Margret Bürgisser:
Egalitäre Rollenteilung.
Erfahrungen und Entwicklungen im Zeitverlauf.
Zürich: Rüegger 2006.
240 Seiten, ISBN 978–3–7253–0856–9, € 28,20
Margret Bürgisser, Diana Baumgarten:
Kinder in unterschiedlichen Familienformen.
Wie lebt es sich im egalitären, wie im traditionellen Modell?
Zürich: Rüegger 2006.
160 Seiten, ISBN 978–3–7253–0855–2, € 23,00
Abstract: Die Autorinnen untersuchen die Einschätzungen von deutschschweizer Ehepaaren und ihren heranwachsenden Kindern zum Leben in einem egalitären Familienmodell. Die Längsschnittstudie umfasst dabei einen Zeitraum von 10 Jahren. In halbstrukturierten Interviews werden die Veränderungen in der Organisation in Arbeits-, Haushalts- und Familienbereich erhoben und mittels qualitativer Analyse strukturiert. Der erste Band enthält die theoretischen Grundlagen und die Befunde zu den Veränderungen bei den Eltern. Im zweiten Band wird auf die Erfahrungen der Kinder eingegangen, die in diesen Familien aufwuchsen. Auch sie wurden mit halbstrukturierten Interviews befragt. Zusätzlich wird die Kinderperspektive mit einer stärker traditionell aufwachsenden Kontrollgruppe verglichen.
Die vorliegenden Bände stellen die Ergebnisse einer wiederholten Befragung vor, die 1994 mit 28 deutschschweizer Ehepaaren begonnen wurde, die ihren Alltag mit egalitärer Rollenteilung organisieren. Die Eltern wurden 1994 in einer frühen Phase der Familienzeit über ihre Arbeits- und Verantwortungsteilung in familiären und beruflichen Kontexten befragt. In der Nachfolgestudie wurde nun untersucht, wie sich die Rollenverteilung bewährt und verändert hat. Im zweiten Band werden die Einschätzungen der Kinder, die in diesen Familien aufwuchsen, hinsichtlich ihrer Einschätzungen des elterlichen Rollenmodells und ihrer Erfahrungen befragt.
Seit Ende der 80er Jahre gibt es eine Vielzahl von – überwiegend qualitativen – Befragungsstudien zur Realisierung einer geschlechtergerechten Aufteilung der Tätigkeit in Erwerbsarbeit, Haushalt und Kinderbetreuung. Die vorliegende Studie fügt sich in diesen Bereich ein, wobei die Analyse langfristiger Veränderungen von besonderem Interesse sein dürfte. Unter egalitärer Rollenteilung wird von den Autorinnen eine familiäre Organisation verstanden, bei der zwei Elternteile mit Kind(ern) zusammenleben, wobei beide in annähernd gleichen Teilzeitpensen erwerbstätig sind und sich daneben Haushalt und Kinderbetreuung nach eigenem Ermessen zeitgleich und gleichverantwortlich teilen.
Die Multiperspektivität der Wahrnehmung von Eltern und Kindern wird zudem um eine soziologische Einordnung erweitert. Ein eigenes Kapitel von Gilbert Ganguillet beschäftigt sich mit „Haushalten mit egalitärer Rollenteilung im Lichte Gesamtschweizerischer Statistiken“. Diese zusätzliche Verortung der eigentlichen Hauptstudie geht der Frage nach, wie verbreitet egalitäre Familienhaushalte in der Schweiz sind und welche strukturellen Merkmale mit diesem Muster der Arbeitsteilung verbunden sind. Dabei wird auf die Daten des schweizerischen Bundesamtes für Statistik sowie das Schweizer Haushalts-Panel von 2002 zurückgegriffen. In der Schweiz dominiert danach mit fast 50% der befragten Haushalte ein modernisiert-bürgerliches Familienmodell, bei dem der Mann Vollzeit berufstätig ist, während die Partnerin Teilzeit beschäftigt ist. Lediglich 1 % der Haushalte leben nach dem hier im Mittelpunkt stehenden egalitär-partnerschaftlichen Modell. Diese Paare leben ganz überwiegend in städtischen Metropolen und verfügen über einen hohen Ausbildungsabschluss, einen hohen sozioprofessionellen Status und dementsprechend über ein überdurchschnittliches Einkommen. Insofern entspricht die Stichprobe der Studie recht genau diesem – wiewohl sehr kleinen – Anteil der schweizerischen Bevölkerung, der die Chance hat, seinen Lebensentwurf zu realisieren.
Im Rahmen von halbstrukturierten Interviews wurden alle wesentlichen Bereiche des Berufs- und Familienlebens insbesondere hinsichtlich der Veränderung in den vergangenen Jahren thematisiert. Die Befunde werden ausführlich deskriptiv dargestellt und inhaltsanalytisch ausgewertet. Hierzu gehören im Wesentlichen:
Die Beschreibung der Veränderung in diesen Bereichen wird mit Beispielzitaten belegt und soweit möglich durch deskriptive Tabellen ergänzt. Zunächst mag der Verzicht auf eine stärker zufallskritische Analyse des Materials enttäuschen, im Hinblick auf die geringe Anzahl der befragten Personen und die Heterogenität ihrer Lebensbedingungen ist er aber nachvollziehbar.
