Sisyphus oder von den Mühen, Gender Mainstreaming zu implementieren

Rezension von Barbara Stiegler

Christiane Burbach, Peter Döge (Hg.):

Gender Mainstreaming.

Lernprozesse in wissenschaftlichen, kirchlichen und politischen Organisationen.

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2006.

227 Seiten, ISBN 3–525–60425–4, € 24,90

Abstract: Christiane Burbach und Peter Döge geben mit diesem Buch Einblicke in die Praxis der Umsetzung von Gender Mainstreaming. Dazu lassen sie unterschiedliche Autoren und Autorinnen zu Worte kommen, die Prozesse in Kirche, Gewerkschaft und politischen Behörden beschreiben. Es werden verschiedene Bereiche wie Hochschule, Technikentwicklung, sozialdiakonische Studiengänge, Recht und Medizin unter der Gender-Perspektive analysiert. Darüber hinaus werden Konzepte von Gender-Bildung vorgestellt.

Aufbau

Das Buch ist in fünf Teile gegliedert: Im ersten werden allgemeine Überlegungen über geschlechterpolitische Zielsetzungen und die Frage, was Gender überhaupt sei, angestellt. Im zweiten werden konkrete Prozessanalysen geboten. Im dritten Teil geht es um bereichsbezogene Genderaspekte, im vierten werden Instrumente von Genderanalyse und Konzepte von Gendertrainings vorgestellt, und im fünften Teil trägt Peter Döge seine Meinung zum Zusammenhang von Gender Mainstreaming und Managing Diversity vor.

Die Niederungen der Praxis im Blick

Die sieben verschiedenen Prozessanalysen bilden aus meiner Sicht das Herzstück des Buchs und sind allemal lesenswert. Wo findet sich bisher schon eine so überwiegend selbstkritische, nichts beschönigende, aber trotzdem begrenzt optimistische Beschreibung der wirklichen Schritte, des mal Vor und mal Zurück, die in Organisationen gegangen werden. Vielerlei Akteure und Akteurinnen kommen zu Wort: Genderbeauftragte und Berater aus der evangelischen Kirche, Frauenbeauftragte von Landkreisen, Beauftragte für Gleichstellung bei Landesbehörden und Gewerkschaften, Begleitforscher/-innen und Gendertrainer/-innen. Damit ergibt sich ein buntes Bild aus verschiedenen Perspektiven, engagierten Repliken (Ingeborg Kerssenfischer, Thomas Schollas), kritischen Schilderungen von Gender-Mainstreaming-Prozessen, die am Ende vielleicht gar keine waren (Christiane Burbach), systematisierenden Erläuterungen kleiner Fortschritte in einem kleinen Landkreis (Gudrun Schenk, Manfred Ostermann). Es gibt aber auch eher distanzierte Aufzählungen aller Aktivitäten, die im Rahmen der Einführung von Gender Mainstreaming in Thüringen gelaufen sind und die wohl alle unter dem Diktat der „effektiven Nutzung vorhandener Kapazitäten“ (Ingelore Seifert, S. 78) standen und stehen. Hier fehlen dann eher die sonst vorhandenen kritisch-reflexiven Überlegungen. Brigitte Fenners Analyse des Gender Mainstreaming Prozesses in einer sächsischen Kommune bietet dagegen einen nicht nur systematischen, sondern auch offenen und (selbst)kritischen Einblick in die konzeptionelle und praktische Begleitung dieses Prozesses durch das IAIZ (Institut für angewandte Innovations- und Zukunftsforschung). Joachim H. Klett und Ilona Schulz-Müller nennen ihr Praxisfeld, die Umsetzung von Gender Mainstreaming in der Gewerkschaft ver.di, schon selbst einen Marathonlauf. Als solcher wird die Umsetzung auch beschrieben, und es stellt sich fast die Frage, woher die beiden die „Puste“ nehmen, die sie dazu brauchen. Ihr Hauptproblem ist, und das ist ein typisches Problem in allen Organisationen, Kollegen und Kolleginnen zu Akteuren im Gender-Mainstreaming-Prozess zu machen, verbleiben die meisten doch lieber im Konsumentenstatus. Das Highlight des Buches ist für mich die packende Analyse des Train-the-Trainer-Prozesses, den Christiane Burbach und Markus Krämer vorstellen: Sie werden dem eigenen Anspruch, dass Lernprozesse im Genderbereich nicht nur kognitiv, sondern auch emotional, transformativ und operational gestaltet sein sollen, voll gerecht und scheuen sich nicht, auch ihre eigenen entsprechenden Lernprozesse zu beschreiben.

