Eine Einführung in die Gender Studies.

Rezension von Martin Spetsmann-Kunkel

Therese Frey Steffen:

Gender.

Leipzig: Reclam 2006.

143 Seiten, ISBN 978–3–379–20307–4, € 9,90

Abstract: Therese Frey Steffen, Professorin für Anglistik und Gender Studies an der Universität Basel, führt in ihrem Buch Gender in die Kernthesen und Schlüsselbegriffe der Gender Studies ein. Das Buch eignet sich hervorragend als eine erste Einstiegslektüre in Fragen und Perspektiven der Genderforschung.

Das kleine Buch Gender von Therese Frey Steffen, derzeit Professorin für Anglistik und Gender Studies an der Universität Basel, ist in der Reihe „Grundwissen Philosophie“ des Reclam Verlags Leipzig erschienen und erhebt den Anspruch, die Geschichte und Standortbestimmung der Gender Studies knapp, aber fundiert vorzustellen. Die Darstellung konzentriert sich dabei auf die Diskussion und Entwicklung im anglo-amerikanischen Raum. In einem ersten Schritt erfolgt eine Charakterisierung der Kernaussagen der Gender Studies, wobei der Argumentation von Judith Butler, einer der bedeutendsten Autorinnen, viel Raum gegeben wird. In einem zweiten Schritt schließt sich eine historische Darstellung der Geschichte der Frauenbewegung, aus der die Gender Studies hervorgegangen sind, an. Im letzten Teil werden aktuelle Diskussionen der Gender Studies und Forschungsperspektiven, die aus ihnen entstanden sind, kritisch referiert. Das Buch enthält, dem Charakter eines Einführungsbuches angemessen, ein kommentiertes Literaturverzeichnis sowie ein Glossar und eine Zeittafel wichtiger Daten der Frauen- und Geschlechterforschung.

Die Kernaussagen der Gender Studies

Frey Steffen beschreibt den Gegenstand der Gender Studies folgendermaßen: „Gender Studies […] analysieren das Geschlechterverhältnis respektive die Geschlechterverhältnisse als strukturierte wie strukturierende Bedingungen menschlicher Gemeinschaften und Gesellschaften. Der Fokus liegt auf Fragen nach der Geschlechterhierarchie, das heißt der Ungleichheit der Geschlechter oder der Geschlechterdifferenz, der Geschlechterrollen und -stereotypen, mithin der Geschlechtsidentität(en), wie sie sich unter verschiedenen soziokulturellen und historischen Bedingungen ausformen oder eben ‚konstruieren‘.“ (S. 12) Die Definitionen von ‚Männlichkeit‘ und ‚Weiblichkeit‘ im Alltag und in den Wissenschaften sind Gegenstand der inter- wie transdisziplinären Gender Studies.

Zentral ist hierbei die Annahme, dass das biologische Geschlecht (engl.: sex) keinerlei Auswirkungen auf die Konstitution geschlechtsspezifischer Sozialisation oder geschlechtsspezifischen Handelns und Denkens hat. Dies sei vielmehr das Ergebnis geschlechtsrollenkonformer sozialer Prägungen, welche das soziale Geschlecht (engl.: gender) bedingen. Selbst das biologische Geschlecht wird im Rahmen von sozialen Zuschreibungspraktiken diskursiv konstruiert und mit Bedeutungen versehen. „Frauen und Männer sind nicht einfach als Frauen und Männer geboren; sie werden es im Verlauf ihrer unterschiedlichen Sozialisation. Kulturelles wie biologisches Geschlecht entstehen laufend performativ, das heißt sex und gender werden im entsprechenden Handeln erst hergestellt.“ (S. 20) Geschlechtszugehörigkeit und Geschlechtsidentität werden innerhalb der Gender Studies als fortlaufender Herstellungsprozess aufgefasst, der in jeder menschlichen Aktivität vollzogen wird. Dies beschreibt der Begriff des ‚doing gender‘.

Wie schon erwähnt, wird dem Werk von Judith Butler besondere Aufmerksamkeit gewidmet. Butlers These orientiert sich an dem oben knapp dargelegten Grundgedanken der Gender Studies, den wir bereits in Simone de Beauvoirs berühmten Ausspruch „Man wird nicht als Frau geboren, man wird es“ angelegt finden. In jüngsten Veröffentlichungen geht Butler aber noch einen Schritt weiter, indem sie sogar das biologische Geschlecht als kulturell und sozial von einer Zwangsheterosexualität mitbestimmt sieht.

