„Der Held der Prärie“

Rezension von Daniel Siemens

Martin Weidinger:

Nationale Mythen – männliche Helden.

Politik und Geschlecht im amerikanischen Western.

Frankfurt am Main, New York: Campus 2006.

264 Seiten, ISBN 978–3–593–38036–0, € 29,90.

Abstract: Martin Weidinger analysiert den amerikanischen Westernfilm von seinen Anfängen bis in die Gegenwart. Sein Anspruch ist, im Film inszenierte gesellschaftsprägende Mythen vom „Westen“ in ihrer Bedeutung für die amerikanische Kultur aufzuzeigen. Weidingers besonderes Augenmerk gilt der Konstruktion von Geschlecht. Leider bietet die Untersuchung nur wenig Neues: Der Autor bleibt allzu oft gängigen Stereotypen verhaftet; die Komplexität der amerikanischen Gesellschaft im 20. Jahrhundert kommt zu kurz.

Die Buchfassung von Martin Weidingers an der Universität Wien entstandener Dissertation handelt von einer in den Augen ihres Verfassers „problematischen“ und „abstoßend erscheinenden“ Filmgattung, dem amerikanischen Western, und ihrer Bedeutung für eine politische Kulturgeschichte der Vereinigten Staaten. Der Autor verortet seine Arbeit an der Schnittstelle von Politikwissenschaft und Genderforschung; er fragt nach „ideologischen Filminhalten“ und der ihnen „zugrundeliegenden Mythologie“ (S. 12 f.).

Ideologie im Spielfilm

Der Untersuchungsgegenstand ist geschickt gewählt, wenn auch zum gleichen Thema bereits mehrere englischsprachige Publikationen vorliegen, auf die sich Weidinger vielfach bezieht. Von der Prämisse ausgehend, dass popularkulturelle Produkte „grundlegend systemaffirmativen Charakter“ haben (S. 55), will Weidinger zeigen, wie anhand der tendenziell sehr monothematischen Westernfilme über Jahrzehnte hinweg eine ideologisch aufgeladene Vorstellung des amerikanischen Westens popularisiert wurde. Sie sei in ihren Grundzügen konservativ, individualistisch und frauenfeindlich und propagiere Gewalt als legitimes Mittel der Konfliktlösung. Der Anspruch des Autors ist hoch: Er möchte „zu einem vertieften Verständnis sowohl US-amerikanischer politischer Traditionen und daraus resultierender gesellschaftlicher Diskurse als auch aktueller Entwicklungen auf nationaler und internationaler Ebene […] gelangen“ (S. 16).

„Traditionslinien“

Bevor sich Weidinger seinem eigentlichen Thema zuwendet, präsentiert er nach einem knappen Einleitungskapitel auf den folgenden sechzig Seiten zunächst eine handbuchartige, ganz überwiegend auf der einschlägigen historischen und politikwissenschaftlichen Forschung basierende problemorientierte Kontextualisierung des Westernfilms. Im zweiten Kapitel umreißt er grundlegende ideengeschichtliche „Traditionslinien“ wie Liberalismus und Republikanismus und beleuchtet die Bedeutung von Religion und Individualismus in den Vereinigten Staaten. Das zentrale dritte Kapitel ist zunächst der Entstehung und Popularisierung der „Westens“ bzw. des „Frontier-Mythos“ gewidmet. Weidinger fragt nach den Ursprüngen der „manifest destiny“ und zeichnet nach, wie die Vorstellung des amerikanischen Pioniers und Siedlers als Idealtypus des amerikanischen Menschen mit seinen Tugenden und Werten zunächst imaginiert und dann auch kommerziell inszeniert wurde. Das alles ist flott geschrieben, allerdings wenig problemorientiert auf den eigentlichen Untersuchungsgegenstand hin angelegt. Für ein wissenschaftliches Publikum hätten diese Ausführungen gestrafft werden können; Weidinger wiederholt überwiegend Bekanntes – alternative Deutungen oder Akzentuierungen liefert er nicht.

Der Westernheld zwischen „Hure“ und „Heiliger“

Anschließend untersucht Weidinger die „Repräsentationen von Geschlecht“ im Westernfilm. Er beschreibt, welche Eigenschaften Frauen und Männern im Westernfilm zugeschrieben wurden, und kommt zu dem Ergebnis, dass Männer stets paternalistisch-überlegen, Frauen als emotional abhängig oder moralisch verkommen dargestellt werden.

Die männlichen Helden im Western sind zwangsläufig an der Grenze zwischen Wildnis und Zivilisation angesiedelt (vgl. S. 97), sie sind einsame Helden ohne Frau und Familie (vgl. S. 69). Ihre Waffen, von denen sie bei Bedarf auch Gebrauch machen, sind unverzichtbares Signum ihrer Männlichkeit. Der Westernheld ist ein Einzelkämpfer mit einem eher archaischen Sinn für Gerechtigkeit. Körperlich wird er jedoch als „zivilisiert“ dargestellt: Stets ist der Westernheld frisch rasiert und wird mit sauberer Kleidung gezeigt, ein ungepflegter Körper symbolisiert in diesem Genre automatisch eine negative Figur. Weidingers Analyse der Männlichkeitskonstruktion beschränkt sich überwiegend auf solche „äußerlichen“ Kennzeichen. Über die „Emotionalität“ der Helden erfährt der Leser, die Leserin leider nichts.

