„Heiligtum der Nation“?

Rezension von Insa Eschebach

Jürgen Tietz:

Das Tannenberg-Nationaldenkmal.

Architektur, Geschichte, Kontext.

Berlin: Verlag Bauwesen 1999.

254 Seiten, ISBN 3–345–00673–1, DM 78,00 / SFr 71,00 / ÖS 569,00

Abstract: Das als „Kultstätte deutschen Wesens“ bei Hohenstein in Ostpreußen 1926/27 errichtete Tannenberg-Nationaldenkmal existiert nicht mehr; es wurde im Januar 1945 von der im Rückzug begriffenen Wehrmacht gesprengt und geriet in Vergessenheit. Diesen Bau aus seiner weitgehenden „damnatio memoriae“ herauszulösen, ist das erklärte Anliegen der Studie von Jürgen Tietz, der die Geschichte dieser Monumentalanlage aus einem architektur- und motivgeschichtlichen Blickwinkel rekonstruiert. Darüber hinaus untersucht Tietz aber auch die öffentlichen Nutzungen und die unterschiedlichen Gedenkfunktionen des Denkmals sowie zeitgenössische Memorialbauten.

Für das öffentliche Gedenken der Toten des Ersten Weltkrieges war in Deutschland bis 1945 die Vorstellung des „Sieges“ offenbar attraktiver als die Einsicht in die tatsächliche militärische Niederlage. Der auf Soldatengräbern häufig zu findende Satz: „Im Felde unbesiegt“ ist nur ein Beispiel. Auch das Tannenberg-Nationaldenkmal, von Hitler 1935 in den Rang eines „Reichsehrenmals“ erhoben, war dem Gedenken einer der wenigen „siegreichen Schlachten“ des deutschen Heeres im Ersten Weltkrieg gewidmet: Im August 1914 hatten die kaiserlichen Truppen unter Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg östlich der Ortschaft Tannenberg über 60 000 Soldaten des zaristischen Rußlands gefangen genommen. Der Umstand, daß im Jahr 1410 das Heer des deutschen Ordens vom polnisch-litauischen Heer vernichtend geschlagen worden war, sollte wesentlich zur Genese des „Mythos von Tannenberg“ beitragen: An die Stelle der deutschen Niederlage im Mittelalter trat der deutsche Sieg unter Hindenburg im Jahr 1914.

Das Tannenberg-Nationaldenkmal wurde nach den Entwürfen der Berliner Architekten Walter und Johannes Krüger in zwei Bauphasen 1926/27 und 1934/35 errichtet. Seit Ende der 20er Jahre bestand das Denkmal aus einem an mittelalterliche Burganlagen erinnernden achteckigen Mauerring, dessen Seiten jeweils durch einen 23 Meter hohen Turm betont wurden. Das Zentrum des inneren Festplatzes bildete damals noch eine von einem hohen Kreuz bekrönte Grabstätte für 20 unbekannte deutsche Soldaten der Schlacht. War die Stätte zu diesem Zeitpunkt noch Siegermal und Gedenkstätte für die Toten zugleich, die als „Kultstätte alle Volkskreise“ zum Bekenntnis des „deutschen Gedankens“ vereinen sollte (S. 45), wurde dem Erinnerungsprogramm nach dem Tod Hindenburgs 1934 ein weiterer Aspekt hinzugefügt: Die Neugestaltung des Denkmals galt vornehmlich dem Einbau der „Hindenburg-Gruft“, die von zwei Soldatengrabgewölben flankiert wurde. „Die Bettung dieses großen Deutschen in den Mauern des gewaltigen Schlachtendenkmals gibt diesem eine besondere Weihe und erhebt es zum Heiligtum der Nation,“ so Hitler in seiner „Kundgebung“ anläßlich der Beisetzung Hindenburgs am 2.10.1935 in der für ihn geschaffenen Gruft. (S. 126)

