Christian Boeser, Birgit Schaufler (Hg.):
Vorneweg & mittendrin.
Porträts erfolgreicher Frauen.
Königstein im Taunus: Ulrike Helmer 2006.
195 Seiten, ISBN 978–3–89741–216–3, € 16,90
Abstract: Dieser Sammelband ist eine Festschrift für Hildegard Macha zu ihrem 60. Geburtstag, verfasst von Kolleginnen und Kollegen aus der Erziehungswissenschaft, die lebendige Darstellungen außergewöhnlicher Frauen vorlegen. Aus den Kurzbiographien der Autor/-innen des Bandes geht hervor, dass die Auswahl der porträtierten Frauen jeweils mit der eigenen fachlichen Ausrichtung der Porträtierenden zusammenhängt. Was sagen uns diese Lebensdarstellungen von sehr unterschiedlichen erfolgreichen Frauen?
Dieser Band steht in einer Tradition, die die Lebensbeschreibungen berühmter Frauen als Vorbilder für eigene Lebensentwürfe darstellt. Die Überlegungen im Vorwort zu Erfolg in Biographien regen dazu an, zu fragen, was Erfolg bei den dargestellten Frauen für uns bedeuten kann.
Der Beitrag von Gabi Reinmann (S. 13–18) porträtiert eine Studierende, die ihr Schicksal mit behindertem Mann und Kind annimmt, sichtbar glücklich dabei ist und als wirklich erfolgreich angesehen wird. Dies entspricht traditionellen Vorstellungen von der dienenden Frau in Bindungen, die durch die freudige Übernahme der Pflichten transzendiert werden.
Das andere Extrem zeigt sich in drei Fällen: zum einen bei Linda A. Dickerson (dargestellt von Helen Sobehart, S. 43–51), die von Geburt an querschnittsgelähmt ist und Universitätsexamina erlangt sowie Prominenz als Journalistin, Politikerin und Expertin für Wirtschaftsfragen erreicht hat, wobei ihr ihre große Kompetenz im Umgang mit Menschen stets hilfreich war. Der zweite Fall in dieser Reihe ist Emma Goldman, dargestellt von Ulrich Klemm (S. 61–69), einer „Anarchafeministin“ (S. 61), die sich Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts als immer wieder politisch Verfolgte hauptsächlich in den USA z. B. für den Achtstundentag, die Pressefreiheit und die Gleichberechtigung der Frauen einsetzte. Bei dem dritten Fall handelt es sich um Lakshmi Saghal, dargestellt von Anita Pfaff (S. 91–97), die sich als Ärztin für die Unabhängigkeit Indiens einsetzte und Verfolgung, Gefängnis, Exil erdulden musste. Sie kämpfte gegen Armut, Analphabetentum, Ignoranz. In allen drei Fällen liegen herkömmliche Vorstellungen von Heldinnen zugrunde, die unter ungünstigsten Bedingungen ganz Besonderes vollbringen.
Auch ungewöhnlich in ihren Leistungen sind fünf weitere Fälle: zunächst Simone de Beauvoir, dargestellt von Rita Süßmuth (S. 71–77), die in ihrem Werk Das andere Geschlecht (1949) gegen die Festlegung von Frauen auf die Mutter- und Hausfrauenrolle und für die Verweigerung der Ehe sowie für Berufstätigkeit der Frauen eintrat. An zweiter Stelle ist Gabriele Kraatz-Wadsack zu nennen, dargestellt von Claudia Solzbacher (S. 19–29), die als promovierte Veterinärmedizinerin und Mikrobiologin Waffeninspektorin im Irak war und heute bei den Vereinten Nationen das Referat für Massenvernichtungswaffen leitet. Diese Mutter von drei Kindern hat den Mut, auch in unvorhergesehenen Situationen höchsten Einsatz zu zeigen. Auch in diese Reihe gehört die international bekannte Eishockey- und Fußballspielerin Kathrin Lehmann, dargestellt von Claudia Kugelmann und Yvonne Weigelt (S. 31–41), die neben ihrer sportlichen Doppelkarriere ein Studium der Literaturwissenschaft und Geschichte abschloss, ein betriebwirtschaftliches Fernstudium absolvierte, außerdem Mädchenfußball- und Eishockeycamps organisierte und Torhütertrainings sowie verschiedene Projekte im Sport durchführte. Bei dem vierten Fall handelt es sich um Irma Krauß, dargestellt von Barbara Staudigl (S. 123–135). Die Kinder- und Jugendbuchautorin kam als Mutter von drei Kindern erst spät zum Schreiben. Auch Angebote prominenter Verlage und Preisverleihungen ließen lange auf sich warten. Hervorgehoben wird die besondere Beziehung von Krauß zu Heranwachsenden, die sowohl in ihren Büchern als auch bei direkten Kontakten, z. B. in Autorenlesungen, zum Ausdruck kommt. Der fünfte und letzte Fall in dieser Reihe ist Martha Schad, dargestellt von Wilfried Bottke (S. 165–170): Schad schloss das Gymnasium nicht ab, lernte Sprachen, heiratete früh und bekam zwei Kinder, wurde nach ihrer Scheidung Sprachen-Sekretärin an der Universität, holte dann das Abitur nach und schloss ein Studium in Geschichte und Kunstgeschichte sowie eine Promotion ab. Ihre Dissertation, Die Frauen des Hauses Fugger von der Lilie (1989), erreichte mehrere Auflagen in einem bekannten Verlag. Seither ist sie erfolgreiche Biographin von Frauen in der Geschichte. Kennzeichnend für diese fünf Frauen ist, dass sie unter schweren Bedingungen wesentlich mehr leisteten als andere und dadurch prominent wurden.
