„I’m a feminist, so I suppose I must be dead“, titelte die englische Zeitung THE INDEPENDENT im Juli 2003 einen Artikel der Journalistin Joan Smith. Smith spielte damit auf ein im angloamerikanischen Raum seit langem unter dem Namen False Feminist Death Syndrome bekanntes Phänomen an, nämlich Feminismus als überholtes, erbärmliches Auslaufmodell der Geschichte zu porträtieren, um die Gerechtigkeitsanliegen von Frauen abzuwehren. Die Rede vom Ende, vom Tod des Feminismus ist in der Tat so alt wie dieser selbst. Für kaum ein anderes Thema stellten seit rund zwei Jahrhunderten die Gazetten immer wieder so bereitwillig Raum zur Verfügung wie für die Ankündigung, dass „das unziemliche Gezeter der Suffragetten und Blaustrümpfe oder das Zeitalter der Frauenrechtelei und ‚Emanzen‘ nun endlich überwunden sei“, so Ute Gerhard in ihrem Buch zur Geschichte der Frauenbewegungen, Atempause (1999). Bereits den Kampf der Suffragetten für das Wahlrecht, schreibt auch Joan Smith im INDEPENDENT, kommentierte die viktorianische Presse als Kampf einer „Herde hysterischer und irrationaler she-revolutionaries“. Auch die neue feministische Bewegung seit den späten 1960er Jahren wurde schon oft für tot erklärt, ohne doch je zu verschwinden. So veröffentlichte das Magazin Harper’s in den USA bereits 1976 ein Requiem für die US-amerikanische Frauenbewegung, die New York Times versicherte ihre LeserInnenschaft im Jahr 1980, die „radikalen Tage des Feminismus“ seien vorbei, Newsweek verkündete 1990 das „historische Versagen des Feminismus“ und das Magazin TIME erklärte 1998 in einer Titelgeschichte den Feminismus für verstorben.
Seit geraumer Zeit ist das False Feminist Death Syndrome augenscheinlich auch in den deutschen Medien und Feuilletons angekommen, ironischerweise verstärkt seit jene beiden Politikerinnen, die bis dato feministisch unverdächtig waren – Ursula von der Leyen und Angela Merkel als deren back-up – sich daran gemacht haben, bundesdeutsche Geschlechterarrangements auch institutionell zu modernisieren. Auf den zweiten Blick zeigt sich allerdings, dass im Chor jener, die das Lied vom Ende des Feminismus singen, höchst unterschiedliche Stimmen zu hören sind. Neben den notorisch misogynen und homophoben Tiraden, wie sie im vergangenen Jahr beispielsweise ein Volker Zastrow in der FAZ äußern durfte und kürzlich etwas weicher konturiert René Pfister im Spiegel, oder den Äußerungen der auch seit langem als notorisch antifeministisch bekannten Mariam Lau, die dem Feminismus zum 8. März 2005 in der Welt „Jahre der männerfeindlichen Hetze, des geschürten Misstrauens, der Warnungen vor Frauenschändern und sexuellem Missbrauch mit Steckbriefen auf Damentoiletten“ bescheinigte, finden sich auch solche Stimmen, die zwar vehement „einen neuen Feminismus“ fordern, zugleich jedoch meinen, sich von einem wie auch immer „alten“ Feminismus distanzieren zu müssen. Auch in diesen Stimmen sind jene bekannten Missklänge der „mehr oder weniger lesbischen, in jedem Fall ‚extremistischen‘ Megäre“, so die F-Klasse-Propagandistin Thea Dorn jüngst in der Wochenzeitung Das Parlament, die dem Feminismus ein Image so schlecht wie das der Deutschen Bahn beschert hätten, deutlich vernehmbare Untertöne. In unzähligen Artikeln, Interviews und Radiogesprächen beschwört Dorn, die rhetorisch für eine durchaus feministisch angehauchte Modernisierung der Geschlechterverhältnisse streitet, zugleich immer wieder das Zerrbild einer feministischen Bewegung, die lesbisch dominiert war, sich in der Opferrolle eingerichtet hatte und in der der Griff zum Lippenstift ebenso vergällt war wie sie nie aus den Latzhosen raus gewachsen ist.
