Brigitte Aulenbacher:
Rationalisierung und Geschlecht in soziologischen Gegenwartsanalysen.
Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2005.
306 Seiten, ISBN 978–3–531–14531–0, € 31,90.
Abstract: Die Monographie von Brigitte Aulenbacher zum Zusammenhang von Rationalisierung, Geschlecht und Gesellschaft ist in gegenstandsbezogener und methodologischer Hinsicht ambitioniert, überzeugend und lesenswert. Die Studie stellt eine solide, manchmal auch etwas zu weitschweifige und detailreiche Grundlage für weiterführende Diskussionen zwischen der (sozialwissenschaftlichen) Frauen- und Geschlechterforschung und der Soziologie, genauer der Gesellschaftstheorie in zeitdiagnostischer Perspektive, Arbeits-, Industrie-, Organisations- und Techniksoziologie, dar.
Brigitte Aulenbacher legt mit ihrer Monographie zum Zusammenhang von Rationalisierung, Geschlecht und Gesellschaft ein ambitioniertes und in (mindestens) zweierlei Hinsicht lesenswertes Buch vor, das auf ihrer soziologischen Habilitationsschrift beruht: In gegenstandsbezogener Hinsicht führt die Autorin zum Thema Rationalisierung, Geschlecht und Gesellschaft sorgfältig, zum Teil akribisch verschiedene „geschlechtsindifferente“ (S. 17) Forschungsstränge und -strömungen aus der Soziologie (Gesellschaftstheorie in zeitdiagnostischer Perspektive, Arbeits-, Industrie-, Organisations- und Techniksoziologie) und der (sozialwissenschaftlichen) Frauen- und Geschlechterforschung zusammen. Ihre Ergebnisse entfaltet sie in drei umfangreichen, relativ eigenständigen, aber aufeinander aufbauenden Kapiteln. Dabei lässt sie von der Einleitung an keinen Zweifel an ihrer eigenen Positionierung in der „gewollt konservative[n] Kontrastfolie“ (S. 14) der Industriegesellschaft und plädiert dafür, „die Kategorie Geschlecht in der Rationalisierungsforschung systematisch zu berücksichtigen“ (S. 11).
Mindestens aber genauso interessant und Beispiel gebend für den „notwendigen, sich bereits anbahnenden und wünschenswerten Dialog[]“ (S. 270) zwischen den verschiedenen Strängen und Strömungen ist Aulenbachers Studie in methodologischer Hinsicht: Die Verfasserin illustriert in den drei Kapiteln, wie dieser Dialog zwischen den verschiedenen Forschungssträngen und -strömungen in Gang gebracht werden könnte und welche Hürden er aus Sicht der Frauen- und Geschlechterforschung zu nehmen hat. In der Abschlussbetrachtung im fünften Kapitel reflektiert sie diese Vorgehensweise schließlich explizit hinsichtlich der sich darin abzeichnenden „Forschungs- und Diskurskonstellationen“ (S. 267).
Am Anfang von Aulenbachers Argumentation steht in Kapitel 2 die Auseinandersetzung mit ausgewählten Positionen der Frauen- und Geschlechterforschung (Ursula Beer/Jutta Chalupsky, Regina Becker-Schmidt, Gudrun-Axeli Knapp, Regine Gildemeister und Angelika Wetterer) und mit Ansätzen (Hildegard Heise, Reinhard Kreckel), die sich mit der Kategorie Geschlecht in struktur- und prozesskategorialer Hinsicht beschäftigen. Dabei plädiert die Autorin dafür, Klasse und Geschlecht miteinander in Beziehung zu setzen, und zeigt sich wesentlich der Fassung der Strukturkategorie Geschlecht durch Becker-Schmidt verbunden. Die Erweiterung der gesellschaftstheoretischen Debatte um die Strukturkategorie Geschlecht, aber auch um die meso- und mikrosoziologische Ebene durch die sozialkonstruktivistischen Ansätze sei zu begrüßen. Die sozialkonstruktivistischen Ansätze sind jedoch im Weiteren in ihrer Arbeit kaum mehr von Bedeutung. Indem zudem Möglichkeiten nicht weiter verfolgt werden, die beiden Perspektiven zusammenzuführen, wird hier für die weitere Argumentation Erkenntnispotenzial verschenkt. In diesem Kapitel werden bereits auch begriffliche Grundlagen für die in der Studie weitgehend überzeugend entfaltete Analyseperspektive der „Reorganisation und Redefinition“ (z. B. S. 267) entfaltet.
