Maren Oepke:
Rechtsextremismus unter ost- und westdeutschen Jugendlichen.
Einflüsse von gesellschaftlichem Wandel, Familie, Freunden und Schule.
Opladen: Barbara Budrich 2005.
535 Seiten, ISBN 3–938094–27–3, € 48,00
Abstract: Der Titel des Buches weckt die Erwartung, umfassend über die Ursachen von jugendlichem Rechtsextremismus aufgeklärt zu werden. Maren Oepke kann diese Erwartungen nicht befriedigend erfüllen und bleibt hinter den Ergebnissen der Rechtsextremismusforschung der letzten Jahre zurück. Dies liegt einerseits darin begründet, dass die Datenbasis ihrer Studie Anfang bis Mitte der 1990er Jahre gewonnen wurde. Andererseits ermöglicht ihr methodisches Vorgehen nur begrenzte Aussagen über Genese und Wirkmechanismen sozialer Prozesse.
Das knapp 500 Seiten umfassende Werk von Maren Oepke folgt in seinem Aufbau dem klassischen Vorgehen einer quantitativen empirischen Untersuchung. Nach einem Vorwort und der Problemstellung folgen vier Teile. Im ersten Teil (Kapitel 1–5, S. 29–150) erarbeitet die Autorin die theoretischen Grundlagen für ihre Untersuchung. Teil II umfasst die Kapitel 6 und 7 (S. 153–212). Es wird in das Arbeitsmodell, die Hypothesen der Untersuchung und das methodische Vorgehen eingeführt. Im 3. Teil (Kapitel 8–13, S. 215–401) werden Forschungsergebnisse vorgestellt. In Teil IV (Kapitel 14 und 15, S. 405–490) erfolgt die Diskussion der Ergebnisse mit einem abschließenden Kapitel, welches der Frage nach dem ‚Was tun?‘ gewidmet ist.
Das Buch ist gut strukturiert, durch das detaillierte Inhaltsverzeichnis ist ein genauer Überblick der im Einzelnen behandelten Aspekte zu erlangen. Die klare Orientierung geht während der gesamten Lektüre nicht verloren, insbesondere auch deshalb, weil die Autorin ihre Argumente und Aussagen beinahe durchgängig durch Zusammenfassungen am Ende der Abschnitte pointiert.
Maren Oepke tritt mit dem Ziel an, erziehungswissenschaftlich relevante Ursachenforschung zur die Entstehung rechtsextremer Einstellungen bei Jugendlichen zu leisten. Als Datenbasis ihrer Untersuchung dient ihr ein Teil des Datensatzes des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Forschungsprojektes „Individuation und sozialer Wandel“ der Universität Mannheim. In diesem zwischen 1992 und 1998 angelegtem Projekt wurden im jährlichen Abstand (beginnend im Winter 1992/93) etwa 200 Familien in Mannheim und Leipzig schriftlich befragt. Das Verfahren für die Auswahl der Familien bleibt offen, so dass zwar der ungewöhnlich hohe Anteil an weiblichen Jugendlichen insgesamt und der der Gymnasiast/-innen in Leipzig erwähnt wird, nicht aber wie diese Anteile zustande kommen. Auch ist nicht explizit ausgeführt, ob die Aussagen zu ‚Transmissionen in den Familien‘ auf der Auswertung der realen Familienverbände basieren.
Die Autorin verwendet die Jugendlichen- und die Elterndaten der ersten drei Erhebungswellen (1992/1993–1994/95) dieser Studie für ihre Untersuchung. Dabei muss angemerkt werden, dass dieser Zeitraum ungewöhnlich kurz für eine längsschnittliche Betrachtung erscheint. Hinzu kommt – und dies problematisiert die Autorin selbst – eine überdurchschnittlich hohe Ausfallquote von 58,1% (durchschnittlich liegt die Ausfallquote für längsschnittliche Untersuchungen in Deutschland bei 43,5%, s. S. 170).
Maren Oepke erarbeitet mit Hilfe von entwicklungs- und handlungstheoretischen Erkenntnissen und auf der Basis von Ergebnissen zahlreicher Studien ein komplexes Faktorenmodell, indem sie gesellschaftliche Wandlungsprozesse, soziale Faktoren (wie Familie, Schule und Gleichaltrige) und individuelle Ressourcen für die Entwicklung rechtsextremer Einstellungen identifiziert. „Zusammenfassend stellt sich die Entstehung rechtsextremer Orientierungen von Jugendlichen dem Modell zufolge als das Ergebnis eines komplexen Zusammenspiels von Einflussgrößen aus der Gesellschaft, der Familie, der Schule und der Freunde und Peers dar“ (S. 157). Ferner entwickelt Maren Oepke Zusammenhangshypothesen über den Untersuchungszeitraum von drei Jahren für einzelne Faktoren im Hinblick auf die Herausbildung rechtsextremer Einstellungen. Mit diesem längs- und querschnittlichen Arbeitsmodell und dessen Operationalisierung betritt die Autorin meines Wissens nach Neuland im Bereich quantitativer Rechtsextremismusforschung. Es gelingt ihr, das Arbeitsprogramm konsequent durchzuführen bis dahin, einzelne Ergebnisse für übergreifende Änderungen von gesellschaftlichen und familialen und insbesondere auch schulischen Bedingungen aufzubereiten. Dabei kommt sie zu dem Schluss, „dass Maßnahmen zur Verminderung des Rechtsextremismuspotenzials unter Jugendlichen ohne den Einbezug der Eltern und der Politik wenig Erfolg versprechen, da Rechtsextremismus ein gesamtgesellschaftliches Problem darstellt, das zu bearbeiten nicht nur in den Verantwortungsbereich der Schule gelegt werden sollte, da diese damit überfordert wäre“ (S. 472).