Der neue Feminismus, der vom alten nicht nur nichts wissen will, sondern sich über ihn mokiert und meint, ihn verabschieden zu müssen, stellt sich also als äußerst ambivalentes Projekt dar, das sich trotz anders lautender Absicht erstaunlich gut einfügt in ein im vergangenen Jahr medial forciertes Amalgam aus Diskreditierung von Gender Mainstreaming und kritisch-feministischer Geschlechterforschung, der Entdeckung von Jungen und Männern als den wahren Opfern der feministisch inspirierten Modernisierung sowie einer Wiedererweckung soziobiologischer bzw. evolutionärer Denkweisen, die etwa die Inkompatibilität von Männlichkeit und Fürsorge zum Inhalt haben. Zugespitzt könnte man sogar sagen: Um neue feministische Positionen gegenwärtig mit Erfolg öffentlichkeitswirksam platzieren zu können, muss der so genannte alte Feminismus als Schreckgespenst in der Geschichte entsorgt und der neue Feminismus, der allerdings nicht so heißen darf, als kompatibel mit hegemonialen Diskurskonjunkturen entworfen werden, nämlich als ein elitär sich gebärdender Spartenfeminismus, der unter Gerechtigkeit den Zugang einiger Weniger zu den Eliten der Republik versteht und daher auch bloß jene betreffen muss, denen genau dies zuzutrauen ist. Dieser neue Spartenfeminismus präsentiert sich folglich als Motivationstaktik und Bewerbungsschreiben leistungsbereiter Durchstarterinnen zugleich. „Warum nicht zugeben“, schreibt Dorn in der Einleitung zu ihrem Buch Die neue F-Klasse (2006), „dass es … um eine bestimmte Klasse von Frauen [geht], die sich allerdings nicht durch privilegierte Herkunft definiert, sondern einzig und allein durch das individuell von ihr Erreichte und Gelebte?“. Die F-Klasse gibt sich stark und kämpferisch; der Kampf indes ist ein individueller. Es geht darum, den Beweis zu erbringen, dass sich „jede Frau mit Energie, Disziplin, Selbstbewusstsein und Mut in einer Gesellschaft wie der unseren durchsetzen kann“, so Dorn im Gespräch mit Svenja Flaßpöhler im Deutschlandradio im Dezember 2006. Und genau hier zeigt sich die Anschlussfähigkeit der F-Klasse an gegenwärtige hegemoniale evolutionäre Denkweisen. Die F-Klässlerin ist Unternehmerin ihrer selbst; sie nimmt ihr Geschick in die eigenen Hände und (miss-)versteht ihren Erfolg ausschließlich als Ausweis persönlicher Leistung, als individuelle Überlegenheit im täglichen survival of the fittest, nicht als Effekt gesellschaftlicher Bedingtheit.
Vielleicht ist gerade das der Grund dafür, dass der „alte“ Feminismus von den Spartenfeministinnen der F-Klasse als selbstmitleidige Viktimisierungspolitik diskreditiert wird. Selbstredend ist die Diagnose von Gerechtigkeitsdefiziten und Benachteiligungsstrukturen Kernbestand jeden feministischen Denkens und jeder feministischen Politik – und eine solche Diagnose hat ja auch die F-Klasse im Gepäck. Während diese jedoch auf das neoliberal angehauchte ABC des ‚Jede-ist-ihres-Glückes-Schmied‘ setzt, bemüht sich der so genannt alte Feminismus in fast allen seinen Varianten darum, sowohl die Bedingungen freizulegen, die Handeln ermöglichen oder verhindern, als auch politisch für die Erweiterung von Handlungsmöglichkeiten zu streiten. Feminismus, und das verschweigt die F-Klasse zu Gunsten der eigenen medialen Selbstprofilierung offensichtlich nur zu gerne, war und ist ein Projekt, das die Erweiterung der Freiheitsgrade von Frauen, aber auch von Männern, zum Ziel hat; und nicht die Einrichtung im Zustand der Unmündigkeit.
Es mag sein, dass die F-Klasse an der Zeit ist. Sie sollte sich allerdings stets als das ausweisen und als das verstanden werden, was sie ist: Ein Feminismus für Wenige, ein Spartenfeminismus für jene, die von gesellschaftlichen Be- und Verhinderungen nichts wissen wollen. Es mag auch richtig sein, dass es an der Zeit ist, über einen ‚neuen‘ Feminismus nachzudenken. Denn in der Tat muss Feminismus sich der Frage stellen, ob und welche Antworten er heute anzubieten hat für die komplex ineinander verwobenen Herausforderungen einer globalisierten, homogenisierenden und zugleich zunehmend fragmentierten und segregierenden Welt; einer Welt auf jeden Fall, deren vordringlichstes Problem nicht die geglückte Work-Life-Balance westlicher Unternehmerinnen ihrer selbst ist, sondern immer noch Sexismus, Homophobie und Rassismus in ihren vielfältigsten, auch gewaltförmigen Manifestationen. Ein Feminismus, der zu diesen Fragen nichts zu sagen hat, dessen Platz ist gewiss in der Geschichte und nicht in der Gegenwart. Ein Feminismus aber, der sich diesen Herausforderungen immer wieder neu stellt, wird sich auch vom False Feminist Death Syndrome nicht nachhaltig irritieren lassen.
URN urn:nbn:de:0114-qn081254
Sabine Hark
Sabine Hark ist Soziologin und vertritt derzeit die Professur am Zentrum für Interdisziplinäre Frauen- und Geschlechterforschung an der Technischen Universität Berlin. Letzte Publikationen sind: Dissidente Partizipation. Eine Diskursgeschichte des Feminismus, Frankfurt am Main 2005 und Gender kontrovers. Genealogien und Grenzen einer Kategorie, hrsg. zusammen mit Gabriele Dietze, Königstein/T. 2006
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Ina Kerner
Ina Kerner ist Politologin und arbeitet am Zentrum für Interdisziplinäre Frauen- und Geschlechterforschung an der Technischen Universität Berlin. Sie hat 2006 promoviert über „Differenzen und Macht. Zum Verhältnis von Rassismus und Sexismus“
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