„Des Todes Entzückungen“. Überlegungen zum Verhältnis von Eros und Tod

Theresia Heimerl

1. Vorbemerkungen

Die Nähe von Eros und Tod ist ein Thema der Literatur und Ikonographie, seit es Literatur und Ikonographie gibt. Von der antiken Dichtung über den im Titel des Beitrags zitierten Novalis[1] bis Elfriede Jelinek[2], von römischen Sarkophagen bis zu Grabskulpturen des 20. Jh. – sie alle bringen scheinbar Gegensätzliches zusammen, veranschaulichen die Erotik des Todes und die Tödlichkeit des Eros.

Mailand, Italien
Mailand, Italien

Auf den ersten Blick sind Tod und Eros Gegensätze, ja schließen einander aus: Mit dem Tod endet der Eros, das einstmals begehrte Fleisch verwest und wird zu Staub, wie zahlreiche Texte und Bilder des Memento-Mori-Genres nicht müde werden zu betonen.

Es wird der bleiche Tod mit seiner kalten Hand
Dir endlich mit der Zeit um deine Brüste streichen /
Der liebliche Korall der Lippen wird verbleichen;
Der Schultern warmer Schnee wird werden kalter Sand /
(Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau: Vergänglichkeit der Schönheit)[3]

Doch gerade diese Dokumente, wie das bekannte Sonett von Hoffmannswaldau, wie sehr sie auch die Absicht haben, vor der Vergänglichkeit aller Erotik im Angesicht des Todes zu warnen, schaffen einen Zusammenhang von Tod und Eros, der über eine bloße zeitliche Abfolge hinausgeht.

Vielmehr macht etwa in Hoffmannswaldaus Gedicht gerade das Wissen um die Vergänglichkeit des begehrten Körpers diesen erst so begehrenswert, der Wunsch, diese kostbare, weil vergängliche weiße Haut noch zu streicheln, die roten Lippen noch vor ihrem Zerfall zu küssen. Und gleichzeitig wird hier jenes Bild beschworen, das Hans Baldung Grien gemalt hat:[4] Der Tod selbst begehrt, der Tod selbst verspürt Eros angesichts der (weiblichen) Schönheit. Der Tod, männlich imaginiert, will an die Stelle des Mannes treten und den weißen Hals streicheln, die roten Lippen küssen.

Umgekehrt wird in alter gnostisch-christlicher Tradition der Tod mit erotischer Weiblichkeit assoziiert.[5] Vor dem Eros, vor dem Begehren nach einer Frau wird als einem tödlichen Begehren gewarnt und dieser Warnung wird auch in scheinbar profanem Kontext in Gedichten wie der „Braut von Korinth“[6] Ausdruck verliehen. Zahlreiche Erzählungen handeln von ebenso begehrenswerten wie todbringenden Frauen, Clarimonde von Theophile Gautier, Judith, Lilith, Catherine Tramell, sie alle und ihre Schwestern, welche uns aus zahlreichen Bildern anblicken, verkörpern den tödlichen Eros und den erotischen Tod.[7]

Die Verbindung von Tod und Erotik ist nicht nur eine alte, sie ist auch eine vielschichtige und mehrdeutige, deren offensichtlichster Ausdruck zahlreiche erotische Grabskulpturen aus den letzten beiden Jahrhunderten sind: Hier kommen Tod und Eros nochmals in aller Deutlichkeit und aller Abgründigkeit zueinander.

