Die Verschränkung von Arbeitskultur, beruflichem Erfolg und Geschlecht in technik- und naturwissenschaftlichen Berufen.

Rezension von Inken Lind

Yvonne Haffner:

Mythen um männliche Karrieren und weibliche Leistung.

Opladen u.a.: Barbara Budrich 2007.

134 Seiten, ISBN 978–3–86649–050–5, € 14,90

Abstract: In dem Band geht die Autorin Dr. Yvonne Haffner, Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Soziologie der Universität Darmstadt, den strukturellen Barrieren für eine gleichberechtigte Karriere von Frauen und Männern im Beruf nach. Dabei werden vor allem gängige Leistungskriterien in den Blick genommen und die verbreitete Vorstellung von der auf individuellen Leistungen beruhenden Karriere hinterfragt. Die Ergebnisse verdeutlichen, dass karriererelevante Anforderungen nur in relativ geringem Maße an objektivierbare Leistungskriterien gebunden sind und impliziten, wenig objektivierbaren Kriterien eine besondere Bedeutung für den Karriereverlauf zukommt. Diese impliziten Kriterien beziehen sich auf die moderne Arbeitskultur mit ihrem hohen Verfügbarkeitsanspruch, der sich wiederum geschlechtsspezifisch unterschiedlich auswirkt.

Studie

Die empirische Grundlage für die Veröffentlichung bildet eine Studie, die im Auftrag des BMBF an der Universität Darmstadt unter der Leitung von Prof. Dr. Beate Krais durchgeführt wurde. Die Autorin konzentriert sich in ihrem Beitrag auf die berufliche Entwicklung von Frauen und Männern und analysiert diese nach den thematischen Schwerpunkten Leistungskriterien, Arbeitskultur und typische oder untypische Berufsfelder/Arbeitgeber.

Die Ergebnisse der Studie wurden aus einer Stichprobe von über 7.000 Frauen und Männern mit technischem oder naturwissenschaftlichem Studienabschluss aus den Bereichen Ingenieurwesen, Informatik, Chemie und Physik gewonnen. Als zentrale Analysekategorie fungierte der berufliche Erfolg. Methodisch wurde hierzu mit Hilfe der konfirmatorischen Faktorenanalyse die Variable ‚beruflicher Erfolg‘ gebildet, in die die Kriterien Einkommen, Führungsposition, Anzahl und Position der Mitarbeiter, Budgetverantwortung und Verhandlungsposition Eingang fanden.

Leistungskriterien

Zusammenhänge zwischen dem so erfassten ‚beruflichen Erfolg‘ und gängigen Leistungskriterien wurden hinsichtlich ihrer geschlechtsspezifischen Wirksamkeit überprüft. Bemerkenswert ist dabei das Ergebnis, dass gängige Leistungskriterien nur sehr bedingt geeignet sind, den späteren beruflichen Erfolg zu erklären. Untersucht wurden die Aspekte Studiendauer, Leistungskurse, Examensnote, Fremdsprachenkenntnisse, Berufsausbildung und außerberufliches Engagement. Wenn überhaupt, so stehen nur bestimmte Kriterien im Zusammenhang mit dem späteren beruflichen Erfolg der Männer, nicht aber in gleicher Weise mit dem der Frauen. Ähnliche Effekte zeigten sich für die Kriterien Weiterbildung und Mobilität. Tatsächlich lohnt sich das Erbringen von scheinbar objektiven und häufig als besonders karriererelevant bezeichneten Leistungskriterien für die befragten Frauen weniger als für die Männer der Stichprobe. Dies ist als weiterer Beleg für die geschlechtsspezifisch unterschiedliche Wirksamkeit von objektivierbaren Kriterien zu werten und stellt somit eine Bereicherung der bisherigen Erkenntnislage zu geschlechtsspezifisch unterschiedlichen Aufstiegschancen dar. Tatsächlich war in der vorliegenden Studie jeder vierte Mann beruflich ‚sehr erfolgreich‘, jedoch nicht einmal jede siebte Frau.