Hilfen für die Praxis: konkret

Der vierte Teil des Buches liest sich wie ein kleines Handbuch für diejenigen, die konkrete Umsetzungsarbeit leisten: Ihnen wird systematisch und klar erklärt, wie Interventionen zur Umsetzung von Gender Mainstreaming aussehen können, es werden Checklisten und Instrumente zur Verfügung gestellt und Übungen zu verschiedenen Fragestellungen beschrieben.

Genderanalysen in Praxisfeldern: Vieles nur gestreift

Mit Heike Kahlerts Aufsatz bekommt dieser Teil einen hervorragenden Einstieg in das Thema Gender Mainstreaming im Hochschulwesen. Sie bringt für die Hochschule systematisch, kritisch und empirisch fundiert die gesamte Palette der Möglichkeiten von Gender Mainstreaming auf den Punkt und dieser Beitrag würde sich damit eher in die guten Praxisanalysen des dritten Teils einreihen. Demgegenüber fallen die folgenden Beiträge über Genderaspekte in der Technik (Peter Döge), Genderperspektiven in sozial-diakonischen Studiengängen – Ein Blick auf die Lerndimensionen (Christiane Burbach), die Genderaspekte im Recht (Heike Dieball) und Genderaspekte in der Medizin und im Gesundheitswesen (Brigitte Lohff), was die Tiefenschärfe angeht, etwas flach aus: Nicht immer ist klar, an wen sich die Analysen wenden, beziehen sie sich doch eher auf Hintergründe und allgemeine Erkenntnisse und nicht auf Hilfen für konkrete Genderanalysen, die Praktiker und Praktikerinnen in Organisationen so dringend brauchen. Allenfalls der Artikel von Christiane Burbach setzt sich für die Aufnahme der Schlüsselqualifikation Gender Kompetenz in die im Bolognaprozess neu zu konzipierenden Studiengängen ein und bietet damit all denen, die diese neuen Studiengänge zu entwickeln haben, eine argumentative Hilfe. Wenn Heike Dieball meint, dass durch die Formulierungen im Grundgesetz die geschlechterpolitischen Zielsetzungen bereits geklärt seien, so kann man ihr wohl nur entgegenhalten, dass es eine geschlechterpolitische Debatte um die Auslegung von Gleichberechtigung gibt: Ist es die Gleichberechtigung in der Verschiedenheit oder geht es um die Aufhebung der Differenzen zwischen den Geschlechtern?