2. „Love never dies“ – Tod als Trennung der Liebenden und Weg zur Ewigkeit der Liebe

„Love never dies“ – die Liebe stirbt nie, steht bezeichnenderweise als Untertitel auf dem DVD-Cover zu Francis Ford Coppolas Dracula.[8] Paradoxerweise ist es in dieser Version des Vampirmythos der Tod oder zumindest ein todesähnlicher, nicht-lebendiger Zustand, welcher das Weiterleben der Liebe ermöglicht. Zunächst einmal bedeutet Tod natürlich endgültige Trennung vom und unwiederbringlichen Verlust des/der Begehrten/Geliebten: Nie-mehr-Berühren der weißen Schultern, Nie-mehr-Küssen der roten Lippen. Der Tod des/der geliebten und begehrten Anderen bedeutet aber zugleich die Erinnerung an eben diese Schultern, diese Lippen im Augenblick ihrer größten Schönheit – und Tod und Verlust bedeuten das immerwährende, weil nie (mehr) gestillte Begehren danach. Der Tod beendet alle Änderungen und Wechselfälle des Lebens, er friert die Liebe und das Begehren gleichsam in einem bestimmten Zustand ein, konserviert einen Moment des Glücks, welcher andernfalls vergangen, im Alltag der Jahre zunichte geworden wäre.

Hamburg, Deutschland
Hamburg, Deutschland

Nicht von ungefähr enden die größten abendländischen Liebesgeschichten mit dem Tod zunächst eines und dann beider Liebender: Romeo und Julia sind das ideale Liebespaar, weil ihre Liebe, ihr Begehren nacheinander auf seinem Höhepunkt „in die Ewigkeit eingeht“. Weil der Tod sie davor bewahrt, ihren Eros im Alltag bewähren zu müssen, und ihren Körper davor, der Vergänglichkeit unterworfen zu werden. Der Tod zerstört zwar den jungen physischen Körper, er bewahrt aber die Erinnerung an den Körper vor Verfall und Vergänglichkeit im Sinne eines kontinuierlichen Alterungsprozesses.

Die großen Liebenden der europäischen Tradition sterben jung, und jung sind auch die Stein gewordenen Erinnerungen auf Friedhöfen, eben jenen Moment perpetuierend, in welchem die so Bedachten aus dem Leben und dessen Fluktuationen gerissen wurden. Und selbst jene, die alt sterben, deren weiße Schultern und rote Lippen nicht in ihrer Blüte vom Tod geküsst wurden, sondern die schon im Leben verwelkt sind, wollen sich selbst und anderen in „unvergänglicher“ Erinnerung bleiben. Eines der wenigen berühmten Liebespaare, welches in fortgeschrittenem Alter verstorben ist, Abaelard und Heloise, liegt am Friedhof Père Lachaise in Paris dennoch zeitlos schön in Stein gemeißelt.[9] Der Tod wird vom Sinnbild der Vergänglichkeit zur Ermöglichung der Unvergänglichkeit der Liebe und der Erotik.

Genua, Italien
Genua, Italien

Doch es ist nicht nur die Erinnerung des zurückgebliebenen Partners an die/den Verstorbenen „at her/his best“, in ihrem/seinem begehrenswertesten Zustand, welche der Tod ermöglicht, sondern der Tod wird in der europäischen Kulturtradition auch als nunmehr ewige, von keiner Trennung mehr bedrohte Wiedervereinigung der Liebenden verstanden. Für Romeo und Julia ebenso wie Abaelard und Heloise (und andere prominente Liebespaare) ist der Tod die einzige Möglichkeit dauerhafter Gemeinsamkeit, welche von keiner Religion, keiner Familie, keiner gesellschaftlichen Feindlichkeit mehr verhindert werden kann. Zugleich wird auch hier die Dauerhaftigkeit eines erotischen Glücksmomentes imaginiert, und zwar nicht als eine triviale Fortsetzung des unterbrochenen Lebens, sondern eine Umarmung für immer und ewig.

