Irmgard Vogt (Hg.):
Frauen-Körper.
Lust und Last. Band 2.
Tübingen: dgvt 2005.
180 Seiten, ISBN 3–87159–145–9, € 15,80
Abstract: Dieser Band vereint acht heterogene Aufsätze zu „Lust und Last am eigenen Körper“ von Frauen. Alle Beiträge gehören zum Spektrum psychologischer Reflexion; die Themen reichen dabei von Sport über Kochen und Essen bis Schönheit, die Zugänge von Psychoanalyse über experimentelle Psychologie bis hin zu freier Assoziation auf der Grundlage klinisch-praktischer Arbeit. Ein roter Faden durch die Beiträge ist nicht erkennbar und so wirkt die Vielfalt beliebig. So unterschiedlich die Beiträge sind, so unterschiedlich ist auch ihre Qualität. Leider kommen einige Artikel über die unkritische Zusammenstellung anderer Arbeiten nicht hinaus, die meisten nehmen kaum Bezug auf das inzwischen breite und institutionalisierte Feld der (sozial- und kulturwissenschaftlichen) Körperforschung. Doch haben manche Aufsätze interessante empirische Einblicke zu bieten, die zur weiteren Reflexion anregen, und einige wenige Beiträge sind so differenziert, dass sich mit ihnen weiterdenken und -forschen lässt. Insgesamt bereitet die Lektüre des Buches weder ‚Einsteiger/-innen‘ noch ‚Fortgeschrittenen‘ der wissenschaftlichen Beschäftigung mit (Frauen-)Körpern Lust, sondern erweist sich – bis auf Ausnahmen, die allerdings auch in ausführlicherer Form anderenorts publiziert wurden – eher als Last. Ärgerlich und alles andere als argumentativ überzeugend ist darüber hinaus das in manchen Texten enthaltene, mehr oder minder explizit artikulierte, ‚Feminismus- bzw. Frauenforschungs-Bashing‘.
Irmgard Vogt hat dieses Buch schon einmal herausgegeben, damals noch gemeinsam mit Monika Bormann. Dies war vor 13 Jahren. Das Buch war, wie Vogt nun im Vorwort schreibt, ein „so lang andauernder Erfolg“ (S. 7), dass sie gebeten wurden, eine Neuauflage zu machen, und so erscheint unter demselben Titel, doch als „Band 2“ 2005 dieser Sammelband zu Lust und Last von Frauen mit ihren Körpern. Ausgangspunkt der Herausgeberin ist die „ambivalente Beziehung von Mädchen und Frauen zu ihren Körpern“ (ebd.). Zurückzuführen sei diese schlicht auf die ambivalenten Zumutungen seitens der Gesellschaft an Frauen: sie sollen „Huren und Heilige“ verkörpern (ebd.) und daran leiden sie (ebd.). Das klingt plausibel, ist aber nicht mehr als eine alltagstaugliche Trivialthese. Denn ob sich die gesellschaftlichen Ansprüche an weibliche Ver-Körperungen tatsächlich so schlicht ausnehmen und ob sich diese wiederum gewissermaßen 1:1 in den subjektiv-leiblichen Befindlichkeiten und Erfahrungen konkreter Frauen spiegeln, darf bezweifelt werden. Ich meine, dass angesichts der Fülle an differenzierten Studien und komplexen Reflexionen zu Körper, Ver-Körperungen, Körperbildern, leiblichen Erfahrungen usw., die inzwischen vorliegen, von solch schematischen Thesen abgesehen werden kann. Doch spielen Ambivalenzen und Widersprüchlichkeiten in Bezug auf Frauenkörper ganz sicher eine zentrale Rolle. Dem gehen einige der acht Beiträge im Sammelband nach.
