Marlen Bidwell-Steiner, Karin S. Wozonig (Hg.):
Gender & Generation.
Wien: Studien Verlag 2005.
313 Seiten, ISBN 3–7065–4196–3, € 24,000
Abstract: Gender & Generation ist der zweite Band der Reihe „Gendered Subjects“, die das Referat Genderforschung der Universität Wien herausgibt. Die versammelten Beiträge sind den Stichworten „Paradigmen“, „Praktiken“ sowie „Performanzen“ zugeordnet und der Untersuchung des komplexen Verhältnisses von „Gender & Generation“ aus interdisziplinärer sowie internationaler Perspektive gewidmet.
Alice Pechriggl eröffnet den Abschnitt „Paradigmen“ mit einem Beitrag zum antiken griechischen genos-Begriff, den sie zwischen Geschlecht, Gattung und „Rasse“ verortet. Nach einer Auseinandersetzung mit mythischen Theorien und Platons Philosophie erläutert Pechriggl die aristotelische Biologie sowie deren feministische und christliche Lesarten. Pechriggl kritisiert die manipulativen Mechanismen, die bei der Rezeption der Primärquellen und bei der Tradierung wirksam werden.
Auf diesen Punkt zielt auch der Beitrag von Dorothea Erbele-Küster: Sie untersucht die rhetorisch-literarischen Strukturen der geschlechtlichen Normenbildung, die sich in alttestamentarischen Texten rekonstruieren lassen. Dabei deckt Erbele-Küster auf, dass die Quellen entgegen gängiger Interpretationsmuster keinen Beleg für eine hierarchische Geschlechterdifferenz liefern.
Der Zusammenhang von sozialem Umfeld und individuellen Praktiken wird in den beiden folgenden Beiträge hervorgehoben: Wolfgang Schmale analysiert das „kulturelle Geschlechtergedächtnis“ (S. 50) im Hinblick auf Männlichkeits- und insbesondere Väterbilder. In Auseinandersetzung mit den feministischen Diskussionen um Reproduktionstechnologien fordert Angelika Walser das Festhalten an der Forderung nach Selbstbestimmung für Frauen und die Einbeziehung der gesellschaftspolitischen Rahmenbedingungen in die Debatten.
Smilla Ebeling beweist, dass die Verbindung von Zoologie und Gender Studies produktiv ist: Sie zeigt, dass die zoologischen Beschreibungen des Fortpflanzungsverhaltens sich eingeschlechtlich reproduzierender Tiere als ein Aushandlungsfeld für die Geschlechter- und Machtverhältnisse des Menschen dienen: Die Schilderungen stellen die Geschlechterverhältnisse in naturalisierender und bestärkender Weise als antagonistisch dar.
Der Abschnitt „Praktiken“ beginnt mit einem Überblick von Therese Garstenauer über den Feminismus in Russland. Interkulturelle Phänomene nimmt auch Alice Ludvig in den Blick, die das Wechselverhältnis von Geschlechter- und Verwandtschaftsbeziehungen betrachtet und in ihre Analyse Daten aus der Karibik einbezieht.
Die 1987 von den Vereinten Nationen formulierte Leitidee des „sustainable development“ verknüpft ökologische, ökonomische und institutionelle Aspekte gesellschaftlicher Entwicklung. Beate Littig betrachtet die (Erwerbs-)Arbeit als Ansatzpunkt, um die Berücksichtigung der Kategorie Geschlecht besser in das Konzept der nachhaltigen Entwicklung zu integrieren.
Die Beiträge von Magda Telus, Heidi Hofmann, Aurelia Weikert und Maria Wolf setzen sich kritisch mit Reproduktionstechnologien auseinander. Telus verweist auf das Skandalon, dass der öffentliche Diskurs Frauen ausblendet. Wolf zeichnet kritisch eine Entwicklung nach, die infolge der männlichen Vorherrschaft in der Reproduktionsmedizin zu einer gesellschaftlichen Konstruktion des weiblichen Körpers als „Durchgangsmaterie“ (S. 206) zu führen droht. Hofmann hebt hervor, dass in Polen eine „weltanschaulich pluralistische Bioethikdebatte“ (S. 190) bisher nicht stattfindet, und Weikert warnt vor einer neuen Eugenik.
Der Abschnitt „Performanzen“ enthält literaturwissenschaftliche Beiträge: Birgit Wagner prüft den literaturhistorischen Generationenbegriff auf seine Gender-Implikationen. Wagners Fazit lautet: Während der Begriff vorgeblich geschlechtsneutral ist, verfestigt er als Periodisierungsinstrument den männlichen Kanon, da er auf einen männlichen – normativ gesetzten – Erfahrungsraum rekurriert. Die Analyse einer Erzählung der algerischen Autorin Assia Djebar zeigt jedoch, dass es literarische Modelle gibt, die trotz dieser Widerstände Generationen von Frauen eine Stimme geben.
„Sexualisierungen ästhetischer Konzepte“ (S. 242), die im 18. Jahrhundert in der Gegenüberstellung der Begriffe „Genie“ und „Dilettant“ besonders deutlich zu erkennen sind und um 1900 erneut verhandelt werden, untersucht Urte Heduser. Alexandra Pontzen unterzieht die tabuisierte Verbindung von Alter und sexuellem Begehren, die bei Frauen einer doppelten Verletzung sozialer Normen entspricht, einer Revision. Dazu analysiert sie die Bedeutung der Geschlechterdifferenz in diesem Kontext anhand von Thomas Manns „Die Betrogene“ und anderer literarischer Beispiele.
Melanie Feratova-Loidolt setzt sich mit Luce Irigarays These von der Ortlosigkeit der Frau auseinander und schließt daran die Analyse eines Gedichts von Christina Rossetti an. Als gemeinsamen Bezugspunkt und Ursache des Traumas macht Feratova-Loidolt die Spaltung der Mutter-Tochter-Beziehung aus. Manuela Rossini fordert dazu auf, in die Debatten um Reproduktionstechnologien auch die Science-Fiction-Literatur einzubeziehen. Rossini sieht insbesondere in den feministischen Entwürfen das Potential, Ansichten und Prämissen zu hinterfragen, und verweist auf die Produktivität der Forschung, die Kultur- und Naturwissenschaften verbindet.
Den Herausgeberinnen Marlen Bidwell-Steiner und Karin S. Wozonig ist es gelungen, viele Beiträge zu versammeln, die vermeintliche Selbstverständlichkeiten erneut in Frage stellen. Die feministische Motivation erweist sich insofern als förderlich für die wissenschaftliche Erkenntnis und führt zu klaren Positionierungen. Nicht immer ist die Zuordnung der einzelnen Texte zu den drei Abschnitten zwingend, sie unterstützt aber die Deutungen der Autorinnen und des Autors. Der Ansatz, verschiedene Strukturkategorien zueinander in Beziehung zu setzen, hat sich mit dem Band wieder einmal als produktiv erwiesen.
URN urn:nbn:de:0114-qn073163
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