Rita Schäfer:
Im Schatten der Apartheid.
Frauen-Rechtsorganisationen und geschlechtsspezifische Gewalt in Südafrika.
Münster: LIT 2005.
496 Seiten, ISBN 3–8258–8676–X, € 29,90
Abstract: Die Autorin analysiert, wie effektiv Frauen-Rechtsorganisationen nach dem Ende der Rassentrennung am Prozess gesellschaftlicher Veränderungen mitgewirkt haben. In der umfangreichen Studie wird das historische Material zur politischen Transformation präzise dokumentiert. Zentraler Untersuchungsgegenstand sind die Interdependenzen von Geschlechterkonstruktionen und geschlechtsspezifischer Gewalt. Als interdisziplinärer Forschungsbeitrag stellt die Studie eine fundierte empirische Grundlage dar, um neue Präventionsansätze im Rahmen der Gender-, Gewalt- und Rechtsforschung in Südafrika zu erarbeiten.
Das Buch enthält vier große Abschnitte, in denen jeweils sowohl historische Entwicklungsprozesse strukturiert als auch deren Auswirkungen auf gegenwärtige politische Verhältnisse in Südafrika untersucht werden. In allen Abschnitten geht es Rita Schäfer um die Beantwortung der schwierigen Frage, unter welchen Voraussetzungen Transformationsprozesse entstehen und wie Frauen in gesellschaftlichen Übergangsphasen einerseits als Opfer geschlechtsspezifischer Gewalt und andererseits als Akteurinnen rationaler Transformation involviert sind.
Im ersten Teil (S. 45–106) werden historische Phasen behandelt, in denen sich Geschlechterhierarchien und geschlechtsspezifische Gewalt verfestigen konnten. Die Autorin weist nach, dass bereits in der Zeit kolonialer Herrschaft und Sklaverei bis zu den Widerstandsbewegungen gegen die Apartheid kontinuierliche Entwicklungen geschlechtsspezifischer Gewalt existierten. Besonders ausführlich werden rassistische und sexistische Diskriminierungen während der Apartheid (1948–1994) dargelegt sowie eskalierende Gewaltformen während des Widerstandes gegen das Apartheidregime. Im Rahmen der Rekonstruktion dieser Geschichte der Gewalt werden parallel Maskulinitätskonzepte als Legitimationsmöglichkeiten für gewalttätiges Machthandeln berücksichtigt.
Mit differenzierten Lebenswelten von Frauen, in denen geschlechtsspezifische Gewalt eine Rolle spielt, beschäftigt sich der zweite Teil (S. 107–219). In diesem Abschnitt analysiert die Verfasserin das Verhältnis von Gewaltformen im öffentlichen und privaten Raum. Geschlechtsspezifische Gewalt in Ehen, Familien und Partnerschaften wird ebenso beschrieben wie Geschlechterhierarchien in Städten, bei der ländlichen Bevölkerung, in Schulen und Universitäten, im Gesundheitswesen, in religiösen Gemeinschaften und als Thema künstlerischer Ausdrucksform. Es wird aber nicht nur umfangreiches empirisches Material präsentiert. Jedem Raum einzelner Gewaltformen werden zusätzliche Aspekte hinzugefügt: beispielsweise an den Folgen geschlechtsspezifischer Gewalt orientierte Analysen, etwa Reaktionen des Staates auf Gewaltausübung oder die Auswirkungen auf Gewaltopfer, wenn tabuisierende Mechanismen oder bagatellisierende Schuldzuweisungen einsetzen (vgl. S. 130 ff.).
Im dritten und vierten Abschnitt der Studie geht es schließlich um Frauenrechte und Frauen-Rechtsorganisationen (S. 221–324). Es werden neue Konzepte des Gewaltschutzes vorgestellt und die historischen Entwicklungen von Frauenorganisationen seit Beginn des 20. Jahrhunderts analysiert. Mit der Darstellung neuerer Entwicklungen von Frauen-Rechtsorganisationen, die z. T. ganz unterschiedliche Gender-Konzepte verfolgen, beschließt die Autorin ihre Studie und fragt, inwieweit diese neueren Strömungen zur Umsetzung des Gewaltschutzes beigetragen haben und wie es um die Perspektiven zur Einhaltung von Frauenrechten in Südafrika steht.
Die rechtliche Lebenswirklichkeit südafrikanischer Frauen sieht düster aus. Obwohl im Rahmen der Aufarbeitung staatsverstärkter Kriminalität in Südafrika unter anderem auch der gesetzliche Schutz von Frauen verfassungsrechtlich abgesichert wurde, entsprechende Gewaltschutzgesetze erlassen wurden und sich Frauenorganisationen für die Umsetzung geltenden Rechts einsetzen, bleibt die alltägliche Konfrontation mit Gewalt und insbesondere mit geschlechtsspezifischer Gewalt konstant. Rita Schäfer analysiert vor dem Hintergrund sozial-kultureller und historischer Zusammenhänge, dass es sich bei dieser offensichtlichen Diskrepanz zwischen rechtlichem Anspruch und Lebenswirklichkeiten nicht nur um gesetzliche Schwächen im Kampf gegen häusliche und gesellschaftlich-öffentliche Gewalt handele, sondern dass es vor allem an politischem Umsetzungswillen fehle und auch an Ressourcen zur Reform von Judikative und Exekutive sowie an hinreichenden präventiven Maßnahmen für einen umfassenden Schutz der Frauen.
