Andrea D. Bührmann, Angelika Diezinger, Sigrid Metz-Göckel:
Arbeit – Sozialisation – Sexualität.
Zentrale Felder der Frauen- und Geschlechterforschung.
Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften, 2., überarb. u. erw. Auflage 2007.
364 Seiten, ISBN 978–3–531–14554–9, € 26,90
Abstract: In diesem Lehrbuch wird das Panorama von 40 Jahren kontroverser Forschung eröffnet. Anhand der beispielhaften Themenfelder Arbeit, Sozialisation und Sexualität wurden Originaltexte ausgewählt, die die Problemgeschichte und die Auseinandersetzungen sowohl mit Konzepten innerhalb der Frauenforschung in der BRD als auch mit gesellschaftlichen Veränderungen erkennbar machen. Die Zusammenstellung von Texten aus den 1970er Jahren bis in die Gegenwart auf relativ engem Raum und zum gleichen Themenkomplex macht Veränderungen in den Problemstellungen, aber auch in den Forschungsansätzen begreifbar. Abgesehen von wenigen formalen Schwächen ist das Buch ein sehr empfehlenswerter „Schnupperkurs“. Dass internationale Debatten nur marginal behandelt werden, spiegelt die reale Forschungslandschaft in der BRD wider, kann aber als Desideratum für die zukünftige Frauenforschung konstatiert werden.
Dieses Lehrbuch zu zentralen Feldern der sozialwissenschaftlichen Frauen- und Geschlechterforschung hält, was es verspricht: Es eröffnet das Panorama von 40 Jahren kontroverser Forschung und regt zum Weiterlesen an. Die Autorinnen haben den Anspruch, nachvollziehbar zu machen, „wie sich Frauenforschung in der Auseinandersetzung mit den realen Lebensverhältnissen von Frauen, sozialwissenschaftlichen Denktraditionen und eigenen Konzepten ihren Gegenstand geschaffen hat“ (S. 7). Anhand der beispielhaften Themenfelder Arbeit, Sozialisation und Sexualität, die für die Frauenforschung eine zentrale Rolle spielen, wurden Originaltexte ausgewählt, die die Problemgeschichte und die Auseinandersetzungen mit Konzepten sowohl innerhalb der Frauenforschung als auch mit gesellschaftlichen Veränderungen erkennbar machen.
Die drei thematischen Teilbereiche zu „Arbeit“, „Sozialisation“ und „Sexualität“ sind jeweils mit einer Einleitung der Autorinnen versehen, in der sie die Hauptthesen der ausgewählten Texte anführen und die Debatten umreißen, auf die sich die Texte beziehen.
Die Zusammenstellung von Texten aus den 1970er Jahren bis in die Gegenwart auf relativ engem Raum und zum gleichen Themenkomplex bietet eine spannende Zeitreise in die Forschungsgeschichte. Veränderungen in den Problemstellungen, aber auch in den Forschungsansätzen, werden so begreifbar. Gerade Studienanfänger/-innen, für die das Werk gedacht ist, bekommen die Entwicklungen einer wissenschaftlichen Disziplin anschaulich vor Augen geführt, deren „Bewegungsgeschichte“ sie selber nicht miterlebt haben.
Die verschiedenen Teile des Buches haben eine unterschiedliche Struktur; eine Vereinheitlichung wäre wünschenswert gewesen. Der Bezug zwischen Einleitungsteil und Textteil ist in den Abschnitten zu „Arbeit“ und „Sexualität“ ganz anders aufgebaut als im Bereich „Sozialisation“. In diesem Teil fehlen außerdem wichtige Quellenangaben in den Überschriften der Texte. Da zusätzlich auch keine konsequent chronologische Reihenfolge vorhanden ist, ist es hier manchmal mühsam, die Texte einzuordnen. Gerade auf diesem Hintergrund wäre ein Index der Texte nach Autor/-innen bzw. ein Quellenverzeichnis sehr sinnvoll. Einige Druckfehler stören den Lesefluss, was besonders in einer Neuauflage behebbar gewesen wäre.
