Vom 04. bis 06. Mai 2006 veranstalteten die niedersächsischen Zentren für Gender Studies zusammen mit weiteren Einrichtungen der Geschlechterforschung an der TU Braunschweig den internationalen Kongress „Re-Visioning the Future: Perspectives in Gender Studies/Re-Visionen der Zukunft: Perspektiven der Geschlechterforschung“.
240 Teilnehmer/-innen und über 50 Referent/-innen diskutierten auf dem Braunschweiger Kongress 2½ Tage lang intensiv über neue Forschungsansätze sowie über mögliche inhaltliche und institutionelle Perspektiven in den Gender Studies. Der zweisprachige Kongress (Englisch und Deutsch) bot dazu ein umfangreiches Programm mit Beiträgen zahlreicher renommierter Geschlechterforscherinnen aus Europa, den USA, Südafrika und Neuseeland, die in vier interdisziplinären Themenschwerpunkten Ergebnisse und Analysen aus den Sozial-, Geistes-, Kultur- und Kunstwissenschaften sowie aus Medizin und Naturwissenschaften vorstellten. Eine öffentliche Podiumsdiskussion mit Vertreter/-innen aus Politik und Wissenschaft sowie künstlerische Beiträge und ein abendliches Filmprogramm ergänzten das Kongressprogramm.
Die Veranstalter des Kooperationsprojekts waren das Braunschweiger Zentrum für Gender Studies, das Zentrum für interdisziplinäre Frauen- und Geschlechterforschung (ZFG) in Oldenburg, das Zentrum für interdisziplinäre Frauen- und Geschlechterforschung (ZIF) in Hildesheim, der Studien- und Forschungsschwerpunkt Gender Studies der Universität Hannover, das Studienfach Geschlechterforschung der Universität Göttingen sowie die Medizinische Hochschule Hannover (MHH).
Der Kongress wurde mit Mitteln von der Deutschen Forschungsgemeinschaft, dem Niedersächsischen Ministerium für Wissenschaft und Kultur, der Stiftung Niedersachsen und der Stiftung Braunschweigischer Kulturbesitz – Braunschweig Stiftung gefördert.
Eine Publikation der Kongressvorträge ist in Planung.
Ziel des Kongresses war es, angesichts der zunehmenden Ausdifferenzierung wie auch der erreichten stärkeren Institutionalisierung der Frauen- und Geschlechterforschung eine grundlegende fachübergreifende „Re-Vision“ der bisherigen Entwicklungen in Theorie und (akademischer) Praxis der Geschlechterforschung anzustellen. Mit einem „Blick zurück und nach vorn“ sollte daher a) eine kritische Bestandsaufnahme und Standortbestimmung vorgenommen werden, um auf dieser Grundlage b) zugleich künftige Forschungslinien und -schwerpunkte für eine Neuausrichtung der Gender Studies im Rahmen der aktuellen Umgestaltungen in den Wissenschaften zu skizzieren. Beides sollte sowohl im internationalen Dialog als auch in Form einer Reaktivierung von gesellschaftspolitischen Visionen erfolgen.
Der Kongress bot mit einer hochrangigen und internationalen wissenschaftlichen Besetzung für die genannten Fragen eine ebenso repräsentative wie innovative Diskussionsplattform. Den inhaltlichen Rahmen gaben dabei die vier Kongressthemen vor, die zentrale gegenwärtige Diskussionsthemen der Gender Studies spiegelten:
Das Ergebnis war ein dichtes Angebot von rund 40 wissenschaftlichen Vorträgen in Form einführender Plenarvorträgen und weiterer Beiträge in den vier Kongress-Sektionen und ihren jeweiligen Diskussionsforen. Dabei wurden zahlreiche neue Forschungsergebnisse aus den Gender Studies präsentiert, interdisziplinär reflektiert und mit einem internationalen Fachpublikum lebhaft diskutiert.
In einer Posterpräsentation (einführend moderiert von Waltraud Ernst (Hildesheim, D)) wurden zusätzlich auf etwa 40 Plakaten vielversprechende neue Gender-Projekte von Nachwuchswissenschaftler/-innen und aus der Gleichstellungspolitik vorgestellt.
