Robin Bauer, Helene Götschel (Hg.):
Gender in Naturwissenschaften.
Ein Curriculum an der Schnittstelle der Wissenschaftskulturen.
Mössingen-Talhein: Talheimer Verlag 2006.
240 Seiten, ISBN 978–3–89376–119–7, € 19,50
Abstract: Robin Bauer und Helene Götschel stellen am Beispiel des Curriculum-Projektes „Degendering Science“ Inhalte und Didaktiken für transdisziplinäre Lehrkonzepte vor, um Naturwissenschaften und Gender Studies in einen konstruktiven Dialog zu bringen. Dieses Buch ist mit seinen vielen Beispielen eine Hilfestellung für alle Lehrenden der Gender Studies und es liefert wichtige Anregungen zu aktuellen Herausforderungen und Strategien bei der Institutionalisierung der Gender Studies.
Die naturwissenschaftliche Geschlechterforschung hat in den letzten 25 Jahren ein fundiertes Analyserepertoire entwickelt, um Geschlechtersegregationen in diesen Disziplinen ebenso wie Geschlechtereinschreibungen in deren Inhalte, Arbeitsweisen und Theorien aufzudecken. Die Vermittlung dieser Ansätze, also die Inklusion der Gender Studies (damit ist die Lehre gemeint) in die technisch-naturwissenschaftlichen Fächer ist dagegen noch marginal. Umgekehrt – und ebenso gravierend – ist auch die differenzierte Auseinandersetzung mit naturwissenschaftlichen Themen und Fragestellungen innerhalb der geistes- und sozialwissenschaftlich geprägten Gender Studies immer noch als Stiefkind anzusehen.
Das Buch „Gender in Naturwissenschaften“ von Robin Bauer und Helene Götschel leistet für dieses Spannungsfeld einen wichtigen Beitrag. Denn mit dem Projekt Degendering Science stellen die Autor/-innen ein curriculares Modell vor, mit dem diese ‚Zweibahnstraße‘, also der Weg, die Gender Studies in die Naturwissenschaften zu bringen und die Naturwissenschaften in die Gender Studies zu tragen (vgl. S. 10), bereitet werden kann. Gleichzeitig werden die damit verbundenen Probleme und Herausforderungen herausgearbeitet und Strategievorschläge für eine transdisziplinäre Lehre in den Gender Studies entwickelt.
Im ersten Teil des Buches werden die Hintergründe, Inhalte und Zielstellungen zur Ausgestaltung der ‚Zweibahnstraße‘ ausgearbeitet. Helene Götschel stellt die Entstehung des Curriculum-Projektes und seine Ansiedlung in den Erziehungswissenschaften der Universität Hamburg vor. Auch wenn dies nicht von Anfang an geplant war, bedeutete diese Anbindung eine Konzentration auf die Ausbildung angehender Lehrer/-innen als Multiplikator/-innen für die reflektive Vermittlung von Genderaspekten in den Naturwissenschaften. Gleichzeitig ist das Lehrmodul offen für Diplomstudierende der Naturwissenschaften und für Studierende der Gender Studies, also für eine insgesamt ziemlich multidisziplinäre und transkulturelle Zielgruppe.
Robin Bauer vertieft im anschließenden Beitrag die Inhalte der „Gender & Science Studies“. Ansätze der Wissenschaftsforschung dienen zur Analyse von Mechanismen der Wissensproduktion in den vermeintlich objektiven Naturwissenschaften. Die Untersuchung der Dimensionen Women in Science, Gender in Science und Science of Gender beleuchtet vernetzte Perspektiven der Geschlechterverhältnisse in den Naturwissenschaften. Feministische Wissenschaftstheorien liefern Ansätze für alternative Erkenntnisstrategien. Sehr gut wird hier ausgearbeitet, dass es immer noch am fundierten Dialog zwischen den Vertreter/-innen der Gender Studies im naturwissenschaftlichen und im gesellschaftswissenschaftlichen Bereich mangelt.
Dorit Heinsohn formuliert die Ziele der Zweibahnstraße aus. Für die Naturwissenschaften ist es die Bereitstellung eines analytischen Repertoires zur Reflexion der eigenen Methoden und Inhalte, inklusive der Geschlechteraspekte. Im Spannungsfeld zwischen gendering und degendering muss einerseits das oft versteckte Geschlecht in den Disziplinen aufgedeckt werden, andererseits gilt es, offensichtliche Geschlechtersegregationen zu eliminieren. Für die gesellschaftswissenschaftlichen Gender Studies kann nur die differenzierte Thematisierung der Naturwissenschaften einer unreflektierten Ablehnung und einem prognostizierten Ausschluss entgegenwirken (vgl. S. 48).
