Cilja Harders, Heike Kahlert, Delia Schindler (Hg.):
Forschungsfeld Politik.
Geschlechterkategoriale Einführung in die Sozialwissenschaften.
Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2005.
320 Seiten, ISBN 3–8100–4074–6, € 39,90
Abstract: Das Ziel des Bandes ist die Einführung in die sozialwissenschaftliche Geschlechterforschung. Die Bandbreite der vorliegenden Aufsätze umfasst grundsätzliche epistemologische Überlegungen, die Auseinandersetzung mit klassischen Ansätzen der Gesellschaftstheorie sowie kulturwissenschaftliche Perspektiven. Konsequent werden methodologische und methodische Fragen in den Mittelpunkt aller Beiträge gestellt, während die Definition des „Forschungsfeldes Politik“ eher unterbelichtet bleibt.
Feministische Forschung macht es sich nicht einfach: Komplex waren und sind die theoretischen und methodologischen Überlegungen, die Anschlüsse und Weiterentwicklungen aus der kritischen Widerlegung, Aneignung und Ergänzung von Ansätzen des „Male-Streams“ der Wissenschaften. Auch der von Cilja Harders, Heike Kahlert und Delia Schindler herausgegebene Sammelband ist der derzeitigen sozialwissenschaftlichen Frauen- und Geschlechterforschung in ihrer ganzen interdisziplinären Bandbreite gewidmet. Gleichzeitig soll diese Bandbreite so präsentiert werden, dass ein sinnvoll strukturierter Einstieg in die Forschungsrichtungen ermöglicht wird. Als roter Faden des Bandes dient zum einen die grundlegende Reflexion von Methodologie und Methoden der Forschung. Zum zweiten soll das „Forschungsfeld Politik“ im Mittelpunkt stehen: Auf eine Analyse dieses „Feldes“ sollen, so der in der Einleitung formulierte Anspruch, die Beiträge jeweils gerichtet sein. Somit verfolgt der Band eine doppelte Ausrichtung, die sich – obwohl er mit Gewinn zu lesen ist – als letztlich schwer einlösbar erweist.
Die einzelnen Beiträge, die theoretisch konzise und konzentriert sind, können an dieser Stelle nicht im Detail und umfassend diskutiert werden. Vielmehr sollen, die Strukturierung der Herausgeberinnen aufgreifend, die Themen und zentralen Fragestellungen vorgestellt werden.
Zunächst werden im ersten Teil „Verstehen verstehen“ von der Frauen- und Geschlechterforschung aufgeworfene grundlegende epistemologische Fragen angesprochen. Die Philosophin und Erkenntnistheoretikerin Sandra Harding skizziert die zentralen Themen und die Entwicklung der Standpunktmethodologie. Diese Methodologie reflektiere den sozialen, historischen und kulturellen Standpunkt der Forscherin und damit Kontext und Bedingung von Wissenschaft. Gleichzeitig werden damit die Machtverhältnisse zwischen Forscherin und Beforschten thematisiert – Fragen, die in der feministischen Forschung neben der Kritik am Androzentrismus der Wissenschaften grundlegend sind. Die standpunktmethodologisch motivierte Suche nach Konzepten egalitärer demokratischer Verhältnisse von Gesellschaft und Wissenschaft stelle, so Harding, eine ständige Herausforderung, aber auch ein wichtiges Korrektiv für die Sozialwissenschaften dar.
Den Auseinandersetzungen im Bereich universitärer Forschung widmet sich die Soziologin Gabriele Sturm. Die Klassifizierung sozialwissenschaftlicher Theorien nach Ritsert in die Modelle von Semantik (Aussagegehalt), Syntaktik (formallogische Prinzipien) und Pragmatik (Praxisbezug) dient ihr zur Beschreibung der Positionen im Methodenstreit zwischen Rational-Choice-Ansätzen und interpretativen Verfahren. Dabei verortet sie einen Grund für die Marginalisierung von Wissenschaftlerinnen im Methodenbereich in der einseitigen Konzentration der feministischen Forschung auf die Semantik und auf die damit üblicherweise verbundenen qualitativen Verfahren. Das wissenschaftliche Leitbild hingegen orientiere sich zunehmend an der Syntax – wo in der Regel enge „Meisterverhältnisse“ zur wissenschaftlichen Schulenbildung unter Ausschluss von Frauen führten. Somit sei die Wahl von Forschungsweisen unter Umständen entscheidend für persönliche berufliche Chancen innerhalb der Institution Universität.
