Begehrte Körper jenseits von Geschlecht?

Rezension von Corinna Tomberger

Daniel Wildmann:

Begehrte Körper.

Konstruktion und Inszenierung des „arischen“ Männerkörpers im „Dritten Reich“.

Würzburg: Königshausen & Neumann 1998.

160 Seiten, ISBN 3–8260–1417–0, DM 29,80 DM / ÖS 218,00 / SFr 27,70

Abstract: Obwohl die visuelle Konstruktion des männlichen Körpers im Mittelpunkt von Daniel Wildmanns Studie steht, gelingt es ihm paradoxerweise, die Kategorie Geschlecht weitgehend zu ignorieren. In seiner Analyse des Films Olympia von Leni Riefenstahl zeigt der Autor auf, wie der ‚arische‘ Körper als Objekt des Begehrens für das Publikum entworfen wird.

Filmlektüre vor dem Hintergrund des kollektiven Gedächtnisses

Riefenstahls Olympia – der Film von den XI. Olympischen Spielen Berlin 1936 untersucht Wildmann als Produkt eines komplexen soziokulturellen Prozesses. Bezugnehmend auf die neuere Rezeption der Theorien von Maurice Halbwachs verwendet der Autor den Begriff des „kollektiven Gedächtnisses“ (S. 9), um eine umfassende Kontextualisierung der Filmerzählung mit anderen Gegenstandsbereichen zu begründen. Dementsprechend sucht die Analyse, ein weitverzweigtes Netz von Verweisungen sowohl auf zeitgenössische als auch auf historische Bezugspunkte in Architektur, Kunst, politischer Metaphorik, Ideologie u. a. zu rekonstruieren.

„Faschistische Subjektion“ und Begehren

Wildmann sieht die aktive Selbstunterwerfung des Subjekts, von Wolfgang Haug als „faschistische Subjektion“ (S. 74) beschrieben, in Anlehnung an Jacques Lacan als Resultat eines Begehrens nach fiktiver Ganzheit und Macht.[1] Dabei seien die Wünsche und Bedürfnisse, denen das Individuum mit seinem freiwilligen Handeln nachzukommen sucht, historisch geformt (S. 15). Insofern die Vorstellung vom ‚Volkskörper‘ ein zentrales Element der nationalsozialistischen Ideologie bilde, fungieren Darstellungen vorbildhafter Körper dem individuellen Begehren als Angebot, sich dem Nationalsozialismus aktiv unterzuordnen (S. 11, 137). Der Film Olympia rückt damit als Medium ins Blickfeld, das den Körper paradigmatisch ausstellt, um das Begehren zu mobilisieren, zumal er die erste große, repräsentative Sportveranstaltung des ‚Dritten Reiches‘ in Szene setzt. Von Hitler in Auftrag gegeben und vom Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda finanziert, kann dem 1938 uraufgeführten Film eine zentrale Rolle in diesem Zusammenhang zugeschrieben werden.

Die Geburt des begehrten Körpers (Kap. 4)

Der vorbildhafte Körper erweist sich als deutsch, männlich und ‚arisch‘. Seine filmische Genese rekonstruiert der Autor anhand einer detaillierten Analyse mehrerer Sequenzen aus dem Prolog des ersten Teils von Olympia, Fest der Völker.[2] Die Überblendung einer antiken Diskuswerferstatue mit dem deutschen Zehnkämpfer Erwin Huber sowie die Darstellung des Fackellaufes von Griechenland in das Berliner Olympiastadium verankern den begehrten Vorbildkörper in einer mythischen Vergangenheit. Dessen Nacktheit deutet Wildmann im Kontext zeitgenössischer Körperdiskurse als Referenz auf Ewigkeits-, Heils- und Erlösungsversprechen.

