Libuše Moníková – Facetten einer Schriftstellerin

Rezension von Karin Windt

Delf Schmidt, Michael Schwidtal (Hg.):

Prag – Berlin: Libuše Moníková.

Reinbek: Rowohlt 1999.

190 Seiten, ISBN 3–498–03907–5, DM 18,00 / SFr 17,00 / ÖS 131,00

Abstract: Dieses Literaturmagazin versammelt Beiträge zum Leben und Werk der tschechischen Autorin Libuše Moníková. Neben Essays zum Werk finden sich persönliche Erinnerungen von Nahestehenden und Hommagen der Schriftsteller-Freund/-innen Moníkovás sowie eigene Texte der Autorin und einige Fotoporträts.

„1968 erlebte ich ein Land, ein Böhmen, das nicht mehr am Meer lag – die Armeen kamen und rückten es dorthin, wohin es gehören sollte, an den Rand der Steppe.“ Libuše Moníková, (Prager Fenster)

Dieses Zitat enthält zentrale Bezugspunkte, die zur Beschäftigung mit Libuše Moníkovás (1945–1998) als Autorin und zugleich streitbare und stolze Tschechin von Bedeutung sind. Nachdem sie in der Nachfolge des Prager Frühlings 1971 nach Deutschland migriert war, lebte sie in Bremen und Berlin und verfaßte Romane und Essays in deutscher Sprache. Prag in seiner vielfältigen historischen und mythischen Bedeutung, tschechische Politik, Kultur und Geschichte blieben jedoch Dreh- und Angelpunkte ihres Schreibens.

Gut ein Jahr nach ihrem Tod Anfang 1998 veranstalteten die südböhmische Universität Budweis und das Goethe-Institut Prag ein Gedenk-Symposium für Libuše Moníková, die in ihrem Herkunftsland erst noch bekannt gemacht werden mußte. Die im Literaturmagazin versammelten Beiträge zum Leben und Werk Libuše Moníkovás sind im Umfeld jener Veranstaltung entstanden. Neben den Essays und Hommagen finden sich auch eigene Texte der Autorin. Einige Fotoporträts der Autorin, Faksimiles und Manuskriptseiten ihres inzwischen aus dem Nachlaß erschienenen Romanfragments Der Taumel runden das Heft ab. Ich greife im folgenden einige Beiträge exemplarisch heraus.

Allegorien einer Schreiberin

Zunächst würdigen Jirí Gruša und F.C. Delius Moníkovás Werk, nehmen jedoch eine Stilisierung der Autorin vor, die man lieber in den Händen der Autorin belassen hätte, da sie alte Allegorien aufgriff und fortzuschreiben pflegte, und bemüht war, sie nicht erstarren zu lassen. Gruša nennt sie in seinem Grußwort eine „beschriftete Heimat“ (S. 47), und Delius stilisiert sie in seiner Rede zur „Fürstin Libuše der europäischen Literatur“ (S. 53). Während sie das Spiel mit den Bildern und Verkörperungen bei ihren Figuren stets weiterverwandelte, verbleibt Moníková hier abschließend mit dieser Zuschreibung. Treffender erscheint Erica Pedrettis Beschreibung ihrer 1989 begonnenen kollegialen Freundschaft mit Moníková. Es ist vom Pilzeesssen und von Zwetschgen die Rede, Pedretti erzählt von gemeinsamen Gesprächen über „ihre und meine strapazierte Liebe“ (S. 54) zum Land Tschechien und dessen trauriger Geschichte, immer wieder okkupiert, aufgeteilt, fremdbeherrscht und besetzt. Sie spricht einerseits an, inwiefern der Tod ein Thema für Moníková gewesen sei, andererseits zitiert Pedretti aus Moníkovás letztem Brief an sie, daß das Leben „seltsam, vielseitig und lustig“ (S. 60) sei.