Die Geschichte der Frauenbewegung

Nach einer ersten Charakterisierung zentraler Grundpositionen der Gender Studies beschreibt Frey Steffen im weiteren Verlauf ihrer Argumentation die Geschichte der Frauenbewegung, aus der die Geschlechterforschung letztlich hervorgegangen ist. Dieser historische Überblick fokussiert nicht nur die Entwicklung in den wissenschaftlichen Diskursen, wobei der Diskurs innerhalb der Literaturwissenschaften besonders bedeutsam ist, sondern stellt die Entstehung der Gender Studies aus der Frauenbewegung immer in den Kontext allgemeiner sozialer und politischer Veränderungen. In diesem historischen Abriss werden unterschiedlichste Frauen wie Mary Wollestonecraft, Virginia Woolf, Simone de Beauvoir, Betty Friedan, Kate Millet, Angela Davis, Alice Walker oder Julia Kristeva genannt und ihre Positionen und ihr Wirken beschrieben. Der historische Rückblick endet bei den aktuellen Entwicklungen seit 1990 in den Gender Studies, die im Unterschied zu den älteren Woman Studies die Bedeutung von Machtstrukturen für die Geschlechterfrage betonen.

Queer Theory und Masculinities Studies

Im letzten Teil der Argumentation stellt Frey Steffen zunächst knapp einige Positionen der Gay/Lesbian Studies, aus denen heraus die Queer Theory entstanden ist, vor. Diese Theorierichtung erhebt u. a. den Anspruch, eine Kritik an der normativen Heterosexualität zu üben. Daran anschließend werden die seit den 1970er Jahren in der Diskussion zu findenden Masculinities Studies referiert. Auch diese Forschungsperspektive wurde maßgeblich von Arbeiten aus den Literaturwissenschaften angeregt und bereichert. Der Gegenstand der Masculinities Studies ist die Analyse von unterschiedlichen Männerbildern (‚Männlichkeiten‘) und damit verbunden eine Kritik an der üblichen Vorstellung einer eindimensionalen Männlichkeit. „Nicht nur wird das traditionelle Männerbild von einer modernen, soziohistorisch reflektierten Vorstellung abgelöst, auch die belastenden Seiten traditioneller heterosexueller Männlichkeit, die Forderungen nach Härte, Mut, Souveränität und Ähnlichem, werden als Geschlechtsrollendruck identifiziert. Nicht mehr die Abweichung von der Norm gilt als krankhaft, sondern der Rollendruck wird als krankmachend erkannt.“ (S. 85) Einen bedeutenden Stellenwert in dieser Forschungsrichtung nehmen dabei die Arbeiten Robert W. Connells ein, der die gesellschaftliche Reproduktion hegemonialer Männlichkeit analysiert. Frey Steffen findet in ihrer Einschätzung der Arbeiten Connells aber leider nur kritische Worte, da dieser durch seine Argumentation letztlich – so Frey Steffen – an der Reproduktion hegemonialer Männlichkeit beteiligt sei, und sie fasst zusammen: „Robert W. Connells Geschlechterkonzept zementiert nicht nur geläufige Rollenmuster; es bietet auch keinen Ausweg aus der Sackgasse hegemonialen Vorrechts.“ (S. 88) Die Masculinities Studies – so Frey Steffens streitbare Aussage – fallen folglich hinter den aktuellen Wissensstand der Gender Studies zurück.

Resümee

Bei aller Parteilichkeit für bestimmte Positionen, die in diesem Buch vorgestellt werden, darf dennoch resümierend festgehalten werden, dass das Buch Gender einen fundierten und kenntnisreichen ersten Einblick in die Genderforschung liefert. Es ist zudem sehr verständlich geschrieben und enthält eine Reihe an Lesehinweisen für die Vertiefung der Thematik.

URN urn:nbn:de:0114-qn083313

Dr. Martin Spetsmann-Kunkel

FernUniversität Hagen, Lehrgebiet Interkulturelle Erziehungswissenschaft

E-Mail: martin.spetsmann-kunkel@fernuni-hagen.de

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