Ulrich Mückenberger, Ulrike Spangenberg, Karin Warncke:
Familienförderung und Gender Mainstreaming im Steuerrecht.
Baden-Baden: Nomos 2007.
301 Seiten, ISBN 978–3–8329–2326–6, € 58,00
Abstract: Die Studie analysiert die erfolgten und die möglichen Schritte der Umsetzung von Gender Mainstreaming in einem bereits abgeschlossenen Gesetzesvorhaben. Sie bietet sowohl im rechtlich materiellen Sinne als auch zu dem Prozess der Entwicklung von Gesetzesvorhaben Alternativen, die zu einer stärkeren Gleichstellung der Geschlechter durch die Familienförderung beitragen würden.
Im Jahre 2000, als die Bundesregierung damit begann, Gender Mainstreaming in den verschiedenen Ressorts umzusetzen, hatte auch das Finanzministerium die Verpflichtung, ein Pilotprojekt zu bearbeiten. Es entschied sich, ein anstehendes Gesetzgebungsverfahren zur Familienförderung bearbeiten zu lassen mit dem Ziel, wissenschaftliche Aufschlüsse über den Gesetzgebungsprozess und Schlussfolgerungen für die mögliche Einbeziehung des Gender Mainstreamings zu erhalten. Nun liegt das Ergebnis vor, und die Verfasser und Verfasserinnen haben eine „Fibel“ zu Gender Mainstreaming erarbeitet, die bei weitem nicht nur für das Finanzministerium von Interesse ist.
Die Studie hat sechs große Kapitel, die in sehr unterschiedlicher Weise das Thema Familienförderung und Gender Mainstreaming im Steuerrecht behandeln. Im 1. Kapitel geht es um Gender Mainstreaming als Herausforderung der Einkommenssteuergesetzgebung, und hier findet man eine Einführung und Begründung dazu, dass der Gender-Mainstreaming-Zugang bei familienfördernden einkommenssteuerrechtlichen Maßnahmen sinnvoll ist. Es wird noch einmal deutlich, dass Steuern steuern, und zwar im doppelten Sinne: Steuerpolitik hat einerseits auf das Verhalten von Menschen Einfluss, andererseits kann man mit Steuern auch gesellschaftspolitisch erwünschte und rechtlich gebilligte Ziele erreichen. Wenn auch viele finanzpolitische Fachbeamte immer noch glauben, dass Steuerpolitik geschlechtsneutral sei, bezieht sich diese Erkenntnis auch auf das Ziel der Chancengleichheit.
Im 2. Kapitel geht es dann um die Spezifizierung des Instrumentes, es wird juristisch deutlich nachgewiesen, dass der Handlungsdruck, Gender Mainstreaming zu implementieren, rechtlich immer stärker wird. Bereits unsere Verfassung legt den Staat ja darauf fest, dass er die tatsächliche Gleichheit der Geschlechter herzustellen hat, die verschiedenen anderen Gesetzgebungen und Verfassungsurteile, Urteile des Europäischen Gerichtshofes und andere rechtliche Bestimmungen deuten darauf hin, dass er dies mit dem Prinzip Gender Mainstreaming zu tun hat. Gender Mainstreaming ist ein umfassendes Konzept zur Veränderung von Entscheidungsprozessen, ein prozedurales Minimum ist jedoch, im Rahmen der gebotenen Gesetzesfolgenabschätzung eine Genderanalyse zu erstellen. Kapitel 2 ist ein kleiner „Schatz“ für Juristinnen und Juristen, die die Geltung von Gender Mainstreaming belegt sehen möchten. Juristisch untermauert wird hier die Auffassung, dass die Entscheidung für Gender Mainstreaming nicht beliebig revidierbar und umkehrbar ist, sondern dass sie sich im Prozess zunehmender rechtlicher Konsolidierung befindet.
Im Kapitel 3 gibt es „ein Stück Empirie“. Es beinhaltet die Fallstudie zum Zweiten Gesetz zur Familienförderung. Dazu werden vor allem Begründungen und Wirkungsannahmen analysiert, die die an dieser Gesetzgebung beteiligten Akteure produziert haben. Darüber hinaus werden auch schon erste Ansatzpunkte in der Realität des Gesetzgebungsverfahrens gesucht, in denen Gender Mainstreaming praktiziert wurde oder hätte praktiziert werden können. Gegenstand der Analyse sind die Referatsebene, die Kommunikation zwischen den Ressorts, die materiellen Gesetzesentwürfe, aber auch deren parlamentarische Behandlung und insbesondere die Ausschussberatungen.
