Mathematikprofessorinnen erzählen: Berufswege in einer Männerdomäne.

Rezension von Andrea Blunck

Karin Flaake, Kristina Hackmann, Irene Pieper-Seier, Stephanie Radtke:

Professorinnen in der Mathematik.

Berufliche Werdegänge und Verortungen in der Disziplin.

Bielefeld: Kleine 2006.

152 Seiten, ISBN 978–3–89370–421–7, € 17,40

Abstract: Dieses Buch basiert auf einer Studie, in der fast alle an deutschen Universitäten tätigen Mathematikprofessorinnen interviewt wurden. Die Gemeinsamkeiten, die in den geschilderten Lebenswegen erfolgreicher Frauen zu Tage treten, zeigen auf, welche Bedingungen für Frauen in der Wissenschaftsdisziplin Mathematik förderlich sind. Etliche der Professorinnen haben jedoch auch Diskriminierungen erlebt, die mit jeder Karrierestufe zunehmen. Viele Zitate aus den Interviews verleihen den Befunden Lebendigkeit.

Mathematikprofessorinnen in Deutschland

Im Jahr 2002 waren weniger als fünf Prozent der Mathematikprofessuren an deutschen Universitäten mit Frauen besetzt. Das dem vorliegenden Buch zugrunde liegende Forschungsprojekt „Status von Frauen in der Wissenschaftsdisziplin Mathematik“ hatte zum Ziel, mittels leitfadengestützter Interviews die Karrierewege dieser erfolgreichen Frauen und ihre Selbstwahrnehmung in der Disziplin zu untersuchen. Das Projekt wurde an der Universität Oldenburg von Sozialwissenschaftlerinnen und Mathematikerinnen gemeinsam durchgeführt und vom Niedersächsischen Forschungsverbund für Frauen- und Geschlechterforschung in Naturwissenschaften, Technik und Medizin (NFFG) gefördert. Es kann als Ergänzung eines ebenfalls in Oldenburg durchgeführten, ebenfalls vom NFFG geförderten Projekts zu Mathematikstudierenden angesehen werden (Beate Curdes, Sylvia Jahnke-Klein, Wiebke Lohfeld, Irene Pieper-Seier: Mathematikstudentinnen und -studenten – Studienerfahrungen und Zukunftsvorstellungen. Wissenschaftliche Reihe NFFG Band 5, 2003).

Zielgruppe der Professorinnen-Studie waren die 76 Mathematikerinnen, die 2002 in Deutschland eine Professur oder Dauerstelle als Dozentin an einer Universität, Technischen Hochschule oder Gesamthochschule innehatten. Interviewt wurden schließlich 65 Frauen, darunter 40 Mathematikerinnen im engeren Sinne (die anderen sind z.B. Mathematikdidaktikerinnen oder arbeiten nach einer Promotion in Mathematik heute in anderen Fächern). Das Buch besteht aus einem ersten Teil, der die Ergebnisse in Kurzform präsentiert, und einem ausführlichen zweiten Teil, in dem auch die Professorinnen selbst in Form vieler Zitate aus den (anonymisierten) Interviews zu Wort kommen.

Was hilft Frauen auf dem Weg zur Mathematikprofessur?

Die Karrierewege der befragten Frauen weisen viele Gemeinsamkeiten auf. Sie verliefen in der Regel geradlinig. Die Frauen wurden beim Zugang zur Community vielfältig und individuell unterstützt. Bereits im Studium erhielten sie Ermutigung und Förderung, z. B. durch das Angebot, eine Hilfskraftstelle anzutreten. Wie wichtig eine solche frühzeitige Förderung ist, zeigt auch die oben genannte Studierenden-Studie, nach der das mangelnde fachbezogene Selbstvertrauen ein Hauptgrund dafür ist, dass Mathematikstudentinnen sich eine Promotion nicht zutrauen.

Diese Resultate liefern Hinweise darauf, wie frauenfördernde Maßnahmen in der Wissenschaftsdisziplin Mathematik aussehen könnten. Gefragt nach solchen Maßnahmen, hielten insbesondere die Professorinnen, die ihre Karriere in der BRD begonnen hatten, individuelle Ermutigung und Stärkung des Selbstvertrauens für wichtig. Frauen mit DDR-Bildungshindergrund dagegen nannten eher strukturelle Bedingungen wie Kinderbetreuungsmöglichkeiten und eine Verbesserung der Stellensituation für den wissenschaftlichen Nachwuchs.