Karin Flaake leuchtet in ihrem psychoanalytisch fundierten Beitrag zu „adoleszentem Begehren“ die „sexuellen Aneignungs- und Erfahrungsprozesse“ aus (S. 13), die diese besondere Lebensphase markieren. Dabei hebt Flaake immer wieder hervor, dass sich junge Frauen hierbei zwischen äußeren, gesellschaftlichen Normen einerseits und spezifischen, subjektiven Erfahrungen (z. B. innerpsychischen Wünschen und Phantasien) andererseits bewegen. Besonders wegweisend und anregend ist, dass Flaake – wie in allen ihren Arbeiten – auf hetero- und homosexuelle Phantasien, Erfahrungen und Kodierungen differenziert eingeht. Sie ist damit eine der wenigen Forscherinnen im Schnittfeld von Körper-, Biographie-, Geschlechter- und Adoleszenzforschung, die die auch im sozialwissenschaftlichen Diskurs weitestgehend ungebrochen Heteronormativität vorurteilsfrei hinterfragt und die sich mit der Erzeugung normativer Heterosexualität befasst. In ihrem empirisch fundierten Aufsatz kann man nachvollziehen, dass sich homo- und heterosexuelle Dimensionen von Freundschaften nicht immer trennscharf unterscheiden lassen. Bezogen auf körperliche Erfahrungen adoleszenter Frauen fasst Flaake zusammen, dass sich zwar in den letzten Dekaden einerseits Spiel- und Experimentierräume erweitert haben (S. 12, 30), so dass sich vor allem im Feld der Sexualität vieles im positiven Sinne ‚normalisiert‘ habe. Andererseits aber haben sich neue Tabuisierungen und Normierungen entwickelt. Hier hebt Flaake vor allem auf das normative Idealbild des ‚starken Mädchens‘ ab (S. 30), dessen heteronormative Kodierung in den Medien dazu führen könne, dass sich Mädchen vor allem als Objekt des männlichen Begehrens erfahren – „bevor sich ein eigenes Gefühl für den Körper entwickelt hat“ (ebd.). Fazit: Vieles scheint und ist auch tatsächlich für junge Frauen möglich, doch weisen heteronormative Imperative zugleich eine erstaunliche Beharrlichkeit auf.
Monika Bormann knüpft in ihrem Beitrag thematisch an die Frage der Heteronormativität an, leider in jedoch weitaus weniger reflektierter, differenzierter und analytischer Weise als etwa Karin Flaake. Bormann fragt sich, „wie Mädchen in den Umgang mit den männlichen Blicken eingeführt werden“ (S. 36) und wie sie dies in Bezug auf ihren Körper erleben. Anknüpfend an Bernie Zilbergelds Untersuchung von Mythen zur männlichen Sexualität (Zilbergeld 1983), benennt Bormann drei für Frauen- und Frauenkörper relevante Mythen, die sie wiederum schlichtweg postuliert und mit alltagsweltlichen Anekdoten, mit Beispielen aus der Belletristik oder mit Beispielen aus ihrer klinischen Arbeit spickt (vgl. S. 37). Die Mythen sind, kurz gefasst, 1) dass Frauenkörper per se und an sich für Männer sexuell erregend sind und dass Männer solche Körper ‚besitzen‘ wollen, 2) sexuell erregte Männer der Erregung bis zur Ejakulation nachgeben müssen und 3) Männer den Orgasmus brauchen und Frauen ihnen hierbei ‚helfen‘ müssen. Diese Mythen sind, so die Autorin, Maxime bei der Sozialisation junger Frauen. Sie werden im öffentlichen Raum, in den Medien, in den Familien – ja, überall – reproduziert: „Dieses ‚Wissen‘ wurde und wird teilweise heute noch in einer langen Tradition von Frau zu Frau weitergereicht“ (S. 39) und „Mit diesem Bild [der Mythen entsprechend, d.V.] von der sexuellen Bedeutung des weiblichen Körpers wachsen Frauen und Männer in unserer Gesellschaft auf“ (S. 40). Wie nun dieses Aufwachsen im Detail geschieht, ob es tatsächlich nur diese Bilder und Kodierungen gibt (ich möchte das stark bezweifeln), was dies nun für die Dimension der leiblichen Erfahrungen bedeutet – all dies wüsste man nun gerne. Als Antwort bekommt man von Bormann neben der einen oder anderen persönlichen Anekdote eine Zusammenfassung der Kaufmanschen Studie zu Frauen ‚oben ohne‘ am Strand (Kaufman 1996), mehr nicht.