Anschließend stellt der Pädagoge Jürgen Budde die kritische Männlichkeitsforschung vor. Diese begreift Männlichkeit, analog zur Sichtweise der Frauen- und Geschlechterforschung, als soziales Konstrukt. Die Thesen und Themen der kritischen Männlichkeitsforschung sollten, so Budde, in Verbindung mit weiteren Kategorien wie Ethnizität, Klasse oder Gesundheit in den Sozialwissenschaften aufgenommen und diskutiert werden. Mit der Biographieforschung stellt Susanne Sander einen konkreten methodischen Ansatz der feministischen Politikwissenschaft vor und beschließt damit den ersten Teil des Bandes. Sie präsentiert die Erkenntnisse, die aus der Analyse von Politikerinnenbiographien für Geschlecht als Struktur- und Prozesskategorie gewonnen werden können.
Im zweiten Teil des Bandes sind kritische Auseinandersetzungen mit klassischen Ansätzen sozialwissenschaftlicher Theorie versammelt. Sie werden auf ihre Eignung für die Geschlechterforschung geprüft. Anfangs gibt Delia Schindler einen Überblick über den US-amerikanischen Sozialkonstruktivismus. Sie systematisiert die Möglichkeiten der Übertragung zentraler konstruktivistischer Fragen auf die Analyse von Geschlecht und Gesellschaft. Ein konstruktivistisches Verständnis rücke die Frage nach dem „Wie“ der Konstruktion der Kategorie Geschlecht in den Vordergrund und ermögliche so eine produktive, prozessorientierte Sicht auf Geschlecht, auf das „doing gender“ (S. 111). Annette Henninger setzt sich in ähnlicher Weise mit der wissensorientierten Policy-Forschung auseinander. Sie stützt sich auf ihre Forschungen zur arbeitsmarktpolitischen Frauenförderung und verweist auf die Wirksamkeit tief verwurzelter Geschlechterbilder, die mit dem rationalen Akteurskonzept der Wissenspolitologie allein nicht erfasst werden könnten.
Die weiteren Aufsätze in diesem Teil des Bandes sind jeweils dem Werk eines bestimmten Autors zugeordnet. Steffanie Engler setzt sich mit Pierre Bourdieus Konzept der symbolischen Herrschaft auseinander. Heike Kahlert diskutiert die selektive Rezeption der Frauen- und Geschlechterforschung bei Anthony Giddens und plädiert für eine sowohl theoretisch als auch methodisch viel versprechende weitergehende Verschränkung von Geschlechterforschung mit Giddens‘ Gesellschaftstheorie. Mit Michel Foucaults Analyse des Regierens beschäftigt sich Andrea Bührmann. Sie würdigt die Resultate der angloamerikanischen Governmentality-Forschung, fordert aber eine Rückkehr zu den Schriften Foucaults, um im Anschluss kritische Perspektiven für die Geschlechterforschung zu entwickeln. Sie schlägt die Erweiterung der zentralen Frage Foucaults nach der Genese und den Effekten moderner Subjektivierungsweisen um die Dimension des Geschlechts vor. Methodisch lassen sich in ihrer Lesart dabei diskursanalytische, machtanalytische und dispositivanalytische Vorgehensweisen unterscheiden.
Zum Abschluss wird der Überblick über die sozialwissenschaftlichen Ansätze und methodologischen Positionierungen durch kulturwissenschaftliche Perspektiven ergänzt und damit der produktive interdisziplinäre Ansatz des Bandes abgerundet. Zunächst führt Ina Kerner in die Postkoloniale Kritik und die Critical Whiteness Studies ein. Sie fasst die Argumentationen von Carby, Spivak und Mohanty zusammen und vergleicht sie miteinander. Ähnlich wie die feministische Kritik erstmals den Androzentrismus der Wissenschaften offen legte, thematisieren Postkoloniale Kritik und Critical Whiteness Studies globale Machtzusammenhänge sowie ethnische Hierarchisierungen – auch in ihren historischen Voraussetzungen und geschlechtsspezifischen Effekten. Anschließend setzt sich die Literaturwissenschaftlerin Gayatri Chakravorty Spivak mit Texten Derridas auseinander und spricht sich für einen feministischen Dekonstruktivismus aus, der die Kategorie „Frau“ weiterhin benenne, sie aber im Lichte der dekonstruktivistischen, eigentlich auflösenden Perspektive kritisch reflektiere. Eine ähnliche Identitätskritik bildet den Ausgangspunkt der Queer Studies, die die Philosophin Antke Engel vorstellt.