Das Kapitel 4 enthält die Beschreibung einer realen Utopie der Umsetzung von Gender Mainstreaming, eine bewusst hypothetische Darstellung, die eine Alternative zur Realität beschreibt. Die einzelnen Schritte werden als „Annäherungen“ deklariert und bieten eine Genderanalyse der Familienförderung, die in der Realität nicht geleistet worden ist und die insgesamt weit über die tatsächliche Gesetzesauflage des Bundesverfassungsgerichtes hinausgeht. In einer ersten Annäherung wird ein Gender Impact Assessment vorgeführt. Zwei Konstellationen von Familien, die Familie mit mehreren kleinen Kindern und die Familie mit einer hoch qualifizierten Frau ohne Kinder, werden identifiziert und es wird überprüft, wie sich die vorliegende Gesetzeslage auf diese beiden Familientypen auswirkt. Das Ergebnis wird unter gleichstellungspolitischen Zielsetzungen diskutiert. In einer zweiten Annäherung wird den indirekten Wirkungen von Steuern nachgegangen. Die unterschiedlichen Formen wie steuerliche Abzugsfähigkeit oder aber Kinderfreibeträge werden auf ihre Wirkungen hin überprüft. In dieser zweiten Annäherung deutet sich als Ergebnis schon an, was als Kernaussage zu verstehen ist: Steuerpolitik muss in das Setting der Politik anderer Ressorts eingepasst sein, um bestimmte Ziele erreichen zu können. In der dritten Annäherung wird noch deutlicher, dass ein nur steuerbezogenes Gesetzgebungsvorhaben zu kurz greift und ressortübergreifende Vorhaben angebracht gewesen wären, wenn die Ziele der Geschlechtergleichstellung wirklich ernst genommen worden wären. In einer vierten Annäherung werden die ideologischen Hintergründe der entsprechenden Gesetzgebung analysiert. Dabei geht es um die zugrunde liegenden Familienbilder, nicht nur derjenigen, die das Gesetzgebungsverfahren bestimmten, sondern auch die Familienbilder, die der familienpolitischen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zugrunde liegen. Diese Annäherung zeigt in fast bedrückender Schärfe, welchen Einfluss alltagspraktische Vorverständnisse von Familie für die Entscheidungspraxis von relevanten Akteuren und Akteurinnen haben. Auch im Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens, wie er im 3. Kapitel beschrieben wurde, wurden immer wieder Bezüge auf Geschlechterverhältnisse hergestellt, die auf bestimmten, aber nicht begründeten Annahmen über die Familie, die Rolle von Mann und Frau, von Eltern oder über die Erwerbstätigkeit von Frauen beruhten. Solche Annahmen sind Teil von Debatten oder Inhalte von Gutachten. In der Realität des Gesetzgebungsverfahrens gab es jedoch keinen systematischen Bezug auf das Gleichstellungsziel. Deswegen werden in diesem Kapitel die damals angesprochenen Themen analysiert und gleichzeitig in einem jeweils zusammenfassenden Fazit Ansätze zur systematischen Umsetzung eines Gender-Mainstreaming-Verfahrens definiert.
Das Kapitel verdeutlicht, dass einerseits bestimmte notwendige Daten noch gar nicht vorhanden sind. Andererseits wird durch das Zusammentragen von sehr vielen Informationen über Haushalts- und Familienformen, Einkommenssituationen, Familien- und Erwerbsarbeit von Männern und Frauen sowie über Kinderbetreuungssituationen eine Plattform geliefert, die in dem konkreten Gesetzgebungsverfahren hätte genutzt werden können. Modellhaft wird gezeigt, wie eine Gender-Impact-Analyse aussehen könnte. Es wird klar, dass es am besten wäre, wenn man alle Akteurinnen und Akteure darauf verpflichten würde, ihre Vorschläge, Gutachten und Beiträge auf die Gleichstellung der Geschlechter hin zu überprüfen. Im Unterabschnitt 4.7 gibt es dann sogar den Vorschlag für einen hypothetischen Gesetzgebungsverlauf.
Im 5. Kapitel werden Lehren aus Umsetzungserfahrungen im europäischen Ausland gezogen. Im Mittelpunkt stehen Beispiele von Gender Mainstreaming, Gender Impact Assessments innerhalb und außerhalb der EU, wobei insbesondere Beispiele aus dem Bereich der Steuerpolitik gesammelt sind.
