Emilija Mitrovic (Hg.):
Prostitution und Frauenhandel.
Die Rechte von Sexarbeiterinnen stärken! Ausbeutung und Gewalt in Europa bekämpfen!
Hamburg: VSA 2006.
160 Seiten, ISBN 978–3–89965–191–1, € 12,80.
Abstract: Das Prostitutionsgesetz von 2002 hat das Geschäft mit der Liebe in Deutschland erstmals aus der illegalen Schmuddelecke geholt. Formal ist die Prostitution damit ein Beruf neben anderen. Eine moralische Neubewertung der „Sexarbeiterinnen“ ist damit nicht einhergegangen. Im vorliegenden Buch, das die wichtigsten Beiträge der Tagung „Frauenhandel und Prostitution in Europa“ versammelt, wird zum Paradigmenwechsel aufgerufen: Ja, es gibt sie, die Frauen (und Männer), die in der Prostitution einen alternativen, durchaus gangbaren Lebensweg sehen. Aber: Es gibt sie mindestens genauso häufig, die „weißen Sklavinnen“, Opfer des internationalen Menschenhandels, die zur Prostitution gezwungen werden. Die Beiträger/-innen des Bandes versuchen, sowohl deren Realität als auch der der freiwilligen Sexarbeiterinnen gerecht zu werden. Dazu werden die gesetzlichen Grundlagen in Deutschland und in ausgewählten europäischen Ländern vorgestellt (sowie die EU-weiten Bemühungen um eine gemeinsame Anti-trafficking-Politik). Der Abdruck modellhafter Arbeitsverträge oder internationaler Statuten von Sexarbeitervereinigungen dient der mit dem Band verbundenen aufklärerischen Absicht, Prostitution als Beruf zu etablieren/wahrzunehmen.
Rechte stärken! Ausbeutung bekämpfen! Zwei Forderungen, zwei Ausrufezeichen, ein Problem: Was heißt Prostitution heute? Ist „Prostitution = Frauenhandel = Zwangsprostitution“, wie es die Autor/-innen des Buches allzu oft, allzu verkürzt in der Boulevardpresse dargestellt finden? Oder ist es ein Beruf unter vielen, der zu Unrecht kriminalisiert und tabuisiert wird? Dem Bemühen, die Prostitution aus dem hier (wortwörtlich zu verstehenden) Sperrbezirk der Vorurteile und der Doppelmoral herauszuholen, verleiht jeder Beitrag kämpferisch Ausdruck. Der Band enthält die zentralen Vorträge der internationalen Konferenz „Frauenhandel und Prostitution in Europa“, die Anfang Dezember 2005 in Berlin stattfand. Auf dieser von ver.di und der Friedrich-Ebert-Stiftung geförderten Tagung trafen Experten/-innen aus Italien, Polen, Großbritannien und Deutschland zusammen, um gemeinsam über die Gegenwart des europäischen Sexdienstleistungssektors, dessen gesetzliche Grundlagen und Perspektiven zu diskutieren. In zehn Beiträgen werden die tatsächlichen und die erhofften Auswirkungen des Prostitutionsgesetzes abgewogen.
Im ersten Artikel „Die Spitze der Doppelmoral“ von der Herausgeberin Emilija Mitrovic wird einerseits der gesetzliche und wirtschaftliche Status quo des heutigen Prostitutionsgewerbes in Deutschland, aber auch in anderen europäischen Ländern reflektiert, andererseits auf die weiterhin bestehende soziale Ächtung der selbsternannten „Sexarbeiterinnen“ hingewiesen. In dieser Umformulierung von „Prostituierte“ zu „Sexarbeiterin“ liegt mehr als eine euphemistische Wortspielerei: „Sexarbeit ist Arbeit“ (S. 16) und nicht per se Ausverkauf von Menschenwürde, so die Autorin. Dass gerade diese den „sex workers“ vorenthalten wird, liege auch am mangelnden Schutz durch den Gesetzgeber. „In eine Grauzone zwischen Illegalität und Kriminalität“ (S. 14) gedrängt, bleibe den Frauen die soziale Für- und Vorsorge verwehrt. Diese Marginalisierung aufzuheben, war das Anliegen des Prostitutionsgesetzes: Das von der rot-grünen Regierung 2001 verabschiedete Gesetz regelt nunmehr die zivil-, arbeits- und sozialrechtlichen Beziehungen zwischen Prostituierten, Kunden und Arbeitgebern. Somit haben Prostituierte das Recht, Sozialabgaben abzuführen, einen regulären Arbeitsvertrag abzuschließen. Eine der wichtigsten Neuregelungen ist die Streichung des Paragraphen, der bislang die Förderung oder Begünstigung der Prostitution unter Strafe stellte.
Auch Judith Schwethelm macht in ihrem Aufsatz „Prostitution als soziale Realität“ darauf aufmerksam, dass der Sexmarkt, der von Telefonsex über Table Dance bis zum Bordell reicht, eine wirtschaftliche Größe darstellt, die sich auch rechtlich nicht länger ignorieren ließ: Geschätzte 14,5 Milliarden Euro werden jährlich umgesetzt, geschätzte 1,2 Millionen Männer nehmen täglich sexuelle Dienste in Anspruch, und geschätzte 400 000 Frauen prostituieren sich in Deutschland. Etwa die Hälfte dieser Frauen (auch das nur ein Schätzwert) sind Opfer von Menschenhandel.