Diese Vorstellung geht religionshistorisch betrachtet von einem platonisch-christlichen Auferstehungs- bzw. Weiterlebensglauben aus, welcher ein Fortleben einer menschlichen Individuität annimmt, die Erinnerung an ihr irdisches Leben hat. Doch während Platon der vom irdischen Körper befreiten Seele die Schau der Ideen in Aussicht stellt[10] und die kanonische christliche Tradition in der Schau und Gemeinschaft Gottes das Ziel jenseitigen Glücks sieht,[11] spiegeln diese Grabskulpturen als ersehnten Zustand der Ewigkeit die Vereinigung mit dem/der Geliebten wider. Dieser Wunsch mag der christlichen Tradition ketzerisch oder säkularisiert anmuten, er ist jedoch in einem anthropomorphen, ja vermenschlichten Gottesbild der mittelalterlichen Liebesmystik vorgebildet, und es ist kein ganz so weiter Schritt vom Wunsch mittelalterlicher Mystikerinnen, doch im Tode dauerhaft mit ihrem himmlischen Bräutigam vereint zu sein, zu der Aussage Heloises, ihr Himmel sei mit dem Geliebten, ob im Himmel oder in der Hölle.[12]

Der eingangs zitierte Vampirmythos denkt genau diesen Gedanken konsequent zu Ende: „Nimm mich hinweg von diesem Tod“[13], sagt Mina Harker zu Dracula, als dieser zögert, sie zur Vampirin zu machen. Der Tod ist nicht der Biss des Vampirs, sondern die vergängliche Menschenwelt, welcher der unvergängliche Körper des Vampirs – eine Art Parodie auf den christlichen Auferstehungsleib – entgegensteht, für alle Zeiten vereint mit dem Geliebten ohne je wieder zu sterben. Nichts anderes „verkörpern“ auch die abgebildeten Grabskulpturen: Unvergängliche Körper, für immer beineinander, umarmt in alle Ewigkeit.

3. Der kleine und der große Tod – Die Ähnlichkeit der Erfahrungen von Tod und Eros

Die Beschreibung oder Darstellung erotischer Erfahrung als Todeserfahrung ist uns allen aus bildender Kunst, Literatur und Film geläufig. Die Bezeichnung des Orgasmus als „kleinem Tod“ bringt diese Nähe wohl sprachlich auf jenen Punkt, den George Bataille in seinem „Heiligen Eros“ über viele Seiten hinweg ausführt.[14] Die Umkehrung dieser Beschreibung, also der Tod als erotische Erfahrung, liegt nahe, begegnet uns aber in ihrer ausdrücklichen Form nicht ganz so häufig. Eher sind es Assoziationen von Eros und Tod, zumeist in Form eines potentiell oder auch real tödlichen Eros, welche auch im breitenwirksamen Diskurs des Hollywood-Kinos aufgegriffen werden. Jüngstes (wenn auch filmisch verunglücktes) Beispiel hierfür ist Basic Instinct2, sowie zahlreiche mehr oder weniger subtile Auseinandersetzungen mit dem Thema, von Liliana Cavanis politisch brisantem Il Portiere Di Notte bis zu Fatal Attraction.[15] Ausdrücklich thematisiert wird die Verbindung von Eros und Tod bzw. sogar das Ineinander von Todes- und Eroserfahrung im bereits oben in Kap. 2 angesprochenen Vampirfilm, welcher den „kleinen Tod“ und den „großen Tod“ zusammenfallen lässt im Biss des Vampirs/der Vampirin.[16]

Genua, Italien
Genua, Italien

Die auch religionswissenschaftlich gut belegte Nähe und Ähnlichkeit von Eros und Tod gründet wohl im Erleben beider Phänomene als Grenzerfahrungen bzw. Grenz-Überschreitungserfahrungen. In beiden Fällen wird, wie es Georges Bataille ausführt, die Grenze des Individuums überschritten.[17] Die Erfahrung des Eros ermöglicht freilich nachweislich eine Rückkehr in die Individualität, welche für den Tod zwar erhofft wird, aber letztlich offen bleibt. Eng verbunden mit der Erfahrung des Eros und Todes ist schließlich noch die Erfahrung des Heiligen, die Grenzüberschreitung schlechthin, weshalb jede Religion Tod und Eros zentrale Bedeutung beimisst und in irgendeiner Form die Verbindung der drei Erfahrungen thematisiert.