Die Recherchen wurden Anfang 2003 abgeschlossen, so dass man annehmen kann, dass die Umsetzung von Gender Mainstreaming in Gesetzgebungsverfahren und in der Steuerpolitik in den hier untersuchten zehn Ländern noch weiter fortgeschritten ist. Insgesamt bekommt man jedoch den Eindruck, dass viele Länder sehr viel weiter sind als es sich in der Analyse des Gesetzgebungsverfahrens zur Familienförderung in Deutschland gezeigt hat.
Die Studie schließt in Kapitel 6 mit den Empfehlungen an das Bundesfinanzministerium. Sie beziehen sich darauf, dass das Ziel der Geschlechtergleichheit in die Gesetzesfolgenabschätzungen einbezogen werden muss, dass die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen Genderkompetenz erwerben müssen und dass externe Expertise hinzugezogen werden kann. Es wird darauf hingewiesen, dass die Datengrundlage verbessert werden muss, und es wird empfohlen, eine Stelle für die Koordinierung der genderbezogenen Gesetzgebungsarbeit in den einzelnen Ressorts zu etablieren. Bezüglich der Instrumente für die Genderarbeit wird kein Vorschlag gemacht, vielmehr wird empfohlen, die unterschiedlichen Instrumente entsprechend den jeweiligen Themenstellungen anzupassen. Nicht zuletzt wird die (gesetzlich gebotene) Notwendigkeit der Parität der Geschlechter in den entsprechenden Gremien unterstrichen. Und als „Königsweg“ wird wiederum eine ressortübergreifende Kooperation eingefordert, die es erlaubt, komplexe Regelungsfragen zur Geschlechtergerechtigkeit auch mit komplexen legislativen Programmen zu beantworten.
Kritisch erscheinen mir zwei Punkte: Es wird zu wenig darauf hingewiesen, dass auch Geschlechterpolitik Politik ist, die mit unterschiedlichen Zielsetzungen arbeitet. Wer traditionelle Vorstellungen von den Geschlechtern vertritt, kann sie ebenso mit den Auflagen des Grundgesetzes begründen, wie jemand, der fortschrittlichere Vorstellungen vertritt. Auch im Bereich der Gleichstellungspolitik gibt es Konkurrenzen zwischen verschiedenen Wertvorstellungen. Diese lassen sich jedoch nur politisch entscheiden. In der Studie wird eine fortschrittliche geschlechterpolitische Zielsetzung verfolgt, dennoch kommen in den Analysen bestimmte Aspekte der Väterförderung und ihrer Gleichberechtigung in der unbezahlten Arbeit noch zu kurz. In einigen Teilen des Berichts, besonders im Kapitel 4, wird Gender Mainstreaming fast wie ein „Zauberstab“ benutzt, in vielen Formulierungen erhält Gender Mainstreaming direkt die Rolle eines Akteurs zugeschrieben, der zur Gleichstellung führt. Gender Mainstreaming ist allerdings nur ein Instrument, mit dem bestimmte Zielsetzungen verfolgt werden können.
Diese Kritik bezieht sich jedoch auf Marginalien im Vergleich zur Bedeutung der vorgelegten Arbeit. Vielleicht ist es ein Glück, dass diese Studie so spät kommt, da sie rechtliche und tatsächlich unentbehrliche Argumente für die Umsetzung von Gender Mainstreaming bietet. Spät bedeutet, dass sie nicht in den Boom der Projektbeschreibungen, die uns vor drei Jahren überschwemmten, hineingerät, sondern in eine Zeit, in der Gender Mainstreaming in der Diskussion in den Medien stark verzerrt und verkannt wird. Der Bericht ist allen zu empfehlen, die im weitesten Sinne von der Verpflichtung zu Gender Mainstreaming betroffen sind, also politisch arbeitenden Personen in Verwaltungen und Justiz, ferner allen, die Lust haben, einen spannenden Prozess mitzuerleben und darüber hinaus noch in den Genuss kommen wollen, dessen Alternativen zu erkennen. Nach dem Erscheinen dieses Buches kann niemand mehr behaupten, man könne gar nicht wissen, wie Gender Mainstreaming umzusetzen sei. Und das kompakte Wissen in diesem Bericht bietet ausreichend Stoff für Fortbildungsveranstaltungen, die hoffentlich als erste Konsequenz dieses Gender-Mainstreaming-Pilotprojektes alsbald und nicht nur für Finanzbeamte stattfinden werden.
URN urn:nbn:de:0114-qn082297
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