Als weiteren Veranstaltungsteil wurden in einer abendlichen Podiumsdiskussion zum Thema „Gender und die Hochschule der Zukunft“ zudem eingehend die gegenwärtigen Umbrüche im Hochschulbereich und ihre hochschulpolitischen Konsequenzen für die zukünftige Ausgestaltung von Gender-Themen debattiert. Hier waren verschiedene Vertreter/-innen aus den Bereichen Wissenschaftspolitik, Hochschulentwicklung, Gleichstellung und Genderforschung eingeladen, insbesondere über weitere Institutionalisierungsmöglichkeiten der Gender Studies nachzudenken. Es diskutierten: Ulrike Beisiegel (Wissenschaftsrat (WR), D), Brigitte Doetsch (Landeskonferenz Niedersächsischer Hochschulfrauenbeauftragter (LNHF) und Gleichstellungsbeauftragte der TU Braunschweig, D), Barbara Hartung (Niedersächsisches Ministerium für Wissenschaft und Kultur, D), Liisa Husu (Helsinki, FIN), Heike Fleßner (Oldenburg, D); Moderation: Ulrike Teubner (Darmstadt, D)).
Mit dem kulturellen Begleitprogramm wurden darüber hinaus die wissenschaftlichen Themen um künstlerische Perspektivierungen erweitert. Hierzu zählten zum einen die Performance-Darbietung „Splendid Isolation“ und die Video-Installation „Maria et Luigi“ der Braunschweiger Künstlerin Iris R. Selke, zum anderen eine eigens zusammengestellte und organisierte 6-tägige Filmreihe in einem lokalen Kino unter dem Titel „Blurring Gender. Visionen der Uneindeutigkeit“ (Organisation: Markus Brunner (Hannover, D)). Die Vorträge zu den Filmen mit anschließender Diskussion (u.a. Beautiful Boxer, Thai 2003, Alles über meine Mutter, E 1999, Venus Boyz, CH/USA/D 2002) hielten Judith Halberstam (L.A., USA), Andreas Jahn-Sudmann (Göttingen, D), Heike Klippel (Braunschweig, D), Skadi Loist (Frankfurt/Main, D), Iris R. Selke (Braunschweig, D) und Susanne Tönsmann (Bremen, D).
Allen thematischen Schwerpunkten des Kongresses war das Ziel gemeinsam, herkömmliche Dichotomien bei der theoretischen (epistemologischen) und praktischen (sozialen, politischen, ökonomischen und kulturellen) Herstellung und Durchsetzung hierarchisierender Geschlechterordnungen aufzubrechen. In der Sektion 1/ Technologie(n) des Wissens. Re-Visionen des lebenden Körpers, moderiert von Brigitte Lohff (Hannover, D), sollten dabei insbesondere biologisierende und biologistische Argumentationsweisen in den Körperkonzepten der neuen Biowissenschaften und der Medizin einer eingehenden Kritik unterzogen werden. Die vorgestellten Ansätze umfassten hier sowohl methodisch als auch vom Untersuchungszeitraum her ein weites Spektrum. So stellte Victoria Grace (Christchurch, NZ) eine mit Elementen der Systemtheorie argumentierende Kritik des aktuellen Leib-Seele-Dualismus der modernen Biomedizin vor, während Ilana Löwy (Paris, F) die ambivalenten, die Geschlechterdifferenz potenziell auflösenden und sie gleichzeitig wieder herstellenden Effekte modernster Forschungsergebnisse zur nicht keimbahngebundenen Weitergabe genetischen Materials (FISH) herausarbeitete. Smilla Ebeling (Oldenburg, D) nahm eine historische Dekonstruktion dualistisch-heteronormer Kategorien in der Zoologie im 19. und 20. Jahrhundert vor, während Bettina Wahrig (Braunschweig, D) im historischen Durchgang durch verschiedene patriarchale Denkmuster im Prozess der Herausbildung des modernen Organismusbegriffs die Verschränkung von Machbarkeitsideologien und Geschlechterbildern aufzeigte.
Mary Baine Campbell (Waltham, USA) analysierte die Vergeschlechtlichung des Traumsubjekts im 17. Jahrhundert bei gleichzeitiger Entleerung und Abstraktion des Traumbegriffs. Barbara Duden (Hannover, D) kontrastierte den Körperbegriff der modernen Biowissenschaften mit einem phänomenologisch und körperhistorisch argumentierenden Leibbegriff und warnte eindringlich vor jeglicher Übertragung der biologischen und im Kern immer biologistischen Konzepte, und sei es auch in kritischer Absicht. Die Kommentatorinnen Elvira Scheich (Berlin, D) und Angelika Voss (Hannover, D) würdigten in ihren Kommentaren das breite Spektrum der Ansätze und forderten aus unterschiedlichen Perspektiven eine stärkere Fokussierung der impliziten Wissen/Macht-Konstellationen der in den Vorträgen untersuchten Diskurse und Forschungsergebnisse.
