Tanja Marita Brinkmann:
Die Zukunft der Mädchenarbeit. .
Innovationspotenziale durch neuere Geschlechtertheorien und Ungleichheitsforschung.
Münster: Unrast 2006.
143 Seiten, ISBN 978–3–89771–357–4, € 14,00
Abstract: Zumindest rhetorisch wird der Mädchenarbeit mittlerweile bestätigt, ein unabdingbarer Bestandteil von Kinder- und Jugendarbeit zu sein. Zugleich ist sie von verschiedenen Seiten in die Kritik geraten, gilt als überholt und wird nur noch bedingt von den Adressatinnen angenommen. Tanja Brinkmann ist davon überzeugt, dass eine Auseinandersetzung mit den neuen Geschlechtertheorien dazu beitragen kann, auch für die Mädchenarbeit neue Perspektiven zu eröffnen. Ihr Band bietet dafür die Grundlagen sowohl hinsichtlich der Darstellung der Theorien als auch ihrer Umsetzung und Anwendung in der Kinder- und Jugendarbeit.
Ausgangspunkt für Tanja Marita Brinkmanns Aufarbeitung der Geschlechtertheorien sowie der Ungleichheitsforschung ist die Wahrnehmung von „Brüchen“ in der Erfolgsgeschichte der bisherigen Mädchenarbeit. Diese werden von einigen einem „Status-quo-Denken“ angelastet, d. h. dass die Mädchenarbeit „veralteten Konzepten aus der Pionierzeit nachhängt und den theoretischen Fortschritten der Frauen- und Geschlechterforschung sowie den gewandelten Lebenswelten von Mädchen kaum Berücksichtigung schenkt“ (S. 7). Folglich soll der vorliegende Band Aufklärung leisten und die Innovationspotenziale aufzeigen, die sich aus der Beschäftigung mit den neuen Theorien ergeben können. In vier Hauptkapiteln soll dies geleistet werden.
Zunächst referiert Brinkmann die geschlechtertheoretischen Entwicklungen: „Von der Differenz zum ‚doing gender‘ und zur Dekonstruktion“ (Kapitel 2). Während Differenzkonzepte die Anfänge der Frauenforschung markierten, bilden ethnomethodologisch fundierte sozialkonstruktivistische Ansätze sowie diskurstheoretisch-dekonstruktivistische Theorien die aktuellen Geschlechtertheorien. Beide werden relativ detailliert und verständlich vorgestellt. Tanja Brinkmann geht davon aus, „dass beide Schwachstellen aufweisen. Dennoch ist der theoretisch diagnostische Gehalt und damit die Erklärungskraft m. E. immens“ (S. 39). Diese Erklärungskraft besteht nach Brinkmann vor allem darin, den Geschlechterbegriff prozessualisiert zu haben. „Geschlecht kann nur bestehen, wenn Subjekte es in ihrem interaktiven Handeln immer wieder neu herstellen bzw. sich den hegemonialen Diskursen intelligibler Geschlechtsidentitäten unterwerfen“ (S. 41).
Kapitel 3 ist der Aufarbeitung der heutigen Lebenswelt von Mädchen und jungen Frauen gewidmet – gemäß der Einschätzung, dass die aktuelle Mädchenarbeit sich auf diese Lebenswelt nicht mehr ausreichend beziehe. Bildungsbeteiligung und Bildungsabschlüsse zeigen das inzwischen immer wieder herausgestellte Auf- und Überholen, d. h. das erheblich gestiegene Bildungsniveau von Frauen. Tanja Brinkmann differenziert hierbei auch nach Migrationsstatus, denn ausländische Jugendliche seien nach wie vor benachteiligt. Auch hier zeige sich allerdings, dass die Mädchen im Vergleich zu den Jungen höhere Qualifikationen erwerben. Diesen formalen Verbesserungen stehen im schulischen Alltag subtile Stereotypisierungen gegenüber – auf die sehr kurz eingegangen wird (vgl. S. 47). In der Berufsausbildung sowie an den Hochschulen und schließlich in der Erwerbstätigkeit finden sich noch deutliche Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern, die zuungunsten von Frauen bestehen. Die Freizeitgestaltung zeige keineswegs fundamentale Unterschiede zwischen den Geschlechtern – im Gegensatz zu den üblichen Medienberichterstattungen verweist Tanja Brinkmann hier erfreulicherweise auf die Gemeinsamkeiten statt auf die Unterschiede hin. Im Gesundheitsverhalten seien junge Frauen vorsichtiger und bewusster, allerdings seien sie auch unzufriedener mit ihrem Körper als junge Männer. In der Lebensplanung gebe es mittlerweile eine Vielfältigkeit weiblicher Lebensentwürfe, wobei die Berufstätigkeit eine zentrale Bedeutung habe, zugleich aber der doppelte Lebensentwurf (Beruf und Familie) keineswegs der dominanteste sei. Auch für junge Männer gelte nicht mehr die ausschließliche Orientierung auf den Beruf – beide Geschlechter stellen sich auf Aushandlungsprozesse ein.
