Der Kampf um öffentliche Präsenz. Der gewaltsame Protest und die politische Inszenierung der Suffragetten

Rezension von Katja Pawlik

Jana Günther:

Die politische Inszenierung der Suffragetten in Großbritannien.

Formen des Protests, der Gewalt und symbolische Politik einer Frauenbewegung.

Freiburg: fwpf 2006.

134 Seiten, ISBN 978–3–939348–04–7, € 29,90

Abstract: In ihrer Arbeit analysiert Jana Günther die spezifischen Protestformen, die Organisationsstruktur und die politische Inszenierung der radikalen Suffragettenbewegung. Besonderes Augenmerk richtet die Autorin dabei auf die Visualisierungsstrategien der britischen Wahlrechtsaktivistinnen und auf ihren Einsatz symbolischer Gewalt – ein Phänomen, das von der deutschen Frauenforschung bislang kaum beachtet wurde.

Bürgerliche Frauenmilitanz

Anfang des 20. Jahrhunderts fordern in Großbritannien moralisch untadelige und patriotisch gesinnte bürgerliche Frauen das Frauenwahlrecht ein, weigern sich, Steuern zu zahlen, stören politische Veranstaltungen und zertrümmern Fensterscheiben. Nicht nur die Politik und die Justiz wissen lange Zeit nicht, wie sie diesen militanten Frauen aus gutem Hause begegnen sollen. Auch die deutsche Frauenforschung hat, da der gewaltsame Wahlrechtskampf der Suffragetten nicht mit der hierzulande weit verbreiteten Vorstellung von der Gewaltlosigkeit weiblichen Protestverhaltens in Einklang zu bringen ist, bisher die Auseinandersetzung mit der Suffragettenbewegung weitgehend gescheut.

Die Eroberung der Öffentlichkeit

Jana Günther hat nun genau dieses in Deutschland kaum rezipierte Thema zum Forschungsgegenstand ihrer Arbeit Die politische Inszenierung der Suffragetten in Großbritannien gewählt und entwirft im Laufe ihrer Untersuchung ein differenziertes Bild der Suffragetten, das wesentlich zum Verständnis dieser Frauenrechtlerinnen beiträgt. Ideengeschichtlich verortet sie die Suffragetten, die sich in der Women’s Social and Political Union (WSPU) engagierten, bei Olympe de Gouges. Ihre gemäßigten Mitstreiterinnen aus der National Union of Women Suffrage Societies (NUWSS), die sogenannten Suffragistinnen, stellt sie in die Tradition Mary Wollstonecrafts. Mehr noch als die politische Ausrichtung bestimmte jedoch Günther zufolge die jeweilige Zielsetzung das unterschiedliche Vorgehen der Frauenrechtsaktivistinnen: Während die Suffragistinnen in ihrem Kampf um politische Partizipation vor allem auf parlamentarische Lobbyarbeit setzten, ging es den Suffragetten darum, durch medienwirksame, teils gewaltsame Aktionen den Ausschluss der Frauen aus dem männlichen codierten Raum der Öffentlichkeit zu beenden und ihre Anliegen und sich selbst als politische Subjekte zu visualisieren.

Einbruch in die öffentliche Sphäre durch Angriffe auf die öffentliche Ordnung

Diesen Kampf um Sichtbarkeit beschreibt und analysiert Jana Günther im ersten und umfangreichsten Teil ihrer Untersuchung und arbeitet dabei detailliert und überzeugend heraus, wie der Ausschluss der Suffragetten bzw. die Missachtung ihrer politischen Forderungen und ihre zunehmende Radikalisierung sich wechselseitig bedingten. Ausführlich stellt die Autorin das Repertoire des Protestverhaltens, das beständig militantere Formen annahm, dar: von Demonstrationen und Fenstereinwurfkampagnen über Hungerstreiks bis hin zu Brandanschlägen und Bombenattentaten. Dabei führt Günther sowohl die Gewalttätigkeit als auch die Radikalisierung des Protestverhaltens der Suffragetten unter anderem auf die besondere Organisationsstruktur der WSPU zurück. Die WSPU wurde von einer kleinen Führungsriege autokratisch geleitet, die die freie Meinungsbildung innerhalb der Organisation verhinderte und von den Mitgliedern unbedingte Solidarität verlangte; den einzelnen Unterabteilungen wurde allerdings in der Umsetzung symbolischer Gewaltakte ein hohes Maß an Autonomie eingeräumt.