Verortung in der Community

Um zu erfahren, wie die Mathematikprofessorinnen im engeren Sinne sich in ihrer Disziplin selbst verorten, wurden sie nach ihren Forschungsrichtungen sowie nach der Resonanz auf ihre Forschung und ihre Akzeptanz innerhalb der Community gefragt. Vermutungen, dass es von Frauen bevorzugte mathematische Teilgebiete gibt, wie z. B. Geometrie und Algebra, werden hier nicht bestätigt. Die von den befragten Frauen genannten Forschungsgebiete sind in etwa so verteilt wie in der weltweiten mathematischen Community.

Die innerfachliche Akzeptanz der Forschung äußert sich z. B. durch Publikationstätigkeit, Herausgabe von Fachzeitschriften, Hauptvorträge auf Tagungen oder Organisation von Tagungen. Die Professorinnen fühlen sich hier gut integriert und akzeptiert. Leider liegen keine Vergleichsdaten für männliche Professoren vor.

Detailliert ausgewertet wurde die Mitwirkung von Frauen bei Tagungen im Mathematischen Forschungsinstitut Oberwolfach (MFO). Das MFO ist eine Institution mit international sehr hohem Ansehen; Einladungen zu und insbesondere Leitung von Tagungen am MFO sind mit hohem Prestige verbunden. 34 der 40 befragten Professorinnen haben bereits mindestens einmal eine Einladung ans MFO erhalten, 10 haben sogar schon eine Tagung am MFO geleitet. Dies scheint viel, ein genauerer Blick auf sämtliche Tagungsleitungen von 1998 bis 2003 zeigt jedoch, dass in diesem Zeitraum der Anteil von Frauen an der Personengruppe mit Wohnsitz in Deutschland, die eine Tagung geleitet haben, bei nur 2,4 % lag. Der Frauenanteil ist hier also noch geringer als bei den Mathematikprofessuren insgesamt.

Diskriminierungserfahrungen

Knapp die Hälfte der befragten Frauen, besonders solche aus der Gruppe der vor 1961 Geborenen, berichtet von erlebten geschlechtsspezifischen Diskriminierungen. Die Wahrnehmung solcher Diskriminierungen nimmt dabei mit jeder Qualifikationsstufe zu. Den besten Einblick hierzu geben einige Zitate:

„Durchaus offene Bemerkungen wie ‚Frauen können das nicht‘, ‚die gute Note hast du nur gekriegt, weil du einen tiefen Ausschnitt hattest‘, also so Sachen in dieser Richtung. Nicht nur von Mitstudierenden, sondern auch von Professorenseite.“ (S. 63)

„Ich wurde häufig eingeladen, weil man, wenn sich eine Frau bewirbt, muss man die einladen und es war aber von vornherein klar, eine Frau wollten sie nicht. Das war mir schon ziemlich klar, dass das anders gelaufen wäre, wenn ich als Mann da gewesen wäre. Teilweise hätte man mir dann wahrscheinlich mehr zugetraut. Also z.B. das Arbeiten mit Ingenieuren, das war immer ganz deutlich, das hat man mir nie zugetraut.“ (S. 80)

„Als jetzt wieder Gremienwahlen waren, ist jeder gefragt worden, ob er auch bereit wäre, Fachbereichssprecher zu machen, da hab ich dann einfach ganz eindeutig sagen müssen, geht nicht. Meine Kinder brauchen mich einfach noch zu sehr, da kann ich einfach nicht bis abends spät zur Verfügung stehen. Da hatte ich bei manchen so ein bisschen den Eindruck, dass sie das vielleicht schwer schluckten, dass das nicht so richtig verstanden wurde. Nach dem Motto, ich habe doch auch Kinder. Aber das ist einfach, dass sie sich das nicht so richtig vorstellen konnten.“ (S. 83)

Fazit

Das Buch schildert viele – auch etliche hier nicht genannte – Aspekte der Karrieren von Frauen, die in der Wissenschaftsdisziplin Mathematik erfolgreich waren und sind. Daraus lassen sich – wie oben angedeutet – Schlussfolgerungen dahingehend ziehen, wie Frauen in dieser Disziplin gefördert werden können. Diese Studie liefert, zusammen mit der oben erwähnten anderen Oldenburger Studie zu Studierenden in der Mathematik, einen wichtigen Beitrag zur noch immer am Anfang stehenden mathematikbezogenen Frauen- und Geschlechterforschung.

URN urn:nbn:de:0114-qn083045

Prof. Dr. Andrea Blunck

Universität Hamburg, Department Mathematik, Homepage: http://www.math.uni-hamburg.de/home/blunck/

E-Mail: andrea.blunck@math.uni-hamburg.de

Die Nutzungs- und Urheberrechte an diesem Text liegen bei der Autorin bzw. dem Autor bzw. den Autor/-innen. Dieser Text steht nicht unter einer Creative-Commons-Lizenz und kann ohne Einwilligung der Rechteinhaber/-innen nicht weitergegeben oder verändert werden.