An die Diskussion der Dichotomien und Dualismen im Bereich der Biowissenschaften und der Medizin(-geschichte) schlossen sich in der Sektion 2/ Gender, Class, Ethnicity: Ungleichheiten im gesellschaftlichen Transformationsprozess, moderiert von Sybille Küster (Hannover, D), unter dem Stichwort „intersectionality“ vor allem weitreichende theoretische Erwägungen zu ‚Differenz‘ in sozialen Ungleichheitsstrukturen an. Anhand von Gender, Class und Race/ Ethnicity als zentralen strukturtheoretischen Analysekategorien wurde damit eine paradigmatische Erweiterung der soziologischen Theorien diskutiert, die darauf zielt, die Überschneidung (intersection) von Ungleichheit zwischen den Geschlechtern mit anderen Strukturgebern von Ungleichheit zu erfassen und so das Zusammenwirken von Kategorien kultureller Differenzierung und sozialer Strukturierung neu zu überdenken. Unter den Bedingungen gesellschaftlicher Transformation (z.B. europäische Integration, Globalisierung, Migrationsbewegungen) gerät eine solch integrierte Sicht auf gesellschaftliche Ungleichheit zu einer entscheidenden Zukunftsfrage, wie die verschiedenen Beiträge verdeutlichten.
So arbeitete Ann Phoenix (Open University, UK) hier zunächst die Notwendigkeit der Konzeptualisierung angemessener Methodologien und einer angemessenen Gewichtung des zu berücksichtigenden Spektrums von Differenzindikatoren heraus, u.a. um einen Rückfall in Identitätspolitiken zu vermeiden. Daran anschließend diskutierte Gudrun-Axeli Knapp (Hannover, D) den Nutzen des Intersektionalitätsansatzes für die Analyse gesellschaftlicher Transformationsprozesse (auf der Makro-Ebene; historisch) und plädierte für eine entsprechend sozial- und makrostrukturell angelegte Re-Vision der Formation „europäische Moderne“. Sheila Meintjes (Johannesburg, ZA) gewährte einen aufschlussreichen Einblick in die Arbeit der nach dem Ende der Apartheid in Südafrika eingesetzten ‚Commission on Gender Equality‘ und stellte daran kritisch die Beharrlichkeit sozialer und historisch gewachsener Strukturen und der geschlechtlichen Codierung politischer Macht und Institutionen heraus. Myra Marx Ferree (Madison, USA) analysierte die Analogien, die der Rhetorik von ‚Race‘ und Gender in den Geschlechterpolitiken der EU unterliegen, und zeigte hier sowohl verhängnisvolle Widersprüche als auch vielversprechende Komplementaritäten auf. Helma Lutz (Münster, D) verwies in ihrem Beitrag auf die unterschiedliche Genese und gesellschaftliche Verankerung von Race, Class und Gender und kritisierte in diesem Zusammenhang einen verstellten Blick auf die (Dis-)Kontinuitäten ethnisch-rassistischer Strukturen und Einstellungen in der deutschsprachigen Debatte. Auf der Mikro-Ebene stellten Helma Lutz (am Beispiel von Migrantinnen als Angestellte in deutschen Haushalten) sowie Renate Bitzan (Göttingen, D), welche die verschiedenen Faktoren, die die Partizipations- und Interessenvertretungsoptionen von polnischen Arbeiterinnen in deutschen Privathaushalten in ländlichen und strukturschwachen Regionen prägen, untersuchte, darüber hinaus Überlegungen zu den wirkungsmächtigen und sich wechselseitig durchdringenden Prozessen des ‚Doing Gender‘ und des ‚Doing Ethnicity‘ an. Claudia Gather (Hildesheim, D) verwies in ihrem Kommentar diesbezüglich nochmals auf die soziale und ökonomische Einbettung der von Lutz diskutierten ethnischen und geschlechtsbezogenen Zuschreibungen und Interaktionsweisen.
In der Sektion 3/ Visionen und Visibilität – Sozial- und Medienwissenschaften im Dialog wurde insbesondere der Begriff „Sichtbarkeit“ (visibility) und seine vielfältigen Semantiken und politischen Gebrauchsweisen/Visionen diskutiert. Ziel war ein kultur- und sozialwissenschaftlicher Fächerdialog über die Wirkung von Bildern und medialen Inszenierungen von Geschlecht in ihrem Spannungsverhältnis zwischen Repräsentation und subjektiver Wirklichkeit. Hinterfragt wurde u.a. das Bedürfnis nach ‚positiven (Gegen)Bildern‘ und einer ‚positiven Sichtbarkeit‘ unter Verweis auf deren ambivalente Effekte. Zugleich wurde gefragt, ob und inwieweit Sichtbarkeit des und der bisher Übersehenen, Verdrängten, Verworfenen – wie in der Queer Theory, in feministischen Theorien und/oder in Postcolonial Studies immer wieder eingefordert – mit politischer Anerkennung einhergeht.