Arbeitskultur

Als zentralen Faktor für den beruflichen Erfolg arbeitet die Autorin die Arbeitskultur und damit die zeitliche Verfügbarkeit für den Beruf heraus. Dieses Ergebnis wird in die historische Entwicklung moderner Arbeitskulturen mit ihrem umfassenden Verfügbarkeitsanspruch an die Person eingeordnet. Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass Teilzeitbeschäftigung den beruflichen Erfolg stark einschränkt – und dies wiederum betrifft in erster Linie Akademikerinnen –, gleichzeitig aber auch in Vollzeit beschäftigte Frauen in geringerem Maße beruflich erfolgreich sind als in Vollzeit beschäftigte Männer. Dies ermöglicht einen differenzierten Blick auf geschlechtsspezifisch unterschiedliche Aufstiegschancen: Es liegt tatsächlich nicht nur an dem hohen Anteil teilzeitbeschäftigter Frauen – wie vielfach behauptet –, dass die Gruppe der Akademikerinnen weniger erfolgreich ist als die ihrer männlichen Kollegen. Somit wird ein Geschlechtereffekt deutlich, der in der gängigen Debatte oft übersehen wird.

Weiterhin kann die Autorin aufzeigen, dass nicht die tatsächlich geleistete Arbeit für den beruflichen Erfolg entscheidend ist, sondern die Zeit, die sichtbar in der Firma und vor allem die länger als die Kollegen und Kolleginnen im Büro verbracht wird. Nicht die eigentliche Leistung fungiert als Indikator für berufliche Motivation, sondern die Länge der Abwesenheit von zu Hause. Die Anwesenheit in der Firma als zentraler Leistungsindikator ist vor allem im Bereich der Wirtschaft deutlich ausgeprägt. Insgesamt gilt: Je höher die durchschnittliche Wochenarbeitszeit in der Firma, desto höher ist der Anteil sehr erfolgreicher Personen.

Frauen weisen insgesamt eine geringere Arbeitszeit auf als Männer, dies gilt auch für in Vollzeit erwerbstätige Frauen. Für Frauen und Männer zeigte sich ein Zusammenhang zwischen der Wochenarbeitszeit und der beruflichen Situation des/der Partners/in. Personen mit einem/r berufstätigen Partner/in weisen eine geringere Arbeitszeit auf. Durch die noch immer eher traditionelle Rollenverteilung sind es jedoch häufiger die Frauen, die enger als ihre Partner an den häuslichen Bereich gebunden sind und weniger Zeit in die Berufstätigkeit investieren, was sich im beruflichen Erfolg niederschlägt.

Die aktuelle Erkenntnislage und Debatte wird durch ein weiteres Ergebnis bereichert: Kinder sind per se noch kein Karrierehemmnis. Kinder wirken sich erst dann ungünstig auf den beruflichen Erfolg aus, wenn sie verhindern, dass die Eltern den Verfügbarkeitsansprüchen der modernen Arbeitskultur nachkommen. Dies betrifft zwar überwiegend Mütter, zeigt sich jedoch auch für diejenigen Väter, die nicht dem traditionellen Rollenmodell folgen. Frauen ohne Kinder sind deswegen jedoch nicht grundsätzlich erfolgreicher, im Gegenteil: „Frauen mit Kindern sind häufiger ‚sehr erfolgreich‘ bzw. ‚erfolgreich‘ als ihre gleichaltrigen, kinderlosen Geschlechtsgenossinnen mit gleichem Beschäftigungsumfang.“ (S. 54). Kinder beeinflussen den beruflichen Erfolg der Frauen jedoch indirekt durch die höhere Teilzeitquote und Nicht-Berufstätigkeit der Mütter. Auch die Väter erwiesen sich in dieser Studie als erfolgreicher im Vergleich zu kinderlosen Männern mit gleichem Beschäftigungsumfang.

Atypische Berufsfelder

Die Betrachtung unterschiedlicher Berufsfelder und Merkmale der Firmen, in denen die Befragten angestellt sind, ergab einige interessante Hinweise auf den Anteil, den organisationale Merkmale und Strukturen zu geschlechtsspezifisch unterschiedlichen Aufstiegsbedingungen beitragen:

Beruflich erfolgreiche Frauen sind überwiegend selbstständig oder zum größten Teil in Unternehmen beschäftigt, die für die jeweilige Branche eher atypische Merkmale aufweisen, wie z. B. Unternehmenssitz im Ausland, andere Marktorientierung, andere Unternehmensgröße. Um die Branchen und Firmen miteinander vergleichen zu können, hat die Autorin sich bei diesem Aspekt auf das Berufsfeld der Informatiker/-innen konzentriert. Informatikerinnen in Unternehmen mit Hauptsitz außerhalb Deutschlands sind erfolgreicher als Kolleginnen, die in deutschen Firmen arbeiten. Auch unterscheiden sich Frauen und Männer in atypischen Unternehmen kaum hinsichtlich des beruflichen Erfolgs. Frauen, die in Unternehmen mit Hauptsitz im Ausland angestellt sind oder die selbst im Ausland arbeiten, haben größeren Erfolg. Dies gilt auch für Frauen, die in Unternehmen mit unter 200 Mitarbeitern angestellt sind, deren Firma eine andere Marktorientierung hat als die Mehrheit der Unternehmen in diesem Segment oder die in Start-Ups arbeiten.

