Pyrrhussiege? – Frauen an Hochschulen.

Rezension von Cord Arendes

Annette Zimmer, Holger Krimmer, Freia Stallmann:

Frauen an Hochschulen: Winners among Losers.

Zur Feminisierung der deutschen Universität.

Opladen u.a.: Barbara Budrich 2007.

206 Seiten, ISBN 978–3–86649–010–9, € 16,90

Abstract: Noch nie gab es an den deutschen Universitäten so viele Studentinnen und Professorinnen wie heute. Gleichzeitig scheinen die Hochschulen im Zeichen der Umstrukturierung und Ökonomisierung an Attraktivität zu verlieren. Die sich aus dieser veränderten Ausgangssituation ergebenden Karrierechancen und -hindernisse betreffen aber nicht nur Deutschland, sondern haben eine gesamteuropäische Dimension.

Humboldts Ideale und die europäische Realität

Der vorliegende Band und die ihm zugrundeliegende Umfrage entstanden im Kontext des von der EU geförderten länder- und fächerübergreifenden Forschungs- und Ausbildungsnetzwerkes „Women in European Universities“. Ein zentrales Ergebnis der Studie gleich vorweg: Wenn es um den Anteil von Frauen am wissenschaftlichen Personal im Hochschulbereich geht, so liegt Deutschland im europäischen Vergleich immer noch auf dem vorletzten Platz. Im ersten Teil des Bandes geben die Autor/-innen zunächst einen informativen wie pointierten Überblick über die Entwicklungen im deutschen Hochschulsystem seit dem 19. Jahrhundert: bis heute ein Wechselspiel sowohl der Fortführung als auch der Abgrenzung vom humboldtschen System der Trennung von Forschung und Lehre, inklusive Ordinarienuniversität, Elitenbildung und Kulturhoheit der Länder. Erst seit den 1960er Jahren kam es zu einer umfassenden Öffnung der deutschen Universitäten für bis dahin bildungsferne Schichten und Gruppen sowie besonders auch für Frauen. Die Reformbestrebungen unterteilen die Autor/-innen in vier große Phasen: Auf starke Expansion bei gleichzeitiger Diversifikation der Hochschullandschaft (ab ca. 1967 bis 1974) folgten Ernüchterung bei chronischer Unterfinanzierung und starkem Anstieg der Studierendenzahlen (bis Mitte der 1980er Jahre), Stagnation (bis Anfang der 1990er Jahre) und zuletzt eine starke Ökonomisierung und Ausrichtung der Hochschulen nach den Regeln des New Public Management.

Gleichstellung und Gender

Seit Anfang der 1980er Jahre haben Genderfragen und Gleichstellungsdebatten den „alten“ Diskurs über den Hochschulzugang bildungsferner Schichten deutlich überlagert. An den typischen Karrierewegen und Arbeitsstrukturen hat sich indessen wenig geändert: Das deutsche Hochschulsystem ist weiterhin durch die klare Abgrenzung zwischen befristeten Stellen für Nachwuchswissenschaftler/-innen und unbefristeten für Professor/-innen gekennzeichnet. Alleiniges Ziel bleibt die Professur, allen anderen Positionen haftet das Stigma des Scheiterns an. Der universitäre Karriereweg ist zeitintensiv und mit einem hohen Risiko verbunden – ein zügiges Durchlaufen der Karrierestationen und eine stringente Planung definieren die Minimalbedingungen für beruflichen Erfolg (S. 49). Die „Frauenfrage“ führte seit den 1980er Jahren zu entsprechenden Gesetzen und Hochschulprogrammen, zur Einführung neuer Ämter („Frauenbeauftragte“) oder zur Einrichtung von „Zentren für Geschlechterforschung“ (S. 64 ff.). Dabei lassen sich durchaus regionale Differenzen festmachen (Nord-Süd-Gefälle) und im universitären Topmanagement sind Frauen nach wie vor nur selten zu finden: weibliche Rollenmodelle, die eine wichtige Vorbildfunktion ausüben könnten, bleiben eine Ausnahme. Als Bremse für eine stärkere Präsenz von Frauen an den Hochschulen gelten heute aber nicht mehr in erster Linie Zugangs-, sondern informelle Barrieren, wie z. B. fehlende Netzwerke und die durchweg männlich codierte Organisationsstruktur: Normalbiographie, Normalarbeitsverhältnisse etc.

Wissenschaftskarrieren im „Vergleichstest“

Macht das Geschlecht im Rahmen einer Wissenschaftskarriere an deutschen Hochschulen immer noch den nicht so feinen Unterschied aus? Die Ergebnisse der im zweiten Teil des Buches dokumentierten Vollerhebung von Professorinnen (C3 und C4) an deutschen Universitäten aus sechs verschiedenen Fächergruppen (Ingenieurs-, Geistes-, Natur-, Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften) weisen in diese Richtung: Hinsichtlich der Untersuchungsbereiche „soziale Herkunft“, „Karrierewege“, „Auslandsaufenthalte“ und „Motive für die Berufswahl“ zeigt sich die Professor/-innenschaft in Deutschland noch sehr homogen. Bei den Frauen kommt einem akademisch geprägten Elternhaus bei der Wahl einer Hochschullaufbahn allerdings eine größere Bedeutung zu. Der im Vergleich mit den Männern schnelleren Bewältigung der Statuspassagen Studium und Promotion steht fernerhin das Nadelöhr Habilitation und erster Ruf gegenüber. Während insgesamt eine höhere Zahl von Frauen einen Auslandsaufenthalt nachweisen kann, liegen etablierte männliche Kollegen bei der Pflege internationaler Kontakte vorne. Die Motivbündel für die Wahl des Berufs „Hochschullehrer/-in“ sind wiederum ähnlich: Monetäre Gründe stehen – im starken Kontrast zur realen Ökonomisierung der Hochschulen – dabei nicht im Mittelpunkt.

