Religion zwischen Zugehörigkeit und Differenz. Untertitel

Rezension von Veronika Springmann

Christina von Braun, Ulrike Brunotte, Gabriele Dietz, Danielea Hrzán, Gabriele Jähnert, Dagmar Pruin (Hg.):

„Holy War“ and Gender/"Gotteskrieg“ und Geschlecht.

Violence in Religious Discourses/Gewaltdiskurse in der Religion.

Münster: LIT 2006.

272 Seiten, ISBN 978–3–8258–8109–2, € 19,90

Abstract: Der vorliegende zweisprachige Sammelband präsentiert elf Beiträge einer Tagung, die 2003 an der Humboldt Universität zu Berlin stattfand. Vorgestellt werden unterschiedliche Zugriffe auf den Themenkomplex Geschlecht, Gewalt und Religion.

Die interdisziplinäre Erforschung von Gewalt hat Konjunktur. Insbesondere der Blick auf das 20. Jahrhundert mit seinen Kriegen und Völkermorden beeinflusste die Forschung wesentlich. Einer der Ausgangspunkte des Bandes besteht folgerichtig in der Feststellung, dass gerade im 20. Jahrhundert zunehmend die zivile Bevölkerung Ziel militärischer Auseinandersetzungen geworden ist. Das ist das zentrale Anliegen des Bandes, der auf eine Konferenz aus Anlass der Eröffnung des Zentrums für transdisziplinäre Geschlechterstudien im Dezember 2003 an der Humboldt Universität zu Berlin zurückgeht. Im vorliegenden Band wird ein Überblick zu aktuellen Forschungen und Fragestellungen präsentiert, in denen der Zusammenhang von Geschlecht, Religion und Gewalt problematisiert wird. In der gebotenen Vielfalt liegen gleichsam Stärke und Schwäche des Aufsatzbandes. Im Folgenden werden einige Beiträge besprochen, die als repräsentativ für die Thematik des Bandes eingeschätzt werden.

Identität und Religion

Eingeleitet wird der Band mit Überlegungen von Regina M. Schwartz zu Monotheismus und Gewalt. Dass Monotheismus Gruppenidentitäten schafft (vgl. S. 13), die in kriegerischen Auseinandersetzungen genutzt werden, um eine haarscharfe Grenze zu ziehen zwischen Gläubigen und Nichtgläubigen, ist eine Voraussetzung, von der die Autorin ausgeht. In monotheistischen Religionen würde gerade die Auseinandersetzung mit Besitzen und die Verteidigung dieses Besitzes benutzt, um Gewalt gegen Andere zu legitimieren. Das sind zuerst einmal interessante Gedanken, die zwar potentielle Rechtfertigungsmuster offen legen, aber weder Handeln erklären noch Antwort auf die Frage geben, wann und warum religiöse Rhetoriken genutzt werden, um Gewalt zu rechtfertigen.

Hannah Naveh führt diesen Gedanken in ihrem Beitrag weiter aus. Sie erläutert das Verhältnis von Identität und Religion und somit Konstruktionen des Andersseins, indem sie nach heutigen Mechanismen der Identitätsbildung fragt. Einen Schlüssel sieht sie im Begriff der Wahrheit, dessen In- und Exklusionen am Beispiel der Amerikanischen Unabhängigkeitserklärung erläutert werden: „We hold these truths to be self evident – that all men created equal.“ Durch die Diskursanalyse sensibilisiert wissen wir, dass mit der Formulierung „all men“ eben nicht alle Menschen gemeint sind, sondern in dem „all“ bereits die Exkludierung liegt. Von diesem Punkt ausgehend erklärt Naveh, wie Texte bzw. derartige Verlautbarungen Gewalt evozieren und rechtfertigen. Zugleich konstatiert sie, dass die Suche nach der Gleichheit mit Gott („principle of sameness“, S. 33) notwendigerweise eine Abwehr gegen das vermeintlich Andere hervorbringt.

