Corinna Kleinert, Susan Kohaut, Doris Brader, Julia Lewerenz:
Frauen an der Spitze.
Arbeitsbedingungen und Lebensläufe von weiblichen Führungskräften.
Frankfurt am Main u.a.: Campus 2007.
175 Seiten, ISBN 978–3–593–38359–0, € 29,90
Abstract: In dem Buch werden zum einen die strukturellen Rahmenbedingungen beleuchtet, mit denen Frauen in Führungspositionen konfrontiert sind, zum anderen ihre Lebensumstände dargestellt – jeweils im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen. Im Hinblick auf die dokumentierten durchgängigen Differenzen zuungunsten von Frauen werden politische Gestaltungsvorschläge skizziert.
Wenn die Führungsposition einer Organisation oder eines großen Unternehmens erstmals mit einer Frau besetzt wird, so zieht das in Deutschland beträchtliches Medieninteresse auf sich. Dies zeigt an, dass das Vordringen von Frauen bis in die oberste Leitungsebene hierzulande noch immer eine seltene Ausnahme darstellt. Wissenschaftlich verlässliche Aufschlüsse über diese glass ceilings made in Germany (d. h. der unsichtbaren Aufstiegsbarrieren) waren bislang rar und in der Regel fragmentarisch. Die vorliegende Publikation beleuchtet grundlegende strukturelle Aspekte dieser Zusammenhänge.
Die Studie stellt zwei Fragen ins Zentrum:
Das schmale Buch ist in drei (ungleich gewichtete) Themenfelder gegliedert: Der erste Teil dokumentiert und diskutiert die Verteilung von Frauen und Männern in Führungspositionen, der zweite Teil behandelt deren Arbeits- und Lebensbedingungen, während der abschließende Teil die Befunde knapp resümiert und politische Handlungsempfehlungen skizziert.
Die als empirische Grundlage herangezogenen Datensätze sind das IAB-Betriebspanel und der Mikrozensus des Statistischen Bundesamtes. Die erste Datenquelle erlaubt die Zuordnung von (sozialversicherungspflichtig) Beschäftigten zu bestimmten Organisationstypen, die zweite Quelle ermöglicht Einblicke in Zusammenhänge von Arbeits- und Lebensbedingungen. Beide Quellen enthalten nur Querschnittdaten, d. h. sie erlauben weder Aussagen über Entwicklungen noch über Kausalbeziehungen, wohl aber über Wahrscheinlichkeiten.
Die breite Datenbasis ermöglicht eine mehrdimensionale Differenzierung der Analyse. Im Hinblick auf je spezifische Organisationslogiken erfolgt eine durchgängige Trennung zwischen Privatwirtschaft und öffentlichem Dienst. Unterschieden wird außerdem nach Betriebsgrößen, Branchen sowie Unternehmenskultur und Betriebspolitik.
Die statistischen Analysen verdeutlichen vielfältige Unterschiede in den Arbeits- und Lebenswelten deutscher Frauen und Männer in Führungspositionen. Frauen sind in Leitungsfunktionen durchgängig seltener vertreten als es ihrem jeweiligen Beschäftigtenanteil entspräche. Dies zeigt sich besonders ausgeprägt auf der ersten Führungsebene, weniger auf der zweiten. Der Anteil weiblicher Führungskräfte sinkt mit steigender Betriebsgröße. Ihre Unterrepräsentation variiert dagegen nicht je nach Organisationsform der Führungsaufgaben (allein vs. Team). Zwar trifft es zu, dass die Anteile von Frauen in Leitungspositionen in sog. Frauendomänen höher sind als in sog. Männerdomänen; aber sie erreichen auch im ersten Fall nicht den Anteil von Frauen an der Gesamtbeschäftigung. Während die bislang referierten Muster im Prinzip „erwartbar“ waren, überraschen die Befunde, dass weder Betriebe mit spezifischen Programmen zur Erhöhung der Chancengleichheit noch Betriebe mit ausländischer Eigentümerschaft sich durch höhere Frauenanteile auf Leitungspositionen auszeichnen. Grundsätzlich bessere Aufstiegschancen für Frauen bietet demgegenüber der öffentliche Dienst, obwohl auch dort gleiche Repräsentation noch aussteht.