Von Zeitgenossen sind Repräsentationsbauten des NS als „ernst, wuchtig und männlich“ beschrieben worden. (S. 178) Welche Vorstellungen von Männlichkeit also transportieren Architekturen wie beispielsweise die des Tannenberg-Nationaldenkmals? Tietz hat sich diese Frage nicht vorgelegt, obgleich das von ihm publizierte Bild- und Textmaterial zu entsprechenden Überlegungen Anlaß gibt. Zunächst: Frauen kommen in dieser „Kultstätte deutschen Wesens“, wenn überhaupt, dann nur als Tote oder als Leidende vor. Neben dem Sarkophag Hindenburgs befand sich bis 1945 der kleinere und mit einem gewölbten Deckel versehene Sarkophag seiner Frau Gertrud. Im Zuge der Sprengung der Anlage sind beide Särge von der Wehrmacht zunächst nach Potsdam gebracht worden. 1946 wurden sie – mehr oder minder heimlich – in der Marburger Elisabethkirche erneut beigesetzt. (S. 201) Darstellungen von Frauen befanden sich auf den friesartigen Mosaikregistern von Hans Uhl in einem Turm, der der Ehrung des „Deutschen Feldgrauen“ gewidmet war. (S. 133 ff.) Sei es die trauernde Mutter mit Kind oder mit Kopftuch, die „an den charakteristischen Trauergestus von Marienfiguren einer Kreuzigungsszene erinnert“ (S. 135), sei es die in einer Ruine sitzende Mutter mit Kind (S. 138) oder die alte, trauernde Mutter im Glasfenster der „kirchlichen Weihehalle“ (S. 142 f.) – diese an christlich tradierter Ikonographie orientierten Darstellungen markieren Weiblichkeit als den passiv-leidenden counterpart der männlich-aktiven, kriegerischen Subjekte. Diese sind auf Uhls Mosaiken seriell und typisiert als genuin kraftstrotzende Kampfmaschinen dargestellt. Die Realität moderner Massentötungen des Ersten Weltkrieges wird bis auf das Mosaik „Gasangriff“ „nicht nur nicht thematisiert,“ wie Tietz schreibt, „sondern im Gegenteil geradezu tabuisiert.“ (S. 138)

Zwei vollplastische, überlebensgroße Wächterfiguren mit kantig-stilisierten Gewehren flankierten den Zugang zur Hindenburg-Gruft. Diese heroischen Bilder überlegener Männlichkeit haben ihr Pendant in den Liegefiguren toter bzw. schlafender Soldaten in den beiden Soldatengrabgewölben. Figürliche Darstellungen buchstäblicher Niederlage scheinen aber nur möglich mit Hilfe der Thematisierung des Todes als Schlaf, eine Deutung, die den Gedanken des Wiedererwachens nahelegt.

In der „wehrhaften“ Architektur- und Bildersprache der Monumentalanlage wurde die Fiktion einer idealtypischen deutschen Gesellschaft lesbar, einer Gesellschaft, die aus kampfbereiten Männern, leidensbereiten Frauen und unversehrt „schlafenden“ Kriegern bestand. Die Bereitschaft zum Töten und Getötetwerden dient, so die Botschaft, dem Über-Leben der Nation. Diese „Opferwilligkeit“ den Zeitgenossen und den Nachgeborenen als vorbildlich vor Augen zu führen, war der Zweck der im Tannenberg-Nationaldenkmal veranstalteten Gedenkfeiern. Es war der sowjetische Soldat Lew Koplew, der diese Stätte als „steingewordene Eiterbeule deutschen Hochmuts“ bezeichnet hat – eine ebenso unsägliche wie wohl letztlich zutreffende Metapher.

Für die Bereiche Architektur- Kunst- und Kulturgeschichte und für diejenigen, die zur Geschichte nationaler Denkmäler bzw. zur Geschichte des Gedenkens arbeiten, ist das Buch gleichwohl ein hervorragender Quellenband.

URN urn:nbn:de:0114-qn021209

Dr. Insa Eschebach

Humboldt-Universität Berlin

E-Mail: Insa.Eschebach@rz.hu-berlin.de

Die Nutzungs- und Urheberrechte an diesem Text liegen bei der Autorin bzw. dem Autor bzw. den Autor/-innen. Dieser Text steht nicht unter einer Creative-Commons-Lizenz und kann ohne Einwilligung der Rechteinhaber/-innen nicht weitergegeben oder verändert werden.