Genua, Italien
Genua, Italien

In unserer jüdisch-christlich sowie indirekt antik-gnostisch geprägten Kultur finden wir den Versuch, die Erfahrung des Heiligen und jene des Eros möglichst auseinander zu halten, ja als einander ausschließende Konkurrenten darzustellen, Eros und Tod im Sinne von Vergänglichkeit nahe und ursächlich zueinander zu rücken und das Heilige als Erlösung vom einen wie vom anderen zu präsentieren. Der Tod als Form des Übergangs zum Heiligen hingegen, ja als erste richtige und dauerhafte Begegnung mit dem Heiligen erfährt eine Aufwertung.

Die Ähnlichkeit in der Erfahrung von Tod und Eros wird daher in der Folge dieser Positionierungsversuche abendländischer Tradition negativ konnotiert, vor der Erfahrung des kleines Todes als direktem Weg in den großen Tod als schlimmste Form der Vergänglichkeit wird gewarnt, wofür zahlreiche Erzählungen und Legenden vorwiegend monastischer Provenienz eindrückliches Zeugnis sind.[18] Inhalt dieser Geschichten ist immer die Begegnung eines asketischen Mannes mit einer Frau, die Begierde nach ihr und die gerade noch rechtzeitig erkannten Tödlichkeit dieser Begierde nach einer vergänglichen, verwesenden, von Würmern zerfressenen Hülle.[19] Auf der anderen Seite begegnet uns in derselben Tradition eine kaum verhüllte Erotik des Todes, personifiziert in schönen Märtyrerinnen (und seltenen Märtyrern), deren Tod durch das Begehren und dessen Verweigerung ausgelöst wird (eine christliche Jungfrau verweigert sich einem römischen/persischen Lüstling).[20] Der Tod der Jungfrau vollzieht sich eben in der Zur-Schau-Stellung und anschließenden Zerstörung ihrer Schönheit in der Folter, welche unverkennbar sadistisch-sexuelle Züge trägt. Aus dem „heidnischen“ Soldaten wird der „Tod“, welcher sich das „Mädchen“ mit Gewalt gefügig macht. Der Tod ist in diesem Traditionsstrang Flucht vor dem Eros und gewaltsam-erotische Erfahrung gleichermaßen, gipfelnd im Tod als erotische Begegnung mit dem Bräutigam Christus.

Ehrendenkmal, Italien
Ehrendenkmal, Italien

Diese letzte Deutung des Todes als erotische Erfahrung unter christlichen Vorzeichen klingt noch lange nach, weniger in der Vorstellung der Hochzeit mit dem himmlischen Bräutigam als vielmehr in den zahlreichen erotischen, weiblichen Engelsfiguren, welche die Gräber (männlicher) Verstorbener zieren. Hier ist wohl eine Vermischung der germanischen Vorstellung von Begleiterinnen verstorbener Helden ins Jenseits (Walküren) mit der in sich polyvalenten und polymorphen christlichen Engelsfigur[21] festzustellen, welche – ähnlich wie unter Kap. 2 ausgeführt – als Zeichen einer fortgeschrittenen Säkularisierung christlicher Eschatologie gelesen werden muss, in der Eros und Tod in ihrer Verbundenheit wieder in den Vordergrund treten und dem religiösen Moment nur mehr den ikonpgraphischen Hintergrund zuweisen.