Die Beiträge in dieser Sektion, moderiert von Paula-Irene Villa (Hannover, D), umspannten ein fachliches Spektrum von den Kunst- und Medienwissenschaften bis zu diskursanalytischen und kultursoziologischen Perspektiven. Zu Beginn nahm Judith Halberstam (L.A., USA) in ihrem Plenarvortrag eine Aufwertung des „Scheiterns“ (failure) vor, einer im akademischen und neoliberalen Kontext verworfenen und tabuisierten Figur, und plädierte demgegenüber für die Anerkennung des Scheiterns als potenziell widerständiger Strategie und als ‚Waffe der Schwachen‘ im Sinne Gramscis. ‚Queerness‘ als Verweigerung eindeutiger Identitäts- und Subjektpositionen deutete sie als eine solche positive Strategie des Scheiterns. Das hier gewonnene Wissen gelte es gerade für die Akademie fruchtbar zu machen, die sich ansonsten nur selber struktur- und inhaltskonservativ reproduziere (Foucault). Sabine Hark (Berlin, D) schloss hier an und übte in der Auseinandersetzung mit Sichtbarkeiten/ Unsichtbarkeiten queerer Positionen/ Positionierungen Kritik an der Heteronormativität a) in der Akademie, b) auch feministischer Ansätze. Linda Hentschel (Berlin, D) vollzog anschließend eine gelungene, an Derrida orientierte dekonstruktive Lektüre der ‚Abu Ghraib‘-Fotos und ihrer medialen Kontexte, während Faith Wilding (Chicago, USA) die außergewöhnliche künstlerische und politische Arbeit des cyberfeministischen Kollektivs „subRosa“ vorstellte, das mittels Art Performance eigene und kritische Diskursbeiträge zu den Themen Geschlecht, Sexualität und Differenz im Kontext von Reproduktions- und Biotechnologien zu entwerfen sucht. Hedwig Wagner (Weimar, D) analysierte am Beispiel des japanischen Films „Tokio Decadence“ in Medien selber eingelagerte Geschlechtsnormen und ihre exemplarische (Un)Sichtbarkeit.
Die Sektion 3 zielte explizit auf einen engeren interdisziplinären Dialog zwischen Sozial- und Medienwissenschaften, was im Ergebnis als ein durchaus erfolgreicher Auftakt gelang. Dennoch sind weitere ‚Übersetzungsleistungen‘ zur Verständigung notwendig. Einen solchen Übersetzungsbeitrag leistete hier der Abschlusskommentar von Silke Wenk (Oldenburg, D), die die unterschiedlichen disziplinären Zugangsweisen kenntnisreich reflektierte und zuallererst für den Dialog aufschloss.
In der Sektion 4/ Wissenschaftskultur, Profession und Geschlecht, moderiert von Sabine Brombach (Braunschweig, D), ging es um die Analyse aktueller Wissenschaftskulturen und ihrer Auswirkungen auf die Geschlechterverhältnisse im Berufsfeld Hochschule. Orientiert an Konzepten von Differenz und sozialer Ungleichheit wurde hier danach gefragt, welche Vergeschlechtlichungsdynamiken sich in Wissenschaftskulturen und wissenschaftlichen Laufbahnen ausmachen lassen und welche (erfolgreichen/ nicht erfolgreichen) Strategien und Effekte genderbezogene Interventionen im Hochschul- und Wissenschaftssystem aufweisen. Ein Fokus lag dabei auf den mathematisch/ naturwissenschaftlich/ technischen Wissenschaftsdisziplinen sowie weiteren ausgewählten Berufsfeldern im Bildungsbereich.