Im nächsten Argumentationsschritt befragt die Verfasserin in Kapitel 3 die Modernisierungstheorien von Ulrich Beck und Anthony Giddens hinsichtlich ihres Erkenntnispotenzials für den Zusammenhang von Geschlecht, Gesellschaft und Rationalisierung im Spiegel der Rationalisierungs- und Geschlechterforschung. Zu den starken und vor dem Hintergrund von Aulenbachers Position überzeugenden Teilen des Kapitels gehören zweifelsohne die Reflexionen zum Verhältnis von feministischer Gesellschaftsanalyse und („reflexiven“) Modernisierungstheorien. Ausgesprochen interessant ist auch das methodische Vorgehen für die intendierte Spiegelung der Theorien Becks und Giddens’, die zunächst immanent, dann exmanent unter Hinzuziehung von ausgewählten geschlechtsbezogenen arbeits-, industrie-, organisations- und techniksoziologischen Studien analysiert und kritisiert werden.
In der Rezeption der Arbeiten von Beck und Giddens findet allerdings eine verkürzende Vereinheitlichung der beiden Modernisierungstheorien statt. Hier wäre eine tiefer gehende Differenzierung zwischen beiden Ansätzen sinnvoll und notwendig gewesen. Beispielsweise wäre dann die von Aulenbacher unerwähnte theoriepolitische Bedeutung der Frauenbewegungen in beiden Theorien sichtbar geworden: bei Beck kommt sie nahezu nicht vor, Giddens würdigt sie durchgängig als wichtige Sozialbewegung, baut sie jedoch nicht konsequent in seine Theoriearchitektur ein. Oder, um ein weiteres Beispiel zu nennen, die ebenfalls von der Autorin nicht beachtete unterschiedlich elaborierte sozialtheoretische Fundierung beider Modernisierungstheorien hätte verdeutlicht werden können: bei Beck ist diese kaum ausgearbeitet, bei Giddens liegt sie jedoch in Form der Strukturierungstheorie vor. Und auch wenn man mit Giddens’ etwas unscharfem, von Foucault beeinflusstem Macht- und Herrschaftsbegriff nicht einverstanden sein mag, so ist doch Aulenbachers Vorwurf zurückzuweisen, dass Macht und Herrschaftsverhältnisse für Giddens kein Thema seien (vgl. S. 165): Neben der Signifikation und der Legitimation wird die Herrschaft (im engl. Original: power) in Giddens’ Strukturierungstheorie als dritte strukturelle Dimension sozialer Systeme systematisch berücksichtigt. Angesichts von Aulenbachers scharfer Kritik an Becks und Giddens’ Theorien ist letztlich ihre Schlussfolgerung nicht recht nachvollziehbar, dass an den beiden Ansätzen im Hinblick auf ihre Fragestellungen „durchaus ‚was dran‘ ist“ (S. 197).
Im vierten Kapitel wird schließlich, aufbauend auf den zuvor gewonnenen Erkenntnissen, ein feministischer Blick auf die Debatte zur Subjektivierung von Arbeit geworfen. Aulenbacher betrachtet hier die Diskussion über Perspektiven der Arbeits- und Industriesoziologie, die ihrer Ansicht nach nicht mehr ohne Berücksichtigung der Kategorie Geschlecht geführt werden kann. Der Diskussionsstrang zur Subjektivierung von Arbeit erweist sich ihrer Ansicht nach als besonders ergiebig für ihr theoretisches und methodologisches Anliegen: Die Autorin zeigt überzeugend, dass in diesem Strang die Frauen- und Geschlechterforschung zur Kenntnis genommen, wenn auch nicht angewendet würde, die Trennung von Haus- und Erwerbsarbeit würde hier mit veranschlagt, und dualistische Setzungen wie auch Leiblichkeit gerieten mit in den Aufmerksamkeitshorizont.
