Väter vom Aufbruch überfordert?

Rezension von Sebastian Scheele

Anja Wolde:

Väter im Aufbruch?

Deutungsmuster von Väterlichkeit und Männlichkeit im Kontext von Väterinitiativen.

Wiesbaden: VS 2007.

311 Seiten, ISBN 978–3–531–15341–4, € 34,90

Abstract: Wie erfahren Väter die Veränderungen, die im Gefolge der Frauenbewegungen in heterosexuellen Partnerschaften und Familien stattgefunden haben? Wie gehen sie damit um, dass an sie als „Neue Väter“ Anforderungen gestellt werden, die teilweise inkompatibel mit ihren Männlichkeitsbildern sind? Eine Reaktion, die sich großer medialer Aufmerksamkeit erfreut, ist das Engagement in Väterinitiativen. Anja Wolde analysiert die kollektiven Deutungsmuster dieser Vereinigungen zwischen Selbsthilfegruppe und Lobby-Organisation.

Väterinitiativen als Reaktion auf sich wandelnde Geschlechterverhältnisse

In den vergangenen Jahrzehnten erschütterten Frauenbewegungen und die erhöhte Bildungs- und Erwerbspartizipation von Frauen die Unhinterfragtheit des „Familienernährermodells“; Formen von Familialität und Generativität veränderten sich. Wolde diagnostiziert deshalb einen „Modernisierungsdruck“ (S. 191 f.), der in Intimbeziehungen die häufige Aushandlung von Fragen des Geschlechts und der Elternschaft nötig macht. Väter sind von „zunehmender Verunsicherung über ihre Position und Funktion in der Familie“ (S. 59) betroffen. Seit Ende der 1980er Jahre haben sich Väterinitiativen gegründet: einerseits als Reaktion auf diese Verunsicherung und andererseits paradoxerweise als Akteure eben jener Diskursivierung von Väterlichkeit. Von sozialwissenschaftlichem Interesse sind die Väterinitiativen insbesondere, da dort angesichts der genannten Umbruchsituation „die Gültigkeit alter und neuer Deutungsmuster ausgehandelt wird“ (S. 62). Woldes Perspektive grenzt sich ab von Argumenten, die in Väterinitiativen generell Backlash-Aktivisten am Werk sehen, aber auch von der Gleichsetzung mit „Neuen Vätern“ und der kritiklosen Übernahme ihrer Positionen, wie es in einem großen Teil der medialen Berichterstattung geschieht (vgl. S. 53 f.). Stattdessen untersucht sie unter einer hermeneutischen Perspektive Publikationen aus dem Kontext von Väterinitiativen, um die jeweiligen Vorstellungen von „Männlichkeit“, „Vaterschaft“ und „Väterlichkeit“ herauszuarbeiten. Handelt es sich um Reproduktion oder Transformation, um einen Wandel in Richtung der Auflösung oder der Verfestigung von Hierarchien und Machtbeziehungen (vgl. S. 11)?

Differenzierung durch Materialnähe

Die Materialauswahl mutet zunächst sparsam an: Untersucht wird eine Handvoll Texte aus der Zeitschrift „PAPS“, die aus dem Verein „Väteraufbruch für Kinder“ heraus entstanden ist, hauptsächlich Editorials mit grundlegenden Selbstverständnisdebatten, zudem zwei Texte von Matthias Matussek, da sie „typisch und grundlegend“ für bestimmte Deutungsmuster seien (S. 112 ff.). Allerdings entwickelt Wolde eine methodische Synthese aus der offenen Kodierung der Grounded Theory sowie der Sequenzanalyse, mit der sie latente Sinngehalte rekonstruieren kann: Satzweise werden alle möglichen Lesarten aufgezeigt, bis im weiteren Fortschreiten des Textes feststeht, welche davon konsistent zutreffen. Durch das aufwändige und intensiv reflektierte Interpretationsverfahren wird das kleine Textkorpus äußerst ergiebig, besonders bei den kleinschrittigen Analysen einzelner Wörter (beispielsweise „Entsorgung“, S. 120 ff., „Trumpf“, S. 136, „Glatze“, S. 154f) fällt die Präzision des Vorgehens auf. Dadurch macht Wolde die Tiefenschicht der Argumentation und damit auch immanente Widersprüche und Unstimmigkeiten sichtbar. So kann die „Väterbewegung“ in zwei Fraktionen differenziert werden, deren Deutungsmuster „sich auch in ihrer Tiefenstruktur unterscheiden“ (S. 283), die unterschiedliche (geschlechter-)politische Richtungen einschlagen und entsprechend unterschiedliches emanzipatorisches Potenzial aufweisen.