Oft sind die frühen Texte aus den 1970er und 1980er Jahren verblüffend aktuell. Die Verwendung marxistischer Analysen, Begriffe wie „Kapitalismus“, „Arbeiterklasse“ oder „Produktionsweise“ kennzeichnen viele dieser Texte. In den späteren Texten wird dagegen – mit Ausnahmen – sehr viel vorsichtiger mit Aussagen zu System und Systemkritik umgegangen. So sehr dies der Komplexität gegenwärtiger Verhältnisse entspricht, so sehr schärft eine systemkritische Perspektive durchaus den Blick für Herrschaftsverhältnisse, die bei der Fokussierung auf Differenzen und ihre Anerkennung, die in den 1990er Jahren dominiert, leicht aus dem Blick geraten. Bei Sensibilität für ökonomische und andere Machtverhältnisse regen die Texte durchaus dazu an, sich neu mit der Rezeption marxistischer Analysen zu beschäftigen.
Erschreckend deutlich wird, wie wenig sich in der BRD bisher etwas in der Zuweisung unbezahlter Versorgungsarbeit an Frauen geändert hat. Die Beispiele im europäischen Vergleich geben ein beredtes Zeugnis davon, wie sehr die Gleichstellungspolitik hierzulande hinterher hinkt.
Beim Thema „Sexualität“ dagegen hat sich in den letzten 40 Jahren sehr viel getan. Die meisten jungen Frauen werden die restriktive Auffassung von Ehe als Kontrollinstanz über Frauen nur noch als „historisch“ nachvollziehen können, auch wenn die völlige rechtliche Gleichstellung der Eheleute gerade einmal 50 Jahre alt ist. Die Brisanz (auch für die persönliche Lebensführung von Frauen heute) von Themen wie sexuelle Gewalt oder Reproduktionsmedizin und die damit verbundenen Zwänge – gerade im Zuge von wachsender Individualisierung und individuell zugewiesener Verantwortung – werden allerdings klar. Im Text von Susanne Schultz (S. 343–349) werden in diesem Rahmen auch globale Zusammenhänge und die Verquickung von Entwicklungspolitik, „Bevölkerungspolitik“ und kolonialen Machtverhältnissen thematisiert, womit sich der Horizont über den bundesrepublikanischen Kontext hinaus öffnet.
Zum Thema „Sozialisation“ sind besonders historische Perspektiven, auch aus anderen Teilen des Buches, erhellend. So zeigt z. B. der Text von Gisela Bock und Barbara Duden zum Thema „Entstehung der Hausarbeit im Kapitalismus“ aus dem Jahr 1977 (S. 28–34), dass konstruktivistisches Denken, also die Annahme, dass Geschlechter konstruiert sind, keine Neuheit der 1990er Jahre ist. Gerade das Nebeneinander von solchen Texten, die auf historischer oder diskurstheoretischer Grundlage zeigen, dass Geschlechter und Zweigeschlechtlichkeit kulturell geschaffen wurden, und solchen, die zumindest teilweise eine naturalistische Auffassung z. B. von „weiblichen Eigenschaften“ vertreten, fordert zur eigenen Positionierung heraus und zeigt das Spektrum der Debatten.
Während Kontroversen innerhalb der feministischen Sozialforschung in Deutschland eine sehr plastische Darstellung erhalten, zeigt sich, dass internationale Debatten nur marginal aufgenommen werden. Wenn der Anspruch der Neuauflage, ihre Rezeption aufzugreifen, erfüllt ist, gilt dies lediglich für Debatten aus Skandinavien (vor allem zum Arbeitsbegriff und zur „Vereinbarkeit von Beruf und Familie“) und aus den USA. Autorinnen aus anderen Kontexten, die z. B. aus Lateinamerika oder afrikanischen Ländern Spannendes zu Themen wie „Sozialisation“ oder „Geschlechterkonstruktion“ beizutragen hätten, finden keinen Niederschlag. Doch dies ist eher ein Desideratum für die Zukunft feministischer Forschung.
Insgesamt ist das Buch ein sehr zu empfehlender „Schnupperkurs“, der durch die Vielfalt der präsentierten Originaltexte nicht nur für Einsteiger/-innen reizvoll ist.
URN urn:nbn:de:0114-qn083330
Katja Strobel
Institut für Theologie und Politik, Münster, Homepage: http://www.itpol.de
E-Mail: strobel@itpol.de
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