Gastarbeiterinnen in der Bundesrepublik

Rezension von Frauke Miera

Monika Mattes:

Gastarbeiterinnen in der Bundesrepublik.

Anwerbepolitik, Migration und Geschlecht in den 50er bis 70er Jahren.

Frankfurt am Main, New York: Campus 2005.

343 Seiten, ISBN 978–3–593–37866–4, € 37,90.

Abstract: Monika Mattes untersucht in ihrem Buch erstmals umfassend und detailliert die Geschichte der Anwerbung ausländischer Frauen in der Bundesrepublik der 1950er bis 1970er Jahre. Indem sie die Kategorie Geschlecht systematisch in ihre Analyse einbezieht, vermag sie geläufige Periodisierungen und Konzepte der bisher weitgehend geschlechtsblinden Forschung zum Thema „Gastarbeit“ zu hinterfragen und teilweise neu zu formulieren. Darüber hinaus betrachtet die Autorin die strukturellen und diskursiven Verknüpfungen von Frauenerwerbsarbeit und Ausländerbeschäftigung und verbindet auf diese Weise historische Migrations- und Geschlechterforschung.

Das Buch besteht aus zwei Teilen. In Teil A liegt der Schwerpunkt auf der Anwerbepolitik im Spannungsfeld von staatlicher Regulation, betrieblichen Praxen und weiblichen Migrationsstrategien. In Teil B beleuchtet Mattes die Bedeutung des gesellschaftlichen Strukturwandels für die Erwerbsarbeit von deutschen und von ausländischen Frauen in Auseinandersetzung mit den entsprechenden Diskursen der 1950er bis 1970er Jahre. Jeweils am Ende beider Hauptteile zeichnet die Autorin exemplarisch die Anwerbe- und Beschäftigungspraxis eines Unternehmens sowie die Strategien ausländischer Arbeiterinnen nach.

Die Untersuchung beruht auf unveröffentlichten Archivbeständen von Behörden, Verbänden, Unternehmen, auf zeitgenössischen Presseerzeugnissen sowie auf veröffentlichten Periodika der Bundesanstalt für Arbeit, des Bundesarbeitsministeriums, von Arbeitgeberverbänden, Wohlfahrtsverbänden und Gewerkschaften.

Periodisierung der Anwerbung

Zunächst nimmt Monika Mattes eine Phaseneinteilung der bundesdeutschen Anwerbepolitik gegenüber Frauen aus dem Ausland vor. Sie stellt überzeugend das gängige Bild der „Gastarbeit“ in Frage, nach dem zunächst ausschließlich Männer als Pionierwanderer nach Westdeutschland kamen und erst seit Beginn der 1970er Jahre Frauen und Familien nachzogen. Bereits während des allgemeinen Anstiegs der Anwerbezahlen zwischen 1960 und 1966 wurden gezielt weibliche Arbeitskräfte aus dem Ausland nachgefragt. 1965 machten die 34.400 angeworbenen Frauen immerhin einen Anteil von rund 22 Prozent an allen Vermittlungen aus (vgl. Tabellen 2 und 3, S. 39). Nach einem rapiden Rückgang der Anwerbung infolge der Rezession von 1966/67 kam es seit 1968 bis zum Anwerbestopp, 1973 erneut zu einer Phase extensiver Anwerbung sowie von verstärktem Familiennachzug. In dieser Phase konnte erstmals die Nachfrage nach ausländischen Arbeiterinnen gedeckt werden.

Neben der Anwerbung über bilaterale Anwerbeverträge gab es zwei weitere Einreisewege, die auch von Frauen zahlreich genutzt wurden: mit Sichtvermerk, nachdem bereits ein konkreter Arbeitsplatz über private Vermittler oder vorherige Aufenthalte in Deutschland gefunden worden war, oder aber mit einem Touristenvisum, das bereits seit den 1960er Jahren für den Familiennachzug und vielfach auch ohne Erlaubnis für die Aufnahme einer Erwerbsarbeit genutzt wurde. Anders als in der Forschung vielfach dargestellt, wurde die Einreise per Sichtvermerk 1965 nur für männliche Hilfsarbeiter und erst 1972 auch für die generell schwer rekrutierbaren Frauen und männlichen Facharbeiter geschlossen.