Unter dem Gesichtspunkt des Anspruchs „Ursachenforschung im Hinblick auf die Entwicklung rechtsextremer Einstellungen“ überzeugt mich das methodisches Vorgehen und hier insbesondere die Formulierung von Hypothesen jedoch nicht. Im Folgenden möchte ich auf diesen Aspekt genauer eingehen.
Mein Argument ist, dass bei einer Hypothesenbildung, die stark an bisher diskutierten Erklärungsmustern orientiert ist, die Chance der Entdeckung gering ist. Vielmehr birgt ein solches Vorgehen die Gefahr, die in der Forschung dominierenden Erklärungen zu reproduzieren – was sich besonders gut im Bereich der Forschung und Diskussion jugendlichen Rechtsextremismus aufzeigen lässt. Sie sind geprägt durch zwei sehr gegenläufige Entwicklungen: Einerseits wurde in den beiden letzten Jahrzehnten eine unüberschaubare Menge an Untersuchungen mit sehr differenzierten Ergebnissen produziert, allerdings ist es kaum möglich, alle neuen Studien Disziplinen übergreifend zu rezipieren. Auf der anderen Seite ist die Debatte über die Ursachen jugendlichen Rechtsextremismus, vermutlich u. a. ausgelöst durch die Untersuchung von Heitmeyer (1987) bis in die Gegenwart insbesondere in der Soziologie und den Erziehungswissenschaften sehr stark dominiert von der Vorstellung, rechtsextrem orientierte Jugendliche seien durch gesellschaftliche Veränderungen desorientiert, wenig erfolgreich und ‚problembelastet‘. Viele Untersuchungen basieren auf diesem Ansatz oder unterliegen implizit oder explizit diesem Erklärungsmuster, so auch die vorliegende Arbeit. Maren Oepke reproduziert diese Vorstellung indem sie bspw. folgende Hypothesen in Bezug auf rechtsextreme Jugendliche formuliert: „Rechtsextrem orientierte Jugendliche sollten sich danach durch folgende Merkmale auszeichnen:
Diese Formulierung von Hypothesen weist recht eindeutig auf die Wahrnehmung rechtsextremer Jugendlicher als unsicher und randständig hin, und sie vernachlässigt andere denkbare Konstellationen – wie bspw. gebildete Jugendliche mit einem politisch links orientierten Elternhaus und klaren Zukunftshorizonten, die ebenfalls im rechtsextremen Milieu zu finden sind. Auch entfallen Aspekte, die kaum erforscht, dethematisert oder in Studien selten angesprochen worden sind. So vernachlässigt Maren Oepke z. B. das Thema Nationalsozialismus bei der Formulierung von Hypothesen – hier reproduziert sich meiner Ansicht nach eine in der Forschung über jugendlichen Rechtsextremismus recht starke Neigung, mögliche Zusammenhänge zwischen dem Nationalsozialismus und dem gegenwärtigen Rechtsextremismus zu negieren. Mögliche Ursachenzusammenhänge werden dadurch ausgeklammert. Das gilt auch im Hinblick auf die Beschäftigung mit der Frage nach rechtsextremen Einstellungen von Mädchen und Frauen. Die Autorin übernimmt Forschungspositionen zu Rechtsextremismus bei Frauen vom Anfang der 90er Jahre, nach denen Frauen auf der Einstellungsebene in gleicher Weise wie Männer zu rechtsextremen Einstellungen tendieren, und folgert daraus für ihre eigene Hypothesenbildung: „Auf den Faktor Geschlecht kann nach den Ergebnissen der Voranalysen verzichtet werden“ (S. 216). Damit reproduziert die Autorin das Desiderat des Forschungsstandes der 90er Jahre über Frauen und Rechtsextremismus.
Generell scheint es schwierig, mit Verfahren, die quantitativ generalisierende Hypothesen testen und nicht Wirkungszusammenhänge am Einzelfall untersuchen, der Komplexität und der Prozesshaftigkeit sozialer Wirklichkeit gerecht zu werden. So resümiert auch Maren Oepke: „Hier offenbart sich ein Nachteil der Berechnung von Strukturgleichungsmodellen mit latenten Variablen, da sich Interaktionen zwischen einzelnen Merkmalen nicht modellieren lassen. […] Wechselwirkungen können dadurch kaum identifiziert werden, die aber durchaus von Bedeutung zu sein scheinen“ (S. 443).
URN urn:nbn:de:0114-qn073192
Dr. Michaela Köttig
Universität Göttingen, Sozialwissenschaftliches Methodenzentrum
E-Mail: michaela.koettig@gmx.de
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