4. Der Tod und das Mädchen, der Mann und die „femme mortale“ – Geschlechterrollen, Tod und Eros

Tod und Eros sind, wiewohl abstrakte Begriffe, immer auch „gendered“, also mit bestimmten Geschlechterrollen verbunden. Der Tod, im Deutschen schon sprachlich, anders als in den romanischen und slawischen Sprachen (mors, smrt), männlich, wird sowohl ikonographisch als auch literarisch, wenn er personalisiert und als Tod (Skelett, Totenkopf) erkennbar auftritt, männlich imaginiert. Dieser männliche Tod, mit seinen Vorgängern in mittelalterlichen Totentänzen und geistlichen Spielen, verkörpert die klassisch männlich dominante Rolle, er begehrt Frauen und nimmt sich Frauen, notfalls auch mit Gewalt, wie Griens Bild des vom Tod an den Haaren gepackten Mädchens deutlich macht.[22] Männern gegenüber fehlt diese erotische Komponente entweder, d.h. sie werden vom Tod einfach „abgeführt“, oder aber es entsteht eine latent homoerotische Spannung zwischen lebendem Mann und Tod, welcher sowohl die aktive Rolle des (pädophilen) Verführers wie im „Erlkönig“ als auch die eher passive des schönen Jünglings wie in Novalis’ „Hymnen an die Nacht“ annehmen kann.[23]

Nicht so personifiziert, aber nicht minder bedeutsam ist die Tradition eines „weiblich“ besetzten Todes. Aus dem Tod wird zwar keine „Tödin“, kein weibliches Skelett, wohl aber gibt es in der Tradition, wie bereits oben angesprochen, eine enge Verbindung von Frau/Weiblichkeit und Tod und viele tödliche oder todbringende Frauengestalten. Der Tod, den sie bringen bzw. für den sie stehen, ist der Eros. Anders als der männlich imaginierte Tod, der eben auch als erotisch begehrend vorgestellt wird und nur in einigen Sonderformen wie dem schönen Jüngling oder dem Vampir durch den Eros den Tod bringen kann, sind Frauen geradezu synonym für die Tödlichkeit des Eros, ja werden sie als Personifikationen dieser letalen Erotik angesehen. Die Erotik, die von solchen „femmes mortales“ ausgeht, ruft ein derartiges Begehren (Eros) hervor, dass ihre Tödlichkeit erst erkannt wird, wenn es schon zu spät ist. Noch mehr, setzt sich mitunter der Mann wissentlich und willentlich dieser Gefahr aus. Alle von Brittnacher und Cella in ihren Beiträgen behandelten Texte kreisen um diese Problematik der verführerischen „femmes mortales“. In ihnen verkörpert sich im wahrsten Sinn des Wortes die Erotik des Todes, der kleine Tod geht in den großen Tod über. Der Verlust von Lebensenergien beim sexuellen Verkehr, vor dem schon die antike Medizin warnt,[24] wird zum Verlust des Lebens überhaupt.

Solche Frauen sind einerseits Angstphantasien, da sie den Mann um seine Selbstkontrolle bringen und ihn bis zur Auflösung der Individualität in Eros und Tod treiben. Andererseits sind sie wohl auch eine tröstliche Vorstellung des Todes, jedenfalls tröstlicher als die Aussicht, von einem unerbittlichen Sensenmann abgeführt zu werden oder bloß zu verwesen und zu verfallen. Die zahlreichen weiblichen erotischen Grabskulpturen an den Gräbern von Männern wollen wohl auch vor allem dieses: dem Tod seinen Schrecken nehmen und Hoffnung geben auf einen Tod, der Fortsetzung des kleinen Todes ist, nicht dessen unwiederbringliches Ende.

Mailand, Italien
Mailand, Italien

Schöne männliche Engel an Gräbern verstorbener Frauen hingegen sind äußerst selten. Man(n) gesteht Frauen wohl nur in den seltensten Fällen den Tod als erotische Erfahrung zu, außer natürlich mit dem eigenen Ehemann/Geliebten im Sinne des in Kap. 2 behandelten romantischen Liebesideals. Alles andere stört die patriarchale Ordnung und muss verfolgt werden, wie Stokers „Dracula“ deutlich vor Augen führt. Selbst Meet Joe Black, ein Film aus dem Jahr 1998, in welchem der Tod als schöner junger Mann auftritt und eine Liebesbeziehung zu einer Frau eingeht, endet nicht mit dem erotischen Tod dieser Frau, sondern der Tod entlässt seine Geliebte noch einmal in eine „normale“ Beziehung zu einem lebenden Mann.