Mattes hebt im weiteren Verlauf des Buches hervor, dass „die Phase der ‚Gastarbeit‘ in den 1960er Jahren von einer Gemengelage unterschiedlicher Wanderungsmuster geprägt“ gewesen sei (S. 190). Sie beklagt zu Recht, dass sich „die Forschung (bislang) viel zu wenig für die Gleichzeitigkeit und das untrennbare Ineinandergreifen verschiedener Prozesse von Arbeits-, Familien- bzw. Ehepaarmigration und deren jeweils länder- bzw. regionenspezifische Ausprägungen interessiert“ habe (ebd.).

Anwerbebürokratie und Geschlechterordnung

Die Autorin schildert anhand etlicher Beispiele, wie Zuordnungen nach ethnischer Zugehörigkeit und nach Geschlecht in die Bürokratie der Anwerbung eingeschrieben waren. Anders als bei männlichen Bewerbern wurden bei Frauen keine formalen Ausbildungskriterien für die „Arbeitstauglichkeit“ zugrunde gelegt. Die Arbeitsverwaltung setzte „weibliche Fähigkeiten“ wie Fingerfertigkeit und Geschicklichkeit, die für die kleinteilige und monotone Fabrikarbeit in der Elektro- und Textilindustrie verlangt wurden, bzw. hauswirtschaftliche Fähigkeiten als naturgegeben voraus.

Zentrales Kriterium für die Tauglichkeit von Frauen war, dass sie ledig, kinderlos und nicht schwanger zu sein hatten. Arbeitsverwaltung und Unternehmen unterstellten, dass Frauen, die Kinder zu versorgen hatten, vorzeitig ihre Beschäftigung in Deutschland abbrechen oder ihre Aufenthalte im Heimatland überziehen würden. Die Vermittlungsstellen hatten erhebliche Schwierigkeiten, die Nachfrage nach dieser Zielgruppe zu decken, zumal die Regierungen der meisten Anwerbeländer der Arbeitswanderung von Frauen ablehnend gegenüberstanden. Schließlich vermittelte die Arbeitsverwaltung auch vermehrt Ehefrauen bzw. Ehepaare. Zugunsten der Vermittlung von Frauen brach die Arbeitsverwaltung mit der gängigen Auffassung, dass die Rekrutierung von Ehepartnern die unerwünschte dauerhafte Ansiedlung von „Ausländern“ begünstigen würde.

Ethnische Unterschichtung

Im zweiten Teil des Buches führt die Autorin ihre zentrale These aus, dass es „durch die ethnische ‚Unterschichtung‘ [weitgehend gelingen konnte], die geschlechtsspezifische Segmentierung und Segregierung der Erwerbswelt aufrechtzuerhalten“ (S. 184). Dem von Friedrich Heckmann entworfenen Konzept der „ethnischen Unterschichtung“ zufolge übernahmen die ausländischen Arbeitskräfte in den 1960er und 1970er Jahren unattraktive, niedrig entlohnte und gesundheitsbelastende Tätigkeiten überwiegend im Industriesektor und ermöglichten es der einheimischen Belegschaft, in höhere Statuspositionen aufzusteigen (vgl. Heckmann, Friedrich: Die Bundesrepublik – ein Einwanderungsland? Zur Soziologie der Gastarbeiterbevölkerung als Einwanderungsminorität, Stuttgart 1981).

Mattes weist nach, dass „Gastarbeiter/-innen“ zwar sowohl in männlich als auch in weiblich geprägten Industriebranchen die unteren Positionen einnahmen, dass aber auf der Gewinnerseite des Unterschichtungsprozesses allein einheimische Männer standen. Sie konnten in besser qualifizierte und bezahlte Facharbeiterpositionen aufsteigen. Die Zuordnung von Migrantinnen in die untersten Positionen der Betriebshierarchie sei nicht als Folge ethnischer Diskriminierung zu verstehen, sondern habe der Fortsetzung der bestehenden Geschlechterordnung gedient. „Gastarbeiter/-innen“ waren den einheimischen Arbeitskräften tarifrechtlich zwar gleichgestellt. Für die ausländischen Frauen bedeutete dies aber – genau wie für deutsche Frauen – eine Eingruppierung in die so genannten Leichtlohngruppen, in der sich die Geschlechterhierarchie auf dem Arbeitsmarkt manifestierte. Mattes erläutert, dass einheimische Frauen nicht in qualifizierte Positionen aufstiegen. Sie hebt aber auch hervor, dass jene häufig zu Teilzeitarbeit oder zu etwas attraktiveren Büro- und Verkaufstätigkeiten wechseln konnten. Hier hätte die Autorin durchaus ausführen können, warum sie den Begriff der „Unterschichtung“ für diesen Prozess ablehnt bzw. wie man den Begriff in Kenntnis geschlechtsspezifischer Differenzierungen neu formulieren könnte. Offenbar greifen hier Hierarchisierungen nach Geschlecht und nach ethnischer Zugehörigkeit ineinander.