Symbolische Politik

Im zweiten Teil ihrer Untersuchung widmet sich Günther der politischen Inszenierung der Suffragetten. Sie schildert deren Kampf um öffentliche Präsenz als einen Kampf um die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit, in dem es gilt, ein publikumswirksames Bild der Frauenrechtlerinnen zu entwerfen und zu kommunizieren und das Medieninteresse um jeden Preis aufrechtzuerhalten. Hierzu bedienten sich die Frauen erstaunlich moderner Mittel: mit Organisationsfarben, Symbolen, Uniformen sowie Wahlrechtsaccessoires, deren Vertrieb der WSPU zum Wohlstand verhalf, wurde eine corporate identity erschaffen. Fotografien, Plakate und Postkarten prägten das Bild der Wahlrechtsaktivistinnen, das Jana Günther zufolge durch die Inszenierung von Martyrium, Gewalt und Weiblichkeit gekennzeichnet ist. Gerade die Aneignung und Instrumentalisierung von Weiblichkeitsstereotypien bestimmt sie als die spezifische Besonderheit der Visualisierungsstrategie der Suffragettenbewegung. Gleichwohl weist sie auch auf die bewusste Überschreitung der Geschlechterrollen bei öffentlichen Auftritten hin, ohne die innere Widersprüchlichkeit des Weiblichkeitsbildes und auch dessen Wirksamkeit – etwa in den Kapiteln, die sich mit den Reaktionen der Öffentlichkeit befassen und die die Stilisierung von Weiblichkeit als Misserfolg zutage treten lassen – zu reflektieren.

Insgesamt ist es Jana Günther gelungen, die Protestformen und Inszenierungsstrategien der Suffragetten kritisch und facettenreich zu erörtern, wenn auch der Lesefluss anfangs durch zu viele Vorab-Informationen und später durch Wiederholungen zuweilen unterbrochen wird. Insbesondere die Geschichte der Suffragettenbewegung und den Wandel des Protestverhaltens dieser Frauenrechtlerinnen legt sie überzeugend dar und leistet, indem sie gewaltsamen Frauenprotest dezidiert als einen Bestandteil der Frauenbewegung ins Bewusstsein ruft, einen wichtigen Forschungsbeitrag. Die politische Inszenierung stellt die Autorin als ein wesentliches, wenn nicht als das zentrale Merkmal der Wahlrechtskampagne der Suffragetten dar. Die Bedeutung der Inszenierungsstrategien lässt sich jedoch nur ermessen, wenn zum einen ihre Effektivität nachgewiesen bzw. widerlegt wird. Zwar konstatiert Günther, dass sich die Suffragetten durch ihre Radikalisierung vom Rest der Frauenbewegung isolierten und dass durch die Gewaltaktionen ihr eigentliches Anliegen, das Frauenwahlrecht, mehr und mehr in den Hintergrund trat. Ob es ihnen jedoch glückte, der Öffentlichkeit die von ihnen produzierten Bilder zu vermitteln, bleibt offen. Zum anderen lässt sich die Besonderheit der Inszenierungsstrategien nur belegen, wenn diese mit der Öffentlichkeitsarbeit anderer sozialer Bewegungen verglichen werden. Weitere Forschungsarbeiten könnten darüber Aufschluss geben und zudem durch ergänzende Abbildungen, die in Günthers Studie leider fehlen, den herausgehobenen Stellenwert, den die Forscherin dem Visuellen im Wahlrechtskampf der Suffragetten beimisst, veranschaulichen.

URN urn:nbn:de:0114-qn083231

Katja Pawlik

E-Mail: katja_pawlik@gmx.de

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