Die Bezwingung des Körpers (Kap. 5. 1)

Am ausführlichsten widmet sich die Studie der filmischen Darstellung des Marathonlaufes, um Riefenstahls Kampf- und Körperverständnis herauszuarbeiten. Voraussetzung für den Sieg der Athleten scheint ihr Kampf gegen und um den eigenen Körper, ein „Sieg des Willens“ (S. 64) über den Körper zu sein. Über die visuelle Verschmelzung der Läufer zu einem „Bewegungs-Es“ (S. 66) wird laut Wildmann der individuelle Körper mit dem ‚Volkskörper‘ verknüpft. Ebenso bedeute im zeitgenössischen ideologischen Kontext der Kampf um einen ‚arischen‘ Körper einen individuellen Beitrag zur ‚Erneuerung‘ des ‚Volkskörpers‘ und damit einen Dienst an der Gemeinschaft. Als hervorgehobenes Element in der Marathonsequenz analysiert Wildmann den Muskel, der als visuelle Metapher des männlichen Körpers begriffen werden könne. Kraft und Vitalität signifizierend, stehe er im Gegensatz zu der als krankmachend imaginierten Bedrohung des ‚arischen‘ respektive des ‚Volkskörpers‘.

Krieg gegen fremde, abwesende Körper (Kap. 5. 2)

Auch wenn die Marathonsequenz Athleten unterschiedlicher nationaler Herkunft zeigt, gelingt ihr, so Wildmanns Analyse, die Konstruktion „einer ‚nordisch‘-olympischen Körpergemeinschaft, der Deutschland vorsteht“ (S. 98). Damit werde der Vorherrschaftsanspruch des ‚arischen‘ Körpers ideologisch begründet. Er richte sich gegen den visuell abwesenden ‚jüdischen‘ Körper, der aus dem Film von vornherein ausgeschlossen ist, genauso wie die deutsch-jüdischen Sportlerinnen und Sportler von den Spielen ausgeschlossen waren. Gerade durch seine Abwesenheit sei der fremde, zu bekämpfende Körper jedoch anwesend. Dieses „Verschwindenlassen“ (S. 134) funktioniere, weil der antisemitische Stereotyp des ‚Juden‘ in der Propaganda allgegenwärtig war. So gesehen zeigt Olympia laut Wildmann das „vollendete Projekt“ (S. 139) eines Ausschlusses des Jüdischen, „eine ‚judenfreie‘ Welt“ (ebd.), die als begehrenswerte vorgeführt wird. Über den begehrten ‚arischen‘ Körper werde damit letztlich der nationalsozialistische Entwurf des ‚Volkskörpers‘ zum Objekt des Begehrens.

Geopferte Körper (Kap. 6)

Im Zieleinlauf der Marathonläufer wird den ‚arischen‘ Körpern, Wildmanns Argumentation folgend, eine weitere Bedeutung zuteil. Ausdruck körperlicher Schmerzen und Zusammenbruch können als imaginierter Tod verstanden werden, der in der Verschmelzung mit der ‚Volksgemeinschaft‘ aufgehoben wird. Sowohl der Marathon-Mythos als auch die Repräsentation der Weltkriegstoten in der Langemarck-Halle[3] des Olympiageländes betten die erwünschte Opferung des Körpers in den Zusammenhang von Kriegstod ein. Letztlich zelebriere die Marathonsequenz so eine Opferung des Körpers. Der Tod des Einzelnen erhalte mit dem Versprechen der Erneuerung der Gemeinschaft einen Sinn.

Begehrte Körper jenseits von Geschlecht?

Obwohl der vorbildhafte ‚arische‘ Körper in Olympia eindeutig geschlechtlich, nämlich männlich, markiert ist, spielt diese Markierung nach Ansicht Wildmanns keine wesentliche Rolle. Er setzt den Gegensatz ‚arisch‘ – ‚jüdisch‘ als zentrale Kategorien der Bestimmung der gezeigten Körper, deren Männlichkeit quasi als Nebeneffekt eine Verknüpfung zu den Bereichen Sport und Krieg ermöglicht. Die Zweitrangigkeit von Geschlecht als Analysekategorie betont der Autor wiederholt (S. 12, 129, 134, 138). Er wendet sich damit insbesondere gegen feministische Analysen von Olympia, die seines Erachtens allein ‚arische‘ Körperdarstellungen beiderlei Geschlechts miteinander verglichen hätten, ohne die Kategorie Race einzubeziehen (S. 12). Schließlich scheint die Dominanz männlicher Körper in der filmischen Inszenierung gar nur noch Folge der dominanten Präsenz männlicher Athleten bei den Spielen zu sein (Anm. 1, S. 138).

