Vom Zusammenhang von Raum und Geschlecht

Rezension von Katharina Fleischmann

Marianne Rodenstein (Hg.):

Das räumliche Arrangement der Geschlechter.

Kulturelle Differenzen und Konflikte.

Berlin: trafo 2005.

210 Seiten, ISBN 3–89626–551–2, € 22,80

Abstract: Der Sammelband gibt einen sehr eindrucksvollen Einblick in die Vielfältigkeit und Vielschichtigkeit des räumlichen Arrangements der Geschlechter in unterschiedlichen Geschlechterkulturen. Diese Arrangements werden aus Sicht verschiedener Disziplinen und in unterschiedlichen (geschlechter-)kulturellen Zusammenhängen betrachtet. Dabei werden verschiedene Aspekte von Raum beleuchtet, insbesondere räumliches Handeln und die darin zum Ausdruck kommenden patriarchalen Strukturen.

In diesem Band sind neun Artikel aus verschiedenen Fachdisziplinen versammelt, die sich theoretisch wie empirisch mit Geschlechterkulturen und deren Verortungen wie auch deren Räumlichkeit beschäftigen. Damit dokumentiert der Band die Tagung „Gender, Space and Conflict“, die im Oktober 2004 an der Universität Frankfurt/Main stattfand. Die Kapitel des Bandes sind nach deren vier Hauptthemen benannt: (1) Konflikte um Räume, (2) die gemeinschaftliche Eroberung von Räumen, (3) die Schaffung von Freiräumen durch berufstätige Frauen sowie (4) die theoretische Reflexion der dargestellten Befunde. Vorangestellt ist ein einführender Artikel, in dem versucht wird, räumliche Praktiken der Geschlechter in einer Typisierung zu erfassen.

Marianne Rodenstein beschäftigt sich in ihrer Einführung „Räumliche Praktiken der Geschlechter im Vergleich: mit Lockenwicklern in der U-Bahn und Leggings im Schwimmbad“ mit den Kernbegriffen des Bandes. Sie unterscheidet drei Typen räumlicher Arrangements der Geschlechter, die sich durch unterschiedliche Verfügbarkeiten von Räumen für Frauen auszeichnen. Als Ziel des vorliegenden Bandes wird dabei benannt, die „patriarchalen Strukturen von Gesellschaften aus der Sicht ihrer Raumbildungen näher zu beleuchten“ (S. 9). Darum bemühen sich in den einzelnen Artikeln Soziologinnen, Geografinnen, Politologinnen und eine Kulturanthropologin. In dieser interdisziplinären Perspektive ergibt sich ein differenziertes Bild der räumlichen Arrangements der Geschlechter.

Geschlechterkulturen im Konflikt um Räume

Heike Schiener beschäftigt sich in ihrem Artikel „‚Zwei vor, eins zurück.‘ Damaszener Frauenfreibäder im Wandel?“ damit, inwiefern Frauenfreibäder in Damaskus als außerhäusliche Orte für Frauen unterschiedlicher Religionen fungieren. Einst moderne Institutionen von Stadtkultur unterliegen Frauenfreibäder aufgrund der Rückbesinnung auf islamisch-konservative Werte in Syrien einem Wandel. Sie werden verstärkt zu Familienausflugsorten, und so setzt sich auch hier der Trend der zunehmenden Geschlechtertrennung durch verbunden mit einer entsprechenden (Um-)Gestaltung der Bäder. Für konservative Musliminnen entstehen auf diese Weise Frauenöffentlichkeiten außerhalb des Hauses, während für moderne, liberal eingestellte Frauen jeglicher Konfession dies einen Verlust an Mobilität und (Raum-)Nutzungsmöglichkeiten bedeutet.

Tovi Fenster setzt sich in ihrem Beitrag „Verbotene und erlaubte Räume in der Kultur der Beduinen und die Siedlungsplanung in Israel“ mit der Mobilität von Beduinen-Frauen in eigens für Beduinen errichteten Städten auseinander. Als „erlaubte“ Räume gelten für Beduininnen ihr Zuhause sowie „stammeseigene“ Nachbarschaften; diese Räume werden zu „verbotenen“, sobald sie von einem Fremden betreten werden. Durch die Zwangsumsiedlung von Beduinen in Städte wird der „erlaubte“ Raum für Beduinen-Frauen kleiner, und innerhalb städtisch verdichteter Wohn- und Nachbarschaftssituationen ist ihre Mobilität deutlich eingeschränkt. Um dem entgegenzuwirken, schlägt Tovi Fenster ein flexibles „Planen in Stufen“ vor, bei dem unter Beteiligung von Frauen und Männern „Veränderungen schrittweise mit der eigenen Geschwindigkeit stattfinden, die durch Stammeszugehörigkeit, Bildungsniveau, Alter und Geschlecht der Bewohner bestimmt wird“ (S. 77).