Die Autorin definiert geschlechtsspezifische Gewalt zunächst ganz allgemein als „interessengeleitetes Machthandeln“ (S. 4) und beschreibt diese Gewalt konkreter als „Aktionsmacht und Verletzungsmacht“ (S. 12). Bei geschlechtsspezifischer Gewalt geht es nach Ansicht der Autorin um „Machthandeln als beabsichtigte Schädigung anderer, um Überlegenheit und Indifferenz gegenüber Opfern, aber auch um Verherrlichung, Legitimation und Sanktionierungen“ (S. 12), um „Machthandeln des oder der Gewaltakteure, die ihre dominante Position und ihre Kontrollansprüche festigen wollen“ (S. 108). Gewalthandeln manifestiere und spiegele gesellschaftliche Machtverhältnisse. Einzelne Gewaltformen seien als „Teil interdependenter und sich wechselseitig verstärkender Gewaltkontinuitäten und –dynamiken“ (S. 108) zu verstehen. Geschlechtsspezifische Gewalt sei nicht triebhaftes und irrationales Aggressionspotential, sondern durchaus „gesellschaftlich geprägtes, rationales Handeln in bestimmten zeitlichen und sozio-kulturellen Gewaltkontexten“ (S. 108). Darüber hinaus stellt Rita Schäfer das Spannungsverhältnis von Gesetzesgrundlagen und gleichwohl konstanten Gewalt- und Vergewaltigungsraten in Südafrika in den Zusammenhang von patriarchalen, sexistischen und rassistischen Geschlechterkonstruktionen. Die Autorin weist nach, unter welchen gesellschaftlich transformierten Sozialstrukturen wechselseitige Abhängigkeiten zwischen geschlechtsspezifischer Gewalt und Gender-Konstruktionen bestehen. Einer grundlegenden Transformation stünden verschiedene Geschlechterkonstrukte und entsprechende Maskulinitätskonzepte, die vor allem auf Gewaltbereitschaft sowie auf Besitz- und Kontrollansprüchen beruhten, entgegen. Die Autorin belegt, wie schwierig es ist, politische Strategien des ehemaligen Apartheidregimes zu durchbrechen. Eine wesentliche strategisch-politische Linie des staatlichen Machtapparats bestand neben der Entrechtung und Demütigung der Afrikaner insbesondere darin, Geschlechterhierarchien in diesen sozialen Verhältnissen totalitär zu vertiefen, indem Frauen prinzipiell für rechtsunmündig erklärt wurden und die staatlichen Organe geschlechtsspezifische Gewalt duldeten.
Rita Schäfer möchte – indem sie von außen als objektive Beobachterin auftritt – durch konstruktiv kritische Sichtweisen neue Wege im wissenschaftlichen Umgang mit der Gewaltthematik aufzeigen (vgl. insbesondere S. 13 ff.). Ihren Wissenschaftskolleginnen in Südafrika bescheinigt sie, Gewalt im Geschlechterverhältnis weiterhin zu marginalisieren und „normativ hinzunehmen“ (S. 13). Als Forschungsthema habe sich der wissenschaftliche Umgang mit geschlechtsspezifischer Gewalt noch nicht hinreichend durchsetzen können. Ähnlich sehe die Praxis von Gleichstellung und Gewaltschutz aus. Während sich frühere Entwicklungen der organisierten Frauen als Teil nationaler Befreiungsbewegungen auszeichneten und sich vornehmlich gegen diskriminierende Behandlung seitens des Apartheidregimes richteten, konzentriere sich die Arbeit der gegenwärtigen Frauen-Rechtsorganisationen auf „Transformation der Rechtsrealität“ (S. 264). Spezifische Frauenthemen aufgreifend und Geschlechteridentität durchaus erfahrend, möchten sie nun jedoch lediglich informative und rechtsberatende Funktionen ausüben. Das – so Rita Schäfer – sei zu wenig, wenn man Gewaltformen in Südafrika dauerhaft durchbrechen und wenn man Gewaltausübung im Alltag tatsächlich reduzieren möchte. Ursachen für diese schwache Auseinandersetzung mit der Rechtsrealität sieht die Autorin insbesondere in „konträren Gender-Konzepten“ (S. 270 ff.), die von tradierten Frauenbildern bis zu praxisorientierten Strategien reichten. Wesentlich erscheint allerdings, dass die Bedeutung der Frauen-Rechtsorganisationen bei allen strukturellen und inhaltlichen Unterschieden darin besteht, geschlechtsspezifische Gewalt gegen Frauen nicht länger als Tabu-Thema zu betrachten, sondern öffentliche Diskurse anzustrengen. Gleichheit und Differenz im Geschlechterverhältnis als Bestandteil gesellschaftlicher Ungleichheiten zu behandeln, das bliebe jedoch die zukünftige Aufgabe der Frauen-Rechtsorganisationen.
Die interdisziplinäre Studie ist viel zu umfangreich, als dass jedes Detail der historischen Entwicklungen Südafrikas im Rahmen dieser Rezension mitgeteilt werden konnte. Schade eigentlich, denn eines ist sicher: Jeden Abschnitt zu lesen, ist lohnenswert und erkenntniseffektiv. Das gilt für die Frauen- und Geschlechterforschung ebenso wie für andere wissenschaftliche Disziplinen. Die Arbeit von Rita Schäfer stellt eine grundlegende und herausragende Leistung dar. Soziologie, Sozialanthropologie, Sozialphilosophie und nicht zuletzt Grundlagenfächer der Jurisprudenz mit Blick auf Frauen-, Menschen- und Völkerrecht können durch die Studie eigene Forschungsinteressen vertiefen und den Blick auf die eigene Wissenschaft erweitern.
URN urn:nbn:de:0114-qn073133
Prof. Dr. Regina Harzer
Universität Bielefeld; Fakultät für Rechtswissenschaft/Lehrstuhl für Strafrecht und Rechtsphilosophie; Interdisziplinäres Zentrum für Frauen- und Geschlechterforschung (IFF)
E-Mail: regina.harzer@uni-bielefeld.de
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