Im zweiten Teil des Buches wird das Modul „Gender Studies und Naturwissenschaften“ detailliert vorgestellt. Helene Götschel charakterisiert den dreistufigen modularen Aufbau des Curriculums: (1) Basiseinheiten zur Einführung in die Grundlagen der Gender Studies und Naturwissenschaften, (2) Vertiefung anhand von Themenfeldern mit unterschiedlichen disziplinären Bezügen und (3) Praxisbausteine zur Anwendung der erlernten Ansätze und Methoden. Die Abfolge der Bausteine soll gewährleisten, dass Studierende systematisch in eine kritisch-reflektive Auseinandersetzung mit ihren eigenen Disziplinen eingeführt werden und eine solche Auseinandersetzung auch konstruktiv umsetzen können. Die thematische Flexibilität innerhalb der Ebenen (vgl. S. 56) soll die Anpassungsmöglichkeit an unterschiedliche Studiengänge unterstützen.
Für die jeweiligen Ebenen werden in Beiträgen von Helene Götschel und Robin Bauer, von Andrea Blunck und Gesa Mayer unterschiedliche Veranstaltungsangebote vorgestellt, die an die Bedürfnisse und Zielrichtungen der Teilnehmer/-innen adaptiert wurden. Die Vielfalt der thematischen und praxisbezogenen Seminarbeschreibungen (mit Seminarprogrammen im Anhang) gibt inhaltliche und didaktische Anregungen zur Ausgestaltung von transdisziplinären Lehransätzen. Gleichzeitig werden aber auch die Probleme bei der Anpassungen an die Bedürfnisse unterschiedlicher Zielgruppen deutlich, wenn beispielsweise Studierende der Gender Studies einen theoretischen Einstieg bevorzugen gegenüber einem primär gegenstandsorientierten Zugang von Seiten der Studierenden aus den Naturwissenschaften. Aufgezeigt werden auch die Grenzen der Modulflexibilität: die Wahlfreiheit für die Studiengänge kann dazu führen, dass eben nicht alle Studierende der Abfolge von einführenden, vertiefenden und forschungsbezogenen Bausteinen folgen und teilweise Begrifflichkeiten und Grundwissen fehlen (vgl. S. 81).
Im dritten und vierten Teil des Buches arbeiten Robin Bauer und Helene Götschel anhand der Evaluationen des Projektes die Herausforderungen und mögliche Strategien für transdisziplinäre Gender Studies heraus. Ein Erfolg des Projektes äußerte sich in dem gestiegenen Interesse der Studierenden an den Ansätzen der jeweils anderen Disziplinen. Es wurden aber auch Spannungsfelder deutlich: zwischen der Bereicherung des eigenen Lernens bzw. Selbstverständnisses in interdisziplinären Zusammenhängen und der Komplexität des Stoffes, zwischen der Befähigung zur kritischen Reflexion des eigenen Faches und Problemen der Desillusionierung (vgl. S. 110). Robin Bauer legt in diesem Zusammenhang den Finger auf den wunden Punkt der Gender Studies, die immer noch fehlenden Fachdidaktiken (vgl. S. 114), und charakterisiert das Problemfeld noch prägnanter: Weil hier zwei Wissenschaftskulturen, die naturwissenschaftliche einerseits und die geistes-, sozial-, kulturwissenschaftliche andererseits aufeinander treffen, brauchen wir Ansätze für eine nicht nur transdisziplinäre sondern für eine transkulturelle Didaktik (vgl. S. 117 f.) sowie transkulturelle Dialogformen. Bauer skizziert hierzu im Folgenden einige Strategien: Kommunikationsformen, die allen Studierenden das gleichwertige Einbringen ihrer Kompetenzen ermöglichen; die Auseinandersetzung mit Begrifflichkeiten (z. B. Biologimus, Naturalisierung) ohne einseitige Definitionsmacht; die Initiierung aktiver Beteiligung aller Studierenden durch interaktive Lese- und Diskussionstechniken.
Am Beispiel der Studiengangsmodelle der Universität Hamburg diskutiert Helene Götschel schließlich die institutionellen Hochschulstrukturen als Herausforderungen für die Implementierung der Gender Studies. Mit zwei Initiativen, der Institutionalisierung von Technoscience als Brückenschlag für die „Gender & Science Studies“ auf Diplomebene und dem Projekt „Degendering Science“ für die Erziehungswissenschaften sind in Hamburg zwar erste Strategien entwickelt worden, die Umstellung der Studiengänge im Rahmen des Bologna-Prozesses stellt aber neue Anforderungen, um die Studiengangsmodelle zumindest teilweise zu erhalten bzw. neu zu integrieren.
Weil „zum jetzigen Zeitpunkt nicht davon ausgegangen werden kann, dass die Vermittlung von Genderkompetenz selbstverständlicher Bestandteil der Lehrveranstaltungen des neuen Studienangebotes wird“ (S. 163), und weil dies nicht nur für die Universität Hamburg, sondern deutschlandweit gilt, ist dieses Buch eine wichtige Grundlage, um die dringend erforderliche Entwicklung und Diskussion curricularer Initiativen der Gender Studies voran zu treiben.
URN urn:nbn:de:0114-qn082268
HD Dr. Sigrid Schmitz
Universität Freiburg, Institut für Informatik und Gesellschaft, Abt.1
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