Die Beiträge dieser Sektion teilten sich in drei Bereiche: der theoretischen Reflexion von Genderingprozessen in Organisationen verbunden mit makrostrukturellen Fragen sozialer Ungleichheit (Joan Acker (Eugene, USA); Angelika Wetterer (Graz, A); Beate Krais (Darmstadt, D)) und weiteren professionssoziologischen Analysen am Beispiel von Reformprozessen im Gesundheitswesen (Ellen Kuhlmann (Bremen, D)); der Präsentation umfangreichen empirischen Materials aus dem internationalen Vergleich zum Thema Gender und Hochschule, das einen hohen Grad der Geschlechterungleichheit auf nahezu allen Ebenen des deutschen Hochschul- und Wissenschaftssystems sichtbar machte (Liisa Husu (Helsinki, FIN)); und einer Expertinnenrunde zum Thema „Geschlechterordnungen und Karrierewege von Frauen an Hochschulen“. Ausgehend von der historischen Perspektive (mit einem Beitrag von Ilse Costas (Göttingen, D), die Beratungsprotokolle aus dem akademischen Bereich für Frauen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts analysierte) wurde in dem Round Table im Ergebnis sowohl auf der Ebene der weiblichen und männlichen Promotionsförderung (Almut Kirschbaum (Berlin, D)) und der Wissenschaftskarrieren von Frauen in der Mathematik (Irene Pieper-Seier (Oldenburg, D)) als auch in spezifischen Fachkulturen (Ulrike Vogel (Braunschweig, D)) und beim Hochschultyp: Fachhochschule (Monika Schlegel (Oldenburg, D)) eine signifikante Geschlechtersegregation konstatiert. Diese zeige sich sowohl auf qualitativer Ebene (eigene Identität, Habitus) als auch auf quantitativer Ebene (weibliche Unterrepräsentanz).
In ihrem Abschlussvortrag zum Kongress „Erkenntnis und Veränderung in den Perspektiven der Geschlechterforschung“ beurteilte Cornelia Klinger (Wien, A) vom Institut für die Wissenschaften vom Menschen schließlich die wissenschaftspolitischen Errungenschaften aus drei Jahrzehnten Geschlechterforschung eher pessimistisch. Hinsichtlich der Beteiligung von Frauen am Wissensbetrieb und deren Rückwirkung auf die Entwicklung von Wissen selbst kritisierte sie zum einen das „beharrliche Be-Schweigen“ feministischer Gender-Forschung durch männliche Kollegen und eine damit einhergehende starke institutionelle Abwehr. Zum anderen problematisierte sie aber auch die entstandenen (berechtigten) Zweifel und Verunsicherungen des feministischen Diskurses selbst. Als Ausweg aus der Sackgasse helfe daher möglicherweise nur eine „Re-Politisierung“ der Geschlechterforschung, verstanden als ein wieder stärkeres Eingreifen in gesellschaftliche Diskurse sowie auf der Grundlage eines geschärften kritischen Verständnisses der Geschlechterordnungen im hiesigen Wissenschaftsbetrieb.
Von den Teilnehmenden hat der sehr gut besuchte Kongress in Braunschweig viel Anklang und positive Resonanz erhalten. Dies galt vor allem dem durchgängig hohen Niveau der Beiträge, welches für eine beachtliche Qualität auch der engagiert geführten zahlreichen Diskussionen sorgte. Die Gender Studies präsentierten damit in eindrucksvoller Weise ihre wissenschaftliche Leistungsfähigkeit und den fortgeschrittenen Stand, auf dem sich Gender Studies mittlerweile als eigenständige Forschungsrichtung ausweisen. Nicht zuletzt zeichnete darüber hinaus die gelungene Kooperation zahlreicher Einrichtungen der niedersächsischen Geschlechterforschung im Vorfeld und bei der Durchführung des Kongresses ein ausgesprochen positives Bild vom gegenwärtigen Stand und vom Entwicklungspotenzial des interdisziplinären Forschungszweigs. – Anlass genug, be- und gestärkt nach vorn zu schauen.
Fotos: Bettina Wahrig (5), Anja Wolde (1), Annette Vieth (1)
URN urn:nbn:de:0114-qn073331
Annette Vieth
Geboren 1966, Studium in Hamburg, Freiburg i. Br. und Bochum, Magister in Romanistik, Germanistik und Soziologie. 1999 bis 2004 wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Ruhr-Universität Bochum im BMBF-Medienprojekt VINGS – Virtual International Gender Studies (www.vings.de). Anschließend Koordinatorin des internationalen Gender-Kongresses „Re-Visionen der Zukunft: Perspektiven der Geschlechterforschung“ an der Universität Hannover und der TU Braunschweig. Eigene Forschungsschwerpunkte: Feministische Theorie sowie postkoloniale, dekonstruktivistische und queere Theorieansätze; Ethnizität, Migration und transkulturelle Globalisierung; Subjekttheorie. Promotion geplant.
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