Dass kulturelle Differenzen im Geschlechterverhältnis und deren Auswirkungen auf Raumnutzungsmöglichkeiten auch für Planung in Deutschland ein Thema sind, verdeutlichen Petra Günther und Marianne Rodenstein in ihrem Beitrag „Mobilisierung von Migrantinnen für ihre Interessen am Stadtraum“. Die Stadt Dietzenbach bot – u. a. zur besseren „Integration“ ihres hohen Bevölkerungsanteils mit Migrationshintergrund – ihren Bürgern und Bürgerinnen die temporäre Nutzung innenstädtischer Brachflächen an. Vor allem muslimische Migrantinnen bekundeten ihr Interesse an Parzellen zur Gartennutzung. Dies sowie der häufig gehörte Hinweis auf fehlende Treffpunkte verweisen „auf die spezifischen Probleme gerade muslimischer Frauen bezüglich der Nutzung des öffentlichen und privaten Raums“ (S. 92). Für muslimische Frauen ist es ungleich schwerer, nach der Migration geeignete halböffentliche und öffentliche Räume zur Pflege ihrer sozialen Beziehungen zu finden. Das Interesse an Gartenflächen mündete schließlich in das Projekt der „Internationalen Gärten Dietzenbach“, für deren Realisierung sich gegenwärtig mehr Frauen (als Männer) mit und ohne Migrationshintergrund in einem Verein engagieren.

Gemeinschaftlich neue Räume erobern

Stephanie Schütze stellt in ihrem Artikel „‚Wir kämpfen um Raum für uns und unsere Kinder.‘ Raum, Geschlecht und politische Partizipation in Mexiko-Stadt“ den Kampf mexikanischer Unterschicht-Frauen um eigenen Raum dar. Im Zuge der „Landnahme“ in Santo Domingo besetzten diese Frauen Raum auf unterschiedliche Weise: zum ersten Raum im Sinne von Siedlungsland, das sie gegen kommunale Ansprüche verteidigten; zum zweiten Raum im Sinne politischer Partizipation, die Frauen bis dahin überwiegend in Nachbarschaftsverbänden und lokalen Beziehungsnetzwerken pflegten; zum dritten „Raum für sich allein“ im Sinne eines selbstbestimmten privaten Raumes für die eigene Familie fern der Bevormundung durch die Großfamilie des Mannes. Dies führte „zu einer Erweiterung der Handlungsfähigkeit der Frauen, die sich dann in ihren persönlichen Lebensentwürfen, insbesondere im Bereich der Geschlechterbeziehungen und der familiären Situation, widerspiegelte“ (S. 116).

Ebenfalls mit Besetzung, jedoch in einem ganz anderen Sinn, beschäftigt sich Sabin Bieri in ihrem Beitrag „Traumhäuser statt Traumprinzen – inszenierte Geschlechterkulturen in der 80er Bewegung. Ein Fallbeispiel aus Bern“. Die Aktivisten und Aktivistinnen der Berner 1980er Bewegung richteten sich gegen die vorherrschende gesellschaftliche Ordnung, die in räumlicher Ordnung eingelassen ist: die Kleinfamilie als Keimzelle des sozialen Systems und die städtische Form, die dieses Modell räumlich (re-)produziert. Der gemeinsame Kampf um und das Leben in den schließlich besetzten Häusern ist jedoch ebenso durch Konstruktionen von Weiblichkeit und Männlichkeit sowie deren Inszenierungen als Geschlechterkulturen geprägt. Der männlichen Dominanz begegneten die Aktivistinnen mit der Besetzung einer „Frauenvilla“, die zum Raum einer genussvollen Inszenierung von Weiblichkeit wurde. Obwohl dieser Frauen-Raum nicht lange überlebte, wurde dieser Versuch „im späteren Verlauf der Bewegung wieder aufgegriffen und in andere Widerstandsformen überführt“ (S. 143).