Im Schlusskapitel geht es Aulenbacher darum, „die Reichweite und die Grenzen der eigenen Arbeit abzustecken und einige weiterführende Perspektiven zu benennen“ (S. 267). Dabei charakterisiert sie die Frauen- und Geschlechterforschung als „interdisziplinär zusammengesetzte[n] Forschungsstrang“ (S. 268), in dem die „transdisziplinäre Diskussion zu Geschlecht als Kategorie feministischer Forschung“ (S. 268) geführt werde, und hebt ihre „Innovativkraft“ und „Innovationsfähigkeit“ (S. 268) hervor. In Bezug auf ihr Thema Rationalisierung, Geschlecht und Gesellschaft plädiert sie für die „Grenzgängerei zwischen den Teildisziplinen“ (S. 269) und bezeichnet ihre Arbeit diesbezüglich als „gesellschaftstheoretisch fundierten, trans(teil)disziplinären Beitrag zur weiteren disziplinären und interdisziplinären Verhandlung“ (S. 270). Dabei bleibt sie jedoch in der Bezugnahme auf die genannten Arbeiten zur Kategorie Geschlecht, aber auch in der Rezeption ausgewählter gesellschaftstheoretischer, arbeits-, industrie-, organisations- und techniksoziologischer Arbeiten wesentlich disziplinär im soziologischen Diskurs verhaftet.
Grenzgängerei ersetze keinen Dialog zwischen den Strängen und Strömungen. Wenngleich Aulenbacher den Dialog mit ihrem Diskussionsangebot fördern will, versieht sie dessen Erfolgschancen mit einem Fragezeichen, denn dieser Dialog sei angesichts des „Rezeptionsgefälles“ (S. 200) zwischen der geschlechtsindifferenten Soziologie und der Frauen- und Geschlechterforschung nicht „herrschaftsfrei“ (S. 271). Die Frauen- und Geschlechterforschung könne darin nur dann gewinnen, wenn es ihr gelänge, sich in die hegemonialen Diskurse der Soziologie (wieder) stärker einzuklinken und zudem eigene Wege zu beschreiten.
Das vorliegende Buch überzeugt in theoretischer, methodologischer und methodischer Hinsicht. Aulenbacher leistet damit einen konzeptionell fundierten und überfälligen Beitrag zur Debatte um den Zusammenhang von Rationalisierung, Geschlecht und Gesellschaft, der vielfältige Anknüpfungspunkte für weiterführende Diskussionen bietet, auch in präzisierender und ggf. modifizierender Hinsicht. Es ist begrifflich erfreulich klar, weitgehend gut lesbar, manchmal jedoch auch etwas zu weitschweifig und detailreich, was wohl wesentlich auch dem Charakter der Habilitationsschrift zu verdanken ist.
Die zentrale Botschaft der Publikation ist evident: Rationalisierungsforschung in kritischer Absicht ist ohne systematischen Einbezug der Ergebnisse der Frauen- und Geschlechterforschung nicht denkbar. Die durch diesen Einbezug möglich werdenden Erweiterungen von Erkenntnisoptionen und -potenzialen der Rationalisierungsforschung legt die Autorin plastisch dar.
Daneben hat das Buch aber auch noch eine implizite Botschaft: Aulenbacher fordert die Frauen- und Geschlechterforschung auf, sich auf dem Weg zu einer feministischen Rationalisierungsforschung auf ihre Stärke in wissenschaftskritischer Hinsicht rückzubesinnen und geschlechtsindifferente Gesellschaftstheorien in zeitdiagnostischer Perspektive, aber auch die Arbeits-, Industrie-, Organisations- und Techniksoziologie geschlechtsbezogen zu reorganisieren und zu redefinieren. Damit wäre ihrer Ansicht nach die herrschaftsbedingte „Schräglage“ (S. 221) zwischen den verschiedenen Forschungsströmungen und -strängen noch nicht beseitigt, aber zumindest die „Plattform“ (S. 270) für ihren überfälligen Dialog vergrößert. Unberücksichtigt bleibt in dieser Wertschätzung der Frauen- und Geschlechterforschung als „better science“ jedoch, dass diese ihrerseits eine anders geartete „Schräglage“ produziert, wie an Aulenbachers selektiver Lektüre der ausgewählten Modernisierungstheorien exemplarisch deutlich wurde. Dies zeigt, dass die Frauen- und Geschlechterforschung in dem anzubahnenden Dialog, wenn auch von einem vermeintlich unterlegenen Ausgangspunkt startend, keineswegs frei von (neuen, eigenen) „blinden Flecken“ ist und nicht nur aufklärend wirken, sondern auch ihrerseits profitieren könnte.
URN urn:nbn:de:0114-qn081076
Dr. Heike Kahlert
Universität Rostock, Institut für Soziologie und Demographie
E-Mail: heike.kahlert@uni-rostock.de
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