Christiane Coester:
Schön wie Venus, mutig wie Mars.
Anna d’Este, Herzogin von Guise und von Nemours (1531–1607).
München: Oldenbourg 2007.
408 Seiten, ISBN: 978–3–486–58028–0, 49,80 €
Abstract: Christiane Coesters Dissertation über Anna d’Este, Tochter des Herzogs von Ferrara und Enkelin des französischen Königs Ludwig XII., präsentiert sich als fundierte, wissenschaftliche Biografie. Anhand unterschiedlicher Quellengattungen aus italienischen und französischen Archiven werden die Aufgabenbereiche und Handlungsspielräume der italienischen Prinzessin im Umfeld des französischen Königshofs nachgezeichnet. Die Autorin entwirft ein aufschlussreiches, vielschichtiges Bild einer Aristokratin des 16. Jahrhunderts.
„À la fin, Anna d’Este a-t-elle existé?“ fragt sich Christiane Coester am Ende ihrer wissenschaftlichen Biografie zu Anna d’Este (1531–1607) in Anlehnung an Jacques Le Goffs Biografie über Ludwig den Heiligenund antwortet darauf: „Anna d’Este hat existiert. Aber sie hat in unterschiedlichen Wesen sowie mit vielen verschiedenen Gesichtern existiert. Sie hatte blondes oder braunes Haar, blaue oder grüne Augen, war Italienerin und Französin, Katholikin und Protestantin, und sie fühlte sich drei Familien zugehörig. Sie war sanft und gutherzig für die einen, eine Retterin verfolgter Hugenotten; für die anderen grausam und hochmütig […].“ (S. 321).In diesem Schlusszitat bestätigt Coester den Lesern/-innen das Gefühl, die Prinzessin von Ferrara, Tochter von Alfonso I. d’Este, Herzog von Ferrara, und Renée de France, Tochter des französischen Königs Ludwig XII., trotz gelesener Biografie eigentlich noch immer nicht zu „kennen“. Gerade das ist es aber, was Coesters Dissertation ausmacht: Sie versucht nicht, die Person von Anna d’Este zu erfassen und ein stimmiges Persönlichkeitsbild zu entwerfen, sondern lässt die unterschiedlichsten, teilweise widersprüchlichen Quellen sprechen: Briefe, Botschafterberichte, Rechnungsbücher, Inventare, Gedichte, aber auch Gemälde sind Teile des Puzzles, das Coester mit akribischer Sorgfalt aus diversen Archiven Frankreichs und Italiens zusammengestellt und in einer anschaulichen Sprache zu Papier gebracht hat.
Nach einleitenden Reflexionen über die Chancen und Probleme wissenschaftlicher Biografie und einem kurzen Kapitel über die Darstellung von Anna d’Este in Malerei und Literatur geht Coester im zweiten Kapitel auf ihre Kinder- und Jugendzeit am Hof von Ferrara ein, wo sie von ihrer Mutter erzogen wurde. Diese legte als französische Königstochter und Kryptoprotestantin Wert darauf, dass ihre beiden Töchter nicht nur eine humanistische Ausbildung erfuhren und mit dem katholischen Gedankengut aufwuchsen, sondern auch die protestantische Lehre und die französische Sprache und Kultur kennen lernten.
Im dritten Kapitel rekonstruiert Coester die Bestrebungen des Vaters, für Anna eine ihrem Stand und seinen Familieninteressen angemessene Heirat zu arrangieren. Die Entscheidung fällte der Herzog erst nach langwierigen Verhandlungen, denn seine Ansprüche waren hoch: Zum einen sollte seine Tochter möglichst als Königin auf einem der europäischen Throne zu sehen sein, zum anderen wollte er an ihrer Mitgift sparen. Ein König war der Ehemann zwar schließlich nicht, aber immerhin fand sich in François de Lorraine, Herzog von Aumale, eine gute Partie aus der französischen Hocharistokratie.
Das vierte und vielleicht stärkste Kapitel des Buches berichtet von der Reise Anna d’Estes über die Alpen nach Paris, welche symbolisch für die Verwandlung Annas von der italienischen Prinzessin zur französischen Herzogin steht. Die detaillierte Schilderung dieses Akkulturationsprozesses geht einher mit einer sensiblen Verlangsamung des Erzähltempos und einem Perspektivenwechsel. Wurde Anna bisher als „Objekt“, als Spielball familiärer Entscheidungen dargestellt, erscheint sie in den nun folgenden Kapiteln als Subjekt. Coester geht vermehrt von den Aktionsfeldern und Handlungen der Herzogin aus und stellt sie in ihren Rollen als Verwalterin, als Mutter und Politikerin ins Zentrum.
Als kurz nach ihrer Hochzeit 1648 ihr Schwiegervater Claude de Lorraine verstarb, wurde Anna d’Este zusätzlich Herzogin von Guise und hatte fortan alle mit diesem Titel verbundenen Aufgaben zu übernehmen. Da ihr Gemahl kriegsbedingt oft abwesend war, oblagen ihr als Ehefrau und Mutter von insgesamt sieben Kindern außerdem wichtige administrative Verwaltungsaufgaben sowie die Führung ihres Haushaltes mit ungefähr 40 Angestellten (1552). Anna zeigte darin großes Talent und erwarb sich einen guten Ruf: „Es gibt einige Frauen, die so viel wert sind wie viele Männer“, urteilte ein Florentiner Gesandter 1559 über die Herzogin (S. 164).