Wie weit die Zwangsprostituierten auch nur von einer Anerkennung ihres Opferstatus entfernt sind, zeigt Bärbel Heide Uhl in dem höchst informativen Aufsatz „Zur aktuellen Situation des Menschenhandels in Europa“. Hier zeichnet sie die historischen Linien einer EU-weiten Anti-trafficking-Politik nach. Diese gehen von der 49er Konvention über das Palermo-Protokoll, das erstmals eine international gültige Definition von dem, was unter Menschenhandel zu verstehen sein soll, vorlegte, bis zu den heutigen Aktionsplänen, die neben den Opferschutz und die strafrechtliche Verfolgung von Menschenhändlern vor allem die Präventionsarbeit setzen. „Eine nachhaltige Wirtschaftspolitik in den Herkunftsländern, die vor allem die Feminisierung der Armut“ (S. 64) berücksichtigt, kann die Frauen vor desperaten Migrationsplänen, die nicht selten in der Prostitution enden, schützen. Bislang verwendeten EU und nationale Regierungen zu wenig Energie auf positive Strategiepapiere; Anti-trafficking-Politik ist schon dem Namen nach eine negativ festgelegte Handlungsanleitung.
Ein weiteres Problem liegt in der ungesicherten Datenlage: Ob die Zwangsprostituierten mehr oder jünger werden, lässt sich nicht sagen, „precise figures are not available“ (S. 54). Den Vorwurf an das neue Prostitutionsgesetz, das Aufspüren von Zwangsprostituierten noch zu erschweren, da Razzien seltener würden und der bislang die Ermittlungen legitimierende Anfangsverdacht der Förderung von Prostitution weggefallen sei, können auch die Autor/-innen des Buches nicht recht entkräften. In der Podiumsdiskussion zu der Frage, ob das Prostitutionsgesetz den Frauenhandel fördert oder zum Kampf gegen kriminelle Strukturen beiträgt, verweist z. B. Ute Granold darauf, dass „ein wirksames Ermittlungsinstrument „ (S. 45) verloren sei. Einhellig werden zwar die Errungenschaften des Gesetzes betont (die ja nur den „freiwilligen“ Sexarbeiterinnen zukommen), doch vermag das nicht darüber hinwegzutäuschen, dass die bisherigen Kampagnen gegen Zwangsprostitution größtenteils internationaler Verbindlichkeit entbehren. Bärbel Heide Uhl verweist zudem auf das Problem der Fokussierung auf die Herkunftsländer: „Das Problem liegt in den Zielländern. Hier findet die Ausbeutung statt“ (S. 48). In manchen Teilen hat die Gegenwart die Diskussion in ihrer Forderung nach mehr Öffentlichkeit, nach mehr Transparenz gerade nach diesem Sommer der großen Kampagne „Abpfiff! Stoppt Zwangsprostitution“ eingeholt. Die Schwerfälligkeit, sich auf EU-Ebene über so genannte Duldungszeiträume entdeckter Zwangsprostituierter zu einigen oder gemeinsame Migrationsrichtlinien zu formulieren, bleibt.
Erschwerend für eine einheitliche Politik dürfte das national äußerst unterschiedliche Verständnis der Rechte von Sexarbeiter/-innen sein. In dem Überblick „Prostitution und Frauenhandel in einzelnen europäischen Ländern“ werden kurz und pointiert die vier verschiedenen Umgangsformen mit der Prostitution aufgezeigt: das prohibitionistische Modell, wie es etwa in Schweden angewandt wird, das abolitionistische (z. B. in Polen), das regulierte (Niederlande) oder das neue abolitionistische. So trennscharf wie es die vier Kategorien vorgeben, ist das Sexgewerbe aber nicht geregelt. Über die Brüche in der neuesten deutschen Prostitutionsgesetzgebung gibt der vorliegende Band Prostitution und Frauenhandel Auskunft. Einige Beiträge wie „Gewerkschaften und Prostitution“ von Dorothea Müller bleiben dabei pure Absichtserklärung einer zukünftigen transparenten Organisation, eines „Wir-werden-noch“. Insofern ist der spürbare Tagungscharakter in seiner Aufbruchsrhetorik zwar „parteilich“, aber nicht immer „differenziert“, wie es Emilija Mitrovic im Vorwort fordert. Im Bemühen, das Dilemma zwischen der sozial geächteten (erzwungenen) Prostitution und der neuen legalen Wirklichkeit, die Prostitution zu einem Beruf unter vielen macht, definitorisch zu überbrücken, liegt mitunter eine Schwäche des Buches. Die patriarchiale Geschichte der Prostitution wird in ihrer Doppelmoral zwar kurz aufgezeigt, aber es wird nicht erwähnt, woraus sich das neue Selbstbewusstsein der Sexarbeiter/-innen heute tatsächlich speisen kann.
Durchaus entbehrlich sind die „Kommunikativen Bilder“ von Ryszard Majewski. Teilnehmer/-innen der Tagung haben sich hier mit verschiedenen Utensilien zur Prostitution fotografisch in Szene gesetzt. Die Ergebnisse kommen allerdings höchst dilettantisch daher und verleihen dem Buch einen selbstgebastelten Charme. Das ist schade, bietet doch die überwiegende Zahl der Beiträge einen durch ihre Kürze anschaulichen Einstieg in die Problematik von menschlicher Würde und Ware.
URN urn:nbn:de:0114-qn081203
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