Als thematische Anknüpfung an Bormann kann man den Aufsatz von Almut Lippert lesen, die über „Attraktivität und Schönheit aus psychologisch-wissenschaftlicher Sicht“ schreibt. Dabei geht es auch um Bilder und Vorstellungen weiblicher – sexueller – Attraktivität, jedoch aus einer strikt positivistischen, experimentellen Perspektive. Diese als „wissenschaftlich“ zu titulieren, ist schon einigermaßen frech und zeugt von einer sträflichen Ignoranz gegenüber weiten Teilen des wissenschaftlichen Diskurses in vielerlei Disziplinen. Lippert verwendet statistische Normen wie den berühmten Body-Mass-Index (BMI) oder die Waist-to-Hip-Ratio WHR (vgl. S. 99 ff.) ungebrochen affirmativ, sie stellen wohl die objektiven Maßstäbe zur Bewertung weiblicher Körper dar. Anknüpfend an eine Reihe experimentell gewonnener Ergebnisse (z. B. Aufmerksamkeitsspannen bei Säuglingen, Bewertungen von gemorphten Gesichtern durch Probanden usw.), kommt Lippert zu dem Schluss, dass es tatsächlich so etwas wie universelle, zeit- und kulturunabhängige Schönheitsideale gibt, die sich zudem der bewussten Kontrolle oder Reflexion entziehen (vgl. u. a. S. 95, 101, 102). Diese, so die Autorin weiter, ergeben sich aus der Verzahnung von Schönheit/Attraktivität und ‚Reproduktionsfähigkeit‘. Soll heißen: evolutionsbiologisch bedingt bewerten Männer Frauen als attraktiv, die – durch entsprechende BMI oder WHR – Hinweise auf ihren „Reproduktionserfolg“ (S. 100) geben. Wer sich nun hierüber echauffiert, dies als unterkomplexen biologischen Determinismus abtut und womöglich stattdessen nach den normativen und kulturellen Zwängen hinter solchen Maßen und fragwürdigen Begriffen fragt, wird von Lippert sogleich durch „die Moral von der Geschicht‘“ (S. 113) belehrt: Da solchermaßen definierte ‚Schöne‘ generell im Leben erfolgreicher und erfüllter sind (vgl. S. 99), tun gerade Feministinnen gut daran, solche Befunde im Dienste der Emanzipation aufzunehmen: „Danach sollten Frauen versuchen, eigene Vorzüge vorteilhaft zu betonen mit dem Ziel, die eigene Attraktivität zu steigern“ (S. 113). Ist das Wissenschaft? Oder das altbekannte Feminismus-Bashing im altbekannten „Wissenschafts“-Gewand?
Ähnlich ärgerlich, weil undifferenziert und wenig wissenschaftlich, argumentiert Irmgard Vogt in ihrem Aufsatz zu „Küche, Kochen, Essen und alles genießen“. Ausgehend von der „Technisierung des Haushalts und hier insbesondere der Küche“ (S. 122) denkt Vogt über verschiedene Dimensionen der Vergeschlechtlichung von Hausarbeit nach. Besonders interessant sind für sie das Kochen und die Frage „wer kocht?“ (S.131). Dabei setzt sie sich von „einigen Frauenforscherinnen“ explizit ab (S. 127), die – angeblich – Kochen unter dem verunglimpfenden Etikett „Beziehungsarbeit“ (ebd.) subsumieren. Und deshalb, so die Autorin an anderer Stelle im Text, „herrschen strenge Regeln in den Kreisen feministischer Frauen […] Da geraten all die Frauen, die dennoch gerne kochen und essen […] schnell ins Abseits“ (S. 140). Aha. Dem setzt die Autorin ihren persönlichen Geschmack entgegen: die sinnliche Verknüpfung von Essen und Sex (vgl. S. 140 f.). Aha. Ansonsten aber knüpft die Autorin jenseits quantitativer Daten zur Zeitaufwendungen in deutschen Haushalten kaum an einschlägige Reflexionen zum Zusammenhang von Arbeit – Haushalt – Essen und Kochen an. Ein Blick etwa in Bourdieus ‚feine Unterschiede‘ und in den erhellenden Aufsatz von Frerichs/Steinrücke (in Krais/Dölling 1997) hätte genügt, um die Autorin von ihren schlichten Thesen abzubringen, die da lauten: Frauen nehmen sich wenig Zeit zum Essen (vgl. S. 137), Fleisch ist männlich assoziiert und Gemüse sowie Obst weiblich (S. 129). Das ist generell nicht falsch, aber ganz wahr eben auch nicht. Denn solche geschlechtlichen Kodierungen sind, wie eben Bourdieu sowie Frerichs/Steinrücke zeigen, immanent milieuspezifisch gebrochen. Eine solide empirische Analyse der Essgewohnheiten von Männern im akademischen, vor allem sozialwissenschaftlichen Kontext, wäre hier sicherlich lohnend. Vielleicht auch mal ein Kochbuch von Feministinnen und Frauenforscherinnen? Damit wären einige schwer verdauliche stereotype Klischees endlich – genussvoll – aus der Welt geschluckt.