Der Genderbegriff: Kritisches aus feministischer Perspektive

Als durchaus spannenden Teil einer kontroversen Debatte lese ich die beiden den Band einleitenden und abschließenden Artikel, in denen Peter Döge sich mit dem Genderbegriff und der Strategie des Gender Mainstreamings im Vergleich zu Managing Diversity auseinandersetzt. Ich möchte an drei Stellen Widerspruch einlegen: dem Genderbegriff, der geschlechterpolitischen Zielsetzungen und dem Verhältnis von Gender Mainstreaming und Managing Diversity. Der Genderbegriff: Bei Peter Döge basiert er auf der natürlichen Differenz und folgt dem dualen Muster. Nicht nur bei Peter Döge, auch bei anderen Autoren und Autorinnen kann man es finden: Gender wird vor allem als Merkmal von Personen definiert. Wenn Strukturen ins Visier kommen, dann nur, weil sie mit männlich und weiblich konnotierten Werten und Merkmalen verbunden sind. Das Ziel aller Bemühungen ist dann die Anerkennung dieser Differenzen zwischen den Geschlechtern, die Gleichwertigkeit der zuvor dualisierten Komponenten im System der Geschlechter. Damit sollen direkte und indirekte Benachteilungen von Frauen und Männern abgebaut werden, aber auch die Gleichwertigkeit von männlichen und weiblich konnotierten Kompetenzen, Tätigkeiten und Lebensmustern hergestellt werden. Der Genderbegriff scheint auf die biologischen Körper aufgesetzt, die Dualität der Körper wird bei der „Gattung Homo sapiens“ (S. 27) als überzeitliches Phänomen angesehen. Damit werden populärwissenschaftliche Tendenzen gestärkt, die vom natürlichen Unterschied der Geschlechter ausgehen und die Verschiedenheiten essentialisieren. Gender als Konstruktionsprinzip gesellschaftlicher Strukturen, als Schlüsselkategorie zur Analyse von Arbeitsteilungen (privater und öffentlicher, bezahlter und unbezahlter) und die Konstruiertheit auch der Dualität, nicht nur die Hierarchisierung der Geschlechter, also viele Grundannahmen feministischer Analysen, diese Gedanken fehlen. Der Fokus von Gender-Mainstreaming-Prozessen wird in der Organisation in ihrem Inneren gesehen, in ihren Mitgliedern und ihrer Kultur, also den Frauen und Männern, die miteinander dort arbeiten.

Aus dieser Perspektive kann auch „Fairness“ als das geschlechterpolitische Ziel formuliert werden (Christiane Burbach). Das ist zwar richtig, aber wenn es isoliert bleibt, eine Verkürzung, die der Herkunft von Gender Mainstreaming aus der internationalen Frauenbewegung nicht gerecht wird. Mit der Strategie sollte die in den Weltfrauenkonferenzen aufgestellte Agenda effektiver umgesetzt werden. In der Agenda sind Probleme im Geschlechterverhältnis angesprochen wie Gewalt, Armut, Arbeitsteilung. Von der Herkunft her ist Gender Mainstreaming keine Strategie, die unterschiedliche Ressourcen von Männern und Frauen nur besser nutzen soll, keine Strategie, die zum besseren Zusammenleben von Männern und Frauen in ihrer Unterschiedlichkeit auch jenseits der Genus-Gruppe führen soll, sondern eine politische Strategie zur Veränderung hierarchischer, polarer und dualer Geschlechterverhältnisse, die in gesellschaftlichen Strukturen gegründet sind. Aus einer solchen feministischen Perspektive erscheint die Formel von „Gender Mainstreaming als Lernprozess für Managing Diversity“ auch genau „verkehrt“. Diese Formel signalisiert, dass Organisationen im Gender-Mainstreaming-Prozess etwas lernen können, was sie dann auch später auf alle anderen Diskriminierungsmerkmale übertragen könnten. Managing Diversity ist in der Tat eine Strategie, die Diskriminierung von Personen vermeiden will, die Ressourcen von Anderssein aber für ein Unternehmensziel nutzen will. Bei Gender Mainstreaming geht es aber noch nicht einmal um das Miteinander im Arbeitsprozess, sondern vor allem darum, Routinen, Maßnahmen und Aktivitäten politisch handelnder Organisationen zu verändern. Denn diese Routinen, Maßnahmen und Aktivitäten schaffen die Strukturen, die duale, polare und hierarchische Geschlechterverhältnisse möglich machen, und erhalten sie aufrecht.

Aber eine solche feministische Perspektive muss ja nicht jede/r teilen, auch die Vielfalt des Denkens ist ein Gut, und der geschlechterpolitische Diskurs ist durch dieses Buch sicherlich noch einmal angeregt worden.

URN urn:nbn:de:0114-qn073298

Dr. Barbara Stiegler

Bonn/Friedrich-Ebert-Stiftung, Abteilung Wirtschafts- und Sozialpolitik

E-Mail: barbara.stiegler@fes.de

Die Nutzungs- und Urheberrechte an diesem Text liegen bei der Autorin bzw. dem Autor bzw. den Autor/-innen. Dieser Text steht nicht unter einer Creative-Commons-Lizenz und kann ohne Einwilligung der Rechteinhaber/-innen nicht weitergegeben oder verändert werden.