„Der Dschihad ist nicht nur für Männer“

Ob und wie religiös motivierte Gruppen Religion als Legitimation für Gewalt gegen Frauen benutzen, ist eine der Fragen, denen Valentine M. Moghadam in ihrem Aufsatz nachgeht. Sie untersucht islamistische Bewegungen im Iran, in Afghanistan und Algerien. Die Autorin geht davon aus, dass die gewalttätige Politik islamistischer Bewegungen gegen Modernisierung, Feminismus und Globalisierung gerichtet ist. (Vgl. S. 75) Gerade der Rückbezug vieler islamistischer Bewegungen auf eine vermeintlich authentische Kultur und damit auf Tradition bedeutet, wie die Autorin ausführt, eine Verdrängung von Frauen aus dem öffentlichen Raum. Diesen Gedanken führt Friedericke Pannewick weiter aus. Sie fragt danach, wie weibliche Akteure im Dschihad in der islamischen Gesellschaft verortet sind. Wafa Idris, die erste Selbstmordattentäterin (27. Januar 2002) war, anders als ihre männlichen Kollegen, eher säkular orientiert. Das Konzept des „Märtyrertums“ diene eigentlich der Männlichkeitskonstruktion, dennoch sei es aktuell keineswegs Männern vorbehalten. Pannewick erläutert, dass Selbstmordattentäter sowohl in der palästinensischen als auch der libanesischen Gesellschaft ein hohes Ansehen genießen. Das Konzept des Märtyrertums werde dabei sowohl von islamistischen als auch von säkular nationalistischen Ideologien genutzt. „Nationalisten bedienen sich mit größtem Selbstverständnis eines traditionell religiösen Konzepts, und Islamisten sehen beflissentlich über ihre sonstige, die Frau an den heimischen Herd verbannende Ideologie hinweg.“ (S. 99) Dieser Befund ist allerdings seit den Studien von Benedict Anderson und Eric Hobsbawm opinio communis. Um zu erklären, wie nun dieses Konzept aktuell für Frauen funktioniert, zeichnet Pannewick die Geschichte des Ehrbegriffs nach. Unterscheidet sich die gesellschaftliche Bewertung von weiblichen und männlichen Selbstmordattentätern? Ist das Selbstmordattentat ein Mittel, sich in die Gesellschaft einzuschreiben? An drei literarischen Texten, die von Frauen verfasst sind und Frauen als Handelnde haben, verfolgt Pannewitz, wie und mit welchen Mustern Selbsttötung thematisiert wird.

„Kultur prägt – Natur determiniert“

Cornelia Klinger fragt in ihrem Beitrag zuerst nach den Gründen für das Interesse an Identität und der damit verknüpften Orientierung an traditioneller Kultur. Zunächst konstatiert sie, dass „die Zuflucht zur Kultur in einer Situation massiven Gewissheits- und Identitätverlusts“ keine neue Erfindung der 80er und 90er Jahre des 20. Jahrhunderts sei, um in einem weiteren Schritt die Entwicklungsgeschichte des Gegensatzpaares Natur und Kultur nachzuzeichnen und den Gemeinsamkeiten von Natur- und Kulturbegriff nachzuspüren. Eine wesentliche Entsprechung sieht sie in der Nachhaltigkeit der Kultur (S. 182). Einerseits benötige sie Zeit und andererseits gewähre sie Bestand. „Kultur wird nicht gemacht, sondern entwickelt sich aus sich selbst und von selbst in einem Prozess der longue durée.“ (S. 182).

Wenn also Kultur organisch wächst, dann liege der Gedanke an Natur auf der Hand: Kultur werde dann als Bebauung und Bearbeitung von Natur angesehen. Klinger erörtert weiter, dass Kultur weniger als Gegensatz von Natur begriffen werde, sondern „[…]vielmehr eine Steigerung dessen dar[stelle], worauf Kultur zielt: Natur meint nicht bloß das, was Dauer verleiht, sondern das, was dauerhaft ist, das unverrückbare Fundament der Gesellschaft, ebenso wie die Essenz/ das Wesen des Individuums, alles, was der der Veränderung und Einflussnahme als gänzlich entzogen angesehen wird. „ (S. 184).

Beide, Kultur und Natur ersetzen einen Verankerungspunkt, der der westlichen Gesellschaft im Verlauf ihres Säkularisierungs- und Modernisierungsprozesses verloren gegangen ist, so Klinger. So stünden selbstverständlich weder Kultur noch Natur außerhalb von Gesellschaft, sondern seien in institutionelle Zusammenhänge eingebettet. Dass hier als wichtigste Instanzen Nationalstaat und Familie genannt werden, überrascht nicht. Kollektive Identität, Zugehörigkeit und Zusammengehörigkeit werden mit diesen zwei Instanzen hergestellt und begründet.

