Ein Fanbuch ohne Fans

Rezension von Barbara Kronsfoth

Frank-Burkhard Habel:

„Verrückt vor Begehren“. Die Filmdiven der Stummfilmzeit.

Ein leidenschaftlicher Blick zurück in die Zeit der ersten Stars.

Berlin: Schwarzkopf & Schwarzkopf 1999.

213 Seiten, ISBN 3–89602–128–1, DM 44,00 / SFr 42,00 / ÖS 321,00

Abstract: Das Zusammentragen vergessener Namen und zahlreicher Fotos berühmter Schauspielerinnen der 10er und 20er Jahre ist eine anerkennenswerte Fleißarbeit, doch schon die vom Autor gewählte, unangemessene Form des „Fanbuchs“ verhindert den reflektierten und interpretierenden Umgang mit dem Material. So ist das Buch lediglich wertvoll als eine zum Weiterforschen anregende archäologische Fundstätte, deren Objekte zu deuten dem/der Leser/in überlassen bleibt.

„Das große Buch für Fans“, so lautet der Untertitel dreier weiterer Bücher des Autors im selben Verlag, die sich an die Verehrer/-innen der Olsen-Bande, Ekel Alfreds und der DEFA-Indianerfilme wenden. Und nichts anderes wohl will auch „Verrückt vor Begehren. Die Filmdiven aus der Stummfilmzeit“ sein, womit das Grunddilemma dieses Buchs bereits beschrieben wäre, denn was ist ein Fanbuch ohne Fans?

Die Anforderungen und Erwartungen an ein Fanbuch sind mit Recht bescheiden: Es soll von einem Fan fürFans geschrieben sein, nicht mehr und nicht weniger. Ersteres suggeriert in diesem Fall der zweite Untertitel: Ein leidenschaftlicher Blick zurück in die Zeit der ersten Stars. Das läßt einiges erwarten, und ich war gerne bereit, in unseren nüchternen Zeiten dem entflammten Autor die eine oder andere im Eifer der Verehrung entgleisende Schwärmerei nachzusehen, unnötigerweise, wie sich herausstellte. Die jeweils einer Schauspielerin gewidmeten Kapitel erschöpfen sich in einem Referieren von Biographischem und Anekdotischem, das stilistisch zwar flüssig zu lesen ist, aber doch eher bieder daherkommt. (Der Vergleich ist zwar fast unstatthaft, aber wieviel wahre Leidenschaft und Liebe zu den großen alten Diven spricht dagegen aus Werner Schroeters Filmen Poussieres d’amour und Die Königin). Andererseits muß man/frau wohl dankbar sein, daß sich zumindest die Anflüge von Humorigkeit auf einige der Bildunterschriften beschränken. Sie bewegen sich etwa auf dem Niveau der Kommentare, mit denen launige Familienväter in den 60er Jahren die Familienfotoalben zu bereichern pflegten. Ein paar Highlights mögen als Eindruck genügen:

Grafik3

„Liane Haid will erobert werden“ (S. 11)

Oder zwei Bilder von Lil Dagover, über deren Schauspielrollen der Autor anfügen muß, „[…] das eine oder andere Mal waren ihre Partner wesentlich jünger als sie, ohne daß es auffiel […]“ (S. 35)

Grafik4Grafik5

„Ein aufmunternder Blick – die Dame kann auch frivol sein!“ (S. 34)

„Wer möchte nicht von diesem Wesen betört werden!“ (S. 35)

Neben dem ebenfalls in den 60ern stehengebliebenen Sexismus dieser Äußerungen ist vielleicht noch ärgerlicher die wohlfeile Überheblichkeit, mit der der Autor sich über Bilder und Präsentationsweisen amüsiert, die natürlich zeitverhaftet sind, zu deren Verständnis aber gerade deshalb solche dummforschen Kommentare wenig beitragen (von der sich darin manifestierenden gänzlichen Abwesenheit eines leidenschaftlichen Blicks ganz zu schweigen).