5. Zusammenfassung

Ist der Eros tödlich oder der Tod erotisch? Erhoffen wir, durch den Eros den Tod zu überwinden oder gar im Tod den Eros zu verewigen? Oder begegnet die abendländische, christlich geprägte Tradition dem Eros mit so viel Misstrauen, weil er den Menschen zum Tode verführt?

Die Beziehungen von Eros und Tod sind vielfältig und vielschichtig, sie haben in der Geschichte immer wieder neue Aspekte hinzugewonnen und verschiedene Transformationen durchlaufen. Drei dieser Aspekte wurden hier beleuchtet, es gäbe noch viele weitere Themen im Spannungsfeld von Eros und Tod, welche eine nähere Auseinandersetzung lohnten.

Budapest, Ungarn
Budapest, Ungarn

Es sind zumeist Frauen, die in Stein gemeißelt auf (ihre) Männer warten, ihnen den Tod als erotische (Wieder-)Vereinigung in Aussicht stellen. Frauen selbst erhoffen im Tod, glaubt man den steinernen Zeugen des gesellschaftlichen Todes-Diskurses, ein monogames Wiedersehen. Frauen „verkörpern“ zwar buchstäblich den tödlichen Eros, für sie selbst aber gibt es keinen schönen, erotischen Tod, nur den vergewaltigenden Sensenmann früherer Jahrhunderte oder die Wiedervereinigung mit dem eigenen Ehemann.

Alle Text- und Bildzeugnisse zu Eros und Tod spiegeln uns so nicht nur die Faszination des Themas und die Zusammengehörigkeit der scheinbaren Gegensätze, sondern sie sagen uns auch etwas über die Geschlechterrollen ihrer Zeit aus, die bis in den Tod hinein und darüber hinaus festgeschrieben werden.

Anmerkungen

[1]: „(…) des Todes Entzückungen“ findet sich in: Novalis: Dichtungen und Prosa, hg. v. Claus Träger/ Heidi Ruddigkeit, Stuttgart 1975, S. 281 (Hymnen an die Nacht).

[2]: Elfriede Jelinek: Der Tod und das Mädchen. I-V: Prinzessinendramen, Berlin 2004.

[3]: Zitert nach: K.O. Conrady: Das große deutsche Gedichtbuch, Frankfurt 1987, S. 136.

[4]: Vgl. http://www.kunstkopie.de/images/product-pics/kunstdrucke/hi/011324g.jpg bzw. http://faculty.uml.edu/jgarreau/50.378/eros_thanatos.jpg (20. Juni 2006).

[5]: Vgl. Theresia Heimerl: Das Wort gewordene Fleisch. Die Textualisierung des Körpers in Patristik, Gnosis und Manichäismus, Frankfurt 2003, S. 241–263; 278–284.

[6]: Vgl. den Text unter http://www.literaturwelt.com/werke/goethe/brautkorinth.html (20. Juni 2006) und die Analyse unter dem Aspekt Tod und Eros von Petra Flocke: Vampirinnen. Ich schaue in den Spiegel und sehe nichts. Die kulturellen Inszenierungen der Vampirin, Tübingen 1999, S. 22–24.

[7]: Vgl. zum Thema Flocke, Vampirinnen; Hans R. Brittnacher: „Phantasmen der Niederlage. Über weibliche Vampire und ihre männlichen Opfer um 1900“ sowie Ingrid Cella: „ ‚… es ist überhaupt gar nichts da.‘ Strategien der Visualisierung und Entvisualisierung der vampirischen Femme fatale“, beide in: Poetische Wiedergänger. Deutschsprachige Vampirismus-Diskurse vom Mittelalter bis zur Gegenwart, hg. v. Julia Bertschik/ Christa A. Tczay, Tübingen 2005, S. 163–216.

