Sprechende Körper.

Rezension von Romana Stoubæk

Sigrid G. Köhler:

Körper mit Gesicht.

Rhetorische Performanz und postkoloniale Repräsentation in der Literatur am Ende des 20. Jahrhunderts.

Köln u.a.: Böhlau 2006.

245 Seiten, ISBN 978–3–412–05606–3, € 32,90

Abstract: Sigrid G. Köhlers Körper mit Gesicht ist ein grenzüberschreitendes Werk. Die Autorin nimmt Stellung zu den neuesten Ansätzen aus den Postcolonial und Gender Studies, und verwendet sie mit dem Ziel, Stimmen einen Körper zu verleihen. Verdeutlicht werden die theoretischen Positionen anhand eines Analyseteils, der sich mit vier aussagekräftigen deutsch- und französischsprachigen Romanen der Gegenwartsliteratur beschäftigt.

Rhetorische Figuren, Performanz, Materie

Wie der Titel schon andeutet, ist Körper mit Gesicht eine Anspielung auf Judith Butlers Körper von Gewicht. Wie aber der Untertitel weiter präzisiert, wird die Kategorie gender um zwei andere Kategorien erweitert, und zwar um Sprache und race. Die innovative Leistung dieses Werkes, das aus der 2002 entstandenen Dissertation hervorgegangen ist, liegt in der Auseinandersetzung mit der Frage, wie sich Körper und Subjekt gegenseitig in einem poetologischen Programm konditionieren. Darin liegt zugleich die Aktualität dieser Untersuchung. Sigrid G. Köhler, Germanistin und Literaturwissenschaftlerin mit Schwerpunkten in der Rhetorik, den Postcolonial und Gender Studies, betrachtet rhetorische Figuren im Hinblick auf Performativität und in ihrer Funktion für die Figurenkonstitution in literarischen Texten. Besonders wichtige rhetorische Figuren sind dabei die Prosopopoiia, der Chiasmus und die Katachrese.

Köhler beschreibt die Tendenz in der zeitgenössischen deutschen Literatur, sich mit dem Körper und seinen Grenzen zu befassen, und kommt zu dem Schluss, dass der Körper „eine zentrale Kategorie der literaturwissenschaftlichen Reflexion“ (S. 217) geworden sei. Um das zu verdeutlichen, macht sie sich als Erstes das Butler’sche Konzept der Körper von Gewicht zu Nutzen. Judith Butlers gewichtige Körper aus Bodies that Matter werden von Köhler in Körper mit Gesicht auch als rhetorisch produzierte gelesen. Nach der ausführlichen Erläuterung dieses theoretischen Ausgangspunkts beginnt die Untersuchung von vier literarischen Texten der deutsch- und französischsprachigen Gegenwartsliteratur (1988–1996). Die gemeinsame Koordinate dieser Romane ist die Verknüpfung von Körper und Sprache.

Gewichtige, gesichtige und hybride Körper

Die Analyse der literarischen Texte beginnt mit Urs Widmers Roman Im Kongo. Die Aufmerksamkeit fällt auf die Figur Kuno, den Schweizer, der während seines Aufenthalts im Kongo wortwörtlich schwarz wird und somit einen stereotypisierten, afrikanischen Körper erhält. Dass, laut Butler, Körper diskursive und damit auch performative Konstrukte sind, wird hier anhand von Kunos Veränderung gezeigt: sein Schwarzwerden als Folge eines sprachlichen Prozesses, einer Interpellation. Köhler untersucht, wie Kuno durch seinen Körper zum Problem der binären Repräsentationslogik wird, wie er Strategien gegen seinen Körper entwickelt und wie die erhaltenen Fetische für Kunos Selbstermächtigung sorgen. Neben den oben erwähnten rhetorischen Figuren werden für den postkolonialen Kontext dieses Romans die Ironie allgemein und besonders die von Stereotypen bedeutsam. Köhler zieht den Schluss: „Im Kongo gibt sich […] nicht als ‚Afrikaroman‘, sondern als Roman über das sprachlich produzierte Afrika zu lesen.“ (S. 88)