Reformdiskussion und „Gastarbeiterinnen“

Anhand einer Analyse von Presseartikeln sowie von Schriftstücken der Arbeitsverwaltung beleuchtet Mattes die Diskurse über Frauenerwerbsarbeit und „Gastarbeit“. Ihr gelingt es eindrücklich, das im Wandel begriffene allgemeine Frauenbild direkt mit dem Bild der „Gastarbeiterin“ in Beziehung zu setzen. Ausländerinnen wurden aus der öffentlichen Wahrnehmung über „Gastarbeit“ ebenso wie aus den Reformdiskussionen über die Gleichstellung der Geschlechter ausgeblendet. Stattdessen wurde ein Bild der „Gastarbeiterin“ gezeichnet, die – mehr als die männlichen Migranten – der „Tradition“ eng verhaftet, bescheiden und fleißig sei und unter dem Leben in der „Moderne“ leide. Seit Beginn der 1970er Jahre wurden zunehmend Stimmen laut, die die Begrenzung der Anwerbung forderten und Verständnis für Ressentiments und Sozialneid gegenüber Migrant/-innen äußerten.

Das Leitbild der ‚deutschen‘ Frau in Bezug auf Erwerbstätigkeit und Mutterschaft war während des Untersuchungszeitraums mehreren Wandlungen unterworfen, wie unter anderem an der Entwicklung der Legitimation von Teilzeitarbeit deutlich wird. Hiervon bleibt aber das Bild der „Gastarbeiterin“ unberührt. Mattes hebt hervor, dass „Gastarbeiterinnen“, die erwerbstätig waren und gleichzeitig Kinder versorgten, die Geschlechternorm in Frage stellten. Es sei „kaum ein Versuch unternommen worden […], die mütterliche Erwerbstätigkeit von Migrantinnen zugunsten der vernachlässigten Mutterpflichten zu regulieren oder einzuschränken“ (S. 280). Offenbar war die für die Gesellschaft geltende Geschlechterordnung für ausländische Arbeitskräfte von ethnisierenden Zuordnungen geprägt. Ein eigenes Kapitel ist dem Prozess der Konstruktion der „schutzbedürftigen Ausländerin“ sowie der Bevormundung durch die Wohlfahrtsverbände gewidmet.

Im letzten Kapitel rekonstruiert die Autorin exemplarisch die Anwerbe- und Beschäftigungspolitik der Bahlsen Keksfabrik in Hannover. Der Betrieb galt als Musterbeispiel in Bezug auf Unterbringung, Betreuung und Interessenvertretung der ausschließlich spanischen „Gastarbeiterinnen“. Als die Frauen im Frühjahr 1967 jedoch in einen wilden Streik traten, weil sie sich ungerecht behandelt fühlten, reagierte das Unternehmen mit massenhaften Kündigungen, ohne dass der deutsche Betriebsrat Partei für die Frauen ergriffen hätte. Die Firma nutzte diese repressive Strategie, um sich während der Konjunkturkrise vom Konzept der „Gastarbeit“ weitgehend zu verabschieden

Abschließend bleibt zur Studie von Monika Mattes kritisch anzumerken, dass die Handlungsseite der Migrantinnen nahezu ausschließlich indirekt durch Aussagen der Verwaltung, Erfahrungsberichte der Vermittlungsstellen und Presseberichte vermittelt wird. Mattes geht abwägend und kontextualisierend mit dem vorhandenen Material um. Dennoch hätten biografische Zeugnisse von „Gastarbeiterinnen“ der ersten Generation das Bild um eine wichtige Perspektive ergänzt. Andererseits hätte ein derart erweiterter Zugang womöglich zu Abstrichen in der Fülle des Materials und der Darstellung an anderen Stellen geführt. Trotz dieser Einschränkungen handelt es sich bei der Studie von Monika Mattes um einen wichtigen und unbedingt empfehlenswerten Beitrag sowohl zur Geschlechter- als auch zur historischen Migrationsforschung.

URN urn:nbn:de:0114-qn081107

Dr. Frauke Miera

Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder), Vergleichende Kultur- und Sozialanthropologie

E-Mail: miera@euv-frankfurt-o.de

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