Mit dieser Ignoranz hinsichtlich der Kategorie Geschlecht vergibt Wildmann m. E. einen interessanten Teil des Analysepotentials, das in seiner detaillierten Studie angelegt ist. Zweifelsohne gelingt es ihm mit seiner Fokussierung auf das Gegensatzpaar ‚arischer‘ versus ‚jüdischer‘ Körper aufzuzeigen, wie Olympia ersteren als Objekt des Begehrens zu sehen gibt. Der Autor weist schlüssig nach, daß Riefenstahls Film in seinen Argumenten und seiner Argumentationsweise nationalsozialistisch ist (S. 140). Auf diese Weise arbeitet er einer verbreiteten Sichtweise entgegen, Olympia sei kein NS-Propagandafilm, weil er lediglich schöne und sogar schwarze Körper zeige.

Produktion soldatischer Männlichkeit

Ginge der ausgestellte ‚arische‘ Körper auch als männlich markierter in die Analyse ein, erhielte m. E. der Zusammenhang von Sport und soldatischer Männlichkeit einen zentralen Stellenwert. Wildmann hingegen handelt ihn nur als einen Aspekt unter anderen ab. Die Unterstellung des männlichen Körpers unter die Zwecke der Gemeinschaft, die Ausrichtung auf Entbehrung und Opferbereitschaft könnten damit als vehemente Propagierung soldatischer Männlichkeit im historischen Rahmen der zunehmenden Kriegsvorbereitungen lesbar werden. Nach der Wiedereinführung der Wehrpflicht 1935 und der Besetzung des Rheinlandes im März 1936 wurde mit dem 2. Vierjahresplan im September 1936 die Kriegsvorbereitung zum heimlichen Hauptziel nationalsozialistischer Wirtschaftspolitik. Hitlers geheime Denkschrift vom August 1936 sah die Aufrüstung der Heeres vor und proklamierte, die Wirtschaft „in vier Jahren kriegsfähig“[4] zu machen.

Vergeschlechtlichtes Begehren

Darüber hinaus könnte der gezielte Blick auf die geschlechtliche Markierung der ‚arischen‘ Körper in Olympia nachfragen, welche geschlechtsspezifischen Angebote, zu begehren und begehrt zu werden, in der filmischen Darstellung entfaltet werden. Das Begehren, das in der Zurschaustellung des ‚arischen‘ Körpers aufgerufen wird, bestimmt Wildmann näher als „mimetisches Begehren“ (S. 61). Das heißt, einerseits werde der ausgestellte Körper begehrt, andererseits soll der eigene Körper dem begehrten angeglichen werden. Daß jene Angebote vermutlich jeweils geschlechtsspezifisch ausgerichtet sind, an den männlichen Zuschauer als Appell, den eigenen Körper zu soldatischer Männlichkeit hinzuführen, an die weiblichen Zuschauerinnen als Anrufung, den soldatischen Körper erotisch zu begehren, könnte erst eine Analyse unter Beweis stellen, welche die Kategorien Race und Gender einbezieht.

Anmerkungen

[1]: Den Begriff Macht verwendet Lacan in Hinblick auf die antizipierte Kontrolle über den eigenen Körper in einem Entwicklungsstadium, in dem das Kleinkind diese noch nicht besitzt, und damit für eine Fiktion von Eigenmächtigkeit (Jacques Lacan: Das Spiegelstadium als Bildner der Ich-Funktion. In: Ders.: Schriften I. Weinheim, Berlin 1991, S. 61–70; hier S. 64). Insofern ist Wildmanns Verwendung meines Erachtens mißverständlich, wenn nicht gar falsch. Er bezieht sich allerdings auch nicht auf den Primärtext, sondern auf Peter Widmers Lacan-Rezeption (S. 15).

[2]: Wildmann bezieht sich ausschließlich auf den ersten Teil des Films. Der zweite Teil, Fest der Schönheit, wird nicht besprochen.

[3]: Die Schlacht von Langemarck im Ersten Weltkrieg gilt laut Wildmann schon seit der Weimarer Republik als „Inbegriff einer männlichen Jugend, die sich für Deutschland aufgeopfert“ (S. 50) hatte.

[4]: Wolfgang Benz, u .a. (Hg.): Enzyklopädie des Nationalsozialismus, 2. Aufl., Stuttgart 1998, S. 782.

URN urn:nbn:de:0114-qn021218

Corinna Tomberger

Universität Oldenburg

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