Die größte Gruppe unter den siebzehn Porträts, insgesamt acht Fälle, leistete ebenfalls Außergewöhnliches, wobei aber auch Grenzen deutlich werden: Da ist zunächst Charlotte Bühler, dargestellt durch Leonie Herwartz-Emden und Janine Keller (S. 109–121), die mit ihrem Ehemann, Karl Bühler, zwischen 1923 und 1938 die Wiener Schule der Psychologie repräsentierte. Sie konnte die Pflege ihrer Kinder delegieren und so Familie und intensive berufliche Kreativität miteinander vereinbaren. Charlotte Bühler war auch nach der Emigration in die USA sowie später nach dem Tode Karl Bühlers als Forscherin und Psychotherapeutin erfolgreich. Sie schuf die Grundlagen der Entwicklungspsychologie bezogen auf Kinder und Jugendliche, wobei sie es trotz ihrer großen Verdienste leider nie zu einer ordentlichen Professur brachte. Die zweite Frau in dieser Reihe ist Hannah Arendt, dargestellt von Guido Pollack (S. 171–179). Auf die Promotion in Philosophie folgten nach 1933 in Paris Arbeit in der Flüchtlingshilfe, Verhaftung, Lager, Flucht und Auswanderung in die USA. Dort begann sie mit dem Werk The Origins of Totalitarism. The Burden of Our Time (1951) eine akademische Karriere, die zu Professuren und internationalen Ehrungen führte. Sie gilt als Aufklärerin, die auch gegen Widerstände Feindliches zu verstehen suchte. Als drittes ist Helene Lange zu nennen, dargestellt von Eva Matthes (S. 79–90). Sie kämpfte um die Gleichstellung der höheren Schulbildung von Mädchen mit der für Jungen und um die Studienberechtigung für Frauen. Das Modell der Mütterlichkeit, etwa im Lehrerinnenberuf, war für sie die Grundlage für einen Zugang von Frauen zur gleichberechtigten qualifizierten Berufstätigkeit. An vierter Stelle steht Sophie Charlotte Königin von Preußen, dargestellt von Werner Wiater (S. 181–189), die sich viel Bildung in Wissenschaft, Kunst und Literatur aneignete und über ihre Freundschaft mit Gottfried Wilhelm Leibniz Kultur und Wissenschaft in Preußen zu fördern trachtete. Bei der fünften Persönlichkeit handelt es sich um Sophie von La Roche, die von Elisabeth de Sotelo porträtiert wird (S. 99–108). La Roche forderte in ihrem Roman Geschichte des Fräuleins von Sternheim (1771) für Frauen das Recht auf moralische Autonomie im Sinne der Aufklärung und, neben den Aufgaben in Ehe und Mutterschaft, eine geistige Bildung und weibliche Berufsausbildung z. B. als Lehrerin für den Fall der Ehelosigkeit oder der materiellen Notlage. Sie zog fünf Kinder groß und wurde bekannt als Großmutter von Bettina von Arnim und Clemens Brentano. Auch in diese Reihe gehört die Pädagogik-Professorin Ilsedore Wieser, vorgestellt von Edgar Forster (S. 137–148). Sie war in ihrem Kampf um eine methodenkritisch angeleitete Lehrerausbildung und in ihrer Unbestechlichkeit ein Vorbild für die Studierenden, trat ein für bessere Bildung bei Unterprivilegierten – und scheute öffentliches Auftreten. An siebter Position ist Petra Kersting als Gleichstellungsbeauftragte in Nordrhein-Westfalen zu erwähnen, die von Anne Schlüter (S. 53–60) dargestellt wird. Auf virtuose Art weiß sie die praktische Umsetzung ihrer Ziele auf Bündnispartner und Verwirklichungschancen abzustimmen, um sie u. U. langfristig doch zu erreichen. Die achte und letzte Frau in dieser Reihe ist Hannelore Hoger in ihrer Verkörperung der Bella Block, porträtiert von Susanne Maurer (S. 149–163). Über die Konzeption der Autorin Doris Gercke hinaus verleiht Hannelore Hoger ihrer Figur eine unverwechselbare, weibliche, aber an Klischees nicht angepasste und deshalb widersprüchliche Authentizität. Kennzeichnend für diese acht Frauen ist, dass sie zwar ihre Handlungsbedingungen sehr erfolgreich veränderten, aber durch diese auch teilweise begrenzt blieben bzw. bleiben.
Die acht Frauen, die außergewöhnliche Leistungen innerhalb der ihnen vorgegebenen Grenzen vollbracht haben, können uns wohl eher als Vorbilder etwas sagen als die Frau, die ihr Joch auf sich nimmt, oder als die drei Ausnahmefrauen, die schwerste Bedingungen überwinden, sowie die fünf weiteren, die sich ebenfalls von Beschränkungen weitgehend befreien können. Die Gruppierung der Porträts nach unterschiedlichen Begrenzungen ihres Erfolgs ist als ein Kontinuum zu verstehen, da Freiheit und Zwang letztlich in allen Lebensläufen eine Rolle spielen. Insgesamt ist dieses Buch gerade aufgrund der Vielfalt seiner Darstellungen sehr lesenswert.
URN urn:nbn:de:0114-qn083347
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