Insgesamt konstatiert Brinkmann einen deutlichen Angleichungsprozess zwischen den Geschlechtern, der vor allem durch Kompetenzerweiterungen bei jungen Frauen entstanden sei. Benachteiligungen existieren dennoch, zum Teil allerdings seien auch in einigen Bereichen Benachteiligungen von jungen Männern festzustellen. Erklärungen von Ungleichheiten könnten nicht mehr (allein) am Geschlecht festgemacht werden, sondern bedürften des Einbezugs anderer Kategorien und vor allem einer mehrdimensionalen Betrachtung.
Im vierten Kapitel stellt Tanja Brinkmann die bisherige Mädchenarbeit vor. Dabei sei schon der Begriff selbst unbefriedigend: Weder sollen Mädchen „bearbeitet“ werden noch sei klar, dass es sich auf „Mädchen“, d. h. in erster Linie auf Kinder bezieht. Die Anfänge der Mädchenarbeit waren „theorielos“, dafür aber orientiert an sechs Prinzipien (vgl. S. 82 ff.):
„Die Geschichte der Mädchenarbeit ist eine Erfolgsgeschichte“ (S. 85). Das lässt sich in vielen Bereichen aufzeigen, selbst wenn man in Rechnung stellt, dass genaue Zahlen z.B. über Teilnehmerinnen oder zu möglichen Erfolgskriterien fehlen. Dennoch ist die Mädchenarbeit nach wie vor weitgehend abhängig vom Engagement einzelner Pädagoginnen. Zudem gibt es zunehmend Kritik an den Konzepten und eine deutlich zurückgehende Nachfrage seitens von Mädchen.
Folglich entwickelt Tanja Brinkmann Perspektiven für die künftige außerschulische Mädchenarbeit, die sich aus den von ihr referierten Geschlechtertheorien herleiten lassen (Kapitel 5). Geschlecht als soziale Konstruktion zu begreifen, heiße auch, nicht allein auf Mädchen und Frauen zu schauen, sondern „die Geschlechterfrage vielmehr doppel- und wechselseitig statt dualistisch“ zu betrachten (S. 99). Auch könnten – aus Gründen der veränderten Lebensbedingungen – nicht mehr pauschal „Mädchen“ Zielgruppe der Arbeit sein, sondern es bedürfe einer Präzisierung, um welche Adressatinnen es gehen solle. Schließlich verweisen die neueren Geschlechtertheorien darauf, dass man nicht von einer Naturhaftigkeit des Geschlechts ausgehen könne, insofern eine „Entlarvung und Entdramatisierung des Geschlechts“ nötig sei (S. 104 ff.). Daraus folge, dass man nicht das Mädchen-Sein bzw. Weiblichkeit zum Ausgangspunkt bzw. Ziel der Arbeit machen könne (vgl. S. 106), sondern vielmehr die „Durchbrechung des Gleichheitstabus“ als „Ziel einer geschlechterbewussten Kinder- und Jugendarbeit betrachten müsse (S. 107).
Aus dieser Position heraus formuliert Tanja Brinkmann eine „Weiterentwicklung und Veränderung der Prinzipien“ (S. 111 ff.):
Mit der – von mir ebenfalls schon für die schulische Genderarbeit geforderten – Balance zwischen Dramatisierung und Entdramatisierung von Geschlecht lässt sich eine neue Perspektive für Mädchenarbeit bzw. für eine geschlechterbewusste Kinder- und Jugendarbeit begründen. Die Darstellungen in dem Band von Tanja Brinkmann und insbesondere ihre konkreten Hinweise für die Möglichkeiten der Umsetzung könnten sicherlich hilfreich für die Praxis sein.
URN urn:nbn:de:0114-qn082133
Prof. Dr. Hannelore Faulstich-Wieland
Universität Hamburg, FB Erziehungswissenschaft
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