Die Familie der Guise stand dank des Geschicks von François de Lorraine am königlichen Hof hoch im Kurs, wovon auch die politischen Handlungsmöglichkeiten seiner Gemahlin abhingen. Als 1563 François Opfer eines Attentats wurde, kämpfte Anna um die Ehre der Guise und wollte sich für den Mord an ihrem Mann rächen. Zu diesem Zweck führte sie einen langwierigen, komplizierten Prozess.
Mit der ausführlichen Berichterstattung der Prozessführung im sechsten Kapitel wird der bisherige Erzählfluss unterbrochen. Hier rekonstruiert die Autorin nicht nur den genannten, sondern auch einige weitere Prozesse, die Anna als Herzogin von Guise geführt hatte. Die Schilderung der juristischen Sachverhalte nimmt viel Raum ein, wodurch sich leider auch die Subjektperspektive vorübergehend auflöst.
Das siebte Kapitel nimmt die biografische Chronologie dann aber wieder auf und setzt bei Annas zweiter Heirat ein, diesmal mit Jacques de Savoie, Herzog von Nemours. Als Herzogin von Nemours besaß Anna größere Handlungsmöglichkeiten und hatte mehr Gelegenheit zu politischer Einflussnahme als früher. Beim Tod ihres zweiten Mannes 1585 war sie tief ins politische Geschehen der Zeit involviert.
Das achte Kapitel beschäftigt sich mit ihrer zweiten Witwenschaft und zeigt auf, wie wichtig die Rolle war, die sie in der Zeit zwischen der Ermordung Heinrichs III. und der Anerkennung seines Nachfolgers spielte. Sie setzte sich intensiv für den Frieden ein und wurde schließlich von der Ligue nach dem Tod von Katharina de‘ Medici sogar zur „Königinmutter“ ernannt. Damit erfüllte sie die Aufgaben, die sonst eigentlich einer regierenden Königin zugekommen wären, und bei der Krönung Heinrichs IV. 1594 nahm sie somit die Rolle der wichtigsten Dame von Paris ein.
Anna d’Este starb am 17. Mai 1607 als 75-jährige Dame im Hôtel de Nemours in Paris. Das letzte Kapitel, „Epilog“ genannt, befasst sich mit ihrem Begräbnis, dem Testament, dem Inventar und ihrem Nachruhm. Den krönenden Abschluss des Kapitels bildet schließlich eine quellenkritische Analyse des im Inventar des Hôtel de Nemours 1607 aufgeführten Postens der Bibliothek. Coester ordnet die aufgeführten Bücher zuerst thematisch und zieht daraus Rückschlüsse auf Anna d’Estes Interessen, dann vergleicht sie die Werke mit den Bibliotheken anderer Fürstinnen und Fürsten ihrer Zeit. Dabei hinterfragt sie die Quellengattung „Inventar“ kritisch und zeigt insbesondere auf, was uns ein solches Dokument gerade auch nicht sagt.
Im Anhang findet sich schließlich die Transkription des gesamten Inventars – ein höchst wertvolles sozialhistorisches Zeitzeugnis – sowie Übersichtsdarstellungen zur Familiengeschichte, acht Abbildungen und ein Personenregister.
Was Coester am Anfang der von ihr selbst als „wissenschaftliche Biografie“ bezeichnete Studie zu leisten verspricht, hält sie ein: Sie bietet eine verlässliche Auskunft über die Fürstin Anna d’Este, ihre Rolle, ihre Handlungsspielräume und ihre Aufgaben, liefert aber keine repräsentative Studie über adliges Frauenleben am französischen Hof (S. 23).
Problematisch erscheint mir jedoch ihre zweifache Technik der Erzählstruktur. Der größere Teil des Buches folgt einer chronologischen, hermeneutischen Vorgehensweise mit dem Zweck, „Einblicke in das Leben dieser Fürstin so unmittelbar wie möglich zu gestalten“ (S. 29). Ein kleinerer Teil der Kapitel – wie zum Beispiel das erwähnte Kapitel zur Bibliothek – geht quellenanalytisch vor und unterbricht entsprechend die unmittelbare biografische Erzählung. Diese Durchmischung der Erzählstrukturen wirkt streckenweise verwirrend, insbesondere auch, weil Coester bei den Lesern/-innen ein großes Detailwissen voraussetzt. Man könnte sich daher fragen, ob weniger nicht mehr gewesen wäre: Entweder eine durchgehend chronologische Erzählung, die sich dafür mehr Zeit für die politischen Erläuterungen des Zeitgeschehens genommen hätte, oder aber eine theoretisch abgestützte Fragestellung aus dem Bereich der Gender Studies, welche sich weniger an einem chronologischen Raster orientiert hätte.
Diese Kritik zeigt aber gleichzeitig die Vorzüge der Studie auf: Coesters Buch erschließt nicht nur den Zugang zu einem reichen Quellenfundus aus der Zeit der französischen Religionskriege, sondern entwickelt aus der Deutung dieses Materials eine Vielzahl neuer Erkenntnisse und bietet darüber hinaus auch der Sozial- und Geschlechtergeschichte Material für weiterführende Studien mit unterschiedlichen Ansätzen.
URN urn:nbn:de:0114-qn083215
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