Insgesamt beurteilten die Eltern die Bewährung ihres Rollenmodells als überwiegend positiv. Interessanterweise wurde von vielen der „Sog der Erwerbsarbeit“ beschrieben, der mit höheren Arbeitspensen „locke“ und dem die Partner zugunsten des gewählten Familienmodells aktiv Widerstand entgegensetzen mussten. Insgesamt fand sich auch eine von den Autorinnen als überraschend gering angesehene räumliche Mobilität und eine hohe Stabilität hinsichtlich des Arbeitsplatzes im Vergleich zu vor zehn Jahren. Postmaterialistische Werthaltungen wurden in den Interviews auch an der Definition der eigenen Karriere deutlich: weniger der formale Aufstieg als die Anwendung und Erweiterung der individuellen Kompetenzen in Eigenverantwortung und bei einer hohen Autonomie der Berufsausübung wurde von den egalitären Partnern in den Vordergrund gerückt. Die partnerschaftliche Arbeitsteilung, die als angemessen erlebte Work-Live-Balance, die Rollenvielfalt und die damit verbundene Risikominimierung und die günstige Ressourcenverteilung wurde sowohl von Männern als auch von Frauen im Langzeitverlauf als positiv bewertet. Die Wichtigkeit der geteilten Elternschaft wurde im Gegensatz zu der früheren Befragung als geringer eingeschätzt – dies ist insofern nicht verwunderlich, als sich die heranwachsenden Kinder überwiegend in der Ablösephase befanden.
Aus den Interviews folgern die Autorinnen, dass die Stimmigkeit des praktizierten Arrangements stärker von der Zufriedenheit der beiden Partner als von der in konkreten Zeiteinheiten messbaren Aufteilung der Verantwortlichkeiten zu finden ist.
Im Rahmen der Befragung der Kinder wurde zusätzlich eine parallelisierte Kontrollgruppe aus (eher) traditionell organisierten Familien befragt, um Unterschiede in der Wahrnehmung und der Einschätzung bei den Kindern eruieren zu können. Dieser Ansatz ist insoweit interessant, da die Beurteilung und Einschätzung des eigenen Lebenszusammenhangs unkritisch positiv verzerrt sein könnten. Die Ergebnisse widerlegen diese Gefahr jedoch sehr eindrücklich.
Die Autorinnen gehen davon aus, dass die in der Familie gemachten Erfahrungen entscheidend für die Entwicklung der persönlichen Identität und auch des Geschlechtsrollenverständnisses sind. Zentral wird dabei analysiert, wie das elterliche Rollenmodell und die Organisation der Bereiche „Haushalt und Beruf“ von den Kindern und Jugendlichen wahrgenommen wird und inwieweit sie ihnen als Vorbild für die eigene Lebensplanung dienen.
Die wesentlichen Unterschiede zwischen beiden Gruppen ergaben sich hinsichtlich der Wahrnehmung des Vaters in der Betreuungssituation. Die Kinder aus egalitären Familien schätzten die Abwechselung in der Betreuung und den gemeinsamen Alltag mit dem Vater sowie die Möglichkeit einer Triangulierung in Konflikten. Bei der Gruppe der Kinder aus traditionellen Familien wurde eher ein „Mutterüberdruss“ deutlich.
Durch die ausgewogenere Beteiligung beider Elternteile am Berufs- und Familienalltag nahmen die Kinder aus egalitären Familien die Eltern facettenreicher und vielfältiger wahr. Inwieweit diese auch von den Kindern als positiv eingeschätzte Rollenvielfalt einen prägenden Faktor auf das Leben der zweiten Generation hat, kann erst in einigen Jahren analysiert werden – interessant ist diese Frage allemal.
Insgesamt stellen die Befunde ein umfassendes Bild von der Wahrnehmung des Lebens in einer egalitär orientierten Familiensituation vor. Dabei finden sich recht wenige Überraschungen hinsichtlich der Einschätzungen dieser Lebensform bei Eltern und Kindern. Wesentlich erscheint mir an dieser Arbeit darüber hinaus, dass auf ihrer Grundlage genauere Kausalhypothesen für die empirische Erforschung von Familienorganisationen und ihrer Veränderung abgeleitet und zufallskritisch überprüft werden können.
URN urn:nbn:de:0114-qn082020
Prof. Dr. Ellen Aschermann
Fachgruppe Psychologie, Universität zu Köln
E-Mail: e.aschermann@uni-koeln.de
Die Nutzungs- und Urheberrechte an diesem Text liegen bei der Autorin bzw. dem Autor bzw. den Autor/-innen. Dieser Text steht nicht unter einer Creative-Commons-Lizenz und kann ohne Einwilligung der Rechteinhaber/-innen nicht weitergegeben oder verändert werden.