Claudia Lenz und Kirsten Heinsohn führen dann sehr anschaulich vor, wie „Dekodieren als kritische Methode“, so der Titel des Beitrags, funktioniert. Anhand einer konkreten Studie über Guido Knopps Geschichts-"Dokumentation“ zu „Hitlers Frauen“ zeigen sie nicht nur, wie ein Bild der Geschlechterordnung des Nationalsozialismus reproduziert wird, das die Ergebnisse neuerer geschlechtergeschichtlicher Forschung zugunsten alter Klischees ignoriere. Gleichzeitig blende auch Knopps Repräsentation des nationalsozialistischen Herrschaftssystems insgesamt die (geschlechtsspezifischen) Handlungsräume und damit die Dimensionen der Zustimmung und Beteiligung der Deutschen aus. Die Autorinnen eröffnen hier eine medien- und geschlechterkritische Perpektive für geschichtspolitische Analysen.
Mit dem Blick auf das neue Medium Internet schließt der Sammelband. Katy Teubener beginnt ihren Beitrag mit einer ernüchternden Bilanz. Hoffnungen auf emanzipatorische und demokratisierende Potenziale des Internets kontrastiert sie mit dem Befund, das Internet sei inzwischen „der schlagkräftigste Beweis für die mit dem technischen Fortschritt in Wahrheit einhergehende Monopolisierung von Ressourcen“ (S. 301). Beim genaueren Hinsehen, so Teubner, eröffneten sich aber doch emanzipatorische Chancen. Bisher pflegten Frauen, so die Ergebnisse einer Studie über geschlechtsspezifisches Online-Verhalten, einen in der Regel eher instrumentellen Zugriff auf das Internet. Ein mehr spielerischer Umgang aber – ein „Flanieren im Cyberspace“ (S. 312) – sei der Schlüssel zu neuen Widerstands- und Politikformen.
Der Überblick über die Diskussionen im Bereich der sozialwissenschaftlichen Geschlechterforschung verfolgt die Genese dieses Forschungsbereiches von der Standpunktmethodologie bis hin zu neueren Einflüssen des Dekonstruktivismus und der Postkolonialen Kritik, die dazu herausfordern, die soziale und diskursive Konstruktion von Geschlecht multidimensional zu analysieren. Zusammen mit den kenntnisreichen geschlechterkritischen Lesarten einflussreicher sozialwissenschaftlicher Theorien bietet der Band einen – wenn auch voraussetzungsvollen – Einstieg in methodologische Fragen.
Die Fokussierung auf den Gegenstandsbereich der Politik ist in der Gesamtschau allerdings weniger gelungen. Bereits in der Einleitung wird auf den Versuch verzichtet, das „Politische“ zu definieren oder zumindest schärfer zu konturieren. Was für feministisches politisches Engagement immer richtig ist und auch für die interdisziplinäre Sozialwissenschaft nicht ganz falsch sein mag, dass nämlich buchstäblich alles politisch ist, lässt in punkto Zuschnitt des Forschungsbereiches zumindest die feministische Politikwissenschaftlerin zunächst etwas ratlos zurück: hier verspricht der Titel des Bandes mehr, als er zu halten vermag. Denn in den Beiträgen geht es nicht um unterschiedliche Zugänge und Perspektiven auf ein – wie auch immer zu beschreibendes – „politisches Feld“, sondern es wird auf grundsätzlich unterschiedliche Konzeptionen des Politischen rekurriert. Die einzige Gemeinsamkeit ist die negative Abgrenzung von enger gefassten Politikdefinitionen auf der einen Seite und die grenzenlose Ausweitung ihres Gegenstandsbereiches auf der anderen Seite. Ob hier die „totale Aufweichung“ (S. 21) des Politikbegriffs tatsächlich vermieden ist, scheint fraglich. Mit Laclau/Mouffe, auf deren Schriften sich auch die Beiträge des Bandes gelegentlich beziehen, ist es hier das „Politische“, das uns als „leerer Signifikant“ begegnet – und das ist auch ein interessanter Befund. Eine „Kartographie des Forschungsfelds Politik“ (S. 20) in der Perspektive feministischer Politikwissenschaft stünde somit noch aus.
URN urn:nbn:de:0114-qn073279
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