Als Nächstes widmet sich Köhler ausführlich der Analyse von Christoph Ransmayrs Roman Die letzte Welt. Mit einem Ovidischen Repertoire. Für ihre Untersuchung der Relation von Körper und Subjekt ist die mythische Welt Tomis besonders wichtig, denn Tomi ist der Ort des Oszillierens zwischen zwei Welten – des Autors und des Lesers/der Leserin –, eine Welt des Wandelns, die das Verhältnis von Sprechen und Repräsentation, von einem Ich und einem/einer Anderen ermöglicht. Mythologische Figuren aus Ovids Metamorphosen erhalten eine Form, so z. B. wird auf die Verletzlichkeit der Figur Echo in Die letzte Welt hingewiesen, eine Verletzlichkeit, die ihre Körperlichkeit hervorhebt. Anders als bei Ovid besteht sie aus mehr als nur einer Stimme, ihr Schuppenfleck als körperliches Zeichen wird von Köhler semiologisch beschrieben und erweist sich als gewichtig: Vergleichbar mit dem Phallus begründe er Echo als sprechende Figur.

Die „omnipräsente Körpermetaphorik“ (S. 145) in Yoko Tawadas Werken erweist sich für das Vorhaben von Köhlers Untersuchung als sehr ergiebig, was sie veranlasst, mehrere Schriften der deutsch-japanischen Autorin zu berücksichtigen. In Tawadas Werken zeige sich, dass das Sprechen, indem man ihm einen Körper gibt, als performativer kultureller Akt zu verstehen sei. Körper werden bei Tawada sogar durch das Sprechen in einer anderen Sprache verändert. Als Sinnbild für dieses Verfahren steht Tawadas Mit-der-Zunge-Wahrnehmen – ebenfalls vergleichbar mit dem im ersten Teil dieses Kapitels behandelten Butler’schen lesbischen Phallus. Danach konzentriert Köhler ihre Analyse gezielt auf den Roman Ein Gast, besonders auf die dort vorkommenden Räume – den Flohmarkt und das Ohr – und auf die Figuren – das japanische Ich, die Stimme aus dem Kassettenspieler und die Figur Z. Überzeugend kann Köhler auch in diesem Fall zeigen, wie Körper durch rhetorische Figuren konstruiert werden.

Mit Calixthe Beyalas Roman Tu t’appelleras Tanga, in dem eine Geschichte erzählt wird, die – ganz unabhängig von Europa – in einem nicht näher spezifizierten afrikanischen Land spielt, sollen Sprache und Körper auch in einem nicht-westlichen Kontext problematisiert werden. Die Dominanz der weiblichen Figuren, die Konzentration auf die weibliche Sexualität, das Thematisieren weiblicher Unterdrückung und der Genitalverstümmelung sowie die Arbeit an dem mythischen Mutterschaftskonzept scheinen die Kategorie gender in diesem Roman zu privilegieren. Das Miteinbeziehen der Kategorie race einerseits und das Ineinandertreten der Protagonistinnen mit der Folge der Entstehung einer hybriden Figur andererseits, welche die Trennung zwischen einem Ich und einer Anderen erschwert, legen dagegen eine postkoloniale Lektüre nahe. Von allen vier analysierten literarischen Texten endet nur Beyalas Roman Tu t’appelleras Tanga eindeutig mit der Figuration eines gewichtigen, hybriden Körpers. Dennoch, so folgert Köhler, lassen sich auch in den drei anderen Texten solche Entwürfe erblicken: „als ‚gewichtiges Sprechen‘, als ‚gewichtiger Fleck‘ und als ‚maskierte Verleihung‘“ (S. 223).

Fazit

Mit soliden Vorkenntnissen in Gender-Fragen ist dieses Buch eine angenehme Lektüre, und das Lesen des Analyseteils macht richtig Spaß. Die Betonung der Kategorie gender und die des rhetorisch konstruierten Körpers schwächen allerdings die postkoloniale Perspektive und den Blick auf das Subjekt ab. Diese Bemerkung schmälert nicht die Verdienste des Bandes: Sigrid G. Köhler hat ein fundiertes, kenntnisreiches Buch geschrieben, das sich durch präzise Untersuchungsverfahren auszeichnet.

URN urn:nbn:de:0114-qn083327

Romana Stoubæk

Universität Tübingen, Deutsches Seminar/Skandinavistik

E-Mail: romana.stoubaek@uni-tuebingen.de

Die Nutzungs- und Urheberrechte an diesem Text liegen bei der Autorin bzw. dem Autor bzw. den Autor/-innen. Dieser Text steht nicht unter einer Creative-Commons-Lizenz und kann ohne Einwilligung der Rechteinhaber/-innen nicht weitergegeben oder verändert werden.