Katharina Walgenbach:
„Die weiße Frau als Trägerin deutscher Kultur“.
Koloniale Diskurse über Geschlecht, „Rasse“ und Klasse im Kaiserreich.
Frankfurt am Main, New York: Campus 2006.
298 Seiten, ISBN 3–593–37870–1, € 34,90
Abstract: Katharina Walgenbach setzt sich in ihrer Studie das Ziel, die Theorien und Begrifflichkeiten der angloamerikanischen Whiteness Studies in den historischen Kontext des deutschen Kolonialismus und Imperialismus zu übertragen. Zu diesem Zweck untersucht sie die kolonialistischen Diskurse des Frauenbundes der Deutschen Kolonialgesellschaft im Hinblick auf die strukturelle Verschränkung der Kategorien Geschlecht, „Rasse“ und Klasse. Sie kommt zu dem Schluss, dass deutsche bürgerliche und adelige pro-koloniale Aktivistinnen auf Basis ihrer privilegierten Klassenposition eine Weiße Identität konstruierten, die darüber hinaus geschlechtsspezifisch bestimmt wurde.
Anknüpfend an die Theoriebildung im Umfeld der Cultural und Postcolonial Studies wird im angloamerikanischen Raum schon seit den frühen 1990er Jahren die soziale Konstruktion von „Weißheit“ als unsichtbares gesellschaftliches System sozialer Privilegierung in Frage gestellt. Explizit feministische Beiträge zu den Critical Whiteness Studies rücken vielfach die Normativität Weißer Weiblichkeit oder die Beiträge Weißer Frauen zur Konstruktion normativer Weißheit in den Brennpunkt des Interesses. Die Whiteness Studies bilden damit eine Fortentwicklung der Theorien Schwarzer Feministinnen, die seit den späten 1980er Jahren in der Kritik des universalistischen Weißen Feminismus die Frage nach den jeweils historisch spezifisch durch Kolonialismus und Klassenherrschaft strukturierten „Machtverhältnissen zwischen Frauen“ aufgeworfen hatten. Im deutschsprachigen Raum regte der Schwarze Feminismus eine Auseinandersetzung mit dem Themenkomplex „Feminismus und Kolonialismus/Rassismus“ an, die – vornehmlich außerhalb akademischer Diskurse geführt – nur wenig Bezug zur deutschen Kolonialgeschichte aufwies. Eine Ausnahme bildete in diesem Kontext nur Martha Mamozais Buch Schwarze Frau, Weiße Herrin (1989). Darin wurde deutlich gemacht, dass nicht nur die Geschlechtergeschichte, sondern auch die Kolonialgeschichte des deutschen Kaiserreichs ein stark vernachlässigtes Kapitel deutscher Historiographie darstellt. Dieses akademische Forschungsdesiderat bildet den Ausgangspunkt der postkolonial orientierten Studie von Walgenbach über „koloniale Diskurse über Geschlecht, ‚Rasse‘ und Klasse im Kaiserreich“.
Katharina Walgenbach wirft Fragen nach der Geschlechtergeschichte in den deutschen Kolonien sowie nach der historischen Konstruktion Weißer Identitäten unter analytischer Berücksichtigung der interdependenten Kategorien Geschlecht, „Rasse“ bzw. Ethnizität und Klasse auf (vgl. S. 16). Im Mittelpunkt ihrer Untersuchung steht der Frauenbund der Deutschen Kolonialgesellschaft und dessen Zeitschrift „Kolonie und Heimat“. Basierend auf der diskurstheoretischen Auswertung von 127 Artikeln, die in „Kolonie und Heimat“ zwischen 1907 und 1914 erschienen sind, gelingt Walgenbach eine überzeugende Darstellung der gesellschaftspolitischen Programmatik und Orientierung deutscher bürgerlicher und adeliger pro-kolonialer Aktivistinnen. Sie demonstriert, wie sich in den Diskursen des national-konservativen Frauenbundes „rassentheoretische“ Annahmen mit einer national-völkischen sowie mit einer geschlechts- und klassenspezifischen Perspektive verbinden, die besonders im kolonialen Namibia („Deutsch-Südwest“) auf eine vollständige räumliche Segregation der einzelnen sozial und diskursiv konstruierten „Rassen“ abzielte. Als spezifisch „weiblichen“ Beitrag zur angestrebten deutschen Kolonisierung Namibias stellte der Frauenbund die Herstellung von „Weißheit“ im Sinn von „rassischer“ und national-"völkischer“ Exklusivität in Aussicht. Erreicht werden sollte dies vor allem durch die Immigration „deutscher Frauen“, die nunmehr als Trägerinnen einer mit „Familie“ und „Häuslichkeit“ identifizierten „deutschen Kultur“ bestimmt wurden. Diskurse über die „deutsche Frau“ nicht nur als Erzieherin