Durchquerte Mythen

Es folgen mehrere Essays, die verschiedene motivische Facetten beleuchten. Michael Schwidtal geht auf Moníkovás Schreibweise des mythischen Erzählens ein. Sie nutze diese Strategie, um, wie Schwidtal den Bruder Moníkovás, Josef Monik paraphrasiert, „dem Absolutismus der Wirklichkeit den Schrecken zu entziehen“ (S. 66). Mittels dieser Schreibweise gestalte sie Reflexionen über das Erzählen selbst: wie zum Beispiel das Beschreiben des kulturellen Gedächtnisses funktioniere oder wie vergessene Aspekte der tschechischen Kultur und Historie weitergetragen werden könnten. Sibylle Cramer setzt in ihrem Artikel den Akzent darauf, Moniková als Antipodin zu Peter Weiss herauszuarbeiten und betrachtet ihr Werk u. a. als ‚humoristisch gewendete Ästhetik des Widerstandes‘. Die Opferstruktur imaginierter Weiblichkeit – auch innerhalb von Kunstproduktion – werde bei Moníková immerzu durchbrochen. Dazu zitiert Cramer die mythisch aufgeladene Sturz-Szene in Treibeis, in der das Stuntgirl Karla in ihrem Vogelkostüm mit ihrem ‚Retter‘ Prantl einen Hang herunterkollert, wobei erzählerisch der Andromeda-Mythos‚ den Bach hinuntergeht‘; jenes Urbild von hilfloser Weiblichkeit und männlicher Retterschaft. Dana Pfeiferová schließlich geht auf die intertextuellen Referenzen zu Ingeborg Bachmann ein. Moníková beziehe sich auf dreierlei Weise auf Bachmann: Sie nehme Bezug auf ihre Gedichte („Böhmen liegt am Meer“), baue sie – mit Variationen – in ihre Texte ein und rekurriere mehrfach auf Bachmanns Utopie-Konzept.

Polyperspektivität historischer Situationen

Jürgen Eder arbeitet Moníkovás Geschichtsverständnis anhand ihrer Thematisierung der ‚Jahre mit Acht‘ heraus (1918, 1938, 1948 und 1968). Moníková erinnere in ihrem Bezug auf Historisches stets an die Verlierer der (europäischen) Geschichte, reklamiere die Erinnerung an die Abweichler, Marginalen, die bisweilen noch den Verlierern unter den Verlierer zuzurechnen seien. Dabei bewahre sie stets einen polyhistorischen Blick, zeige verschiedenste Facetten. Sie mache vielschichtige Versuche, die vergessene Würde der Opfer tschechischer Geschichte freizulegen und ihre Position als politische Subjekte zu zeigen. Umgekehrt relativiere sie auch die Sieger-Geschichte: so werden zum Beispiel der Machtübernahme Prags durch die Sowjetunion 1948, die unter dem Tarnmantel des ‚siegreichen Februars‘ erfolgte, Prantls Erinnerungen an die brutalen Hintergründe gegenübergestellt (vgl. Treibeis).

Teilung Europas in Ost und West

Alena Wagnerová thematisiert die politisch-kulturelle Situation in der Zeit des Prager Frühlings, die Moníková und ihre Generation forttrieb, und schildert, warum das Fremdheitsgefühl ins Exil mitging: Mitteleuropa als Lebensgefühl und Lebensstil waren aus ‚westlicher‘ Sicht zur Zeit des Kalten Krieges nicht vorgesehen. Da der Westen eine Zuordnung Tschechiens zum Osten vornahm, habe die Teilung Europas die Ausgrenzung der Tschechoslowakei aus Europa zur Folge gehabt. In diesem Zusammenhang sei die Identifikation mit Franz Kafka von Bedeutung, die es jungen tschechischen Intellektuellen erlaubt habe, mit Europa doch etwas ‚gemein‘ zu haben. Wagnerová nennt neben Franz Kafka als Moníkovás weitere intellektuelle Leitlinien: Das Werk Arno Schmidts, die Frage der Existenz als Frau, das Leben in der Fremde. Auch die übrigen Erinnerungstexte der Freund/-innen und Kolleg/-innen liefern liebevoll und vorsichtig weitere Hintergründe zum Leben und Denken der Autorin. Allen gemeinsam ist, daß sie herausstellen, wie stark Moníková stets durch die europäisch-politischen und kulturellen Zusammenhänge – immer aus tschechischer Perspektive gesehen – umgetrieben wurde.

Dieses Literaturmagazin enthält sehr lesenswerte und wichtige Beiträge zum Verständnis Libuše Moníkovás. Nicht nur ihr Schreibort als deutschschreibende tschechische Autorin in ‚der Fremde‘ wird erhellt, sondern man erfährt und lernt auch vieles über die europäische Geschichte aus tschechischer Sicht.

URN urn:nbn:de:0114-qn021133

Karin Windt

Universität Paderborn

E-Mail: zinnober@falstaff.uni-paderborn.de

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