„Verdeckte Diskriminierung“ als Unterschied?

Es ergeben sich allerdings auch eine Reihe signifikanter Unterschiede: Hinsichtlich der Finanzierung der Karriere und der Stellensituation schneiden Männer deutlich besser ab und erlangen häufiger Festanstellungen. Zudem erhalten sie ungleich häufiger Unterstützung durch Mentoren. Die deutsche Professor/-innenschaft ist mit Blick auf die Nachbarländer vergleichsweise immobil: Über ein Viertel der Befragten ist seit mehr als 20 Jahren an der gleichen Universität beschäftigt. Die Differenzen zwischen den Geschlechtern – Frauen erweisen sich als geringfügig mobiler – werden aber durch die zwischen den Fächern überlagert: Besonders Rechts- und Wirtschaftswissenschaftler/-innen erweisen sich als mobil (S. 130f). Wissenschaftlerinnen publizieren seltener in ausländischen Medien und erhalten insgesamt auch weniger Projektfinanzierungen durch Forschungsfonds oder die Privatwirtschaft. Dieses „Defizit“ gilt gerade auch für die von den Universitäten und Ministerien geförderten Wirtschafts- und Naturwissenschaften: „Inhouse Lobbying“ bleibt ein Fremdwort (S. 146). Große Unterschiede finden sich zudem – wie nicht weiter überraschen sollte – hinsichtlich der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Auch wenn Kinder nach den vorliegenden Daten durchaus mit der Wissenschaftskarriere vereinbar sind, so lassen sich in diesem Bereich weiterhin beträchtliche Unterschiede ausmachen: Professorinnen leben häufiger ledig, getrennt oder geschieden als ihre männlichen Kollegen. Sie haben seltener (nur jede zweite Frau) und insgesamt auch weniger Kinder. Die interne Struktur der deutschen Universitäten ist nach wie vor eher mit einem traditionellen Rollenverständnis vereinbar. Darüber hinaus erfahren Frauen am Arbeitsplatz spürbar weniger Akzeptanz als Männer. Besonders in der subjektiven Wahrnehmung geben die befragten Frauen öfter an, von Spitzenpositionen ferngehalten bzw. nicht in bestehende Netzwerke integriert zu werden und zugunsten der Wissenschaftskarriere in anderen Lebensbereichen deutliche Einbußen hingenommen zu haben (S. 170 ff.).

Fazit

Die ‚Feminisierung‘ der Hochschullandschaft erfolgt in großen und messbaren Schritten – zumindest dann, wenn darunter „die deutliche Erhöhung des Anteils von Frauen auf allen Qualifikations- und Karrierestufen der Universität“ (S. 13) verstanden wird. Gleichzeitig verlieren die europäischen Universitäten aus der Sicht der Autor/-innen flächendeckend an Ansehen: „Wenn die Frauen kommen, gehen Gehälter runter und das Prestige verloren.“ (S. 14) Der Band von Zimmer et. al. weist zwei ausdrückliche Stärken auf: Erstens liefert er eine komprimierte Einführung in die an Reformen nicht gerade arme deutsche Hochschulgeschichte der Nachkriegszeit. Zweitens gibt er einen durchgehend informativen und in einigen Teilaussagen sogar äußerst überraschenden Überblick über die aktuelle Situation und die Befindlichkeit der Hochschullehrer/-innen. Im Hinblick auf Geschlechtergerechtigkeit ist Deutschland trotz mancher negativer Befunde auf einem guten Weg – ob dies auch für die Institution Universität und damit auch für deren (berufliche) Attraktivität gilt, muss hier vorerst offen bleiben. Wie der abschließende Vergleich der Ergebnisse der korrespondierenden Studien zeigt, gilt diese Einschätzung europaweit: In keinem der untersuchten Länder „waren Professorinnen adäquat, d. h. entsprechend dem Anteil der weiblichen Studierenden des betreffenden Fachs sowie dem Anteil von Frauen an der Bevölkerung, in der Professorenschaft vertreten“ (S. 178). Bis zur Erlangung des Gleichheitspostulats ist also noch ein weiter Weg zurückzulegen, die Ergebnisse der Studie liefern dabei eine neue Diskussionsgrundlage.

URN urn:nbn:de:0114-qn083033

Dr. Cord Arendes

Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, Zentrum für Europäische Geschichts- und Kulturwissenschaften (ZEGK), Historisches Seminar – Zeitgeschichte

E-Mail: cord.arendes@zegk.uni-heidelberg.de

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