Führungsaufgaben sind als Vollzeittätigkeiten konzipiert – so spiegeln es die Daten des Mikrozensus. In der kleinen Quote teilzeitbeschäftigter Führungskräfte überwiegen die Frauen. Auch hinsichtlich Umfang und Inhalt der Führungsaufgaben zeigen sich geschlechtsbezogene Differenzen, wobei Frauen seltener mit umfassender Personalführung oder mit der Betriebsführung beauftragt sind. Demgegenüber zahlen sich für beide Geschlechter höhere Bildungsabschlüsse in besseren Karrierechancen aus; allerdings verfügen Männer deutlich häufiger über technische Ausbildungsprofile. Die Unterschiede in den beruflichen Positionen und Aufgaben zwischen Frauen und Männern bilden sich auch in der Einkommensverteilung ab: Frauen sind mit größeren Anteilen in den niedrigeren Einkommensgruppen vertreten (mit z. T. für Führungspositionen überraschend geringen Beträgen).
Markant sind auch die Differenzen der Lebenslagen von Frauen und Männern in Führungspositionen. Frauen leben, verglichen mit ihren Kollegen, weit häufiger allein und ohne Kinder. Allerdings: Die für die Karriere schwierigste Phase liegt bei Frauen zwischen dem 30. und dem 44. Lebensjahr, und zwar unabhängig davon, ob sie Kinder haben oder nicht. Bemerkenswerterweise sind geschlechtsbezogene Unterschiede – und zwar bezogen auf alle untersuchten Merkmale – bei selbständigen Führungskräften weniger ausgeprägt als bei den abhängig Beschäftigten der Privatwirtschaft oder im öffentlichen Dienst. Offen ist, inwieweit sich dies den Gestaltungschancen dieser Arbeitsform oder aber der Selektion der Selbständigen verdankt.
Als Stärke der Studie sind die repräsentativen Datenbasen und die methodische Kompetenz bei ihrer Nutzung zu unterstreichen. Sowohl die Merkmale der beiden Quellen als auch die wichtigsten Verfahren werden verständlich referiert. Zwei Anhänge mit Erläuterungen zu den Quellen, Modellen, Varianten und Ergebnissen sichern die Lesbarkeit des Textteils.
Der theoretische Ansatz der Studie korrespondiert mit den vorgesehenen Datenquellen: Aus einer strukturalistischen Perspektive werden vor allem die Konzepte der Arbeitsmarktsegmentierung und des glass ceiling genutzt. Die Akteursperspektive dagegen kommt nur indirekt zum Tragen, etwa bei Betriebskultur und -politik, wofür allerdings (methodisch bedingt) wiederum strukturelle Indikatoren genutzt werden. Damit bleiben die Akteure und Prozesse ungeklärt, über die die strukturellen Faktoren zur Geltung kommen. Hier liegen zukünftige Forschungsfelder. Als Ansatzpunkte für vertiefende Untersuchungen bieten sich insbesondere Aspekte an, die aus strukturalistischer Perspektive „überraschende“ Befunde zeigten. Aufschlussreich erscheint wegen mehrerer positiver „Ausnahmen“ beispielsweise ein genauerer Blick auf selbständige Führungskräfte, wobei insbesondere das Verhältnis von Pull- und Push-Faktoren beim Zugang zu betrachten wäre. Auf die Dringlichkeit einer Erweiterung der vorgelegten Analysen auf der Basis von Längsschnittdaten weisen die Verfasserinnen selbst hin.
Die abschließenden politischen Handlungsperspektiven fallen quantitativ und inhaltlich sehr knapp aus; sie sind auch sprachlich offenbar mit „heißer Feder“ verfasst worden. Nicht ganz schlüssig erscheint, dass (u. a.) betriebliche Fördermaßnahmen empfohlen werden (S. 127), die zuvor als bislang wenig wirksam analysiert wurden (S. 69).
Insgesamt stellt die Studie einen Markierungspunkt in der sozialwissenschaftlichen Arbeitsmarktforschung dar, indem sie ein repräsentatives Bild des Geschlechterverhältnisses auf den Führungsebenen vermittelt. Insofern ist die Einschränkung auf Frauen im Titel des Buches ein Understatement. Aufgrund des stimmigen Aufbaus und des klaren Argumentationsstils ist es eine empfehlenswerte Lektüre sowohl für Wissenschaftler/-innen als auch für Entscheidungsträger/-innen in Wirtschaft und Politik.
URN urn:nbn:de:0114-qn083274
Prof. (em.) Dr. Hedwig Rudolph
Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung
E-Mail: rudolph@wzb.eu
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