Der Western kennt zwei klassische Frauengestalten. Da ist zunächst die „Heilige“, eine junge, „weiße“, unschuldige und heiratswillige Ostküstenfrau. Ihr steht die „Hure“, eine wirtschaftlich unabhängige, sexuell erfahrene, oftmals mit indigenen Wurzeln präsentierte, kurz: mit allen Wassern gewaschene Frau des Westens gegenüber, die vielfach den örtlichen Saloon oder das Bordell leitet. Sie stirbt in den meisten Filmen, während die weiße Unschuldige und der Westernheld oftmals zu Eheleuten werden. Beide Frauengestalten sind, besonders im Vergleich zum Westernhelden, in der Regel als sexuell und wirtschaftlich abhängig markiert. Der Held, der die Tricks der Verführung beherrscht, kann dagegen mit seiner Männlichkeit spielen. Auch auf dieser Ebene wird er als unabhängig und damit positiv imaginiert. Weiblichkeit ist dagegen im Western in jedem Fall negativ konnotiert.

Geschlecht als grundlegende Kategorie

Überzeugen kann Weidingers Studie vor allem in den genauen Beispielanalysen von vier wichtigen Westernfilmen im vierten Kapitel seines Buches, die allesamt aus der Spätphase des Genres (ab den 1950er Jahren) stammen. Auch seine kenntnisreiche chronologisch angeordnete Geschichte der Westernfilme, die die Entwicklung der Gattung vor dem Hintergrund der politischen Kulturgeschichte der Vereinigten Staaten im 20. Jahrhundert nachzeichnet, ist in ihrer Konzentration auf das Wesentliche gelungen – auch wenn sie über den engeren Untersuchungsgegenstand hinaus kaum neue Erkenntnisse liefert.

Weidinger betont mehrfach, dass „Gender“ eine zentrale Kategorie der Westernfilme darstellt. Er verkürzt den Begriff jedoch, wenn er ganz überwiegend die soziale „Geschlechtsrolle“ analysiert, ohne die „Geschlechtsidentität“ der Figuren zu berücksichtigen. Auch in seinen ausführlichen Beispielanalysen beschränkt er sich darauf, „filmimmanente“ Rollenbilder herauszuarbeiten. Die geschlechtsspezifische Rezeption der Westernfilme wird nicht thematisiert. Dass Western Männerfilme sind, die männliche Gewalt- und Überlegenheitsphantasien befriedigen, setzt der Autor voraus.

Der filmhistorische Kontext

Es leuchtet ein, dass die nachlassende Attraktivität der Westernfilme seit den 1960er Jahren mit einem veränderten Geschlechterbild in Verbindung gebracht wird (vgl. S. 198, 246). Leider wird diese These nicht empirisch untermauert. Auch wird der Gangsterfilm, das antagonistische Genre in der amerikanischen Spielfilmproduktion des frühen 20. Jahrhunderts, nur sehr knapp am Rande behandelt. Diese Dekontextualisierung des Westernfilms geht einher mit einer generell zu beobachtenden Verkürzung der durchaus komplexen und widersprüchlichen amerikanischen Geschichte im 20. Jahrhundert. Weidinger präsentiert den Leser/-innen nur das konservativ-reaktionäre Gesellschaftsspektrum Amerikas; Urbanisierung und eine multiethnisch zusammengesetzte Bevölkerung (wie im Gangsterfilm), Kriege (und die dazugehörigen Kriegsfilme) sowie generell einen Vergleich des Western-Helden mit anderen „Outlaws“ sucht man vergeblich. Simplifizierende Aussagen, wenn etwa ein klarer Dualismus zwischen den Vereinigten Staaten und Europa postuliert wird (besonders im Schlusskapitel), scheinen mehr den aktuellen politischen Meinungsverschiedenheiten geschuldet als den tatsächlichen historisch unterschiedlichen Entwicklungen, sie sind zudem nicht frei von Ressentiments.

Fazit

Insgesamt hinterlässt Weidingers Studie einen ambivalenten Eindruck: Fans des Western-Genres können mit dem Buch auf eine informierte Überblicksdarstellung zurückgreifen, die kenntnisreich wichtige Filme des Genres analysiert. Leitmotive und zeitgenössische politische Hintergründe werden erläutert, wenn auch ästhetische Gesichtspunkte nur knapp behandelt werden. Dem selbst gesteckten Anspruch, am Beispiel des Western-Films die Konstruktion von Geschlecht im amerikanischen Kino aufzuzeigen und überdies anhand dieser Analyse Grundzüge der politischen Kultur der Vereinigten Staaten zu erklären, wird der Verfasser jedoch nur partiell gerecht.

URN urn:nbn:de:0114-qn081149

Dr. des. Daniel Siemens

Universität Bielefeld, Arbeitsbereich Geschichte moderner Gesellschaften

E-Mail: daniel.siemens@uni-bielefeld.de

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