Die weit größere Crux des Buchs liegt aber auf der Rezeptionsseite. Ein Fanbuch über die Olsen-Bande oder Ekel Alfred ist das eine. Eines über Schauspielerinnen, deren lebende Fangemeinde heute höchstens noch aus ein paar Altenheimbewohner/-innen und dem einen oder anderen Filmhistoriker besteht, dagegen etwas ganz anderes. Was in dem einen Fall die Erwartung erfüllt und geradezu die Qualität ausmacht, die unhinterfragte Befriedigung der Neugier der Fans durch Bilder und Geschichten ‚ihrer‘ Stars, ist in dem anderen, da die Leser/-innen nicht Fans, sondern historisch ferne Interessierte sind und die Stars nicht mehr Teil einer lebendigen Erinnerung, bereits im Ansatz falsch. Die Form des Fanbuchs, die Habel von seinen Vorgängerbüchern übernommen hat, verhindert die Reflexion, ohne die die Vermittlung von Vergangenem nicht mehr ist als eine Aneinanderreihung von Fakten und Fotos. Gerade das Verdienstvolle des Buches, an viele zu erinnern, die, einstmals große Stars, heute vergessen sind, läuft so ins Leere. Die Hoffnung, die Aura der ersten Filmstars möge sich mittels Sammler-Fotos und biographischer Anekdoten den Leser/-innen mitteilen, ist trügerisch. Wie sehr uns die historische Distanz den unmittelbaren Zugang verwehrt, beweist Habel unfreiwillig selbst mit seinen hilflos-komischen Kommentaren zu Bildern, angesichts derer auch Zeitzeugen vermutlich nicht ohne Nachdenken und ironische Distanz zu sagen vermöchten, was sie ‚damals‘ an diesen Frauen so begeistert hat.

Der leidenschaftliche Blick (so überhaupt vorhanden) ist in einem solchen Fall fruchtlos ohne den analytischen – und umgekehrt. Daß beides nicht zusammengehe, ist nichts als eine Schutzbehauptung derer, die mit dem Kopf nicht fühlen und dem Herzen nicht denken können. Stoff zur Reflexion bietet das Buch mehr als genug. Über das Phänomen der ‚Diva‘ hätte ich gern mehr gelesen als die zwei, drei Allgemeinheiten in der Einleitung. Was bedeutet diese vorgebliche ‚Vergötterung‘ der Frauen? Wie kommt der Begriff von der Oper zum Film, und was sagt diese Übernahme über das damals neue Medium aus?

Vor allem aber hätten die Bilder eine genauere Aufmerksamkeit verdient. In der Inszenierung der Gesichter und der Körper, in den Posen, Gesten und Blicken, in ihrer Gleichförmigkeit wie ihren Unterschieden repräsentieren diese Starfotos die populären Weiblichkeitsentwürfe und -ideale der 10er und 20er Jahre. Der Autor beschränkt sich ausdrücklich auf diese Glamourbilder, erlaubt sich und uns bewußt keinen Blick auf die Frauen auf der abschüssigen Seite ihrer Karriere, die alternden Diven. Umso weniger ist begreiflich, daß jemand die Mühe und den Fleiß aufbringt, diese Sammlerschätze – immerhin 200 Fotos – zusammenzutragen, ohne anscheinend die mindeste Neigung zu verspüren, diese oft einzig noch zugänglichen Zeugnisse des Ruhms der einst Vergötterten zu lesen und zu deuten. Einige Namen zwar klingen noch, und mit Glück sind diese Darstellerinnen hin und wieder auf der Leinwand oder im Nachmittagsprogramm der Öffentlich-Rechtlichen zu sehen, allen voran Asta Nielsen, aber auch Lil Dagover, Henny Porten, Pola Negri, Olga Tschechowa, Mae Busch, Elisabeth Bergner; andere dagegen sind zumindest mir hier zum ersten Mal begegnet: Alexandra Chochlowa, Viola Dana, Doris Kenyon, Lya Maria. Womit sich der Bogen schließt zum „Fanbuch ohne Fans“, denn natürlich genügen ein paar biographische Geschichten und Fotos nebst einer schmalen Filmographie, die sich zudem auf Titel und Entstehungsjahr beschränkt, nicht, die Vergessenen wieder zum Leben zu erwecken.

Doch wahrscheinlich sollten wir dem Autor auf ähnliche Weise dankbar sein wie den fleißigen faktenanhäufenden Forschern des 19. Jahrhunderts. Er liefert die materielle Grundlage, weitersuchen, deuten, Zusammenhänge erkennen müssen wir selbst.

URN urn:nbn:de:0114-qn021148

Barbara Kronsfoth

Berlin

E-Mail: Kroma.Frieda@gmx.net

Die Nutzungs- und Urheberrechte an diesem Text liegen bei der Autorin bzw. dem Autor bzw. den Autor/-innen. Dieser Text steht nicht unter einer Creative-Commons-Lizenz und kann ohne Einwilligung der Rechteinhaber/-innen nicht weitergegeben oder verändert werden.