Wenn sich berufstätige Frauen Freiräume schaffen

Marianne Rodenstein beschäftigt sich in ihrem Beitrag mit „Raumkonstitution und Wandel der Geschlechterverhältnisse. Ergebnisse einer Untersuchung im suburbanen Raum“. Am Beispiel dreier Kleinstädte wird dargestellt, wie sich kommunale Siedlungs- und Infrastrukturpolitik auf das Leben berufstätiger Familien-Frauen und die innerfamiliale Arbeitsteilung auswirken. Eine Analyse der kommunalen siedlungspolitischen Setzungen macht deren implizite Geschlechterbilder deutlich. Die Folgen sind für den Alltag berufstätiger Familien-Frauen in den drei untersuchten Gemeinden sehr unterschiedlich. Eine stärkere Gleichberechtigung in der familiären Arbeitsteilung aufgrund der starken zeitlichen Belastung ist jedoch nirgends der Fall. Der Konflikt um die Ressource Zeit wird vielmehr auf die Ebene kommunaler Kinderbetreuung verschoben, die zum Teil – je nach Ausrichtung ihrer Siedlungs- und Infrastrukturpolitik – auf Anregung der berufspendelnder Nutzerinnen verbessert wurde. Solche Verbesserungen schufen wiederum für alle anderen Familien-Frauen des Ortes Freiräume.

Einer anderen Strategie berufstätiger Mütter, sich Freiräume zu schaffen, geht Sabine Hess in ihrem Artikel „Au-Pairs am Arbeitsplatz ‚Kleinfamilie‘ – Konflikte und neue Grenzziehungen im Privathaushalt“ nach. Die Einstellung eines Au-Pairs bedeutet Entlastung in der Haus- und Betreuungsarbeit, die durch den live-in-Charakter dieser Tätigkeit flexibel verfügbar scheint. Für viele Au-Pairs macht es jedoch gerade die live-in-Situation schwierig, ihren privaten Raum innerhalb der Gastfamilie abzugrenzen und zu behaupten. Die osteuropäische Herkunft vieler Au-Pairs scheint bei den Gastmüttern zusätzlich Zuschreibungen von Rückständigkeit, manuellem Arbeitsvermögen und Traditionalität aufzurufen, die ihnen eine Ausnutzung der Au-Pairs als Haus-Arbeiterinnen leichter macht. So resümiert Sabine Hess: „Infolge des in seinen Eckpfeilern gleich bleibend hierarchischen nationalen Genderregimes baut dies jedoch auf der Verfügbarkeit und Verhäuslichung einer entrechteten migrantischen Arbeitskraft auf, die über die rigiden Migrationspolitiken abgestützt und koproduziert wird“ (S. 188).

Gedanken im Anschluss an eine Tagung

In ihrem Beitrag „Symbolische Herrschaft und Geschlechterkulturen“ stellt sich Ulla Terlinden die Frage, was an (Geschlechter-)Kulturen eigenständig bzw. „universal“ ist. Sie untersucht mit Bourdieus Habituskonzept, warum trotz der Unterschiedlichkeit von Geschlechterkulturen überall die gleichen androzentrischen Strukturprinzipien am Werke sind. Terlinden zeigt, wie durch androzentrische, soziale Konstruktion von Körpern als vermeintlich natürliche, geschlechtliche Tatsachen Interpretations- und Einteilungsprinzipien inkorporiert und Übereinstimmung zwischen (vermeintlich) objektiven Strukturen und subjektiven Erfahrungen der Welt hergestellt werden. Dementsprechend bedürfe die soziale Welt mit ihren willkürlichen Einteilungen keiner weiteren Begründungen. Ulla Terlindens Konsequenz daraus ist folgende: Die Geschlechterforschung ist „immer relational zu betreiben […], d. h. in Untersuchungen und Analysen zur Lage von Frauen [sind] diese immer in Beziehung zur symbolischen Herrschaft der Männer zu interpretieren“ (S. 203).

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass nicht nur die gut ausgewählten Beispiele, sondern auch deren kulturelle Spannbreite die geschlechtlichen „Prägungen“ von Raum und räumlichen Strukturen deutlich hervortreten lassen. In der Zusammenschau unterschiedlicher Geschlechterkulturen in diesem Band wird die Vielfalt der Aushandlungsprozesse um Raum deutlich. Gleichzeitig werden – quasi im Subtext – (geschlechter-)kulturell unterschiedliche Möglichkeiten für Frauen-Freiräume wie auch deren Definitionen in westlichen und anderen Feminismen thematisiert. Es werden dabei jedoch keine Vergleiche oder gar Bewertungen angestrebt, vielmehr wird die Komplexität und Notwendigkeit eines reflektierten Umgangs mit diesem Thema veranschaulicht. So entsteht durch die interdisziplinäre Beleuchtung verschiedener (geschlechter-)kultureller Aspekte von Raum und Raumbildung ein sehr anregender Band, in den sich nicht nur ein Blick, sondern mehrere Blicke lohnen.

URN urn:nbn:de:0114-qn073058

Dr. Katharina Fleischmann, Geographin M.A.

Brandenburgische Technische Universität Cottbus / Fakultät Architektur, Bauingenieurwesen und Stadtplanung / Lehrstuhl Theorie der Architektur

E-Mail: fleischmann@tu-cottbus.de

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