In ihren abschließenden Betrachtungen benennt die Autorin als zentrales implizites Leistungskonstrukt die oberste Priorisierung des Berufes, die sich unmittelbar auf den beruflichen Erfolg auswirke. Diese Priorisierung des Berufes drücke sich vor allem in einer entsprechenden Lebensführung und entsprechendem Arbeitsverhalten aus. Hinsichtlich der privaten Lebenssituation und Belastung mit häuslichen Pflichten lebten Frauen und Männer jedoch nach wie vor in zwei unterschiedlichen Welten, resümiert Yvonne Haffner aufgrund ihrer Ergebnisse. Die Autorin stellt die Ergebnisse der Studie in einem abschließenden Ausblick in einen Zusammenhang mit den neuen gesetzlichen Regelungen wie dem Bundeserziehungsgeldgesetz und dem Teilzeit- und Befristungsgesetz, die sie vor dem Hintergrund der vorliegenden Ergebnisse kritisch diskutiert.

Fazit

Der Verdienst der Autorin besteht vor allem in der Herausarbeitung des relativ geringen Zusammenhangs zwischen objektiven Leistungskriterien und beruflichem Erfolg. Dies stellt das immer wieder bemühte Argument in Frage, dass Frauen aufgrund ihrer zunehmenden akademischen Ausbildung und guten Examensnoten unweigerlich in baldiger Zukunft auch im Hinblick auf hohe Positionen in Wirtschaft, Wissenschaft und Technik drastisch aufholen würden. Die vorgelegten Belege für die Wirksamkeit impliziter Kriterien, die differenzierte Betrachtung der Effekte von Kindern auf die berufliche Entwicklung von Männern und Frauen sowie der Bezug auf die Merkmale der Organisationen, in denen sich Karrieren vollziehen – oder auch nicht – sind im aktuellen Diskurs von hoher Bedeutung.

Der Ausblick der Autorin beschränkt sich auf neuere politische Rahmensetzungen, deren kritische Reflexion an dieser Stelle auch angebracht ist. Einige Leser/-innen würden sich jedoch sicherlich noch eine intensivere Diskussion der Ergebnisse unter Bezugnahme auf den derzeitigen wissenschaftlichen Diskurs wünschen, zumal die Studie sehr wichtige Ansatzpunkte für weiterführende Fragestellungen liefert. Gerade der Bereich der Dual Career Couples oder die Ergebnisse zu Merkmalen der Organisationen für die geschlechtsspezifische Aufstiegswahrscheinlichkeit hätten sich für eine Aufnahme aktueller Diskussionsstränge angeboten. Bei der methodischen Darstellung wäre für eine diesbezüglich interessierte Leserschaft eine genauere Begründung und Beschreibung der Analyseschritte wünschenswert gewesen, da die gewählte Methodik und die neu generierte Variable für beruflichen Erfolg für die gesamte Auswertung der Daten sowie die Ergebnisdarstellung eine zentrale Rolle einnimmt.

Insgesamt liefert der Band interessante und für die aktuelle Debatte um die geschlechtsspezifisch unterschiedlichen Berufs- und Karriereentwicklungen wertvolle Ergebnisse und ist somit zu empfehlen. Durch die klare inhaltliche Gliederung und eine sprachlich angenehme Aufbereitung der Ergebnisse beschränkt sich der Leser/-innenkreis nicht auf ein enges Fachpublikum, sondern ist auch für breitere Kreise eine gewinnbringende Lektüre.

URN urn:nbn:de:0114-qn083196

Dr. Inken Lind

Kompetenzzentrum Frauen in Wissenschaft und Forschung CEWS / Bonn; IZ-Sozialwissenschaften/GESIS, Homepage: http://www.cews.org

E-Mail: inken.lind@cews.org

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