ihres Schwarzen Dienstpersonals, sondern auch männlicher deutscher Siedler deuten auf die – diskursive – Aufwertung des sozialen Status der Weißen / deutschen Frau. Ebenso deuten sie auf die Verquickung kolonialer, nationaler und völkischer Diskurse mit dem Ziel der Frauen-Emanzipation. Darüber hinaus kann Walgenbach nachweisen, dass der Frauenbund, der außer einer verstärkten Ansiedlung „gebildeter Frauen“ den Export „weißer“ Dienstmädchen nach „Südwest“ anstrebte, letztlich die Beibehaltung der Klassenschranken unter „Weißen“ befürwortete. Unterstrichen wird dies durch Diskurse über „Verkafferung“ und die damit assoziierten Phänomene der „Mischehen“ und „Mischrasse/n“, die Walgenbach zu Recht als koloniale Metaphern für Proletarisierung und Proletariat interpretiert. Allerdings ignoriert sie dabei konsequent die tatsächliche Existenz einer zahlenmäßig nicht unerheblichen, sozial relativ geschlossenen Farmer-"Mischlingspopulation“ in Namibia: Es waren aber, wie eine Fülle von Quellen zeigt, gerade die so genannten „Rehobother Bastards“, die jene proletarisch konnotierte „Degeneration“ repräsentierten, deren Verhinderung vom Frauenbund zur „Kulturmission“ der „deutschen Frau“ stilisiert wurde.
Wenig geglückt scheint der formale Aufbau der Studie. Walgenbach entwickelt ihre theoretischen und begrifflichen Instrumentarien keineswegs anhand des von ihr gewählten Quellenmaterials, sondern geht vielmehr umgekehrt vor: Gleich eingangs formuliert sie ihr Ziel, „die angloamerikanischen Critical Whiteness Studies für den deutschen Kontext produktiv zu machen“ (S. 13), und widmet die ersten siebzig Seiten ihrer Arbeit ausschließlich der Theorien- und Begriffsbildung im Umfeld der Whiteness Studies. Nach einer historischen Einführung und einer Darstellung von „Material und Methode“, die im Hinblick auf die qualitative „Auswertung“ der Quellen viele Fragen offen lässt, werden endlich die „Ergebnisse“ der diskurstheoretischen Analyse präsentiert. Diese zeigen laut Walgenbach aber vor allem „quod demonstrandum erat“: die Anwendbarkeit der Whiteness Studies im Kontext des deutschen Kolonialismus.
Tatsächlich macht Walgenbachs Untersuchung deutlich, dass Whiteness im Kontext des deutschen Kolonialismus häufig als „deutsch-völkisch“ bestimmte „Germanness“ konstruiert und klar gegen die Whiteness britischer und burischer Siedler/-innen abgegrenzt wurde. Es hätte daher nahe gelegen, die Frage nach einer spezifisch deutsch-völkischen Konfiguration von Whiteness aufzuwerfen. Zur Annäherung an diese Frage hätte Walgenbach ihre eng auf den Frauenbund beschränkte Studie freilich ausweiten müssen. So hätte ihr die Analyse von Diskursen vergleichbarer britischer imperialistischer Frauenverbände unter Umständen erlaubt, zwischen einer spezifisch deutschen bzw. deutsch-völkischen und einer britischen Konfiguration von „Whiteness“ zu unterscheiden. Ein solches Vorgehen hätte darüber hinaus dazu beigetragen, die kolonialen Diskurse des Frauenbundes als spezifisch „deutsche“ Ausprägung des imperialistischen Diskurses über eine weibliche „Kulturmission“ („civilizing mission“) zu klassifizieren. Dabei handelt es sich entgegen Walgenbach, die anachronistisch zwischen „echtem“ egalitären Feminismus und anderen Feminismen unterscheidet, um einen feministischen mainstream-Diskurs, der zeitgenössisch sowohl von gemäßigten als auch von radikalen Weißen Feministinnen vertreten wurde. Die enge Verschränkung von spezifischen feministischen mit rassistischen, imperialistischen, nationalen und völkischen Diskursen wird in einer ganzen Reihe von neueren Arbeiten aufgezeigt. Deren Rezeption hätte nicht nur zur Vermeidung einiger der erwähnten Mängel der Studie beigetragen, sondern auch erlaubt, den Begriff der Whiteness im Hinblick auf spezifische nationale Diskurse näher zu bestimmen. Nichtsdestotrotz ist festzuhalten, dass besonders Walgenbachs diskurstheoretische „Ergebnisse“ einen wertvollen Beitrag zur aktuellen Auseinandersetzung mit „gender, ‚race‘, and class“ sowie „Weißheit“ darstellen.
URN urn:nbn:de:0114-qn073081
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