Mit Ess-Störungen befasst sich hingegen der Beitrag von Sigrid Borse, der mich einigermaßen ratlos zurücklässt. Der Text beginnt mit einer nicht weiter begründeten Auswahl thematischer Assoziationen („Körperkult“, „Zeichentafeln“, „Narbenspuren“ usw.), um sich dann mit der klinischen Beratungspraxis essgestörter junger Frauen zu befassen. Zentrale These ist hierbei, dass Essstörungen nur vordergründig etwas mit „Gewicht und Körpernormen“ zu tun haben (S. 154). Vielmehr lägen immer „schwerwiegende seelische Erkrankungen zugrunde“ (ebd.). Inwiefern man das eine vom anderen überhaupt trennen kann und ob es nicht sinnvoller wäre, Körper und ‚Seele‘ bzw. ‚Persönlichkeit‘ zusammen zu denken, wird nicht weiter reflektiert – und doch sattelt die gesamte Argumentation darauf auf. Der Text schließt mit der knappen, leider nicht analytischen oder auch nur reflexiven Darstellung einiger, z. T. virtueller Präventionsprojekte.
Neben dem Aufsatz von Flaake stellen einzig die Texte von Lotte Rose und Cornelia Helfferich einen Gewinn dar. Lotte Rose beleuchtet differenziert, anregend und auf dem Stand der Forschung „Jugendliche Inszenierungen im Sport – Wechselspiele zwischen Geschlechterkonstruktionen und Geschlechterdekonstruktionen“. Sie zeichnet dabei nach, wie einerseits vor allem seit den 80er Jahren die ehemals eklatanten Geschlechterdifferenzen im Sport geschwunden sind (vgl. S. 51) und sich damit für Frauen und Mädchen eine enorme „Aufholentwicklung“ beobachten lässt (S. 52), andererseits neue Geschlechtermarkierungen und feine Nuancen erzeugt und immer wieder verhandelt werden (vgl. S. 53). Rose geht diesen anhand „sportiver Scripts“ (S. 58 ff.) nach, weil sich mit diesen das spannende Wechselspiel zwischen ‚Scriptvorlage“ und ‚Scriptkonsumentinnen‘ (S. 61) nachvollziehen lässt. Sie verfolgt anhand dieser die komplexe Gleichzeitigkeit von doing und undoing gender (S. 68) in der performativen Praxis von Sportkulturen. Cornelia Helfferich befasst sich mit den „Alltagsbildern vom Körper aus der Sicht von Frauen“ und zieht dabei ihre eigene, reichhaltige Empirie aus den 80er und 90er Jahren heran. Sie geht den Konzepten des „porösen“ bzw. „instrumentellen Körpers“ (S. 78 ff.) nach, die sich als zentral für Frauen in der BRD seit der zweiten Frauenbewegung erwiesen haben. Insbesondere das Aufkommen der Pille und die ambivalenten Folgen für das Körperverhältnis von Frauen – Autonomie, Selbstermächtigung, Druck der sexuellen Verfügbarkeit, Instrumentalisierung und Medikalisierung – sind für Helfferich interessant. Sie rahmt und interpretiert ihre empirischen Befunde mit Bezug auf die Arbeiten von Mary Douglas und einen phänomenologischen Wissensbegriff und kann hierdurch wichtige Impulse für die laufende Debatte um das Zusammenspiel von Normen, Körperbildern und subjektivem Leiberleben geben.
Der Band hat keinen roten Faden, die Beiträge sind im Vergleich enorm unausgewogen in Qualität und Anspruch. Als wissenschaftlicher Beitrag zu einem inzwischen reichhaltigen und fundierten Forschungsbereich – der interdisziplinären Schnittmenge von Körper- und Geschlechterforschung – kann der Band aufgrund mangelnder methodischer und argumentativer Qualität nicht gelten. Die positiven Ausnahmen stammen darüber hinaus von Autorinnen, die ihre Forschungsergebnisse anderweitig in längeren Texten und besseren Sammelbänden publiziert haben.
URN urn:nbn:de:0114-qn073326
Dr. Paula-Irene Villa
Institut für Soziologie und Sozialpsychologie der Universität Hannover
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