Gemeinsam sei beiden, dass sie sich als partikular erweisen. Der Nationalstaat vertiefe die Unterschiede zu anderen Nationalstaaten, auch nach innen gelinge dem Nationalstaat keine Homogenisierung, sondern er erzeuge einen „Klassenstaat und [eine] Klassengesellschaft“. (S. 186). Für die Familie hingegen konstatiert Klinger in Anlehnung an Karin Hausen eine „Polarisierung der Geschlechter“.

Für beide Institutionen sei ein Ausdifferenzierungsprozess festzustellen. Generiert würden dabei „alternative[] Identitäten“ (S. 188) wie bspw. die Arbeiter- und Frauenbewegungen oder unterschiedlichste Subkulturen. Aktuell, so Klinger, verliere der Natur/Kultur-Bedeutungskomplex an Wichtigkeit. „Besonders die Argumentation mit Natur und natürlichen Differenzen verliert an Kredibilität und tritt in den Hintergrund […]. (S. 189). Der Kulturbegriff hingegen werde modernisiert und pluralisiert.

Am Beispiel von sex/gender und Rasse/Ethnie erläutert Klinger angelehnt an Jacques Derrida, wie sich sex und gender bzw. Rasse und Ethnie wie Signifikant und Signifikat verhalten. Eigenschaften des Signifikats (Natur/sex) übertragen sich auf den Signifikant (Kultur/gender). (S. 197). Infolgedessen – so bilanziert Klinger – verschwimme die Grenze zwischen Natur und Kultur.

„Kultur prägt – Natur determiniert“

Im Anschluss an Klingers Beitrag widmet sich Ulrike Brunotte der Inszenierung von Religion und Männlichkeit im amerikanischen Kriegsfilm. „Alle Bildmedien modellieren nicht allein unsere Wahrnehmung vom Krieg, sondern setzen diesen mit symbolischen Mitteln, ja man ist heute geneigt zu sagen, mit den magischen Mitteln einer neuen Körperpolitik fort.“ (S. 201)

Filme codieren unsere Wahrnehmung – damit führt Ulrike Brunotte in ihren Aufsatz ein. Dass sie hier Michael Moores Filme als Ausgangspunkt nimmt, ignoriert, dass auch in Dokumentarfilmen spezifische Interpretationen und Sichtweisen der Realität gespiegelt werden. Kriegsfilme stellen nicht nur eine Wahrnehmung von Krieg dar, sondern führen diesen symbolisch weiter, konstatiert Brunotte in Anlehnung an Siegfried Krakauer. Brunottes Untersuchungsmaterial sind Filme, in denen der Vietnamkrieg thematisiert wird. Entwickelt werde hier eine spezielle Vorstellung von Männlichkeit, die sich insbesondere in den Rambo-Filmen finde. Als körperlich und wild werde der von Sylvester Stallone dargestellte Rambo inszeniert, als eine „Figur der Naturalisierung“ (S. 214), die den Frontiergedanken aufgreift, in dem sie sich eben in dem Grenzland zwischen Zivilisation und Wildnis bewegt. Sowohl Rambo als auch Chris Tayler in dem Film Platoon werden deswegen immer wieder als Grenzgänger dargestellt. Ein völlig anderes Modell der Kriegsreflexion sieht Brunotte in Kubricks Full Metal Jacket. Dort werde gezeigt, wie Soldaten gemacht werden. Während in Platoon und Rambo eine Form der Initiierung darin bestanden habe, durch den Kampf zum Mann zu werden, zeige Kubrick die soldatische Ausbildung als Initiation. Bedeutsam sei hier die Dichotomisierung zwischen den Geschlechtern, erst durch die Ausbildung werden hier die Soldaten zu Männern.

Insgesamt gibt der Band einen Einblick in Fragestellungen und Forschungsprojekte zum Thema Religion und Gewalt. Allerdings fehlt eine Einordnung der Beiträge in die Gewaltsoziologie. Was das Lesevergnügen schmälert, ist das schlechte Lektorat, das die Leserin, den Leser mit unvollständigen Sätzen konfrontiert und mit einer Menge an Tippfehlern.

URN urn:nbn:de:0114-qn081158

Veronika Springmann

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