[8]: Bram Stoker’s Dracula, Regie: Francis Ford Coppola, USA 1992.

[9]: Vgl. das Grabmal unter http://www.pere-lachaise.com/perelachaise.php?lang=.

[10]: Vgl. Platon: Phaidros 246a-251c, hg. v. Gunther Eigler, Darmstadt1981.

[11]: Vgl. Katechismus der Katholischen Kirche, Oldenburg1993, Art.12, S.291–300.

[12]: Vgl. Abaelard: Der Briefwechsel mit Heloise, hg. u. übers. v. Hans-Wolfgang Krautz, Stuttgart 1989, 68 (= 2.Brief, Kap.10) und Rudolf Mohr: „Mors mystica“, in: Wörterbuch der Mystik, hg. v. Peter Dinzelbacher, Stuttgart1989, S.364f.

[13]: Zitiert nach dem Drehbuch in: Bram Stokers Dracula. Der Film und die Legende. Das Buch von Francis Ford Coppola und James V. Hart, Hamburg 1993, S. 378.

[14]: Georges Bataille: Der heilige Eros, Neuwied1963.

[15]: Il Portiere Di Notte (dt.: Der Nachtportier), Regie: Liliana Cavani I1974; Fatal Attraction (dt.: Eine verhängnisvolle Affäre), Regie: Adrian Lyne, USA1987.

[16]: Vgl. Brittnacher, „Phantasmen der Niederlage“.

[17]: Vgl. Bataille, Der heilige Eros, S. 11–36.

[18]: Vgl. Heimerl, Das Wort gewordene Fleisch, S.133–140.

[19]: Vgl. etwa die Erzählung über einen Mönch, welcher über dem verwesenden Körper einer einst begehrten Frau so lange meditiert, bis ihm alle Lust vergangen ist; zitiert bei Heimerl, Das Wort gewordene Fleisch, S.135f.

[20]: Vgl. Heimerl, Das Wort gewordene Fleisch, S.47–60, mit zahlreichen Literaturhinweisen.

[21]: Vgl. Herbert Vorgrimer u.a.: Engel. Erfahrungen göttlicher Nähe, Freiburg 2001.

[22]: Vgl. http://faculty.uml.edu/jgarreau/50.378/eros_thanatos.jpg.

[23]: Vgl. Johann Wolfgang von Goethe: Erlkönig, in: Das große deutsche Gedichtbuch, S.247f., und Novalis, Dichtungen und Prosa, S.277–289.

[24]: Vgl. Aline Rousselle: Porneia. De la maîtrise du corps à la privation sensorielle. IIè – IVè siècle de l’ère chrétienne, Paris 1983, S.13–36.

Anmerkung der Redaktion: Den Essay begleiten Photographien von Reinhard Börner, Berlin. Wir danken dem Photographen für die unkomplizierte Bereitstellung der Bilder; wir haben sie in einer Galerie zusammengestellt.

Fotos: Reinhard Börner (8), privat (Portrait Heimerl)

URN urn:nbn:de:0114-qn072300

Theresia Heimerl

Theresia Heimerl

Geboren 1971, Studium der Deutschen und Klassischen Philologie (Dr. phil. 1995) und der katholischen Fachtheologie (Dr. theol. 2002) in Graz und Würzburg, Habilitation in Religionswissenschaft 2003 zum Thema Das Wort gewordene Fleisch. Die Textualisierungen des Körpers in Patristik, Gnosis und Manichäismus, Außerordentliche Professorin am Institut für Religionswissenschaft der Katholisch Theologischen Fakultät der Universität Graz; Forschungsschwerpunkte: Körper-Geschlecht-Eros-Religion; Gender und das Böse, Religion und Film.

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