine der wichtigsten Vertreterinnen war Johanna Eleonora Petersen, die zusammen mit ihrem Mann J. W. Petersen zeitweilig die Entwicklung mitbestimmte und beeinflusste. Gegen die misogyne Tradierung, nach der viele Frauen nicht als eigenständige historische Subjekte, sondern als ‚Frau von’ benannt werden, weist Ruth Albrecht in ihrer sorgfältig recherchierten und quellenfundierten Forschungsarbeit nach, welchen Beitrag Johanna Eleonora Petersen innerhalb des Pietismus und der damit verbundenen religiösen Diskurse geleistet hat.

Johanna Eleonora von und zu Merlau, verheiratete Petersen

Johanna Eleonora von und zu Merlau wurde 1644 geboren und wuchs mit Privatunterricht auf. Mit 12 Jahren diente sie als Hofjungfer bei Anna Margaretha von Hessen-Homburg, später dann in Rödelheim und schließlich auf Schloss Wiesenburg im sächsischen Erzgebirge. Ihre Arbeit bestand aus der Bedienung der Herzogsfamilie bei Tisch, Reisebegleitung, Gästebetreuung und der Teilnahme an Festlichkeiten, die ihr jedoch nicht gefielen. Während der Jahre in Wiesenburg beschäftigte sie sich intensiv mit religiösen Schriften und lernte 1672 zwei bedeutende Pietisten kennen: Spener und J. J. Schütz, mit denen sich eine rege Korrespondenz entwickelte. Drei Jahre später beendete J. E. von und zu Merlau den Hofdienst und zog, 31 Jahre alt, nach Frankfurt, war intensiv in radikal-pietistischen Kreisen zu Gast, wechselte Briefe mit der berühmten Anna Maria von Schurman, mit William Penn und vielen anderen. Sie machte sich einen Namen in Frankfurt und darüber hinaus, nicht zuletzt wegen ihrer Diskussionsfreude. 1684 heiratete sie J. W. Petersen, die beiden wohnten zunächst in Eutin, später in Lüneburg. 1692 wurde ihr Mann suspendiert, die Familie übernahm das Gut Niederndodeleben in Brandenburg-Preußen und um 1709 das Gut Thymer.

Interessanterweise hat J. E. Petersen schon vor ihrer Heirat geschrieben, aber noch nicht publiziert. Sie erwähnte „mein Kämmerlein“: Das Woolf’sche „Zimmer für sich allein“ ermöglichte ihr während ihrer Ehe eine rege publizistische Tätigkeit.

Die Frauen, das Schreiben und der Pietismus

Johanna Eleonora Petersen veröffentlichte insgesamt 15 Werke zwischen 1689 und 1717, dazu zählen religiöse Erbauungsschriften, theologische Abhandlungen und autobiografische Texte. Die radikale Pietistin begann ihre Publikationstätigkeit zunächst mit Erbauungsschriften, eine literarische Form, die Frauen erlaubt war. Doch bereits hier zeigt sich Petersens Perspektive: Sie versteht „Theologie als hauptsächlich auf den Text der Bibel und den Erfahrungshorizont der eigenen Person angewiesene Schriftauslegung“ (S.125). Diese Bibelexegese betreibt sie mit den Schwerpunkten Eschatologie, Chiliasmus, Apokatastatis und Christologie. Verfolgt man ihre Werke, wie Albrecht es in einer klugen, detaillierten und die Rezeptionsgeschichte berücksichtigenden Interpretation tut, wird das Denksystem von Johanna Eleonora Petersen deutlich: Auch wenn sie im Alter zu lutherischen Positionen zurückkehrt, ist sie von einer ontologischen Ähnlichkeit von Gottheit und Menschheit überzeugt.

Doch um überhaupt auf diese Weise bibelexegetisch an eine Öffentlichkeit zu treten, in der es Frauen kirchenrechtlich versagt war und ist, öffentlich zu lehren, bedurfte es im 17. Jahrhundert einiger Legitimationsstrategien, die Albrecht präzise bestimmt. Sie zeigt, dass Petersen eine Argumentationsweise wählte, bei der sie sich nicht selbst das Recht auf Reden herausnahm. In dieser Perspektive ist „Gott derjenige […], der Frauen mit seinem Geist begabt, da diese als die Unmündigen und Elenden dafür besonders geeignet sind.“ (S.189)

Das Ehepaar Petersen lebte eine Partnerschaft, die von Zusammenarbeit geprägt war, ohne dass die Selbstständigkeit des Einzelnen davor zurücktrat. Sie publizierten nicht zusammen, doch die thematischen Überschneidungen lassen darauf schließen, dass sie sich intensiv austauschten. Die Autorin war als publizierende radikale Pietistin erstens wegen ihres Geschlechts und zweitens wegen ihrer Bibelexegese heftigster Kritik ausgesetzt, manchmal auch in den eigenen Reihen. Doch sie wollte nicht die Geschlechterordnung verändern, sondern ihre Überzeugung darlegen und auf diese Weise am theologischen Diskurs teilhaben.

Fazit

Albrecht beschreibt und analysiert in ihrer sehr kenntnisreichen Studie das Gesamtwerk der theologischen Schriftstellerin, als die Johanna Eleonora Petersen gesehen werden kann: Die Einordnung in das zeitgenössische Umfeld lässt eine herausragende Theologin und Bibelkennerin mit einem eigenständigen Blick auf die genannten Schwerpunkte hervortreten.

Im 18. Jahrhundert bezogen sich schreibende Frauen z. B. in Form von Lobgedichten aufeinander. Für das 17. Jahrhundert bzw. die Pietistinnen mit ihren Werken ist diese Form von Netzwerk noch nicht hinreichend untersucht, nicht zuletzt, weil die Forschungslage insbesondere zu den Korrespondenzen noch desolat ist. Hier wäre weiter anzusetzen, um z. B. die brieflichen Diskussionen zwischen den Pietistinnen zu edieren und damit ein weiteres Feld der Forschung wieder zugänglich zu machen.

Ruth Albrecht hat mit ihrer umfangreichen, gut zu lesenden und mit Werk- und Quellenverzeichnis ausgestatteten Studie die Basis dafür gelegt.

URN urn:nbn:de:0114-qn072254

Dr. Mechthilde Vahsen

Düsseldorf

E-Mail: vahsen@gmx.de

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