„Kämpfende“ und „ambivalente“ Väter

In der Analyse werden zwei verschiedene Schlüsselkategorien benannt. Eine erste Fraktion der Väterbewegten orientiert sich am Deutungsmuster des „Geschlechterkampfs“ (S. 118ff). Diese aufgrund ihrer vorherrschenden Thematik von Scheidungen und Sorgerechts-Auseinandersetzungen auch „Trennungsväter“ genannte Fraktion denkt Wolde zufolge in einem Paradigma von Sieg oder Niederlage, wobei die Front zwischen den jeweils als homogene Gruppen gedachten Männern und Frauen verläuft. Ohnmächtige, entwertete Väter stehen den Aktivitäten der kontrollierenden, allmächtigen Mütter gegenüber. Hinter dieser Polarisierung erkennt die Autorin eine starke Kränkung: Indem die Mutter (im allgemeinen immerhin die Ex-Partnerin) als böse konstruiert wird, wird der eigene Trennungsschmerz negiert (vgl. S. 133). Gleichzeitig werden (äußerst selektiv) feministische Argumente herangezogen, um gegen die Mütter zu argumentieren (vgl. S. 145). Forderungen nach Veränderung familiärer Arbeitsteilung werden oberflächlich bejaht und den Müttern das Scheitern engerer Vater-Kind-Beziehungen angelastet – wobei die Trennungsväter diese Beziehung idealisieren und das Kind „als Platzhalter für den Wunsch […] nach einer kontinuierlichen Beziehung“ (S. 290) instrumentalisieren. Wie „gute Väterlichkeit“ aussehen kann, wird jedoch nicht verhandelt: Durch den Rückgriff auf essentialistische Konzepte von „archaischer Vaterliebe“ wird die Konkretisierung bedeutungslos (vgl. S. 173).

Das zentrale Deutungsmuster einer zweiten Fraktion bezeichnet Wolde als „männliche Autonomie in Geschlechterkooperationen“ (S. 200 ff.). Diese „moderaten Väter“ sind dem Wandel gegenüber eher aufgeschlossen, da sie ihn „mit Verlusten, aber auch neuen Handlungsräumen und -möglichkeiten für Väter“ (S. 286) verbinden. Der Verlust der klaren Verhaltensanforderung der Familienernährer-Funktion wird als individuelle Krise erlebt, die jedoch die Chance auf eine eigenständige Beziehung zum Kind eröffnet. Die „ambivalenten Väter“ suchen nach neuen Orientierungen: „Die Aktivität, zu der Väter aufgerufen werden, liegt in erster Linie darin, für sich zu bestimmen, was Vaterschaft und Väterlichkeit heißt“ (S. 287). Nehmen die Verunsicherungen überhand, greifen sie auf „vertraute“ hierarchische Ausdeutungen von Differenz zwischen den Geschlechtern zurück, beispielsweise, indem die Notwendigkeit des Vaters als männlicher Identifikationsfigur besonders für Söhne behauptet wird (vgl. S. 231 ff., S. 291).

Beiden Fraktionen gemeinsam ist, dass strukturelle Ungleichheiten in den Geschlechterverhältnissen zu Ungunsten von Frauen nicht thematisiert werden (vgl. S. 288). Unterschiedlich ist der Umgang mit den aus Ungleichzeitigkeiten und Widersprüchen erwachsenden (auch innerpsychischen) Konflikten: Die Anhänger des „Geschlechterkampf“-Deutungsmusters greifen aufgrund geringer Ambivalenztoleranz zu Vereindeutigung und Polarisierung (vgl. S. 191), die ambivalenten Väter verharren in Hin- und Herbewegungen. Für Wolde ist offen, ob es ihnen gelingt, „ihre Wünsche und Ängste zur Sprache zu bringen, bewusster nebeneinander stehen zu lassen“ (S. 292) und den Weg in Richtung emanzipierter Geschlechterverhältnisse einzuschlagen.

Fazit

Die Studie präsentiert eine detaillierte Analyse der Deutungsmuster und Argumentationen der Väterinitiativen. Die kleinschrittige Präzision beeindruckt umso mehr, wenn man die oft verletzende Polemik des untersuchten Materials bedenkt. Sowohl im theoretischen als auch im methodologischen Rahmen erarbeitet Wolde anspruchsvolle Synthesen; etwas ungeklärt bleibt nur der theoretische Status der psychologischen Elemente (wie z. B. des Theorems der narzisstischen Kränkung, S. 132). Verblüffend ist, dass kein systematischer Bezug auf die Diskursanalyse genommen wird – ist sie doch momentan in der Beschäftigung mit Geschlecht geläufiger als z. B. die Objektive Hermeneutik. Vielleicht wäre es durch eine konstruktivistische subjekttheoretische Radikalität gelungen, beispielsweise Heteronormativität in den Blick zu bekommen, statt sich an der Unterscheidung von Geschlechterdifferenzierung und -hierarchisierung abzuarbeiten. Genau genommen würde erst damit Woldes Vorhaben vollkommen umgesetzt, sich „bei der Suche nach allgemeinen Regeln auf keinen ontologischen Status der gefundenen Muster festzulegen“ (S. 100 f.). Doch auch ohne diese Perspektive gelangt die Studie zu reichhaltigen Erkenntnissen. Vielleicht tragen die griffige Fraktionen-Unterscheidung und die nüchterne Darlegung der Deutungsmuster dazu bei, in der untersuchten Szene Diskussionen voranzutreiben – wodurch sicherlich Bruchlinien offenkundig würden, die bisher durch die umfassende Klammer der „Väterbewegung“ zusammengehalten werden. Welches größere Verdienst könnte eine solche empirische Studie haben?

URN urn:nbn:de:0114-qn082250

Dipl. Soz. Sebastian Scheele

GenderKompetenzZentrum, Humboldt Universität Berlin

E-Mail: scheele@genderkompetenz.info

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